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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Höllenfahrt im BüroVon Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg ![]() Eric
Laporte, Bewegungschor, Chor
Nur wenige Stoffe der Weltliteratur sind so häufig verarbeitet, bearbeitet, vertont, bildnerisch gestaltet, dramatisiert und persifliert worden wie der des Doktor Faustus. Hector Berlioz hält sich mit seinem Mit-Librettisten Almire Gandonnière für seine Faust-Oper in französischer Sprache La Damnation de Faust (Fausts Verdammnis) an die berühmteste Fassung: Goethes Faust I, überträgt Textpassagen für kurze Momente recht genau (z. B. Fausts Selbsttötungsversuch im Studierzimmer), verwendet Liedertexte im (übersetzten) Original, geht aber mit dem Handlungsablauf sehr frei um. Den Pakt setzt er beispielweise ans Ende und lässt Faust die eigene Seele gegen Gretchens Rettung vor dem Tode wegen Vergiftung der Mutter tauschen (von Schwangerschaft ist hier übrigens nicht die Rede). Aber es ist vergeblich, denn ihr Todesurteil wurde schon vollstreckt. So fährt Faust tatsächlich zur Hölle und Marguerite zieht in den Himmel ein. Faust wird als ein verträumter Mädchenschänder und heimlicher Mordgehilfe seiner höllischen Strafe zugeführt. Und da wir hier im Musiktheater sind, fügt Berlioz auch gleich noch viel gut zu komponierendes und musikalisch effektvolles Brimborium hinzu - vom Chor der Sylphen und Gnomen bis zum zackigen Soldatenchor im Wettstreit mit einem Studentenlied, vom Menuett und Chor der Irrlichter bis zum warnenden Gesang der Nachbarn, dem hämischen Chor der Teufel bei Fausts Höllenfahrt usw. und reiht Szene an Szene, die nicht wirklich ein geistiges Band verbindet. Nicht zuletzt dadurch wirkt das Werk auch eher wie eine Mischform aus Oratorium und Oper. Das macht die szenische Realisation dieses Werkes nicht gerade einfach. In Hannover hat sich die Regisseurin Marie-Eve Signeyrole mit dem Bühnenbildner Fabien Teigné und der Kostümbildnerin Yashi dieser Herausforderung gestellt. Im Vorfeld war zu lesen, dass gerade dieses Werk geeignet sei, „die vermeintlichen Grenzen auch heutiger szenischer Mittel immer wieder zu überschreiten“. Die Legitimation dazu findet sich in Goethes Original, im Vorspiel auf dem Theater: „Ihr wisst auf unsern deutschen Bühnen probiert ein jeder was er mag; Drum schonet mir an diesem Tag Prospekte nicht und nicht Maschinen.“. Na dann!
Faust
ist Chef eines
großen
Unternehmens,
Méphistophélès,
sein Alter
Ego, die
andere, dunkle
Seite seines
Charakters.
Alle anderen
Figuren sind
Fausts
Angestellte,
Marguerite
seine
Sekretärin
oder eine
sonstige enge
Mitarbeiterin.
Dem Chef geht
es nicht gut.
Ob es nun ein
Burnout-Syndrom
ist, einfache
Langeweile
oder der Drang
der
Spaßgesellschaft,
immer einen
neuen
intensiveren
Kick zu
finden, bleibt
unklar. Auf
jeden Fall
überschreitet
er seine
Grenzen mit
Hilfe seines
zweiten Ichs
und begibt
sich auf
unsicheren,
gefährlichen
Boden. Die
ganze
Geschichte
spielt sich in
seinem Büro
ab, indem
neben
Büromöbeln
auch eine
große breite
Vitrine steht,
die einen
Faun-Kopfschmuck
enthält, den
Faust immer
wieder
sehnsüchtig
betrachtet.
Ein Traum,
eine Vision?
Im zweiten
Teil ist sein
Büro von
Pflanzen
überwuchert:
Die Natur
bricht in die
Geschäftswelt
ein – „Natur,
du mächt'ge,
ew'ge und
allgewaltige,
Die einzig du
gewährest Rast
meinem steten
Schmerz“ singt
Faust. Der
Méphistophélès
in ihm ist es,
der die
Naturgeister
beschwört.
Auch, wenn die
Natur als
Begriff für
uns heute
positiv belegt
ist, so zeigt
sie sich hier
als Fausts
sexuelle
Urtriebe, die
ihn ins
Verderben
katapultieren.
Gretchens
Mutter stirbt
nicht am
(von
Méphistophélès
heimtückisch
vergifteten)
Schlaftrunk
sondern wird
hier von Faust
im Rausch
erschossen.
Kein Wunder,
denn sie kommt
in
unheimlicher,
spinnenähnlicher
Gestalt auf
die Bühne und
ist eigentlich
Fausts Mutte,
die als
szenisches
Leitmotiv
immer wieder
auftauscht und
im
Programmheft
„Mutter
Oppenheim“
genannt wird.
An sie hat er
nur böse
Erinnerungen,
mal als
Klavier
spielende
kalte
Frauengestalt
im
50er-Jahre-Look,
mal als
Lehrerin mit
Schlag-Lineal.
Ferner tritt
sie als
Bürovorsteherin
und auch mal
ganz nackt
auf,
stellvertretend
für
Marguerite.
Freud und
Ödipus lassen
grüßen. Vom
Selbstmord
wird er nicht
durch den
„kindlichen“
Glauben
abgehalten,
sondern durch
schlimme
Erinnerungen
an seine
Kindheit –
aber wieso
halten sie ihn
davon ab und
bringen ihn
nicht noch
entschlossener
dazu?
Für den Mord
an ihrer
Mutter
– die
Mordwaffe hält
sie und nicht
Faust in der
Hand, als die
Polizei
eintrifft
– muss
Marguerite zu
einem
Polizeiverhör
auf die Wache,
wo sie die
Berlioz-Fassung
des „Meine
Ruh‘ ist hin…“
singt.
Das alles wird durch Videoprojektionen, Video-Liveübertragungen, aktive Hubpodien, von denen auch mal ein Mann hinunterpinkelt, viel Bühnennebel und noch mehr vom Himmel fallender Akten- oder Blütenblätter ergänzt, so dass die Bühne schön vollgemüllt wird. Das ist ja sehr beliebt, wird immer wieder gern genommen… Eine wilde After-Work-Party, bei der zwei Praktikanten, die als Aktenverwalter agieren, böse Gewalt angetan wird, ist nur die Vorstufe zu einer später gerade eben noch von Faust verhinderten Massenvergewaltigung Marguerites. Faust saugt aus Méphistophélès Handgelenk Blut und beißt Marguerite vampirartig in den Hals. Unternehmensberater-Sprüche, Motivations-Slogans und Durchhalte- bzw. Verbesserungsparolen in der „Faust Company“ führen uns die heutige Geschäftswelt vor. Und so weiter und so weiter und so fort und so fort. Am Ende sitzt Faust wieder an seinem Schreibtisch – aber diesmal in seiner Erscheinungsform als Méphistophélès, der nach dem offiziellen musikalischen Schluss der Oper noch ein Lied mit Klavierbegleitung zum Besten gibt: Schumanns „Hör ich das Liedchen klingen…“ aus der Dichterliebe. ![]()
Die Übertragung des
Faust-Dramas
auf einen
gestressten
Managertypen,
der an seinem
Job
verzweifelt,
mehr in seinem
Leben erleben
will und dazu
sein anderes
Ich alias den
Teufel
aktiviert, ist
ein
wohlbekannter
Interpretationsansatz,
dessen
Umsetzung bei
dieser doch
sehr
schwülstigen
und
effektorientierten
Oper auch bei
konsequenter
Anwendung
fragwürdig
wäre. Das
Regieteam in
Hannover
verliert sich
in diversen
bedeutsam sein
wollenden
Ideen, die dem
Stoff
gewaltsam
aufgezwungen
werden, mit
dem Text nur
selten
übereinstimmen
und den
Eindruck eines
fade gewürzten
Regietheater-Eintopfs
machen. Da
kann auch ein
attraktiver
Faun, eine
tote Amsel als
visuelles
Leitmotiv und
die
Verdreifachung
der
Faust-Figur
als
erwachsener
Mann, Kind und
Méphistophélès
– alle drei in
blauen Anzügen
und mit roten
Haaren –
nichts ändern.
Die
ausgefeilten
Choreographien
des
Bewegungschors
zu den
Orchesterstücken
verleihen dem
Mischwerk auch
noch
Revue-Anteile
und wären für
sich genommen
als
Gruppengymnastik
im Büro, als
Dienstbesprechung
und
dergleichen
recht nett
anzusehen,
bringen uns
aber in der
Faust-Frage
nicht weiter
und
hinterlassen
zuweilen als
unbedingter
Versuch
irgendetwas zu
machen ein
Gefühl des
Fremdschämens,
das einem an
diesem Abend
nicht
unbekannt
bleibt.
1846 in der Pariser Opéra comique uraufgeführt bewegt sich die Musik in romantischen Gefilden mit grandiosen Klanggewalten und pathetischer Emotionalisierung nebst einem Hauch französischen Klangparfums. Da greift auch Hannovers GMD Ivan Repušić in die Vollen und lässt die Musik, nach einem etwas verhaltenem Beginn, schwelgen und blühen. Das Orchester ist bestens disponiert, ebenso die wohleinstudierten Chöre, die ihre große und herausfordernde Aufgabe mit Bravour bewältigen. Beeindruckend und beängstigend dröhnt die „Amen“-Fuge durch den Saal. Eric Laporte singt einen wunderbaren Faust, mit gleichmäßig durchgeformtem, angenehm timbriertem, seidig schimmerndem, warmem Tenor. Marguerite ist als altjüngferliche Sekretärin gezeichnet, was nicht die angenehmste Voraussetzung für die sängerische Gestaltung der Partie ist. Monika Walerowicz gelingt dennoch eine sehr intensive Interpretation. Shavleg Armasi singt den Méphistophélès sehr kultiviert mit vollstimmigem Wohlklang, Daniel Eggert den Brander mit markantem Bass. FAZIT
„Ihr
wisst auf
unsern
deutschen
Bühnen
probiert ein
jeder was er
mag…“. Das hat
sich seit
Goethes Zeiten
nicht geändert
und nicht
immer kommt
eine
überzeugende
Regiearbeit
dabei heraus.
Musikalisch
aber eine
gelungene
Produktion mit
beeindruckenden
sängerischen
Leistungen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische LeitungIvan Repušić Inszenierung und Videokonzept Marie-Eve Signeyrole Bühne Fabien Teigné Kostüme Yashi Choreographie Julie Compans Licht Sascha Zauner Videorealisation Marie-Eve Signeyrole Baptiste Klein Choreinstudierung Lorenzo Da Rio Leitung Kinderchor Heide Müller Dramaturgie Klaus Angermann Simon Hatab Chor Extrachor und Kinderchor der Staatsoper Hannover Bewegungschor Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
SolistenFaust Eric Laporte Marguerite Monika Walerowicz Méphistophélès Shavleg Armasi Brander Daniel Eggert Mutter Oppenheim Kerstin Schweers Weitere Informationen
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- Fine -