Nichts
für Puristen
Von
Bernd
Stopka / Fotos von Jörg Landsberg
Was passiert, wenn man den
Rosenkavalier
auf die
wesentlichen
Personen
reduziert, sie
unter ein
Brennglas,
eine Lupe
legt, sie
durch einen
Tunnel
betrachtet und
sie in ein
Labyrinth
versetzt?
Diesen Fragen
sind Regisseur
Frank Hilbrich
und GMD Yoel
Gamzou am
Theater Bremen
nachgegangen
und haben eine
Fassung dieses
genialen
Meisterwerkes
von Richard
Strauss und
Hugo von
Hofmannsthal
auf die Bühne
gebracht, in
der sie das
Ensemble auf
sieben Sänger
und einen
Statisten
reduziert
haben.
Bühnenbildner
Sebastian
Hannak hat
dazu eine
bühnengroße,
eckige Spirale
zweier
nebeneinanderlaufender
Balken in
schwarz und
weiß
entworfen, die
beweglich ist,
verschiedene
Spielebenen
bietet und den
einzelnen
Szenen und
Entwicklungen
entsprechend
verschoben
wird. Gabriele
Rupprecht hat
die
Protagonisten
in Kostüme
gekleidet, die
die Zeit der
Handlung, die
Zeit der
Entstehung des
Werkes und die
Jetztzeit
einander
gegenüberstellen
und sie
miteinander
verbinden
sollen.
Die
Feldmarschallin (Nadine Lehner)
Wird
die Spirale gern als Symbol des
unendlichen Lebens gesehen, stellt die
Regie dem eine gruselige Figur entgegen,
die im Programmheft als Hippolyte, also
der Friseur der Marschallin, bezeichnet
wird. Friseuren wird dem Klischee nach
ja mehr anvertraut als der besten
Freundin und so erscheinen sie wissend
und weise. Dieser sieht aber eher aus
wie ein Sensenmann im staubigen Frack,
wie der Tod persönlich. Und er
erscheint auch immer, zuweilen aktiv,
zuweilen nur wie eine stumme Mahnung,
wenn die Endlichkeit angesprochen wird –
zumeist die von Leben und Liebe. Die
allernötigsten Passagen der gestrichenen
Personen werden von ihm gesungen, so der
Sänger im nicht stattfindenden Lever,
Annina, während Leopold Ochs Mariandels
Brief überbringt und der Wirt im dritten
Akt. Luis Olivares Sandoval lässt dabei
durch hohe Stimm- und vor allem
Legatokultur aufhorchen. Als stumme
Rolle wird Leopold aufgewertet – der
Kammerdiener des Barons, der sein
illegitimes Kind ist. Jakob von Borries
spielt ihn mal herrlich lausbübisch, mal
ist er unsympathisch wie der Vater.
Das ist alles nichts für Puristen unter
den Opernliebhabern und -schaffenden,
für die die Partitur (von den üblichen
Strichen abgesehen) sakrosankt ist,
könnte aber ein spannendes Experiment
sein. Was im Schauspiel längst
selbstverständlich ist, wird hier in der
Oper angewendet, sollte dann aber
vielleicht doch als „Rosenkavalier 2.0“
oder „nach Strauss und Hofmannsthal“
angekündigt werden. Denn zwei große
Fragwürdigkeiten eröffnen sich in dieser
Fassung: Zum Ersten: Hofmannsthal und
Strauss wussten, dass man durchaus auch
Nebensächlichkeiten einarbeiten muss,
damit das Wesentliche Raum hat, als
solches wahrgenommen zu werden. Eine
Weisheit, die man bei dieser Fassung
schmerzlich vermisst. Die wilden Striche
und Textänderungen sind daher nicht nur
ungewohnt und wirken fremd, sie nehmen
dem Werk gleichsam auch einen Teil
seiner Substanz. Zum Zweiten: Was
bleibt, wenn man aus dem Rosenkavalier
die wienerische Morbidität und das
Heiter-Melancholische entfernt, wenn man
die Vielschichtigkeit der Personen auf
Stereotypen reduziert?
Die
Feldmarschallin (Nadine Lehner), Hippolyte
(Luis Olivares Sandoval)
Obendrein
– und das ist
nicht neu,
aber immer
wieder
ärgerlich –
werden fast
alle Figuren
gegen den
Strich
gebürstet. So
ist die
Marschallin
keine
heiter-melancholische
Frau, die
weise
Traurigkeit
und klugen
Verzicht
deutlich
werden lässt,
sondern eine
junge
energische
Frau, die ihr
Schicksal
zuweilen in
tranceähnlicher
Haltung
verkündet,
meist aber
eher genervt
und trotzig
daran
verzweifelt,
dass ihr der
Spaß
entgleitet.
Dazu passt
dann auch,
dass sie im
dritten Akt in
Jeans und
Trenchcoat
erscheint und
den Ochs
tätlich
ohrfeigt. Die
klassische
Marschallin
tut dies
feinsinnig
giftig-charmant
mit Worten.
Aber der
Marschallin
hier glaubt
man eh kein
Wort. Nadine
Lehner spielt
und singt die
Partie
personenregieentsprechend:
korrekt und
sauber, aber
eher kühl und
sachlich als
in der Tiefe
emotional. Ihr
individuelles
Timbre
unterstützt
diese
Charakterzeichnung.
Noch schlimmer
ergeht es dem
Baron Ochs,
der als
sexgieriger,
brutaler,
prolliger und
fieser
Widerling
dargestellt
wird, der
nichts, aber
auch gar
nichts von
einer
„Standsperson“
hat, als die
ihn die
Marschallin am
Ende doch
bezeichnet. Am
Ende des
ersten Aktes
kopuliert er
im
Hintergrund,
um dann
ermattet
niederzusinken.
(An wem er
sich vergeht,
konnte ich
nicht
erkennen, es
könnte
Octavian
gewesen sein,
dem er als
Mariandel
nachstellt und
den er bei der
ausgeübten
Praktik nicht
unbedingt als
Mann erkannt
haben könnte…
oder er
missbraucht
seinen Sohn
Leopold nicht
nur als
Kammerdiener).
Im zweiten Akt
schleudert er
Sophie an die
Wände, reißt
sie an den
Haaren und
vergewaltigt
sie auf
offener Bühne,
während
Leopold sie
festhält. Die
Aufforderung
„Hab' nichts
dawider, wenn
du ihr
möchtest
Äugerl machen,
Vetter, jetzt
oder
künftighin.
Ist noch ein
rechter
Rühr-nicht-an.
Betracht's als
förderlich, je
mehr sie
degourdiert
wird. Ist wie
bei einem
jungen
ungerittenen
Pferd. Kommt
all's dem
Angetrauten
letzterdings
zugut', wofern
er sein
eh'lich
Privilegium
zunutz zu
machen weiss.“
erteilt Ochs
nicht
Octavian,
sondern seinem
Leopold. Aus
diesen
unmöglichen
Worten könnte
man einen
ebenso
unmöglichen,
aber keinen
brutal-widerlichen
Charakter
ableiten. Die
Figur darauf
zu reduzieren
nimmt ihr alle
Tragik (ja,
auch Tragik)
und Komik, in
der
Kombination
von Adel und
Derbheit, die
sie haben darf
und soll, denn
Hofmannsthal
und Strauss
nannten diese
Oper eine
„Komödie für
Musik“.
Aber hier wird
ein flacher,
oberflächlicher
„Humor“
gezeigt, der
eher dem
Niveau
gewisser
Privatfernsehsender
entspricht.
Derb, aber
nicht komisch
ist es, dass
Ochs die
zweite Strophe
des Sängers
nicht mit „als
Morgengabe“,
sondern mit
„halt die
Goschen“
unterbricht,
wenn er sich
wie ein
Gorilla auf
die Brust
trommelt oder
sich scheinbar
schwerverletzt
am Boden
wälzt. Dass er
im dritten Akt
gar kein
Interesse an
Mariandel hat
und sie die
Auf- und
Zudringliche
ist, ist wohl
wieder einmal
dem Trieb
entsprungen,
etwas
unbedingt
anders machen
zu wollen.
Überzeugen
kann das
nicht.
Patrick Zielke
singt die
Partie mit
großem, klar
konturiertem
Bass und
satter Tiefe,
um die man
nicht bangen
muss. Er kann
brutal böse
klingen, aber
auch wie ein
schüchterner
Junge („darf
ich den
Faninal“). Man
möchte ihn
einmal in
einer
klassischen
Personenregie
erleben, in
der er die
Komik der
Diskrepanz
zwischen edlem
Stimmklang und
derbem
Verhalten auch
sängerisch
herausarbeiten
darf.
Hippolyte
(Luis Olivares Sandoval), Sophie (Nerita
Pokvytyte), Octavian (Nathalie Mittelbach)
Da
Hippolyte Anninas Partie singt, musste
der Text von „vergessen nicht die Botin“
in „den Boten“ usw. geändert werden.
Dies nur als Beispiel für ein paar
Textänderungen. Schmerzlicher sind die
Striche, die dem, der die Oper kennt,
oft regelrecht wehtun. Alle Striche
anzugeben würde den Rahmen hier
sprengen, aber ein paar prägnante
Beispiele seien doch genannt. Das
gestrichene Lever, das sich darauf
reduziert, dass Hippolyte der
Marschallin einen großen Spiegel vorhält
und die Arie des Sängers singt, fehlt
doch sehr. Dass der zweite Akt von „Ein
ernster Tag, ein grosser Tag! Ein
Ehrentag, ein heilger Tag!“ unmittelbar
in die Rosenüberreichung übergeht, auch.
Die Leitmetzerin mit ihrer ungewollten
Komik, die Einwürfe des Chores, die im
dritten Akt vom Kommissar (klangvoll und
kultiviert: Daniel Ratchev) und
Hippolyte gesungen werden, die ganze
Steigerung bis zum Eintreffen Octavians
existiert nicht. Der wird vom Tod brutal
durch eine zerreißende Papierrückwand
auf die Bühne zu Sophie gestoßen, wo die
beiden wie wild flirten, sich umtanzen
und kuscheln. Eine vorsichtige
Annäherung, ein dezentes Verlieben auf
den ersten Blick unter strenger Aufsicht
vermisst man. Sophie ist eine
selbstbewusste junge Frau, die
ausgesprochen gelenkig ballettartige
Übungen macht, während ihr Vater den Tag
besingt. Christian-Andreas Engelhardt
verströmt als Faninal mit üppigem,
rundum sattem Bass viel Wohlklang.
Nerita Pokvytyte singt und spielt das
selbstbewusste Girlie Sophie, das durch
die Brutalität des Ochs völlig verstört
wird, mit klarem Sopran, der im Laufe
des Abends immer wärmer klingt.
Die Leidenschaftlichkeit zu Beginn des
ersten Aktes zeigt sich heftig erotisch
– genau so, wie die Musik komponiert
wurde und hier auch klingt. Gleich mit
den ersten Tönen „Wie du warst! Wie du
bist!“ singt sich Nathalie Mittelbach
als Octavian in die Herzen. Diese
samtig-edle Klangfülle, diese bis ins
Detail ausgereifte Technik, die ihr eine
Ausgestaltung erlaubt, die an
Intensität, Klangschönheit, üppig
strömender Wärme und klangvoller
Leichtigkeit nichts zu wünschen
übriglässt, erscheint geradezu
überirdisch. Bravissima! Und das liegt
nicht nur daran, dass der Octavian von
der Regie klassisch gezeichnet und nicht
gegen den Strich gebürstet wurde.
Herr von Faninal
(Christian-Andreas
Engelhardt), Octavian
(Nathalie Mittelbach),
DieFeldmarschallin (Nadine
Lehner), Ein Polizeikommissar
(Daniel Ratchev),
Hippolyte (Luis Olivares
Sandoval), Baron Ochs auf
Lerchenau (Patrick Zielke),
Leopold (Jakob von Borries),
Sophie (Nerita Pokvytyte)
Zwar
bringt der Baron Ochs der Marschallin
eine silberne Rose im Futteral, Octavian
überreicht Sophie aber eine echte rote
Rose (oder eine aus Seide…). Die hat er
dann auch im dritten Akt wieder dabei.
Warum eigentlich? Die Marschallin
zerfleddert sie, einen Teil der
Blütenblätter hebt Hippolyte auf,
nachdem er am von Mariandel/Octavian und
Ochs gedeckten Tisch erst in ein
Schnitzel gebissen hat (hoffentlich war
wenigstens das ein Wiener), um dann eine
neue Rose als Nachtisch zu zerkauen. Den
Rest der Blätter lässt Sophie über
Octavian regnen. Faninal hebt die
zusammengebrochene Marschallin vom Boden
auf und nickt den „Kindern“ bestätigend
zu. Von der Marschallin kommt dazu nur
ein desinteressiertes „Ja, ja“. Nach
einer wilden Knutscherei liegen Octavian
und Sophie weit auseinander auf der
Bühne und Hippolyte lacht sich kaputt.
Ein großes Plus dieser Produktion ist
das hochleidenschaftliche Dirigat von
GMD Yoel Gamzou. Prickelnde Erotik und
wilde Leidenschaft sind zu Beginn nicht
nur auf der Bühne zu sehen, sondern noch
intensiver aus dem Orchestergraben zu
hören. Dabei wählt Gamzou gern flotte
Tempi, die auch mal mit ihm durchgehen,
wie im geradezu aberwitzigen Terzett
Marschallin/Octavian/Ochs im ersten Akt.
Die Rosenüberreichung klingt dagegen
eher sachlich kühl und glänzt ebenso
wenig silbrig wie die Rose auf der
Bühne. Er wird nie sentimental, was der
Fassung entspricht, die er mit dem
Regisseur zusammen erarbeitet hat,
animiert das ihm willig und engagiert
spielende Orchester aber zu einer
beeindruckenden
Gesamtleistung.
FAZIT
Diese
Bremer Fassung des Rosenkavaliers,
beschränkt sich mit kräftigen Strichen
in der Partitur auf die Hauptpersonen,
die mit intensiver, detailreicher
Personenregie auch noch überwiegend
gegen den Strich gebürstet werden. Ein
leidenschaftliches Dirigat und ein
wundervoller Octavian können trotzdem
begeistern.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Yoel Gamzou
Inszenierung
Frank Hilbrich
Bühne
Sabastian Hannak
Kostüme
Gabriele Rupprecht
Licht
Christian Kemmetmüller
Dramaturgie
Brigitte Heusinger
Bremer Philharmoniker
Solisten
Die Feldmarschallin
Nadine Lehner
Baron Ochs auf Lerchenau
Patrick Zielke
Octavian
Nathalie Mittelbach
Herr von Faninal
Christian-Andreas Engelhardt
Sophie
Nerita Pokvytyte
Hippolyte
Luis Olivares Sandoval
Ein Polizeikommissar
Daniel Ratchev
Leopold
Jakob von Borries
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