Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Fortschreitend nachlassende KraftVon Christoph Wurzel
Vom ersten Moment der Aufführung an liegt ein Geheimnis über zwei Personen, die da soeben die offene Bühne betreten haben, weil sie sich durch ihre Kleidung vom einheitlichen Dunkel aller übrigen abheben: Brangäne tritt im leuchtend roten modischen Kleid auf und Marke im hellen Straßenanzug. Sie haben sich, noch bevor das Vorspiel anhebt (geschickt: ohne Begrüßungsapplaus für den Dirigenten), gemeinsam mit allen übrigen Akteuren auf der Bühne zu einem locker arrangierten, dann aber starr stehenden Gruppenbild aufgestellt, dicht nebeneinander, fast wie zu einem offiziellen Anlass fotografiert. Unter diesen Menschen - Männer (Chor) im schlichten schwarzen Einheitsanzug mit offenem weißen Hemd, der alte Kurwenal und die weiteren Darsteller in dieser Oper - finden sich auch Isolde im langen blaudunklen Kleid fast am linken Rand der Bühne und in tiefem Schwarz am rechten Bühnenrand Tristan, der Held. Tageshelle und dunkle Nacht - so hat Ursula Renzenbrink in den Kostümen die Symbolik von Wagners gegensätzlichen Sphären aufgenommen, dem der Banalität des realen Lebens unterworfenen "tückischen" Tag und dem "Wunderreich der Nacht". Will man Ernst Bloch folgen, so transzendieren Tristan und Isolde die Grenzen des bloßen Daseins in ihrer Liebes-Verschmelzung und sterben hinüber in eine Utopie der ewigen Nacht reinster, überzeitlicher, erlösender Liebe. Diesem Erklärungsmuster ist Luk Perceval, der flämische Regisseur Aufsehen erregender Schauspielproduktionen bisher, nun mit seiner ersten Opernarbeit anscheinend auch gefolgt. Für ihn sind allerdings die Schlüsselfiguren die beiden Gestalten des Realitätsprinzips, Brangäne und Marke, die - so Perceval - die Geheimnisse in ihren Herzen nicht in Todesarien heraussingen können, stattdessen "das Leben in seiner unerträglichen Leichtigkeit weiter tragen müssen". Sie sind es vielleicht, die ihre Angst vor der "Unkontrollierbarkeit dieses Lebens, der Liebe, des Verlangens", ihre utopischen Wunschträume nach dem Glück nicht wie Tristan und Isolde in einer anarchischen Lebensrevolution zum Tode hin überwinden, sondern die Schranken ihrer bürgerlichen - wenn auch in tiefes mythisches Mittelalter transponierten - Existenz nicht zu überschreiten vermögen. Aber in Tristan und Isolde sehen sie, so will es Perceval erkennen, den Spiegel ihres eigenen verborgenen Seelenpotentials - einen zerbrochenen Spiegel freilich, denn der Zustand der von erlösender Liebe erfüllten Nacht bedeutet für Tristan und Isolde zugleich ihr Scheitern im physischen Tod. Marke und Brangäne dagegen bleibt zum Überleben allein die Rückkehr zur gesellschaftlich sanktionierten Ordnung, damit aber den Tod ihres absoluten Liebensverlangens. An vielen Stellen hat Perceval den Bogen in diesem Sinne über die Personen gespannt: Rücken an Rücken stehen Isolde und Brangäne, wenn im 1. Akt Isolde sich von ihr verabschiedet ("leb wohl"), Brangäne aber an das Lebensprinzip appelliert ("Was sinnst du?"). Oder im 2. Akt, wenn Marke Tristan die Frage stellt "Wohin nun Ehr, da Tristan sie verlor?" und dieser bedeutungsschwer und mehr zu sich selbst die Antwort gibt "was du frägst, das kannst du nie erfahren". Brangäne und Marke: nicht das neue Paar werden sie sein, aber doch eine Frau, ein Mann im Spannungsfeld zwischen der Erfüllung ihres nach Ewigkeit drängenden Liebesverlangens und der durch die schnöde Realität erzwungenen erotischen Versagung. Ein schlüssig aufgegangener Blick auf Wagners persönlichstes Werk, in dem seine persönlichsten Erfahrungen am meisten evident werden. Eine Handlung in zwei Dimensionen, zwei Lebensformen ineinander gespiegelt: dies drückt sich auch in der szenischen Architektur aus. Der Bühnenraum ist nicht nur völlig antiillusionistisch nach den nackten Seitenmauern hin offen und nach oben zum Schnürboden, sondern auch nahezu leer und nur durch eine rechtwinklig abgeknickte Wand geteilt, die im 1. Akt wie ein Schiffsbug mit der Spitze nach vorn ragt und ostentativ auf das Geschehen auf der Vorderbühne deutet. Im 2. Akt ist diese V-förmige Konstruktion wie ein offenes Buch aufgestellt und schirmt Tristan und Isolde gleichsam von der Außenwelt ab. Im 3. Akt schwebt sie wie ein schützendes, bergendes Dach über den Personen, vor allem über dem sterbenden Tristan. Der Bühnenboden, leicht zum Zuschauerraum hin abgeschrägt, stellt eine Fläche aus kleinen zu einem Parkettboden gefügten Spiegeln dar. Mehr ist an Requisite nicht da: alles konzentriert sich auf die Protagonisten und die Musik. Zuerst kommt aber der Text. Dieser ist hier förmlich auch Protagonist, indem er fragmentiert, in extrem verknappter Konzentration an diese Wand projiziert wird. Einzelne Wörter ("Tod"), Satzfetzen oder zentrale Fragen ("Wo sind wir?") werden so als Marksteine der inneren Handlung veräußerlicht und dem Publikum als Anstoß vorgehalten, in die Gedankenwelt der Handelnden einzusteigen - fast ein lehrtheaterhaftes Verfahren, das Perceval hier wählt, um das Mitgehen des Publikums (ganz im Gegensatz zu Brecht wünscht sich der Regisseur aber eine Katharsis) zu ermöglichen, was auch angesichts des bisweilen mangelhaften Textverständnisses aus praktischen Gründen geboten scheint. Durch Bewegungsregie und Personenzeichnung könnte sich nun die Kraft der Inszenierung entfalten. Gelingen Perceval im 1. Akt Bilder von großer suggestiver Schärfe, so schwächt sich sein Phantasiepotential allerdings im 2. Akt merklich ab. Die lange Liebesszene, in der sich beide starr an den Händen halten, bleibt extrem statisch, angesichts der klug disponierten Bühnenaktion im Eingangsakt ein Fremdkörper im Ganzen. Ebenso ist Tristans lange Sterbeszene im 3. Akt zu einförmig, zumal der Sängerdarsteller Gabriel Sadé nur ein sehr beschränktes gestisches Repertoire einsetzt. Szenische Konzentration muss ja nicht nahezu völligen Verzicht bedeuten. Wagner habe nie wirkungsvoller für die Stimme geschrieben und nie rauschhafter für das Orchester als im Tristan, schrieb Paul Bekker. Man kennt genügend Tristan-Aufnahmen, die dieses Diktum bestätigen. Zagroseks Dirigat kam an Rauschhaftigkeit nicht heran, es bestach dafür aber mit durchleuchteter Klarheit und zwingender Bewegtheit. Schon das Vorspiel mit dem unerhört provozierenden "Tristan-Akkord" strahlte eher eine intellektuell kontrollierte Rationalität, als eine emotional involvierte Nervosität aus.
Gabriel Sadé, der in Stuttgart vor zwei Jahren in Schrekers Gezeichneten als Alviano brilliert und sich dafür das Prädikat "Sänger des Jahres" geholt hatte, konnte als Tristan nicht bei weitem in demselben Maße überzeugen. Mag dies auch auf eine deutlich zu bemerkende sängerische Indisposition zurückzuführen sein, die ihm eine offensichtlich langwierige Erkältung seit der Premiere bescherte und die ihm zunehmend die Kraft raubte, so profilierte er sich aber auch darstellerisch in dieser Rolle wenig.
Beeindruckend gestaltete Attila Jun die Partie des Marke zu einem eindringlichen Seelenportrait und konnte die zentrale Bedeutung dieser Rolle in diesem Regiekonzept überzeugend beglaubigen. Sein Gesang war im Ausdruck beseelt.
Im 1. Akt ist diese Inszenierung ein beeindruckendes Beispiel für ein Operntheater der inneren Dichte und konsequenten Konzentration der Mittel. Danach allerdings entgleitet dem Regisseur das Geschehen zunehmend in Beliebigkeit und Konventionalität. Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Light Design
Video
Chor
Dramaturgie
SolistenTristanGabriel Sadé
König Marke
Isolde
Kurwenal
Melot
Brangäne
Ein Hirt
Ein Steuermann
Ein junger Seemann
|
- Fine -