Prachtvoller Belcanto mit verworrener Handlung
Von Thomas Molke /
Fotos von Barbara
Aumüller
Auch wenn Vincenzo Bellinis letzte Oper I puritani als ein musikalisches
Meisterwerk
gilt, das sich kurz nach der Uraufführung schnell in ganz Europa verbreitete,
hat das Stück heute nicht mehr den gleichen Bekanntheitsgrad wie beispielsweise
Norma, La sonnambula oder I Capuleti e i Montecchi, die
noch zum Standardrepertoire der Opernhäuser zählen. Lange Zeit betrachtete man
das Werk als letztes großes Monument der Epoche des Belcanto, bei dem die Messlatte
für Sopran und Tenor relativ hoch angelegt ist, so dass es zahlreiche
Möglichkeiten bot, vokal zu glänzen, aber ebenso die Gefahr des Scheiterns
relativ groß war. Das berühmte Duett von Riccardo und Giorgio am Ende des
zweiten Aktes, "Suoni la tromba", hat seit der Risorgimento-Bewegung für die
Italiener einen ähnlich patriotischen Charakter wie Verdis Gefangenenchor "Va,
pensiero" aus Nabucco. Lediglich das Libretto wurde von Anfang an als
problematisch erachtet, was schließlich auch dazu führte, dass die Oper später
meistens auf einzelne Auszüge in diversen Galakonzerten reduziert wurde. Ein
Grund dafür mag Bellinis Zerwürfnis mit seinem langjährigen Librettisten Felice
Romani nach dem Misserfolg seiner Oper Beatrice di
Tenda gewesen sein. Sein neuer Textdichter Graf Carlo Pepoli war bei weitem nicht so routiniert wie Romani, und so musste Bellini
immer wieder selbst in den Text eingreifen. Entstanden ist ein Werk, das zwar
wunderbare Melodienbögen aufweist, im dramaturgischen Ablauf allerdings sehr
holprig daherkommt.
Brenda Rae als Elvira
Die Handlung spielt
um 1650 im englischen Bürgerkrieg. Der puritanische Gouverneur Lord Gualtiero
Valton hat eingewilligt, seine Tochter Elvira mit dem königstreuen Lord Arturo
Talbot zu verheiraten, was den Oberst Sir Riccardo Forth sehr belastet, da dieser
ebenfalls in Elvira verliebt ist und sie ihm einst von Valton als Braut
versprochen worden ist. Elvira ist glücklich über die bevorstehende Hochzeit mit
Arturo und will gerade ihren Brautschleier ausprobieren, als Arturo in einer
Staatsgefangenen die Witwe des Stuart-Königs Karl I., Enrichetta, erkennt und
sich verpflichtet fühlt, sie zu retten. Er verbirgt sie unter Elviras
Brautschleier und ergreift gemeinsam mit ihr die Flucht. Riccardo lässt die beiden
passieren, weil er hofft, auf diesem Weg Elvira zurückgewinnen zu können. Als
er Elvira allerdings darüber in Kenntnis setzt, dass Arturo sie mit einer anderen Frau
verlassen habe, verliert die junge Frau den Verstand. Arturo wird wegen Hochverrats vom
Parlament zum Tode verurteilt. Riccardo triumphiert, aber Elviras Onkel Giorgio
kann ihn überreden, Arturo aus Liebe zu Elvira zu retten. Auf der Flucht gelangt
Arturo schließlich zu Elvira und kann ihr seine Beweggründe für sein
Verschwinden erklären. Elvira gewinnt ihren Verstand zurück, doch droht ihn
erneut zu verlieren, als Arturo von den Puritanern gestellt und sein
Todesurteil verkündet wird. Im allerletzten Moment taucht ein Bote mit der
Nachricht auf, dass die Stuarts vernichtend geschlagen worden seien und alle
politischen Gegner begnadigt werden sollen. So kann die Hochzeit zwischen Elvira
und Arturo doch noch stattfinden.
Riccardo (Iurii Samoilov) will
Elvira (Brenda Rae) zurückgewinnen.
Das Regie-Team um
Vincent Boussard vertraut dieser kruden Handlung nicht und bettet die Geschichte
in eine Rahmenhandlung ein, die das Geschehen nachvollziehbarer machen soll.
Ausgangspunkt ist für ihn Bellinis Begräbnis im Invalidendom in Paris, bei der
Arturos letzte Arie in ein "Lacrimosa" umgewandelt und von den Sängern der
Uraufführung, allen voran von dem Startenor Giovanni Battista Rubini,
vorgetragen worden sein soll. So verlegt Boussard die Geschichte nach Paris
1835 in ein bis auf die Grundmauern ausgebranntes Theater, in dem eine
Trauerfeier für den kürzlich verstorbenen Komponisten abgehalten wird. In einem
bombastischen Bühnenbild von Johannes Leiacker, das in opulenten Ausmaßen die
Ruinen eines Theaters mit zahlreichen Logen zeigt, wo das vergangene Wüten des
Feuers noch an verbrannten Überresten zu erkennen ist, die wie totes, schwarzes
Laub über den Bühnenboden wehen, und ein schwarzer Flügel als Manifest einer
vergangenen Zeit die Bühne beherrscht, sieht man noch vor der Ouvertüre eine Frau in
einem schwarzen üppigen Abendkleid (Sofia Pintzou), die beinahe wie ein Vampir
einen Mann im schwarzen Anzug mit hohem Zylinder so heftig liebkost, dass er
schließlich leblos zusammenbricht. Dabei soll es sich wohl um den Komponisten
Bellini handeln, dessen plötzliches Ableben zahlreiche Fragen aufgeworfen hat.
Unter anderem wird auch spekuliert, dass er von einer verschmähten Geliebten
vergiftet worden sein soll. Nach beeindruckenden Videoprojektionen von
Isabel Robson treten zur Ouvertüre nach und nach der Chor und weitere
Protagonisten des Stücks in die Theaterruine. Die Kostüme von Christian Lacroix
sind dabei vor allem bei den Frauen sehr aufwendig und opulent gestaltet.
Aussprache zwischen Arturo (John
Osborn) und Elvira (Brenda Rae)
Da die Männer
zunächst alle in einem schwarzen Anzug mit hohen Zylindern gleich aussehen
und dazu auch noch eine Maske vor dem Gesicht tragen, sind sie zunächst schwer auseinanderzuhalten, und man kann nur dann verstehen, wer
gerade
singt, wenn man die Handlung kennt oder sehr aufmerksam die Übertitel studiert. Für das Verständnis förderlich ist
dieser abstruse Regie-Einfall sicherlich nicht. Im Programmheft arbeitet Boussard in einem Artikel einige Parallelen zwischen Bellini und seinem
Protagonisten Arturo heraus. Wenn man jetzt aber glaubt, Bellini übernehme in
der Inszenierung dessen Rolle, ist das weit gefehlt. Zu Beginn hat man den
Eindruck, dass Bellini sich in Elviras Verehrer Riccardo verwandelt. Am Ende kann es
eigentlich nur dessen Freund Sir Bruno Robertson sein, da die anderen Figuren
für die Schlussszene schon alle vorher auf der Bühne stehen und nach der Pause
zumindest Riccardo und Arturo sich kostümtechnisch von den übrigen Protagonisten
unterscheiden. Auch der dritte Akt weist zahlreiche Ungereimtheiten auf. So ist
es Elvira selbst, die das Todesurteil über Arturo nicht nur verkündet, sondern
auch gleichzeitig noch vollstreckt und ihn erschießt. Allerdings ist ja wohl
alles nur Spiel. So erhebt sich Arturo anschließend von den Toten, und
wenn dann die Niederlage der Stuarts gefeiert wird, läuft die ehemalige Königin Enrichetta
fröhlich zwischen den anderen Figuren hin und her und bändelt sogar mit Sir
Giorgio an. Nach dem allgemeinen Schlussjubel fällt dann schließlich noch ein
Schuss, und die Frau, die anfangs den Komponisten zu Fall gebracht hat, bricht
tot hinter einem Vorhang zusammen. Das verstehe, wer will. Da hätte man auch bei
der ursprünglichen Geschichte bleiben können. Ein Großteil des Publikums scheint
das ähnlich zu sehen, da das Regie-Team beim Schlussapplaus mit einigen
Unmutsbekundungen empfangen wird. Dabei können das Bühnenbild von Leiacker, die Kostüme von Lacroix und die Videoprojektionen von Robson als
durchaus gelungen bezeichnet werden, was leider bei dem Protest des Publikums
ein wenig untergeht..
Happy End am Klavier: von links:
Elvira (Brenda Rae), hinten: Lord Valton (Thomas Faulkner), mit dem Rücken: Sir
Giorgio (Kihwan Sim), Enrichetta (Bianca Andrew) und Arturo (John Osborn) (oben:
Chor)
Musikalisch lässt
der Abend keine Wünsche offen. Die hervorragende Sängerriege beschert mit
wunderbaren Melodien den Zuschauern einen Glücksmoment nach dem nächsten und
belegt, dass die Oper musikalisch wirklich ein Meisterwerk ist. Da ist zunächst
Brenda Rae als Elvira zu nennen. Mit intensivem Spiel und glasklaren, halsbrecherischen Koloraturen gestaltet sie
glaubhaft die Labilität und innere Zerrissenheit der
jungen Frau. Mädchenhaft naiv präsentiert sie die Partie zu Beginn des ersten
Aktes, wenn sie in einer Cabaletta mit ihrem Onkel Giorgio ihrer Freude darüber
freien Lauf lässt, dass ihr Vater seine Zustimmung zu einer Hochzeit mit Arturo
gegeben hat, und auch ihre Cabaletta "Son vergin vezzosa", in der sie sich mit
dem Schleier auf die bevorstehende Feier vorbereitet, gestaltet Rae mit frischer
Leichtigkeit und großer Beweglichkeit in den Läufen. Regelrecht zerbrechlich
präsentiert sie dann ihre große Wahnsinnsszene im zweiten Akt, "O rendetemi la
speme", wenn sie sich von Arturo verraten glaubt. John Osborn meistert die
anspruchsvolle Partie des Arturo mit höhensicherem Tenor, auch wenn er in den
extremen Spitzentönen ein wenig forcieren muss. Seine Auftrittskavatine im
ersten Akt, "A te, o cara", wenn er Elvira seine Brautgabe überreicht, und seine
Verzweiflungsarie im dritten Akt, "Credeasi, misera", wenn er fürchtet, zum Tode
verurteilt zu werden, nachdem er erneut einen kurzen Moment des Glücks mit
Elvira erleben durfte, avancieren mit Osborns weicher Stimmführung zu weiteren
Höhepunkten des Abends.
Iurii Samoilov
punktet als Riccardo mit markantem Bariton, der auch in den Höhen enorme
Durchschlagskraft besitzt. Mit großer Emotion spielt er die tiefen Gefühle für
Elvira aus und macht das Handeln der Figur damit gut nachvollziehbar. Kihwan Sim
begeistert als Sir Giorgio mit kraftvollem Bass. Im Duett mit Rae findet er im
ersten Akt zu einer betörenden Innigkeit, die nachvollziehbar macht, wieso
Elvira ihren Onkel als "padre" bezeichnet. Auch im zweiten Akt gelingt es ihm
stimmlich sehr überzeugend, Riccardo von seinen Racheplänen abzubringen, da er
erkennt, dass Elvira durch Arturos Tod nur noch größeres Leid erfahren würde.
Das große Duett "Suoni la tromba" wird von Sim und Samoilov sehr emotionsgeladen
gestaltet. Bianca Andrew punktet als abgesetzte Königin Enrichetta mit warmem
Mezzosopran. Thomas Faulkner und Michael Porter runden als Elviras Vater Lord
Valton und Riccardos Freund Sir Bruno Robertson das Solisten-Ensemble
überzeugend ab. Großes leistet auch der von Tilman Michael einstudierte Chor der
Oper Frankfurt, der einiges auf und auch hinter der Bühne zu singen hat. Tito
Ceccherini taucht mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester tief in die
Partitur ein und zaubert wunderbare Melodienbögen aus dem Orchestergraben, so
dass es verdienten Jubel für die musikalische Leistung des Abends gibt.FAZIT
Bellinis letzte Oper I puritani ist musikalisch wirklich ein Meisterwerk.
Szenisch kann Vincent Boussards Regie aber nicht über die Mängel des Librettos
hinwegtäuschen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Tito Ceccherini Inszenierung
Vincent Boussard Bühnenbild
Johannes Leiacker Kostüme
Christian Lacroix
Licht
Joachim Klein Video
Isabel Robson Chor
Tilman Michael
Dramaturgie
Zsolt Horpácsy Frankfurter Opern- und
Museumsorchester Chor der Oper Frankfurt
Solisten
*Premierenbesetzung
Elvira
*Brenda Rae /
Zuzana Marková
Lord Arturo Talbot
John Osborn
Sir Riccardo Forth
Iurii Samoilov
Lord Gualtiero Valton
Thomas Faulkner
Sir Giorgio
Kihwan Sim
Sir Bruno Robertson
Michael Porter
Enrichetta di Francia
*Bianca Andrew /
Kelsey Lauritano
Eine Frau
Sofia Pintzou
Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)
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