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Jenufa

Oper aus dem mährischen Bauernleben in drei Akten
Dichtung von Gabriela Preissová
Musik von Leos Janacek

In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere am 21. April 2001
im Aalto-Theater Essen
Rezensierte Aufführungen: 24. und 27. April 2001

ca. 2 Stunden 30 Minuten (eine Pause)


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)

Verschenkte Chancen

Von Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu



Ohne Zweifel gibt es so etwas wie einen Janacek-Boom an den Opernhäusern Nordrhein-Westfalens: Die Oper Köln brachte als letzte Premiere der vergangenen Saison Die Sache Makropoulos heraus, fast zeitgleich mit der Deutschen Oper am Rhein (Die Sache Makropoulos), die inzwischen gar einen Janacek-Zyklus im Spielplan hat, der in der nächsten Saison mit einer Neuinszenierung von Das schlaue Füchslein seine Fortsetzung finden soll. Das Aalto-Musiktheater zog nun mit einer Neuproduktion von Janaceks erster Erfolgsoper Jenufa nach.


Szenenfoto Während die Alte Buryja (Elisabeth Hornung) und Jenufa (Michal Shamir) ihrer Arbeit nachgehen, sind Laca Klemen (Jeffrey Dowd) und der Altgesell (Almas Svilpa) in ein Gespräch vertieft

Nicolas Brieger hat zweifellos seine Hausaufgaben gemacht: So hat er sich intensiv mit der Preissova-Vorlage beschäftigt, wie etwa der Auftritt der Küsterin mit den für ihre Hausierertätigkeit wichtigen Taschen zeigt oder auch die in künstliches Violett getauchte Szene, in der sie sich an ihre eigene unglückliche Ehe mit Stewas Onkel erinnert, wodurch ihr auf den ersten Blick überzogen streng wirkendes Verbot der Hochzeit zwischen Jenufa und Stewa plausibler wird: Sie will die geliebte Ziehtochter vor einem ähnlichen Schicksal bewahren. Andere Einfälle werden durch historische Photos im Programmheft gleichsam legitimiert (wie etwa die schwarzen Hochzeitskleider des dritten Aktes). Es gibt durchaus bewegende Momente wie die endlos lange Stille, nachdem die Küsterin ihrer Ziehtochter erklärt, das Kind sei gestorben, den Schluss des zweiten Aktes, wenn sich die von Schuldgefühlen geplagte Küsterin mit der Kuscheldecke zu wärmen sucht, die sie Jenufa vorher schützend um die Schultern gelegt hatte, oder die spürbar schmerzhaft feste Umarmung zwischen Jenufa und Stewa im Schlussbild, die keinerlei erotische Nuance hat, sondern zeigt, dass sich hier zwei gescheiterte Figuren hilflos aneinanderklammern. Und trotzdem kommt in dieser Inszenierung über weite Strecken keine rechte Spannung auf, man wird nicht wirklich hineingezogen in den Sog dieses an sich ungemein faszinierenden Stückes.

Liegt es daran, dass einem die Figuren (in den wenig auffälligen, mit einem Hauch Folklore versehenen Kostümen von Jorge Jara) so fremd bleiben, die sich alle so merkwürdig gekünstelt und übertrieben bewegen und verrenken, tänzeln und rennen, dabei so schablonenhaft-eindimensional und uninteressant wirken und sich nicht wirklich oder aber völlig abrupt und wenig nachvollziehbar entwickeln? Liegt es an der konfusen Personenführung oder dem häufig unmotivierten Aktionismus? An der geradezu didaktisch penetranten Überdeutlichkeit, wenn zum Beispiel Laca sich den geschnitzten Stock unerträglich lang zwischen die Beine klemmt und damit Jenufa das Kopftuch vom blonden Haar holt, wenn sich die weibliche Dorfjugend Kittel und Schürzen vom Leib reißt, um in strahlend weißen Dessous mit den schmucken Rekruten eine sehr sportlich angelegte Choreographie von Jeremy Leslie-Spinks zum Besten gibt oder eines der Pärchen es gleich in unmittelbarer Nähe der alten Buryja miteinander treibt, wenn Dorfdandy Stewa mit den Kartoffeln Billard spielt - aha, er ist auch ein Spieler, nicht nur ein verantwortungsscheuer Säufer (den man ihm ohnehin nicht so recht abnimmt, erinnern einen seine Körpersprache doch eher an Albins Gestik in der Frühstücksszene des Musicals La cage aux folles) -, wenn Jenufa gegen Ende des zweiten Aktes im wahrsten Sinne des Wortes die mit Familienphotos geschmückten Wände hochgeht und nach Absolvieren des letzten schlecht verborgenen Tritts zu Boden fällt oder wenn sich nach dem Abgang der Küsterin für die Schlussszene der Vorhang bereits bis zur Hälfte senkt (wir begreifen: Der Regisseur hat gemerkt, dass das Stück auch hier enden könnte und misstraut dem irgendwie ja doch versöhnlichen Finale)? Sind es die Ungereimtheiten, die man bald zu entschlüsseln leid wird? Warum geht Jenufa acht Tage nach der Entbindung immer noch in der Haltung einer Hochschwangeren und trägt deren Bauch? Warum benutzt sie das gerade in ihrer Verzweiflung vom Bett der Küsterin gerissene und zu Boden geworfene Laken als Tischdecke, als ihr diese das vermeintliche Schicksal ihres Kindes offenbart?


Szenenfoto Jenufa (Michal Shamir) bekommt von der Küsterin (Nina Warren) die Kuscheldecke um die Schultern gelegt.

Ist es der mit all seinen Details nur von einem weit vorn gelegenen Platz in der Mitte des Parketts einzusehende Bühnenraum von Gisbert Jäkel, der sich nicht entscheiden kann zwischen pingeligem Naturalismus und bleierner Symbolik? Beispielhaft wären hier das stets gegenwärtige, detailverliebt konstruierte Mühlenrad, das kein Wasser führt, die peinlich genau im vorderen Teil der Bühne ausgestreuten Kartoffeln, die eine Magd unter sehr lebensnahem Staubaufwirbeln um frisch geerntete ergänzt, und die im akkuraten Abstand gesetzten Ähren im ersten Akt zu nennen. Wenig dramaturgischen Sinn hat der wie von Geisterhand beendete Umbau der verschiedene Spielebenen aufweisenden Mühle zur Wohnung der Küsterin nach der Pause, einem riesigen, fast kathedralenartig wirkenden Raum in schmutzigem Weiß, in dessen Mitte sich ein Holzbunker befindet, in dem die versteckte Jenufa und ihr Sohn schlafen müssen und den die Dorfbewohner später einreißen, um Jenufa mit den Latten zu bedrohen.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Jenufa (Michal Shamir) und Laca Klemen (Jeffrey Dowd)
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Diesen gibt es kostenlos bei www.real.com

Ist es die Besetzung, die Michal Shamir anführt, die schon in Wien zusammen mit dem Regisseur Menottis Konsul gemacht hat und bei ihrem Rollendebüt ein völlig unzureichendes Stimmchen präsentierte, das in der Tiefe unhörbar, in der Höhe flackernd und scharf war, im häufig und manieriert eingesetzten Piano dünn und klirrend klang und allenfalls in der Mittellage ein paar runde, dunkle Töne aufwies? Nein, mit Geflüster und Gesäusel ist dieser Partie nicht beizukommen, auch wenn die Sängerin eine sehr mädchenhafte, zerbrechliche Physis für die hier von Anfang an merkwürdig verstört wirkende Jenufa mitbrachte.
Einen echten dramatischen, etwas kühl timbrierten Sopran, der in allen Lagen über Tragfähigkeit und Volumen verfügt, ja im besten Sinne den Raum füllt, aber auch im Piano noch glänzend anspricht, hatte dagegen Nina Warren als Küsterin anzubieten, die die Zerrissenheit zwischen aufrichtiger Liebe zu Jenufa, brutaler Strenge und einem problematischen Ehrbegriff glaubhaft zum Ausdruck brachte; auch sie sang die Partie zum ersten Mal. Für die dritte Vorstellung am 27. April hatte man als Ersatz für die in Köln mit Wiederaufnahmeproben für Die Sache Makropoulos beschäftigte Amerikanerin Opernlegende Anja Silja gewinnen können, die sich zwar weitgehend in das Regiekonzept einfügte, dennoch aber ihre ganz eigene Sicht der Küsterin erkennen ließ, die sie sich in Frankfurt, Zürich, Paris, Glyndebourne und zuletzt bei einer konzertanten Aufführung des zweiten Aktes unter Simon Rattle in Berlin erarbeitet hat. Auch wenn man in rein vokaler wie musikalischer Hinsicht einige Abstriche machen musste (Einsatz- und Intonationsprobleme), so war man doch von ihrem ersten Auftritt an geradezu gebannt von der unerhört expressiven, beklemmenden Präsenz dieser Ausnahmekünstlerin. Gefeiert wurde auch Elisabeth Hornung, der dritte weibliche Gast der Produktion, für ihre liebevolle Interpretation der alten Großmutter, deren Segen im letzten Akt sie mit ihrem reifen, warmen Alt besonders ergreifend gestaltete.
Die Jubelrufe seiner zahlreichen Anhänger können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich Jeffrey Dowds Tenor sehr negativ entwickelt hat, der doch vor einigen Jahren so vielversprechend in Partien wie Pinkerton oder Gabriele Adorno in Essen zur Geltung kam. Inzwischen werden fast alle Töne, besonders wenn sie in der hohen Lage angesiedelt sind, mit hörbarer Kraftanstrengung produziert oder einfach herausgeschrieen, die Stimme braucht langen Anlauf bei den gar nicht so exponierten Spitzentönen und bricht bei längeren Phrasen gegen Ende unschön weg, weil die nötige Atemstütze fehlt, hat jede Eignung fürs Pianosingen verloren und ist einfach ungemein fest und hart geworden. Dies alles mögen manche unkritische Verehrer für Ausdrucksnuancen halten - in Wahrheit sind es die nicht mehr zu überhörenden Verschleißerscheinungen einer überstrapazierten, ins falsche, viel zu große Fach gepuschten Stimme. Bessere Figur machte da Rainer Maria Röhr mit seinem klaren, metallisch-durchdringenden, höhenstarken, wenn auch für den Stewa etwas leichtgewichtigen Tenor. Almas Svilpa gab mit volltönendem, aber ausdrucksarmen Bass einen eher unauffälligen Altgesell, während das langjährige Ensemblemitglied Marcel Rosca selbst aus der kleinen Partie des Richters mit seinem kraftvollen, klangschönen Bass, einer vorbildlichen Textbehandlung und seiner differenzierten Schauspielkunst viel zu machen verstand. Margarita Turner, die in diesen Tagen ihre dreißigjährige Ensemblemitgliedschaft feiert, kam mir sehr operettenhaft outriert als freilich rollengerecht gemein keifende, vulgär aufgeputzte Richtersgattin daher; Mezzosopranistin Gritt Gnauck tat sich als pumpelgesund-farbenfrohe, herrische Karolka ein bisschen schwer mit den wenigen hohen Tönen.


Szenenfoto Der Dorfrichter (Marcel Rosca) und seine Frau (Margarita Turner) machen der "Hochzeitsgesellschaft" ihre Aufwartung

Oder ist es das wie stets sehr konzentrierte, aber doch auch überaus dezente Spiel der Essener Philharmoniker, die Stefan Soltesz - vermutlich im Wissen um die wenig belastbaren Stimmen der Mehrheit seiner Solistinnen und Solisten - derart leise hielt, dass sich ein wirkliches Janacek-Feeling nur äußerst selten einstellte? Natürlich muss es auch bei diesem Komponisten nicht ständig knallen und knirschen, sicher wurde der Brünner Meister auch von einem Impressionisten wie Debussy beeinflusst, selbstverständlich freute man sich über die Akkuratesse im Ausfeilen kleinster Details (etwa in den Einleitungstakten zum letzten Akt), die Transparenz des Musizierens, die Raum ließ für manch schöne Solos, aber Janaceks kompakt-spröde Partituren leben doch gerade von den schroffen Ecken und Kanten, von den mitunter verstörenden, expressionistischen Dissonanzen, von dem Ausreizen der dynamischen Palette. Dabei wären die Voraussetzungen gut gewesen, hatte man sich doch gerade nicht für die weicher instrumentierte Fassung von 1916 entschieden, sondern für die Version, die man aus der Referenzaufnahme der Decca unter Charles Mackerras kongenialer Leitung kennt. Nein, es muss die Summe der genannten Faktoren sein, die einen das hochgelobte Aaltotheater letztlich unbefriedigt und mit dem Eindruck, keinem wirklich großen Theaterabend beigewohnt zu haben, verlassen ließen.


FAZIT
Eine Janacek-Produktion, in der gute Ansätze sich nicht konsequent zu einem runden Konzept zusammensetzen, sondern in manchen Ungereimtheiten untergehen, und bei der die musikalische Seite erheblich zu glatt und harmlos gerät, zumal auch die Besetzung erhebliche Schwächen aufweist.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung
Nicolas Brieger

Bühnenbild
Gisbert Jäkel

Kostüme
Jorge Jara

Licht
Wolfgang Göbbel

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Tänze
Jeremy Leslie-Spinks

Dramaturgie
Ina Wragge



Die Essener Philharmoniker

Opernchor und des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters



Solisten



Die Alte Buryja
Elisabeth Hornung

Laca Klemen
Jeffrey Dowd

Stewa Buryja
Rainer Maria Röhr

Die Küsterin
Nina Warren
Anja Silja (27.4.)

Jenufa
Michal Shamir

Altgesell
Almas Svilpa

Dorfrichter
Marcel Rosca

Seine Frau
Margarita Turner

Karolka
Gritt Gnauck

Barena
Sylvia Koke

Jano
Rachel Olivia Tucker

Magd
Marie-Helen Joel

Tante
Marion Thiemel

Musikanten
Stefan Asbeck
Mustafa Zekirov


Weitere Informationen
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