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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Freie Wahl für die Frauen Von Thomas Molke / Fotos: © Barbara Aumüller Carl Ditters von Dittersdorf war zwar mit seinen rund 40 Opern und Singspielen ein wichtiges Bindeglied in der Entwicklung vom Wiener Singspiel zur bürgerlichen Spieloper eines Albert Lortzing und verstand es auf hervorragende Weise Elemente der italienischen Buffo-Oper in das deutsche Singspiel zu integrieren. Auf den Spielplänen der Musiktheater spielen seine Werke allerdings heute keine Rolle mehr, so dass die Aufführung seiner Oper Doktor und Apotheker im Bockenheimer Depot in Frankfurt regelrechten Ausgrabungscharakter hat. Dabei war das Stück nach der Uraufführung 1786 am Burgtheater in Wien zunächst viel erfolgreicher als Mozarts im gleichen Jahr herausgebrachte Opera buffa Le nozze di Figaro. In den Folgejahren erreichte das Singspiel sogar 78 Aufführungen, während es Mozarts Werk im gleichen Zeitraum auf gerade mal 32 Vorstellungen brachte. Das mag daran gelegen haben, dass die damalige Begeisterung für ein deutsches Singspiel größer gewesen sein mag als für ein komplexes Stück wie Mozarts Figaro. Von Dittersdorf selbst soll einmal über Mozart geäußert haben, dass er seine Kompositionen zwar für genial halte, aber ein Höhepunkt dabei den nächsten jage, so dass dem Publikum keine Möglichkeit gegeben werde, die musikalischen Perlen im Gedächtnis zu behalten. Die Entwicklung war bekanntlich eine andere, und so ist von Dittersdorf heute ziemlich in Vergessenheit geraten. Dem will man in Frankfurt nun entgegenwirken. Der Apotheker Stößel (Božidar Smiljanić, Mitte) und seine Frau Claudia (Kelsey Lauritano, 3. von links) wollen ihre Tochter Leonore (Elizabeth Reiter, 2. von links) mit Sturmwald (Peter Marsh, rechts) verheiraten (ganz links: Rosalie (Lubov Karetnikova)). Doktor und Apotheker gilt als größter Erfolg von Dittersdorfs in Wien, was ihm auch das Wohlwollen des Kaisers einbrachte. Das Libretto stammt von Johann Gottlieb Stephanie d. J., der auch schon den Text für Mozarts Entführung aus dem Serail verfasst hatte, und handelt von zwei verfeindeten Medizinern, dem Doktor Krautmann und dem Apotheker Stößel, der selbst gern Doktor wäre und Krautmann seinen Erfolg nicht gönnt. Unglücklicherweise ist Stößels Tochter Leonore in Krautmanns Sohn Gotthold verliebt, was Stößel und seine Gattin Claudia natürlich nicht dulden können. Deswegen soll Leonore gegen ihren Willen mit dem invaliden Soldaten Sturmwald vermählt werden, der den beiden als gut situierte Partie erscheint. Gotthold und sein Freund Sichel, der in Rosalie verliebt ist, wollen den Plan von Leonores Eltern durchkreuzen. Zu diesem Zweck locken sie den Apotheker aus dem Haus zu einem vermeintlichen Patienten, um Leonore und Rosalie zu entführen. Doch der Plan geht schief, und die beiden Männer müssen sich im Schrank verstecken. Als der Apotheker gemeinsam mit dem angetrunkenen Sturmwald zurückkommt, kommt es zu einigen Verwicklungen. Sichel und Gotthold rauben dem Soldaten die Kleidung und das Holzbein und verkleiden sich als Notar und Sturmwald, um mit einem falschen Ehekontrakt Leonore mit Gotthold zu vermählen. Als der Schwindel auffliegt, ist der Vertrag bereits von allen Parteien unterschrieben. Sturmwald fordert zwar Satisfaktion, aber jetzt gelingt es Stößels Gattin Claudia, ihren Mann zum Einlenken zu bringen und gleichzeitig mit dem Doktor zu versöhnen. Sichel bekommt zur Belohnung dann auch noch Rosalie, und so gibt es am Ende zwei glückliche Paare. Gotthold (Michael Porter, rechts) und Sichel (Andrew Bidlack, links) wollen Leonore (Elizabeth Reiter, Mitte vorne) und Rosalie (Lubov Karetnikova) entführen. Die Geschichte ist natürlich überhaupt nicht mehr zeitgemäß, weshalb das Regie-Team um Ute M. Engelhardt beschlossen hat, die Handlung nicht in die Gegenwart zu holen, sondern aus einer gewissen Distanz mit liebevollem Augenzwinkern zu betrachten. So verlegt Engelhardt das Stück nur um rund 100 Jahre an den Beginn des 20. Jahrhunderts in eine Zeit, in der von Dittersdorfs für das ausgehende 18. Jahrhundert absolut modernen und fortschrittlichen Vorstellungen über die Selbstbestimmung von Frauen noch eine gewisse nachvollziehbare Relevanz hatten. Immerhin kam das Wahlrecht für Frauen in Deutschland erst im Jahr 1918. In den Text von Johann Gottlieb Stephanie greift sie mit einer eigenen Textfassung an einigen Stellen ein und zitiert beispielsweise Mozarts Entführung aus dem Serail. Während die Kostüme von Kaspar Glarner die Figuren des Stücks recht historisierend am Beginn des 20. Jahrhunderts verorten, bleibt Glarner als Bühnenbildner eher abstrakt und wählt Wände, auf denen die Räume in einer Art Bleistiftzeichnung nur angedeutet werden. Das gibt dem Ganzen einen sehr spielerischen Charakter. Unterstützt wird das noch von einigen Gimmicks in Videoprojektionen von Jorge Cousineau, der beispielsweise den Hund des Apothekers mit einem Urinstrahl eine Blume aufblühen oder weiße Tauben über dem frisch vermählten Paar im zweiten Akt flattern lässt. Auch eine Kanonenkugel wird in der Projektion abgeschossen, die die Wut des Soldaten Sturmwald nachzeichnet. Doktor Krautmann (Thomas Faulkner, rechts) und Apotheker Stößel (Božidar Smiljanić, links) sind sich spinnefeind. Die einzelnen Bühnenwände werden in mehreren Ebenen geführt, so dass auf faszinierende Weise schnell neue Räume entstehen. Zunächst befindet man sich vor dem Haus des Apothekers, wo sich Stößel mit Sturmwald über den Ehekontrakt mit Leonore einig wird. Dann sieht man hinter einem Fenster in dieser Wand zunächst Leonore im Labor, die an ihrem Schicksal verzweifelt, weil sie Gotthold liebt und den Soldaten nicht heiraten möchte. Dann wird die Wand beiseite geschoben und führt in das Zimmer der Mädchen, in das Gotthold und Sichel eindringen, um die beiden zu entführen. Auch diese Wand wird dann zur Seite geschoben und zeigt einen weiteren Raum mit einem Schrank, in dem sich Gotthold und Sichel vor dem zurückkehrenden Apotheker und Leonores Mutter Claudia verstecken. Nach der Pause wird dann vor diesen Raum ein weißer Vorhang gezogen, der in einer Zeichnung Anspielungen auf ein historisches Frankfurt enthält. Ein weiteres Bühnenelement wird dann von der Seite hereingefahren, das eine Justitia zeigt, da sich der Apotheker und der Doktor ja nun gegenseitig verklagen wollen, bis sich dann alle am Ende versöhnen und zu einem Picknick auf einem großen Feld einfinden. Passend zur Selbstbestimmung der Frau legt Claudia ihr Kleid nun ab und präsentiert sich in Hosen. Das alles wird mit einer ausgeklügelten Personenregie sehr liebevoll umgesetzt. Happy End beim Picknick: von links: Rosalie (Lubov Karetnikova), Sichel (Andrew Bidlack), Leonore (Elizabeth Reiter), Gotthold (Michael Porter), Claudia (Kelsey Lauritano), Stößel (Božidar Smiljanić) und Krautmann (Thomas Faulkner) Was Mozart nach von Dittersdorfs Ansicht an musikalischen Höhepunkten zu viel hat, hat aus heutiger Sicht von Dittersdorfs Partitur vielleicht zu wenig. Zwar gibt es unbestreitbar sehr schöne Momente, aber von Dittersdorf lässt dem Publikum dann vielleicht doch etwas zu viel Zeit, diese in ihrer Schönheit auszukosten. Bemerkenswert ist die erste Arie Leonores, in der sie sich nach ihrem Gotthold sehnt. Mit starker Anlehnung an Orfeos berühmtes "Che farò senza Euridice" wird hier der Einfluss von Christoph Willibald Gluck deutlich. In den beiden Finali der beiden Akte zeigt von Dittersdorf sehr eindrucksvoll, wie er den Aktschluss jeweils musikalisch zu einem Höhepunkt formen kann, auch wenn im zweiten Akt der hehre "Victoria"-Ruf noch einmal abebbt, da ja erst das zweite Paar noch vermählt werden muss. Auch für die beiden Titelpartien hat von Dittersdorf herrliche Buffo-Arien komponiert, die wunderbare Komik entfalten. Großartig ist auch das Streit-Duett zwischen Apotheker und Doktor im zweiten Akt. Alden Gatt lotet diese musikalischen Perlen mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit feinem Gespür aus. Auch die Solistinnen und Solisten lassen darstellerisch und gesanglich keine Wünsche offen. Da sind zunächst Božidar Smiljanić und Thomas Faulkner als Apotheker und Doktor zu nennen. Smiljanić stattet den Apotheker Stößel mit kraftvollem Bassbariton aus und verleiht ihm stimmlich enorme Autorität, auch wenn er sich eigentlich gegen seine Frau nie durchsetzen kann. Man nimmt ihm ab, wie sehr er darunter leidet, nicht genauso berühmt wie der Doktor zu sein. So träumt er im zweiten Akt von einer k.u.k. Professur. Faulkner punktet als Doktor mit dunklem Bass und begeistert in seiner großen Arie im zweiten Akt, wenn er seinen schweren Stand als Doktor beklagt. Herrlich spielt er die Animosität zum Apotheker aus, auch wenn das Stück ihm nicht ganz so viele Möglichkeiten wie dem Apotheker bietet, dabei durch Komik zu glänzen. Kelsey Lauritano vollzieht als Apotheker-Gattin Claudia mit sattem Mezzosopran einen eindrucksvollen Wandel von der Mutter, die ihre Tochter mit dem invaliden Soldaten vermählen möchte und den Einfluss der Nichte Rosalie verflucht, hin zu einer Frau, die dafür kämpft, dass auch ihre Tochter ihre eigenen Entscheidungen treffen darf. Elizabeth Reiter punktet als Leonore mit strahlendem Sopran und gibt die Tochter recht widerspenstig. Eigentlich passt sie darstellerisch viel besser in die Rolle Rosalies, die im Spiel von Lubov Karetnikova ein wenig blass bleibt. Dafür begeistert Karetnikova mit leuchtenden Koloraturen. Peter Marsh gibt den Soldaten Sturmwald herrlich übertrieben und begeistert durch große Komik. Die Höhen setzt er dabei bewusst etwas schrill an, um die Figur zu karikieren. Michael Porter und Andrew Bidlack werfen sich als Gotthold und Sichel mit wunderbarem Slapstick-Spiel die Bälle nur so zu und überzeugen ebenfalls mit höhensicherem Tenor. Sakhiwe Mkosana aus dem Opernstudio rundet in der kleinen Partie des Polizeikommissärs das Ensemble mit kräftigem Bariton ab, so dass es für alle Beteiligten großen und verdienten Applaus gibt.
Das Stück bietet in der Inszenierung von Ute M. Engelhardt gute Unterhaltung und
ist mit dem spielfreudigen Ensemble sehens- und musikalisch hörenswert. Den
Sprung ins Repertoire wird von Dittersdorfs Oper allerdings bestimmt nicht
gelingen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Bühnenbild und Kostüme Licht
Video Dramaturgie
Frankfurter Opern- und Solistinnen und Solisten
Apotheker Stößel
Claudia, Frau des Apothekers
Leonore
Rosalie
Sturmwald
Doktor Krautmann
Gotthold, sein Sohn
Sichel
Polizeikommissär
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