Warten und Erwartung
Von Thomas Molke /
Fotos von Barbara Aumüller
Lange hat Gabriel Fauré
gebraucht, bis er der Öffentlichkeit seine erste und einzige Oper präsentierte.
Als Komponist von Liedern, Klavier- und Kammermusik wurde er bereits viele Jahre
in Frankreich verehrt, hatte auch schon Schauspielmusiken, unter anderem zu
Pelléas et Mélisande, komponiert, bis er schließlich 1907 ein geeignetes
Sujet für eine Oper fand. Es war die gefeierte Wagner-Sopranistin Lucienne Bréval, die Fauré mit dem
jungen, noch unerfahrenen Autoren René Fauchois und dem Intendanten Raoul Gunsbourg zusammenbrachte, die gemeinsam mit Fauré in Monte
Carlo eine Vertonung von Odysseus' Rückkehr zu seiner Frau Penelope
herausbringen wollten. Bréval, die die Rolle der Penelope interpretieren sollte,
setzte durch, dass die Oper Pénélope genannt und damit die Gattin in
den Mittelpunkt der Handlung gerückt wurde. Da Fauré aufgrund anderer
Verpflichtungen nur in den Sommermonaten komponieren konnte und viele Änderungen
am Textbuch vornahm - so bestand er darauf, dass das ursprünglich fünf Akte
umfassende Libretto auf drei Akte verdichtet wurde -, sollte es bis zum 4. März
1913 dauern, bis die Oper in Monte Carlo zur Uraufführung gelangte, die zwar
als Erfolg gewertet wurde, Faurés Erwartungen allerdings nicht erfüllte.
Gunsbourg interessierte sich zu diesem Zeitpunkt vielmehr für seine eigene Oper
Venise, die kurz nach Pénélope Premiere feierte und vom
Intendanten nicht ohne Eigennutz engagierter beworben wurde. Einen Triumph mit
der Oper erlebte Fauré dann zwei Monate später in Paris im brandneuen Théâtre
Astruc. Doch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs schwand das Interesse an
Faurés Oper. 1919 und 1943 wurde sie noch einmal in Paris auf den Spielplan
gestellt und führt
seitdem ein Schattendasein, vor allem außerhalb Frankreichs. 2002 war in
Chemnitz die deutsche Erstaufführung zu erleben, und auch das auf Raritäten
spezialisierte Wexford Festival Opera entdeckte das Werk 2005 für sich. Nun
unternimmt das Opernhaus Frankfurt einen weiteren Versuch, das Werk dem
Vergessen zu entreißen.
Die Freier (von links: Eurymaque
(Sebastian Geyer), Ctésippe (Dietrich Volle), Léodès (Ralf Simon), Pisandre (Danylo
Matviienko) und Antinous (Peter Marsh)) bemerken Pénélopes (Paula Murrihy)
Betrug (im Hintergrund sitzend: Ulisse (Eric Laporte)).
Die Handlung
basiert auf den letzten Kapiteln von Homers Odyssee. Der listenreiche Odysseus (Ulysse),
König von Ithaka, ist auch zehn Jahre nach Ende des Trojanischen Krieges noch
nicht zu seiner Frau Penelope (Pénélope) zurückgekehrt, so dass bei ihr Zweifel
aufkommen, dass ihr Mann überhaupt noch lebt. Mittlerweile haben sich zahlreiche
Freier im Palast von Ithaka eingefunden - bei Fauré sind es im Gegensatz zu
Homers Epos nur fünf -, die um Penelopes Hand und damit auch die
Königsherrschaft von Ithaka buhlen. Penelope vertröstet sie unter dem Vorwand,
dass sie erst das Leichentuch für Odysseus' verstorbenen Vater Laertes
fertigstellen müsse, bevor sie eine neue Ehe eingehen könne. Während sie
tagsüber an dem Leichentuch webt, trennt sie des Nachts die Fäden wieder auf, um
Zeit zu gewinnen. Als der Betrug auffliegt, fordern die Freier sie auf, am
nächsten Tag endgültig einen Ehemann zu wählen. In dieser Situation kehrt
Odysseus verkleidet als Bettler zurück, gibt sich allerdings nicht zu erkennen.
Penelope rät er, den Freier zu wählen, der in der Lage sei, den Bogen des
Odysseus zu spannen. Als dies keinem gelingt, spannt er selbst den Bogen, tötet
die Freier und offenbart sich seiner Frau als der lange verschollene Gatte. Auf
Odysseus' Sohn Telemachos und das Eingreifen der Götter wird in Faurés Version
verzichtet.
Pénélope (Paula Murrihy) und
Ulisse (Eric Laporte) erkennen einander nach 20 Jahren nicht wieder (links im
Hintergrund: Euryclée (Joanna Motulewicz)).
Das Regie-Team um Corinna Tetzel
interessiert sich vor allem für die Frage, was jahrelanges Warten auf einen
geliebten Menschen mit einer Frau in der heutigen Zeit macht. So sieht Tetzel
Pénélope als durchaus emanzipierte Frau, die sich in den 20 Jahren von Ulysses
Abwesenheit von ihm merklich entfremdet hat. Als "starke" Frau trägt Pénélope
einen schwarzen Hosenanzug, der sie mit der sie umgebenden Männerwelt in Form
der fünf Freier auf eine gleichberechtigte Stufe stellt. Das Leichentuch, das
sie für Ulisses Vater webt, trägt sie unter diesem Hosenanzug am eigenen Leib.
Durch eine Hochzeit mit einem der Freier würde sie sich folglich gewissermaßen
selbst begraben. Doch so weit will sie es nicht kommen lassen. Deshalb löst sie
die ineinander verschlungenen Bänder des weißen Gewandes immer wieder auf. Wenn
die Freier den Bogen von Ulisse spannen sollen, werden sie vorher von den
Dienerinnen mit weißen Tüchern, die als Fäden des Leichentuchs interpretiert
werden können, "umsponnen", was andeuten mag, dass sie nun selbst dem Tod geweiht sind.
Der zu spannende Bogen existiert nur in der Fantasie. Stattdessen hält Pénélope
einen Dolch in der Hand, den Ulisse in Richtung der Freier führt. So ist es
scheinbar sie selbst, die sich mit Ulisses Hilfe der Freier entledigt.
Der Beziehung zwischen Pénélope und Ulisse vertraut Tetzel am Ende nicht. So
lässt sie das Ehepaar beim Schlussjubel der Musik in einiger Entfernung
voneinander stehen.
Ulisse (Eric Laporte, oben
Mitte) will mit Eumée (Božidar Smiljanić) und den Hirten (Opernchor)
Rache nehmen (vorne: Pénélope (Paula Murrihy)).
Das Bühnenbild von
Rifail Ajdarpasic besteht aus mehreren Ebenen und ermöglicht eine räumliche
Trennung zwischen den einzelnen Figuren. Die Bühne wird von einem riesigen
Podest beherrscht, auf das aus dem Inneren zwei Treppen führen. Dieses Podest
soll wohl den Palast darstellen, der mittlerweile durch die lange Anwesenheit
der Freier ein wenig heruntergekommen wirkt. So befinden sich fünf alte rote
Stühle und eine rostige Parabol-Antenne auf dem Podest, wobei nicht klar wird,
welchen Sinn diese Antenne hat. Dahinter sieht man vereinzelte Bäume vor einer
Leinwand, die mal ein Bild vom Podest projiziert, auf dem Pénélope einsam
wartet, dann Pénélope und Ulisse in einer Umarmung zeigt, die nicht gerade von
Zärtlichkeit zeugt. Vor dem Podest scheint der Strand zu liegen, den Pénélope
immer wieder auf die Rückkehr ihres Gatten hoffend aufsucht. Wieso im zweiten
Akt hier Flaschen aufgestellt sind, die mit weißen Rosen geschmückt sind,
erschließt sich genauso wenig wie der Hirte, der die Rosen mit Pfeilen
austauscht. Eindrucksvoll gelingt Pénélopes Auftritt am Strand im zweiten Akt,
wenn ihr der als Bettler verkleidete Ulisse Gesellschaft leistet. Ulisse bleibt
dabei auf dem Podest hinter einem Gaze-Vorhang stehen, wobei eine Projektion auf
diesen Vorhang Pénélope vielleicht erahnen lässt, dass es sich bei dem
Bettler um ihren Gatten handelt. Wenn es zur Prüfung mit dem Bogen kommt, wird
das Podest in der Mitte geteilt und trennt die Freier von Pénélope und Ulisse.
Die Freier werden zwar auf der linken Seite gemeuchelt, verschwinden aber noch
relativ lebendig über die Treppe aus dem Palast.
Pénélope (Paula Murrihy) und
Ulisse (Eric Laporte, rechts) haben sich wiedergefunden (links: Eumée (Božidar Smiljanović)).
Musikalisch weist
das Werk wunderbare Passagen auf, die bedauern lassen, dass die Oper so selten
zu sehen ist. Faurés Musik hat einerseits leitmotivischen Charakter, was sie in
die Nähe von Richard Wagner rückt, begeistert andererseits durch spätromantische
Klangfülle und pendelt zwischen impressionistischer Farbigkeit und
klassizistischer Schönheit. Dabei wird deutlich, dass Fauré ein erfahrener
Liedkomponist ist, da er stets die Stimme in den Mittelpunkt stellt und niemals
vom Orchester überdecken lässt. Joana Mallwitz lotet mit dem Frankfurter Opern-
und Museumsorchester diese Nuancen detailliert aus und lässt das Publikum in
einen bewegenden Klangrausch eintauchen. Die Solisten lassen ebenfalls keine
Wünsche offen. Paula Murrihy kehrt für die Titelpartie an ihre langjährige
Wirkungsstätte nach Frankfurt zurück und setzt mit warmem Mezzosopran und
intensivem Spiel Akzente. Murrihy gestaltet Pénélope als moderne Frau, die es
durchaus mit den Freiern aufnehmen kann und für die der zurückgekehrte Ulisse
ein Fremdkörper bleibt. Eric Laporte begeistert in der Partie des Ulisse mit
leuchtendem Heldentenor und sauber ausgesungenen Höhen, die eine bewegende
Leichtigkeit besitzen und zu keinem Zeitpunkt angestrengt klingen. Mit Murrihy gelingen ihm vor allem im zweiten Akt
musikalisch großartige Momente. Darstellerisch macht auch er deutlich, dass er
nicht weiß, wie er mit der Rückkehr nach 20 Jahren umgehen soll. Joanna
Motulewicz stattet die Amme Euryclée mit dunkel gefärbtem Mezzosopran aus. Auch
sie lässt sich von den Freiern nicht
einschüchtern. Peter Marsh, Sebastian Geyer, Ralf Simon, Dietrich Volle und
Danylo Matviienko überzeugen stimmlich und darstellerisch als unsympathische
Freier mit aufdringlichem Spiel.
Božidar Smiljanić punktet als alter Hirte Eumée mit dunklem Bass. Die
Dienerinnen (Nina Tarandek, Angela Vallone, Bianca Andrew, Julia Moorman und
Monika Buczkowska) und der gut disponierte Opernchor unter der Leitung von
Markus Ehrmann runden den musikalischen Genuss überzeugend ab, so dass es am
Ende verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt, in den sich auch das
Regie-Team einreiht.FAZIT
Musikalisch hätte Faurés einzige Oper Pénélope einen festen Platz im
Repertoire verdient. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Bühnen der Oper Frankfurt
folgen werden.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Joana Mallwitz Inszenierung
Corinna Tetzel Bühnenbild
Rifail Ajdarpasic Kostüme Raphaela Rose
Licht
Jan Hartmann
Video
Bibi Abel Chor
Markus Ehmann Dramaturgie
Stephanie Schulze Frankfurter Opern- und
Museumsorchester Chor der Oper Frankfurt
Solisten
*Premierenbesetzung
Pénélope
Paula Murrihy
Ulysse
Eric Laporte
Euryclée
Joanna Motulewicz
Eumée
Božidar Smiljanić
Antinous
Peter Marsh
Eurymaque
Sebastian Geyer
Léodès
Ralf Simon
Ctésippe
Dietrich Volle
Pisandre
Danylo Matviienko
Cléone
Nina Tarandek
Mélantho
Angela Vallone
Alkandre
Bianca Andrew
Phylo
Julia Moorman
Lydie
Monika Buczkowska
Eurynome
Julia Katharina Heße
Ein Hirte
Anna Sophia Beller /
*Luise Rahe
Weitere Informationen
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Oper Frankfurt
(Homepage)
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