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Don Carlos

Opéra in fünf Akten
Libretto von François Joseph Pierre Méry und Camille Du Locle
Musik von Giuseppe Verdi

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 30' (zwei Pausen)

Premiere in der Oper Kiel am 5. April 2025




Theater Kiel
(Homepage)
Zwischen Traum und Wirklichkeit

Von Thomas Molke / Fotos: © Olaf Struck

Von den vier Schiller-Vertonungen, die Giuseppe Verdi komponiert hat, stellt Don Karlos, Infant von Spanien nicht nur seine populärste und weltweit am meisten gespielte Oper dar. Verdi hat sich auch mit keinem anderen Schiller-Stoff länger auseinandergesetzt. Von 1866 (Paris) bis 1886 (Modena) entstanden insgesamt sieben unterschiedliche Fassungen, teils in französischer, teils in italienischer Sprache, mal mit fünf Akten, mal nur mit vier, dann mit Balletteinlage oder ohne, so dass sich jedes Theater zunächst die Frage stellen muss, welche Version zur Aufführung gelangen soll. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit bedeutenden Werken der französischen Grand opéra des 19. Jahrhunderts hat man sich in Kiel für die sogenannte "Urfassung" von 1867 entschieden, die anders als Schillers Drama auch die Vorgeschichte in Fontainebleau enthält, die Verdis Librettist François Joseph Pierre Méry dem Drama Philippe II. von Eugène Cormont entnommen hat und die das Drama verständlicher macht. Auch auf die für die Grand opéra obligatorische Balletteinlage wird in Kiel nicht verzichtet. Stattdessen nimmt man wie bei der "Urfassung" andere Striche vor, so dass man mit zwei Pausen "nur" auf eine Dauer von viereinhalb Stunden kommt.

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Die Schatten der Vergangenheit (Chor) verfolgen Don Carlos (Andeka Gorrotxategi).

Für die Inszenierung hat man das Regie-Team Immo Karaman (Regie und Bühne) und Fabio Posca (Choreographie und Kostüme) verpflichtet, deren Auseinandersetzung mit Camille Saint-Saëns' Samson et Dalila in der vergangenen Spielzeit in Kiel noch in bester Erinnerung sein dürfte. Immerhin wurde die Produktion 2024 für den Deutschen Theaterpreis "Der Faust" in der Kategorie "Beste Inszenierung Musiktheater" nominiert. Karaman stellt eine Verbindung zu der historischen Figur Don Carlos her, der von Philipp II. wegen psychischer und physischer Probleme von der Thronfolge ausgeschlossen wurde und deshalb einen Aufstand in den Niederlanden plante. Da dieses Vorhaben aufflog, ließ Philipp seinen Sohn ins Gefängnis werfen, wo er nach kurzer Zeit auf bis heute nicht ganz geklärte Weise verstarb. Karaman führt nicht nur einen jungen Carlos (Niklas Rohlf) als Statisten in die Inszenierung ein, der in mehreren Szenen wie ein Geist über die Bühne schreitet, sondern verwendet auch ein Krankenbett als zentrales Bühnenelement, von dem aus Carlos in mehreren Szenen das Geschehen auf der Bühne miterlebt. Dabei ist der restliche Bühnenraum surreal gehalten und ständigen Veränderungen unterzogen. Schwarze Wände, die von weißen Leuchtstäben begrenzt werden, bewegen sich dabei von der einen Seite auf die andere oder öffnen die Bühne von unten nach oben anstelle eines Vorhangs und werden wie weitere schwarze Vorhänge für schnelle Umbauten oder das plötzliche Auftreten einzelner Figuren genutzt. Dabei gelingen die Umbauten zumindest bei der Premiere noch nicht immer völlig unbemerkt.

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Posa (Germán Enrique Alcántara, links) fordert von Philipp (Oleksandr Kharlamov, rechts) Gedankenfreiheit.

Die Kostüme von Posca sind für die Figuren des Stückes sehr dunkel gehalten und changieren zwischen einer abstrakten Schlichtheit und einer majestätischen Opulenz, wenn Élisabeth beispielsweise mit einem ausladenden schwarzen Reifrock auftritt. Einen farblichen Akzent setzt nur der Großinquisitor, der in der großen Szene im vierten Akt in einer Art Beichtstuhl von Statisten wie von Lasttieren auf die Bühne gezogen wird und hinter einem Fadenvorhang quasi gesichtslos bleibt. Besondere farbliche Akzente setzen die roten Handschuhe beim Volk, wenn sie die Bestrafung der Ketzerinnen und Ketzer einfordern, und die auf dem Rücken der Verurteilten aufgeklebten riesigen roten Kreuze, die sie brandmarken. Im Kontrast dazu stehen die weiß gekleideten Krankenschwestern und Krankenpfleger, die in einzelnen Szenen mit großen weißen Lampen gewissermaßen als Wärterinnen und Wärter des inhaftierten Carlos auftreten und suggerieren, dass er von seinem Vater in der Haft ermordet worden ist. So wird auch die Balletteinlage "La Pérégrina" zu Beginn des dritten Aktes zu einem zentralen Moment der Inszenierung. Mit den Tänzerinnen und Tänzern wird hier auf klassisches Tanzvokabular verzichtet und eher pantomimisch dargestellt, wie die Pflegerinnen und Pfleger ihren Patienten Carlos in die Mangel nehmen.

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Prinzessin Eboli (Tatia Jibladze, oben) mit dem Pagen Thibault (Sujin Choi, unten) bei der Schleier-Arie

Ein wenig ungewohnt sind die Striche, die im Vergleich zu anderen Produktionen des Werkes vorgenommen werden. So fehlt beispielsweise am Ende des vierten Aktes Carlos' Befreiung aus dem Kerker. Eboli tritt hier nicht noch einmal mit dem von ihr mobilisierten Volk auf, das Carlos' Freiheit einfordert, und auch auf den Auftritt des Großinquisitors wird verzichtet, der normalerweise dem Aufstand Einhalt gebietet. Stattdessen geht die Klage Philipps um den getöteten Posa, die in späteren Fassungen in der Regel fehlt und von Verdi später im "Lacrimosa" seines Requiems wieder aufgenommen wurde, direkt in den fünften Akt über. Carlos sitzt gebeugt auf seinem Bett und erwartet quasi seine Stiefmutter Élisabeth im Kloster San Yuste, um von ihr Abschied zu nehmen. Der Abschied wird ähnlich surreal inszeniert wie schon das berühmte Freundschaftsduett zwischen Carlos und Posa im ersten Bild des zweiten Aktes. Die ganze Szene scheint sich nur als Traum in Carlos' Kopf abzuspielen. So treten auch Philipp und der Großinquisitor hier nicht noch einmal auf. Ihre Stimmen ertönen nur über Lautsprecher, und Carlos wird von den Schwestern und Pflegern wieder ans Bett gefesselt.

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Élisabeth (Leah Gordon) und Carlos (Andeka Gorrotxategi) nehmen Abschied voneinander.

Mag dieser recht abstrakte Ansatz der Regie bisweilen ein wenig befremdlich sein, lässt die musikalische Gestaltung des Abends keine Wünsche offen und hebt hervor, wieso Don Carlos zu den großartigsten Vertonungen Verdis zählt. Ein Höhepunkt jagt hier den nächsten und wird vom Ensemble wunderbar umgesetzt. Leah Gordon und Andeka Gorrotxategi brillieren bereits im ersten Akt, wenn Élisabeth und Carlos im Wald von Fontainebleau erstmals aufeinandertreffen und in heftiger Liebe zueinander entflammen. Gorrotxategi begeistert mit sauber angesetzten Spitzentönen in seiner großen Arie, die in der vieraktigen Fassung in die erste Klosterszene verlegt worden ist. Gordon gestaltet die Partie der Élisabeth mit strahlenden Höhen und spielt ihre Verzweiflung, wenn das Volk sie drängt, um des Friedens Willen Philipps Antrag anzunehmen, eindringlich aus. Im weiteren Verlauf besitzt sie als spanische Königin Grandezza und bleibt relativ unnahbar, lässt mit zarten Tönen aber immer wieder ihre Verletzlichkeit durchschimmern. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist ihre große Arie im fünften Akt. Gorrotxategi wird zwar häufig in seinem Spiel von der Personenregie gebremst, die ihn vom Bett aus spielen lässt, glänzt aber stimmlich auch im weiteren Verlauf mit leuchtenden Höhen. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das große Freundschaftsduett mit Posa im zweiten Akt. Germán Enrique Alcántara punktet als Rodrigue mit kraftvollem Bariton und intensivem Spiel. In seiner Todesszene im vierten Akt bewegt er stimmlich und darstellerisch.

Neben den drei Gästen begeistern auch einige Ensemble-Mitglieder in zentralen Rollen. Oleksandr Kharlamov legt den König Philipp mit profundem Bass an, der bei aller Autorität in seiner großen Arie "Elle ne m'aime pas" im vierten Akt eine tiefe Verletzlichkeit zeigt. Ein weiterer musikalischer Glanzpunkt ist sein Duett mit dem Großinquisitor, der von BaoPeng Wang mit schwarzem Bass absolut unnachgiebig und kompromisslos präsentiert wird. Tatia Jibladze legt die Prinzessin Eboli sehr vielschichtig mit starkem Mezzosopran an. In der Schleier-Arie im zweiten Akt wirkt sie teilweise recht bedrohlich, wenn der König erkennt, dass sich unter dem Schleier seine eigene Frau verborgen hat. Wenn sie mit der Königin im dritten Akt das Kostüm tauscht, was zur Verwechslung führt, tauschen die beiden ebenfalls einen Schleier, hinter dem Carlos zunächst wirklich nicht erkennen kann, dass es sich bei der Dame nicht um Élisabeth handelt. In Philipps großer Arie im vierten Akt, liegt Eboli zunächst noch im Bett unter ihm und macht durch intensives Spiel deutlich, wie benutzt sie sich vom König fühlt. Umso aufrichtiger erscheint dann ihr Schuldeingeständnis bei der Königin, auf das ihre große Arie "Ô don fatal et détesté" folgt, in der Jibladze mit dramatischen Höhen glänzt. Irritierend ist vor der Arie, dass es nicht die Königin ist, die das Kreuz von ihr zurückfordert und die Verbannung über sie verhängt, sondern eine männliche Stimme aus dem Off.

Auch der von Gerald Krammer einstudierte und um den Extrachor erweiterte Opernchor begeistert stimmlich und darstellerisch auf ganzer Linie. Daniel Carlberg lotet mit dem Philharmonischen Orchester Kiel die Feinheiten der Partitur differenziert aus und zaubert einen fulminanten Verdi-Klang aus dem Graben, so dass es für alle Beteiligten verdienten Jubel gibt.

FAZIT

Der Oper Kiel ist auch mit diesem fünfaktigen Verdi wieder eine monumentale große französische Oper auf hohem musikalischem Niveau gelungen. Der relativ abstrakte Regie-Ansatz ist Geschmacksache.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Daniel Carlberg

Regie und Bühne
Immo Karaman

Choreographie und Kostüme
Fabian Posca

Lichtgestaltung
Martin Witzel

Choreinstudierung
Gerald Krammer

Dramaturgie
Ulrich Frey

 

Philharmonisches Orchester Kiel

Opernchor und Extrachor
des Theaters Kiel

Statisterie des Theaters Kiel


Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Philipp II., König von Spanien
Oleksandr Kharlamov

Don Carlos, Infant von Spanien
*Andeka Gorrotxategi /
Tigran Hakobyan

Rodrigue, Marquis von Posa
*Germán Enrique Alcántara /
Christian Federici

Der Großinquisitor
BaoPeng Wang

Ein Mönch
Matteo Maria Ferretti

Élisabeth de Valois
*Leah Gordon /
Dara Hobbs

Prinzessin von Eboli
Tatia Jibladze

Thibault, Élisabeths Page /
Stimme aus der Höhe

Sujin Choi

Graf von Lerma / Königlicher Herold
Konrad Furian

Ein Franzose
S
ang Youf Kim

Flandrische Deputierte
Andreas Berg
Matthias Brede
Sang Youf Kim
Hankyul Lee
Salomón Zulic del Canto

Inquisitoren
Andrzej Bernagiewicz
Ill Hoon Cho
Yichen Gao
Slaw Rotmann
Chan Il Seok

Tänzerinnen und Tänzer
Agnes Köhler
Manja Kopp
Mascha Leuenhagen
Nina Scholz
Jule Stuhr
Mathilda Voß
Denis Adutwum
Philip Bergermann
Julian Bublitz
Andrey Rudnev
Frederick Stade

Die Gräfin von Aremberg
Agnes Köhler

Der junge Carlos
*Niklas Rohlf /
Kalle Schnack

 

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Kiel
(Homepage)




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