Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Elektra

Tragödie in einem Aufzug
Libretto von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss


In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 45' (keine Pause)

Premiere am 19. März 2023 in der Oper Frankfurt

Homepage

Oper Frankfurt
(Homepage)
Dieser Frau fehlt ein seriöses Therapieangebot

Von Stefan Schmöe / Fotos von Monika Rittershaus

Elektra ist ein pathologischer Fall. Das ist keine wirklich neue Erkenntnis; die selbstzerstörerischen Rachephantasien nach dem Mord an Vater Agamemnon durch Mutter Klytämnestra machen Elektra ja bereits am Beginn der Oper zur Außenseiterin. In dieser Inszenierung könnte sich Elektra in einem Sanatorium aufhalten, jedenfalls lässt das Bühnenbild (Katrin Lea Tag) diese Deutungsmöglichkeit zu: Bühnenhohe Wände mit edler Tapete oder Stoffbespannung, davor ein paar Tische (später weggeräumt) und Stühle - das könnte die Lobby eines Hotels oder eben einer einschlägigen Klinik für gutbetuchte Privatpatienten sein. Viel mehr aber sind die verschiebbaren Vorhänge und Wände ein labyrinthisches Gefängnis für Elektra, zeigen ihren Gemütszustand, und für surreale Aktionen sorgt hin und wieder eine Gruppe von sechs Tänzerinnen und Tänzern. Die Ankunft von Elektras totgeglaubtem Bruder Orest (der gemäß der Geschichte die Rache vollzieht und Mutter Klytämnestra samt Liebhaber Aegisth tötet) bleibt ganz offensichtlich ebenso Elektras Einbildung wie die Rachetat selbst. "Ob ich die Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir selbst", singt Elektra. Das muss man hier wohl viel allgemeiner sehen: Nicht nur die Musik, auch jeder Fortgang der Handlung scheint ihrer Einbildung entsprungen zu sein.

Vergrößerung in neuem Fenster

Elektra und Mägde

Dieses ganz auf die Hauptfigur fokussierende Konzept von Regisseur Claus Guth könnte durchaus aufgehen und Spannung entwickeln, wäre es präziser - und radikaler - inszeniert. In manchen Dialogen deutet sich das an. Aber über zu lange Strecken tritt die Regie auf der Stelle und handelt die Figurenkonstellation ohne erkennbare Entwicklung ab. Das ginge als Zustandsbeschreibung ja an, wenn Elektra als Persönlichkeit entsprechende Größe gewinnen würde. Aber ihr Entsetzen über die Vorgeschichte, den unbedingten Zerstörungswillen, den zeigt die Inszenierung nicht. Die Einwürfe des Tanzensembles bleiben allzu episodisch, als dass sie ein echtes Moment der Verfremdung aufbauen könnten; der clowneske Aegisth (mit verspielt leichtem Charaktertenor: Peter Marsh) tut zwar kurz so, als sei er tot, bleibt aber insgesamt allzu nebensächlich. Auch wenn das Bühnenbild in der wechselnden Staffelung der Wände recht eindrucksvoll aussieht, relativiert es das Geschehen: Elektra ist klein, sie verliert sich in der Kulisse. Eine Patientin mit einer psychischen Krankheit, so etwas kommt vor. Dabei müsste diese Opernfigur doch an den Grundfesten der Zivilisation rütteln.

Vergrößerung in neuem Fenster Elektra und Chrysothemis

Dazu müsste dann aber auch die Hauptdarstellerin das Zentrum musikalisch ausfüllen können, aber das gelingt Aile Asszonyi nur in Ansätzen. Ihr großer, raumfüllender Sopran bietet ganz ordentliche Voraussetzungen, allerdings sorgt das ausladende, manchmal arg langsam einschwingende Vibrato bei den großen Ausbrüchen, auf die es hier ankäme, für erhebliche Unschärfe in der Intonation (und manche Spitzentöne sind schlicht zu tief angesetzt). So bleibt gerade in den hochdramatischen Passagen vieles im Ungefähren, und es fehlt an der zupackenden Unmittelbarkeit. Besser gelingen manche leisen, sorgfältig durchgestalteten Passagen. Und weil Aile Asszonyi sich schauspielerisch auf wenige, ziemlich konventionelle Gesten beschränkt und sich die meiste Zeit statisch auf den Gesang konzentriert, kommt auch über diese Ebene wenig, was die Inszenierung tragen könnte. Diese Elektra ist einem nach eindreiviertel Stunden Spieldauer nicht vetrauter als zu Beginn, und auch nicht besonders geheimnisvoll oder interessant.

Vergrößerung in neuem Fenster

Elektra und Klytämnestra

Szenisch wie musikalisch sehr viel agiler ist die hysterisch jubelnde, darin den Gemütszustand ihrer Figur jederzeit beglaubigende Jennifer Holloway als Chrysothemis, der Schwester Elektras, die abschließen möchte mit der Vergangenheit und über die Vision einer Mutterschaft ins Leben zurückfinden will. Keine Chance, diagnostiziert die Regie. Wenn Chrysothemis ihren Schal wie einen Säugling im Arm trägt, wenn sie eine Entbindung andeutet, dann ist ihr Wahn offensichtlich - solche einprägsamen Bilder hat Guth für Elektra nicht gefunden. Die Klytämnestra wird von Susan Bullock gesungen, langjährige Stütze des Frankfurter Ensembles im hochdramatischen Fach. Die Stimme hat an Kraft und Substanz verloren; die Forte-Attacken sind kultiviert gesungen, haben aber nicht allzu viel Kraft, und in den leiseren Stellen wechselt die Sängerin in einen substanzlosen Sprechgesang (der Dank genauer Deklamation gar nicht einmal schlecht passt).

Vergrößerung in neuem Fenster Der Rachemord an Aegisth (hinten) bleibt eine Vision Elektras.

Wobei überhaupt die leisen Passagen oft mehr Spannung entwickeln als die Strauss'sche Fortissimo-Überwältigungsattacke. Dirigent Sebastian Weigle bemüht sich, die sich in der Elektra immer wieder abzeichnende Rosenkavalier-Süße zu unterdrücken und die Modernität der Partitur zu betonen. Auf der anderen Seite will er aber offenbar nicht zu vordergründig den großen schroffen Effekt herausstellen. In der Summe wirkt die Interpretation oft ein wenig unentschlossen. An Schärfe, an der großen und dabei präzisen Geste, an der musikalischen Kompromisslosigkeit fehlt es. In den dialogischen Szenen allerdings gewinnt die Musik eine bedrohliche Kommentarfunktion und gewinnt einiges an Kontur.

Was noch zu erwähnen ist: Die sehr präsent singenden Mägde. Der tadellose Orest von Simon Bailey (kurz vor der Premiere für den erkrankten Kihwan Sim eingesprungen), der szenisch nicht viel mehr als ein Schatten ist (ein gewisses Missverhältnis, da sogar der tote Vater Agamemnon gewichtigere pantomimische Auftritte erhält, einmal mit Kind auf dem Arm - die in der Vorgeschichte geopferte Iphigenie?). Die Karnevalsparty zum Finale, in deren Trubel Elektra tot zusammenbricht, die in ihrer gewollten Banalität aber ein schwaches Bild bleibt. Claus Guth kann Elektra nicht helfen. Es bleibt bei der allzu offensichtlichen Diagnose: Diese Familie ist halt traumatisiert.


FAZIT
Der an sich nicht unspannende Regieansatz von Claus Guth müsste prägnanter ausformuliert sein, um wirklich zu überzeugen, und er bedürfte einer weniger konventionell agierenden und präziser singenden Hauptdarstellerin: Keine ganz schlechte Elektra, aber auch keine besonders mitreißende.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sebastian Weigle

Regie
Claus Guth

Bühne
Katrin Lea Tag

Kostüme
Teresa Wilson

Licht
Olaf Winter

Chor
Tilman Michael

Dramaturgie
Konrad Kuhn



Statisterie der Oper Frankfurt

Chor der Oper Frankfurt

Frankfurter Opern-
und Museumsorchester


Solisten

* Besetzung der Premiere

Elektra
Aile Asszonyi

Klytämnestra
Susan Bullock

Chrysothemis
Jennifer Holloway

Aegisth
Peter Marsh

Orest
*Simon Bailey /
Kihwan Sim

Der Pfleger des Orest
Franz Mayer

Ein junger Diener
Jonathan Abernethy

Ein alter Diener
Seungwon Choi

Die Aufseherin
Nombulelo Yende°

1. Magd
Katharina Magiera

2. Magd
Helene Feldbauer

3. Magd
Bianca Andrew

4. Magd
Barbara Zechmeister

5. Magd
Monika Buczkowska

Die Vertraute
Camelia Suzana Peteu

Die Schleppträgerin
Michaela Schaudel

Sechs Dienerinnen
Camelia Suzana Peteu /
Michaela Schaudel /
Edeltraud Pruß /
Enikö Boros / Jianhua Zhu /
Hiromi Mori

Tanz
Evie Poaros /
Gal Fefferman /
Marion Plantey /
Mirjam Motzke /
Rouven Pabst /
Jonathan Schmidt



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Konzert-Startseite E-Mail Impressum
© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -