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Rinaldo

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Giacomo Rossi nach einem Szenario von Aaron Hill
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 5' (eine Pause)

Übernahme einer Produktion der Oper Zürich in Kooperation mit dem Theater Bonn

Premiere im Opernhaus Dortmund am 9. Januar 2016




Theater Dortmund
(Homepage)
Zauberoper als Agententhriller

Von Thomas Molke / Fotos von Thomas Jauk (Stage Picture)

Barockopern hat man in den letzten Spielzeiten eher selten auf dem Spielplan der Dortmunder Oper gefunden. Das möchte Jens-Daniel Herzog ändern und startet mit einem Werk, mit dem Georg Friedrich Händel 1711 in London einen so großen Triumph feierte, dass er sich fortan in London niederließ und dort zum bedeutendsten Komponisten avancierte, der zunächst mit seinen Opern und später mit seinen Oratorien das englische Musikleben nachhaltig prägte. Dass der Ritter Rinaldo, der im Dienste Karls des Großen den Muslimen Jerusalem entriss, nach seinem Tod in Dortmund bestattet und zum Schutzpatron der Stadt erklärt wurde, wie Georg Holzer im Programmheft erläutert, dürfte allerdings weniger der Grund für die Auswahl der Oper sein, da Händels Rinaldo erst 1099 im Gefolge von Gottfried von Bouillon (Goffredo) bei der Eroberung Jerusalems beteiligt ist und damit keine Verbindung zum "Dortmunder Schutzpatron" haben dürfte. Die Wahl dürfte vielmehr auf diese Oper gefallen sein, da Herzog sie bereits 2008 in Zürich als Koproduktion mit dem Theater Bonn inszeniert hat und sie nun nach Dortmund übernehmen kann (siehe auch unsere Rezension aus Bonn).

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Rinaldo (Ileana Mateescu) wird in Armidas Zauberreich entführt.

Wer hofft, in Dortmund nun eine märchenhafte Zauberoper in barocker Ausstattung zu erleben, der wird sicherlich enttäuscht werden. Herzog verlegt die Handlung um die Kreuzritter ins Hier und Jetzt. Trotzdem - oder gerade deshalb? - kommt keinen Moment Langeweile an diesem Abend auf, auch wenn sich nicht jeder Regie-Einfall erschließt. Zu Beginn der Oper befindet man sich in einem Sitzungssaal, den Bühnenbildner Christian Schmidt über zwei Etagen anlegt. Kriege werden nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern am Schreibtisch entschieden. Die Kreuzritter tragen dunkle Anzüge und halten in ihren schwarzen Aktenkoffern wahrscheinlich die Verträge bereit, mit denen man mit Argante, dem muslimischen Oberhaupt über Jerusalem, zu einer Einigung kommen will. Auch die Muslime tragen Anzüge und unterscheiden sich nur durch eine Strickmütze als Kopfbedeckung von den Kreuzrittern. Erst im dritten Akt lässt Herzog die Muslime in eher traditionellen Kostümen auf einem Gebetsteppich knien und die Frauen voll verschleiert mit Kofferkulis auftreten, während Goffredo und sein Bruder Eustazio zur Entscheidungsschlacht antreten. Der als Putzmann verkleidete Magier benutzt dabei einen Wischmopp, um die Drehbühne in Bewegung zu setzen und die Kreuzritter in Armidas Reich eindringen zu lassen. Wieso dieser Magier allerdings bereits vor Almirenas Entführung im Wartesaal als Putzmann auftritt und später auch Rinaldo, Goffredo und Eustazio bei ihrer Suche nach Almirena beobachtet, erschließt sich nicht. Soll damit motiviert werden, dass er Goffredo und Eustazio später den Weg in Armidas Reich weisen kann?

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Armida (Eleonore Marguerre) und Argante (Gerardo Garciacano) geben sich im Kampf gegen die Kreuzritter siegessicher.

Auch die Anspielungen auf Agentenfilme à la James Bond wirken recht bemüht und machen keinen Sinn. Wieso unterzieht Goffredos Bruder Eustazio eine weiße Katze, die an den ständigen Begleiter von Bonds Erzfeind Ernst Stavro Blofeld erinnert, einer Operation? Ist er selbst der Bösewicht oder bekämpft er mit diesem Eingriff den Bösewicht (Argante)? Warum holt er später eine Schlange aus einer Kühltasche, um ihr Gift zu entnehmen und es anschließend dem entmutigten Rinaldo vor dem bevorstehenden Kampf zu spritzen? Soll Rinaldo damit immun gegen Armidas Zauberkraft werden? Auch ist fraglich, ob die Figur der Almirena die Eigenschaften eines Bond-Girls besitzt, das an der Seite des Helden das Böse bekämpft, oder ob ihre kämpferischen Posen beim ersten Auftritt, die auch aus Drei Engel für Charlie stammen könnten, da sie mit zwei weiteren Tänzerinnen einem Aufzug aus der Bühne entsteigt, nicht ein falsches Bild auf den doch sehr friedfertigen und "zum Leiden geborenen" Charakter werfen. Wesentlich nachvollziehbarer wird von Herzog die Zauberin Armida gezeichnet, die sich bei ihrem ersten Auftritt von einem unscheinbaren Anzugträger in einen Vamp in einem roten Kleid verwandelt. Ihr nimmt man das leidenschaftliche Feuer in jedem Moment ab. Mit zahlreichen Pflanzen, die sich aus der ersten Etage herab ins Erdgeschoss ranken, entsteht in dem ansonsten eher nüchtern gehaltenen großen Raum ein überzeugendes Zauberreich. Als gelungen kann man auch die Szene bezeichnen, in der Armida Almirenas Gestalt annimmt, um Rinaldo zu verführen. Schmidt hat für die beiden Frauen in dieser Szene das gleiche Kleid mit dem gleichen Mantel in unterschiedlichen Farben entworfen. Während Almirena in reinem Weiß auftritt und wie eine Marionette zu Armidas Gesang die Lippen bewegt, trägt die Zauberin feuerrot und tauscht mit der Rivalin immer dann die Plätze, wenn Rinaldo seine Geliebte in die Arme schließen will. Plausibel wird dann auch, dass Argante Armida später ebenfalls mit Almirena verwechselt, da die Zauberin nach der Zurückweisung durch Rinaldo unter Almirenas weißem Mantel Schutz sucht. Wenn Armida dann am Ende zum christlichen Glauben konvertiert, trägt sie wie Almirena ein weißes Kleid und verwandelt sich in ein scheinbar braves Frauchen. Dass das nicht gut gehen kann, ist absehbar und so mündet der fröhliche Schlussgesang in einer allgemeinen Prügelei unter den Protagonisten.

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Rinaldo (Ileana Mateescu) zwischen Armida (Eleonore Marguerre, rechts) und Almirena (Tamara Weimerich, links)

Eine wichtige Rolle spielen in dieser Inszenierung auch zehn Tänzerinnen und Tänzer, die mal als Kreuzritter auf Seiten Goffredos kämpfen, dann aber auch als Double von Armida versuchen, Rinaldo zu verführen. Die Choreographie von Ramses Sigl setzt den Tanz punktgenau auf die Musik um und erreicht ihren Höhepunkt kurz vor der Pause bei Rinaldos Arie "Venti, turbini, prestate", wenn Rinaldo die Winde bittet, ihn bei seinem Rachefeldzug gegen Almirenas Entführer zu unterstützen und einen regelrechten Wirbelsturm auf der Bühne verursacht. Während die Bühne sich dreht, geraten die Tänzerinnen und Tänzer in einen regelrechten Kampf gegen die Naturgewalten und versuchen verzweifelt sich an einer Wand festzuklammern oder eine lange Kette zu bilden, um nicht vom Sturm weggefegt zu werden. Diese Szene sorgt für große Begeisterung im Publikum. Beeindruckend gelingt auch der Einzug in Armidas Zauberreich. Eine riesige Rolltreppe auf der Bühne scheint die Verbindung zwischen den beiden Welten herzustellen, wobei nicht jedem dieser Weg gelingt. So befinden sich kurz vor der Entscheidungsschlacht zahlreiche Kreuzritter leblos auf und um diese Rolltreppe, wobei die Körperbeherrschung, mit der die Tänzer in teilweise sehr unbequemen Positionen verharren, durchaus Beachtung verdient. Auch Rinaldos Entführung in Armidas Reich kann szenisch überzeugen. Herzog lässt drei Sirenen in verführerischen orientalischen Gewändern auftreten, die den Ritter mit betörenden Bewegungen und lieblichem Gesang durch die gleiche Tür in Armidas Reich locken, durch die Armida bereits vorher als verkleidete Stewardess Almirena entführt hat.

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Happy End sieht anders aus: von links: Argante (Gerardo Garciacano), Goffredo (Kathrin Leidig), Rinaldo (Ileana Mateescu), Armida (Eleonore Marguerre), Almirena (Tamara Weimerich) und Eustazio (Jakob Huppmann).

Musikalisch begeistert der Abend auf ganzer Linie. Motonori Kobayashi findet mit den Dortmunder Philharmonikern einen sehr feinsinnigen Zugang zu Händels Musik und musiziert mit einer Präzision aus dem Graben, als ob die Barockmusik doch schon eine lange Tradition in Dortmund habe. Wie bereits in Bonn sind Kathrin Leidig als Goffredo und der Countertenor Jakob Huppmann als Eustazio zu erleben. Leidig wirkt in ihrer Auftrittsarie noch ein wenig blass, lässt allerdings in "Mio cor", wenn Goffredo sich trotz des Verlustes von Rinaldo und Almirena Mut macht, ihren wohl-timbrierten Mezzo strömen. Auch Huppmann überzeugt wie bereits in Bonn mit einem weichen Countertenor und einer enormen Bühnenpräsenz. Die restlichen Partien sind mit Mitgliedern des Ensembles optimal besetzt. Da ist zunächst Tamara Weimerich, die als Almirena mit mädchenhaftem Sopran in der berühmten Arie "Lascia ch' io pianga" begeistert, bei der sie in dieser Inszenierung den liebestollen Argante überredet, ihre Fesseln zu lösen. Darstellerische Komik entfaltet sie in "Augelletti, che cantate", wenn sie sich zum Zwitschern der Vögel, vertreten durch das betörende Flötenspiel von Gudula Rosa, Katja Beisch und Wolf Meyer, übertrieben kitschig ihren Gefühlen für ihren Geliebten Rinaldo hingibt und dabei aus einer Zeitschrift mit Brautmoden die Seite mit ihrem Traumkleid heraustrennt. Gerardo Garciacano stattet Argante mit kräftigem Bass aus und legt das Oberhaupt von Jerusalem recht triebgesteuert an. In den kleineren Partien lassen Maria Hiefinger als Magier und Brigitte Schirlinger als Geisterwesen aufhorchen.

Stars des Abends sind - wieder einmal - Eleonore Marguerre als Zauberin Armida und Ileana Mateescu in der Titelpartie. Marguerre stellt nach ihrer grandiosen Violetta auch als Armida unter Beweis, dass sie nicht nur über eine enorme Bühnenpräsenz verfügt, die nachvollziehbar macht, wieso diese Zauberin solch eine Faszination auszuüben vermag. Auch stimmlich glänzt sie mit stupenden Koloraturen und variabler Stimmführung. Schon ihre Auftrittsarie "Furie terribili!" im ersten Akt, wenn sie sich von einem unscheinbaren Anzugträger in einen Vamp im roten Kleid verwandelt, lässt nicht nur Argantes Herz höher schlagen. Auch mit den Tänzerinnen, die als ihr Double versuchen, Rinaldo zu verführen, macht sie in der Choreographie von Sigl eine hervorragende Figur. Ebenso perfekt ist das Zusammenspiel mit Weimerich, wenn sie in Almirenas Rolle schlüpft, um Rinaldo zu verführen. Einen weiteren Höhepunkt stellt ihre großartige Arie "Vo' far guerra" dar, in der sie allen Rache schwört. Große Komik entfaltet sie, wenn sie am Ende im weißen Kleid scheinbar zum christlichen Glauben konvertiert ist und weiterhin versucht, Rinaldo zu verführen. Mateescu stellt nach ihrem Hänsel auch als Rinaldo unter Beweis, dass sie Hosenrollen darstellerisch einfach beherrscht. Mit großartiger Intensität stellt sie den leicht gebrochenen Helden dar, der des Kämpfens müde ist und sich nach einem glücklichen Leben an der Seite seiner Geliebten Almirena sehnt. Hinzu kommt ihr wunderbar timbrierter Mezzo, mit dem sie die Partie gesanglich gestaltet. Die Interpretation ihrer beiden großen Arien "Cara sposa" und "Cor ingrato", in denen sie den Verlust Almirenas beklagt, sind an musikalischer Wärme und Innigkeit kaum zu übertreffen. In "Venti, turbini, prestate" stellt Mateescu in flexiblen Läufen die Beweglichkeit ihrer Stimme unter Beweis. Gleiches gilt für die große Siegesarie "Or la tromba suon festate" im dritten Akt, in der sie mit sauber angesetzten Koloraturen begeistert. So gibt es am Ende zu Recht begeisterten Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Jens-Daniel Herzog dürfte mit dieser Produktion in Dortmund die Lust auf Barockoper geweckt haben, auch wenn szenisch nicht alles überzeugt. Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Motonori Kobayashi

Regie
Jens-Daniel Herzog

Bühne und Kostüme
Christian Schmidt

Choreographie
Ramses Sigl

Licht
Ralph Jürgens

Dramaturgie
Hans-Peter Frings
Georg Holzer

 

Statisterie des Theaters Dortmund

Dortmunder Philharmoniker

Cembalo
Walewein Witten

Theorbe
Andreas Nachtsheim

Flauto sopranino
Gudula Rosa

Flauto dolce
Katja Beisch
Wolf Meyer

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Goffredo
*Kathrin Leidig /
Katharina Peetz

Almirena
Tamara Weimerich

Rinaldo
Ileana Mateescu

Eustazio
Jakob Huppmann

Argante
*Gerardo Garciacano /
Giorgos Kanaris

Armida
Eleonore Marguerre

Magier
Maria Hiefinger

Eine Dame
Brigitte Schirlinger

Erste Sirene
Keiko Matsumoto

Zweite Sirene
Susann Kalauka

Ein Herold
Min Lee

Tanzensemble
Adrian Castelló
Shaw Coleman
Marleen Jakob
David Laera
Birgit Mühlram
Andrew Pan
Shan-Li Peng
Simona Piroddi
Olaf Reinecke
Sandra Stuy


Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
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