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Da weint sogar der Bühnenhimmel blut'ge Tränen
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Forster So leicht kommt Tannhäuser seiner Venus nicht davon: Kaum äußert er Abreisepläne, lässt sie einen Kinderwagen hereinrollen. So kann's gehen, wenn man zu lange im Venusberg steckt. Unversehens befindet man sich als Zuschauer in der bürgerlichen Posse, nachdem man sich eigentlich gerade noch im Künstlerdrama wähnte: Ein kolossaler Gipstorso liegt nämlich auf der Bühne (mit neckischem Fensterchen in der rechten Brust, durch das Frau Venus zwischendurch wütend herausschaut). Dieser Torso dient aber im Wesentlichen als Projektionsfläche für wirre Videosequenzen, auf denen man Ultraschallbilder sieht, dann Tannhäuser offenbar als Mediziner und Wissenschaftler, vielleicht führt er Experimente an Menschen durch? Also doch eher ein Science-Fiction-Wissenschaftsdrama? Aber dann wird auf der Bühne dekonstruiert, was das Zeug hält: Das Bühnenbild fährt auseinander und zwei Türme, wacklige Stahlrohrkonstruktionen, werden hereingefahren, und darauf befindet sich die landgräfliche Jagdgesellschaft mit Messlatten und Spitzhacken (oder etwas ähnlichem). Derweil ist der Hirt mit gar niedlichen Flügelchen auf- und abgetreten. Am Ende dieses ersten Aufzugs zünden die edlen Sänger der Wartburg, die praktischerweise auch Benzinkanister bei sich haben, den Pavillon im Hintergrund an, der sich bei dieser Gelegenheit als das Labor entpuppt, aus dem die Videosequenzen vermutlich stammen. Weil zudem die Essener Philharmoniker unter Leitung von Chefdirigent Tomas Netopil ziemlich uninspiriert spielen (fehlt es da in der hier besprochenen zweiten Aufführung an Premierenanspannung?), denkt man sich: Wäre ich doch zuhause geblieben. Der Venusberg wurde gerade wegdekonstruiert, jetzt steht Venus (sic!) irritiert auf der grünen Aue. Das Labor im Hintergrund wird kurz darauf einem Brandanschlag zum Opfer fallen.
Der Blick ins Programmheft hilft: Das Regieteam (Inszenierung: Paul-Georg Dittrich, Ausstattung: Pia Dederichs und Lena Schmid, Video: Vincent Stefan) hat sich ganz furchtbar viel dabei gedacht. Das allermeiste davon ist nicht sonderlich neu oder originell (zwei Frauen, zwei Welten, aber irgendwie gehören sie auch zusammen). Aber, und jetzt wird es interessant (wenn auch nicht auf der Bühne), man habe versucht, "die Frauenfiguren […] umzudeuten und auf andere Weise lesbar zu machen, also alternative Erzählformen für sie zu finden". Also empfindet Venus Muttergefühle, wogegen Elisabeth während Tannhäusers Auftritt beim Sängerkrieg permanent die eigene Brust wollüstig streichelt. Nun ja. Man versuche, auch das ist im Programmheft nachzulesen, "den Tannhäuser anders zu lesen und neue Spuren zu legen". Ach, so einfach geht also das Inszenieren: Mach' irgendwas Ungewöhnliches, deklariere es als "andere Lesart" respektive "neue Spur" - und fertig. Her mit dem Job! Die "teure Halle" ist hier nicht auf der Wartburg angesiedelt, sondern in Raffaels vatikanischem Fresco Die Schule von Athen. Elisabeth erscheint als Madonna auf der Mondsichel.
Ein Ansatz von Konzept wird im zweiten Akt erahnbar, wenn das Bühnenbild Raffaels Fresko Die Schule von Athen aus den vatikanischen Palästen zitiert (was ja durchaus Witz hat, schließlich pilgert Tannhäuser dorthin). Ganz cool in Neonröhren hängt das Jahr der Entstehung MDX über der Szene. Wir befinden uns offenbar in einem Stationendrama, und zuvor im ersten Aufzug war die Venus von Milo das prägende Element, so steht's im Programmheft. Sollte der Gipstorso etwa eben jene berühmte Statue oder wenigstens ein Bruchstück davon darstellen? Der sah doch eher wie das Werk eines drittklassigen Hobbykünstlers aus oder nach Streik der Werkstätten oder eigentlich wie beides zusammen. Oder ist dem Aalto-Theater einfach das Geld ausgegangen (danach schaut eigentlich der gesamte erste Aufzug aus)? Trümmer der Statue findet man übrigens im zweiten Aufzug, im kleineren Format. Perspektivwechsel, die Rolle der Frau und die Wahrnehmung davon, das hätte ein Thema sein können, aber die Regie irrt viel zu unbestimmt herum und verläuft sich in allerlei Aktionismus über die Bühne hinaus, ohne damit irgendein interessantes Moment einkreisen zu können. Elisabeth wird zum Sängerkrieg in einer Art Karnevalswagen hereingefahren, mit Madonnenmantel (nicht blau) auf einer Mondsichel und unter einer Tiara, aus der alsbald Blut strömt, und dann strömt das Blut per Videoprojektion auch vom Himmel die Wände herunter. Später findet Elisabeth ein Messer und droht mit Suizid, sollte die wütende Meute ihrem Tannhäuser etwas antun. Ein Amoklauf könnte diesem Kitsch ein Ende zu bereiten, aber es geht ja noch einen Akt weiter. Immerhin spielt das Orchester jetzt ein wenig spannungsreicher, das Dirigat tritt aber insbesondere beim Sängerkrieg auf der Stelle. Sängerkrieg: Tannhäuser muss gebändigt werden, Venus (vorne) beschwichtigt.
In diesem dritten Aufzug sitzen die Hauptfiguren in einigermaßen heutiger Kleidung nebeneinander auf einer Art Museumsbank und schauen erschöpft ins Publikum. Ein Kind (davon gibt's insgesamt drei) mit Latzhose, Baseballcap und Haare in der Tönung "Aubergine" überstreicht das Bild im Hintergrund, schon wieder die Schule von Athen (aber in der selbstreflexiven Bühnenbildversion des zweiten Aufzugs), mit weißer Farbe, was etwas beruhigend Meditatives hat. Wolfram steht auf und erwürgt Elisabeth, wobei nicht ganz klar ist, ob nicht doch eher Venus das passende Opfer wäre. Auch die Regie sieht das offenbar so und lässt die tote Elisabeth wieder aufstehen und an ihrer Stelle die Venus sich wie tot hinlegen. Tannhäuser kommt von der Pilgerei zurück und singt seine Romerzählung (im Zuschauerraum, damit sind wir alle ein bisschen Tannhäuser). Weil Daniel Johansson mit höhensicherem Tenor hier und an anderen Stellen auch ziemlich pointiert gestaltet und damit ein Stück weit vergessen lässt, dass er anderswo ziemlich ungenau singt und die Töne oft von irgendwoher anschleift, weil der Chor vom Oberrang aus ausgesprochen klangschön singt (Einstudierung: Klaas-Jan de Groot), vor allem weil Astrid Kessler eine sehr gute, intensive Elisabeth abgibt, hat dieser dritte Aufzug doch ordentliches musikalisches Format, jetzt auch orchestral. Betroffenheit allenthalben: (von links) Der Hirt, ein Kind, Venus, Tannhäuser und Wolfram, vorne liegt die ermordete Venus
Wobei nicht unterschlagen werden soll, dass die sängerische Seite insgesamt gut anzuhören ist. Deirdre Angenent ist eine präsente, vergleichsweise lyrische Venus; Albert Pesendorfer (kurzfristig für den erkrankten Karl-Heinz Lehner eingesprungen) ein sonorer Landgraf. Heiko Trinsinger steuert einen soliden, genau deklamierenden Wolfram bei, Mercy Malieloa einen szenisch albernen, vokal präsenten genau gesungenen Hirten. Matthias Frey als Walther von der Vogelweide und Andrei Nicoara als Biterolf ergänzen zuverlässig ein aufmerksames und zuverlässiges Ensemble. Rätselhaft, das ist nachzutragen, erscheint die Wahl der Fassung: Für die Venus-Szene des ersten Aktes und die Finalszene des dritten wählt Dirigent Tomáš Netopil die späte Pariser Fassung (wobei er insbesondere im ersten Akt der raffinierten Klanglichkeit der überarbeiteten Szene an diesem Abend überhaupt nicht gerecht wird und auch dem Regieteam nichts dazu einfällt), ansonsten die konventionellere, dabei geradlinigere Dresdner Fassung. "Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig", hat Wagner selbst über die verschiedenen Fassungen geurteilt. Die Inszenierung zitiert das zwischendurch, was man durchaus selbstironisch verstehen kann. Durch diese Produktion ist man einer Lösung sicher nicht näher gekommen.
Die Inszenierung gibt sich ungemein wichtigtuerisch, ohne ein Thema zu finden, und beeindruckt bestenfalls durch ihren ungebrochenen Hang zu monumentalem Kitsch. Musikalisch nach orchestralen Anlaufschwierigkeiten vor allem der Sängerinnen wegen sehr achtbar. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Video
Co-Video
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Tannhäuser
Hermann, Landgraf von Thüringen
Elisabeth, Nichte des Landgrafen
Venus
Wolfram von Eschenbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Ein junger Hirt
Solokind
Kinder
Vier Edelknaben
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