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"Vom Furor der Liebe" - Tödliches Finale
Von Susanne Klein
und Gerhard Menzel
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Fotos von Eduard Straub Mit der L'Incoronatione di Poppea beschloss die Deutsche Oper am Rhein nun seinen dreiteiligen Monteverdi-Zyklus, der mit Orfeo und Il Ritorno di Ulisse schon so verheißungsvoll begonnen hatte. Hatte Christof Loy beim Orfeo schon damit begonnen, aus dem Mythos das menschliche Schicksal herauszuarbeiten, so stand es beim Ulisse bereits ganz im Mittelpunkt seiner Interpretation. Mit der Poppea ging Loy nun noch einen Schritt weiter, indem er die stofflichen und menschlich-biologischen Grenzen einfach überschritt und sowohl das Stück, als auch den gesamten Zyklus in einer großen, finalen Katastrophe enden ließ. Das 1641 von Claudio Monteverdi vertonte Libretto von Giovanni Francesco Busenello bietet dafür eine spannende, zutiefst menschliche Geschichte von der subversiven Kraft großer Leidenschaft und der explosiven Vereinigung von Lust und Macht zwischen amouröser Passion und moralischer Haltlosigkeit. Monteverdi erweist sich mit seiner dramaturgischen Raffinesse und psychologischen Charakterisierungskunst auf der Höhe seiner Zeit, was den epochalen Rang dieses Werkes ausmacht. Im Salon des Wahnsinns.
Christof Loy setzt bei seiner Konzeption allerdings zu viel voraus. Die Poppea gehört nun nicht zu den Werken, die zum allgemeinen Bestandteil des Repertoires gehört und beim "normalen" Opernpublikum als bekannt vorausgesetzt werden kann. Daher verlieren schon gleich zu Beginn des Handlungsstranges Nero-Poppea viele die Übersicht, wenn Nero als "Vollweib" eingeführt wird und wie Poppea einen Hosenanzug trägt. Catrin Wyn-Davies (Poppea) und Kate Aldrich (Nero).
Klangbeispiel:
Catrin Wyn-Davies (Poppea)
Bei den Kostümen von Michaela Barth kam ohnehin die Frage auf, ob der Hauptsponsor ein renommierter Miederwarenhersteller sei. Immerhin gab es schon eine Produktion, in der ein Waschmittelhersteller eine nicht unwesentliche Rolle spielte. Allerdings unterstützten die Kostüme die Intentionen von Christof Loy vortrefflich und charakterisierten die handelnden Personen dadurch noch deutlicher. Bemerkenswert war dabei, dass gerade Amor es ist, der sich als schwarzgefiederter Unglücksbote als einziger nicht bis auf die Haut entblößt, sondern wie aus einem Modemagazin entstiegen, als topstyled Modell durch den von Dirk Becker als geräumigen Salon geschaffenen Bühnenraum schreitet und so tut, als könne er überhaupt nichts dafür, dass sich die Menschen so völlig irrsinnig benehmen. So kommt dann auch die Frage auf: sind wirklich nur die Frauen an allen (menschlichen) Katastrophen schuld? Natürlich ist das psychologisch extreme Verhalten der Protagonisten nicht geschlechterspezifisch. Es gibt sowohl Männer, als auch Frauen, denen das jeweils vorgeführte Verhalten nachzuweisen ist. Warum dann dieses unnötige Verwirrspiel? Wer da noch nicht gleich aufgegeben und den Zuschauerraum verlassen hatte, den erwartete ein Übermaß an Menschenfleisch und brutaler Gewalt, was weder das Stück benötigt, noch einem Publikum von 8 bis 88 Jahren in diesen Ausmaßen zugemutet werden muss (was auch die Ausführungen von Chrisof Loy im Programmheft nicht zwingend begründen können)! Gwendolyn Killebrew (Nutrice),Corby Welch (Lucano / 1. Soldat), Sami Luttinen (Seneca) und Norbert Ernst (Liberto / 2. Soldat).
Klangbeispiel:
Kate Aldrich (Nero) und
In dieser daher sehr kontrovers diskutierten Inszenierung werden vermeintlich 350 Jahre alte Figuren ins "Hier und Jetzt" oder besser, ins Zeitlose gesetzt, denn die Inhalte dieser an historische Persönlichkeiten erinnernde Geschichte - Machtgier, Lust, Liebe, Verführung und Intrigen - sind viel älter als das Libretto von Giovanni Francesco Busenello selbst. Die Göttin Fortuna verkündet im Prolog der Oper den Untergang der Tugend und verspricht den Menschen Freude und Lust am Leben. Diesen Vorwurf weist die Tugend selbstverständlich zurück und appelliert an die menschliche Intelligenz, die zu höheren Zielen verpflichtet sein sollte. Amor, der Gott der Liebe, beendet den Streit der beiden Damen mit seinem alleinigen Anspruch auf die Herrschaft über das treiben der Menschheit. Als Beweis hierfür soll die Geschichte Poppeas dienen. Glaubt jemand, es handelt sich hier um zärtliche Liebe zwischen zwei Menschen, der wird in Loys Inszenierung sehr schnell belehrt, dass es genau hierum nicht geht: "Ja, Poppea ist (zwar) ein Stück über den Sieg der Liebe, über den Sieg Amors. Aber nicht etwa als sublimierte Form des Eros, also der Aufgabe des eigenen Wünschens und dem Aufgehen in den Wünschen des anderen, sondern Liebe im Sinne von Lust, sexueller Gier und ihrer Befriedigung. Und diese kann, so die Quintessenz des Lebens und dieser Oper, schließlich nur über die Ausübung von Macht erreicht werden" (alle Zitate aus Christof Loys Beitrag im Programmheft S.16ff). So hat auch der schwarz gekleidete Amor die Macht und bringt das Unglück: "Der Amor der Poppea ist ein ebenso grausames wie raffiniertes Wesen, dem es selbst um eine selbstzufriedene Demonstration seiner eigenen Dominanz in der Welt geht. Amor lehrt uns, dass dort, wo Liebe im Spiel zu sein scheint, es zutiefst darum geht, dass Menschen ihrer Sucht nachgehen, sich andere Menschen gefügig zu machen." Und so ist es dieser Amor, der die Fäden bei diesem grausamen Spiel in der Hand hat und der einzige, dem nichts zustößt, obgleich er während des gesamten "Spieles" ein wachsamer Beobachter und Manipulator ist und immer präsent ist.
Gwendolyn Killebrew (Nutrice)
Klangbeispiel:
Marta Marquez (Ottavia).
Ein wahnsinnig wirkender Nero, in Gestalt einer Frau erscheint - eine Verkleidung? Auswüchse seines Wahnsinns? - oder wird hier deutlich, dass es egal ist, in welchem Geschlecht Wahnsinn, Brutalität und Machtgier liegen? Loy selbst hat für den Geschlechtertausch folgende Erklärung: der mächtige Nero scheint in seiner "emotionalen Direktheit und Beeinflussbarkeit und seiner kindlichen Flucht in gefühlsmäßigen Terror das Weibliche" darzustellen. Ihm gegenübergestellt eine Poppea, der es scheinbar egal ist, wen sie lieben muss um an die Macht zu kommen. Sie ist die Kalkulierende, die Berechnende, die Planende, die, die Nero gefügig macht. "Das erstaunlichste daran ist, dass Poppea dabei - aus herkömmlicher Sicht - den männlichen Part übernimmt". Dieser vermeintlich männliche Aspekt zeigt sich darin, dass sie im ersten Akt Männerkleider trägt. Doch muss eine Frau, die diese Eigenschaften besitzt wirklich einen Geschlechterwechsel, wenn auch scheinbar nur rein äußerlich, vollziehen? In Loys Inszenierung besteht der "Kitzel für das Paar nun darin, dass der jeweilige Machtradius immer kurzzeitig über- oder unterschritten wird und sich dadurch die notwendigen Impulse für die Partnerschaft ergeben".
Und Ottavia, warum trägt sie Männerkleidung? Sie ist die Frau an Neros Seite, aber kann sie eine Frau sein, wenn ihr Mann eine ebensolche ist? und Martin Wölfel (Ottone).
Am Ende siegt doch das Gute (?), hingegen des eigentlichen Librettos, das Böse stirbt, durch die eigene Hand oder durch die Hand eines ehemals Verbündeten. Unter den Klängen eines der wohl schönsten Duette der Operngeschichte, in der sich Poppea und Nero ewige Lieben schwören, richten sie sich selbst und sind so auch für immer verbunden. Nur Drusilla und Ottone, das Paar, das die "wahre Liebe" zu verdeutlichen scheint, geht als einziges nicht Zugrunde - gewinnt die "wahre" Liebe also vielleicht doch? Aber stellt diese Geschichte nicht genau das dar, was wir - sind wir ehrlich - täglich in den Medien lesen oder hören und kaum noch eine Notiz davon nehmen, da es so alltäglich geworden ist? Hat Loy vielleicht einfach nur den zeit,- raum- und geschlechtslosen menschlichen Wahnsinn auf die Bühne gebracht? Sicherlich lässt sich über die Inszenierung selbst diskutieren, was aber ohne jede Diskussion bleibt, ist die phänomenale Leistung des Ensembles, bei denen innerhalb der fast vier Stunden in keinem Augenblick die Spannung nachlässt. Allen voran ein unglaublich intensiv spielendes und singendes Trio, Kate Aldrich als Nero, Catrin Wyn-Davies als Poppea und eine großartige Marta Marquez als verschmähte Ehefrau Ottavia. Lässt man sich auf dieses Spiel ein, scheint es, als ob man selbst in diese Welt hineingezogen wird, unterstützt durch den fehlenden Orchestergraben und der räumlichen Nähe der Darsteller zu ihrem Publikum, ihren Voyeuren. So tritt die Musik nicht nur räumlich in den Hintergrund (das Orchester sitzt im Hintergrund des Salons), sondern auch als wahrnehmbares, akustisches Medium, was allerdings zweifellos ganz im Sinne Monteverdis ist!
Das Ende:
Dirigent Andreas Stoehr, d er bereits den Ulisse musikalisch betreute, hat auch hier wieder vorzügliche Arbeit geleistet. Nicht nur das üppig besetzte Orchester der Neuen Düsseldorfer Hofmusik musiziert auf höchstem Niveau, sondern auch das - hauptsächlich im klassisch-romantischen Fach wirkende - Sängerensemble gestaltet jede nur mögliche Nuance bis ins letzte Detail aus. Für diese disziplinierte, musikalisch und besonders darstellerisch bis zum Äußersten ausgereizte Leistung ist dem gesamten Ensemble (ohne Ausnahme!) das allerhöchste Lob auszusprechen! Zusammen mit der ungeheuer ausdrucksstarken Personenführung Christof Loys wird das Publikum, das sich nicht durch die - wie wir meinen - völlig überflüssigen Geschlechtermutationen erschrecken ließ und schon frühzeitig den Zuschauerraum verlassen hat, in einen atemberaubenden Thriller hineingezogen.
Zwei komplette Monteverdi-Zyklen stehen im April 2004 auf dem Programm des Düsseldorfer Opernhauses:
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
SolistenFortuna / DamigellaRomana Noack
Virtù / Pallas Athene
Amor
Poppea
Nerone
Ottavia
Ottone
Seneca
Drusilla
Nutrice
Arnalta
Lucano / 1. Soldat
Liberto / 2. Soldat
Valletto
Mercurio
Littore
* Mitglied des Opernstudios
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