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Liebe, Hoffnung, Erinnerung Von Christoph Wurzel / Fotos von Barbara Aumüller "Der ferne Klang" - welche Metapher wäre passender für die Sehnsucht eines Komponisten nach dem Vollkommenen? In Franz Schrekers Oper träumt der junge Fritz von einem der Welt entrückten, selig harmonischen, reinen und idealen Klang. Dieses Ziel wird er nicht erreichen. Seine Oper "Die Harfe" fällt bei der Uraufführung durch. Wonach er sein Leben lang sucht, hätte er allerdings in einer erfüllten Liebe finden können. Doch in seinem überheblichem Geniewahn verlässt er Grete, die ihn liebt und flieht in die Welt, um ein Künstler "von Gottes Gnaden" zu werden. Dadurch verliert diese junge Frau all ihren Halt, den ihr prekäres Elternhaus mit dem sprechenden Namen Graumann ihr nicht bieten kann und flieht ebenfalls in die Welt, die aber nur illusionäre Erfüllung verspricht. In der "Casa di maschere", dem "Rendezvousort der galanten Welt von Venedig", also einem Edelbordell, wo Schreker den zweiten Akt spielen lässt, genießt sie, nun als Männerschwarm Greta, die Freuden eleganten, luxuriösen Vergnügens, erotischen Genusses und hingebungsvoller Verehrung. Beide Leben scheitern in dieser Oper, beide Protagonisten leben für irreale Ideale an ihren Leben vorbei. Als sie am Schluss doch noch die Chance bekommen zusammenzufinden, ist Fritz ob seines künstlerischen Scheiterns zu Tode erschöpft und Grete im sozialen Elend versumpft. Es ist nur ein scheinbar verklärendes Ende, wenn Grete den sterbenden Fritz schlussendlich in die Arme schließt. Schrekers Musik suggeriert keine finale Harmonie. Zwischen romantische Orchesterklänge mischen sich düstere es-Moll-Akkorde, der Tonart einer "ermatteten Traurigkeit" wie einst Berlioz sie beschrieb. Zwar hängt in dieser Inszenierung der Himmel in diesem Moment tatsächlich voller Geigen (und anderer Instrumente), die aber bleiben unerreichbar und nur bloße Vision. Schlussbild: Fritz (Ian Koziara) stirbt in Gretes Armen (Jannifer Holloway) Sehr poetisch und psychologisch tiefgründig hat Damiano Michieletto Schrekers Oper am Uraufführungsort 107 Jahre nach der damals sensationell erfolgreichen Premiere in Frankfurt ebenda als Neuproduktion inszeniert. Konsequent, weil es das Textbuch eindeutig nahelegt, erzählt er die Geschichte aus der Sicht der weiblichen Hauptfigur. Schon zum Vorspiel sieht man die gealterte Grete (gedoubelt von Steffie Sehling), wartend in einem Altersheim im Sessel sitzend. Eine Konfektschachtel in der Hand scheint sie jemanden besuchen zu wollen. Im Hintergrund hinter einem halb durchsichtigen Gazevorhang sieht man Bewohner des Heims in ihrem typischen Alltag. Solche Heimszenen werden sich wiederholen und man erkennt: Die alte Frau rekapituliert ihr Leben. Die Geschehnisse der eigentlichen Opernhandlung sind ihre Erinnerungen. Ihr Warten hat nur noch ein Ziel - die Erfüllung ihrer Sehnsucht nach dem Geliebten buchstäblich bis zum Tod. Schon als Greta in der glitzernden Welt des Etablissements in Venedig hatte sie gespürt, dass ihre Liebe nur eine Hoffnung ist und einzig die Erinnerung noch ihr Lebensfunke. Berührend ist, wie behutsam und empathisch der Regisseur hier mit den Augen des gealterten Paares ihr nicht gemeinsames, aber verbundenes, viele Jahre umspannendes Leben betrachten lässt . Auch Fritz wird in kurzen Zwischensequenzen gezeigt, zuerst (in großformatiger Videoprojektion) im Schaffensrausch bei der Komposition seiner Oper und später im Altersheim verbittert, resigniert und schließlich gebrochen, wenn er sich sein endgültiges Scheitern als Komponist eingestehen muss. Dieser Moment der Uraufführung seiner Oper ist im 3. Akt selbst eindrucksvoll auf der Hinterbühne als Theater auf dem Theater vom Publikum mitzuerleben.
![]() Traum? Erinnerung? Versöhnung? Eines der zahlreichen poetischen Bilder dieser Produktion: der alte Fritz (Martin Georgi und die junge Grete (Jennifer Holloway) - der junge Fritz (Jan Koziara) und die alte Grete (Steffie Sehling) Für Grete scheint die Erinnerung zugleich auch Bewältigung eines Traumas zu sein, das ihr Leben überschattet, seit ihr Vater sie als junge Frau im Suff an einen Kneipenwirt verschachern wollte und dieser sich darauf die Freiheit zur Übergriffigkeit nahm. Ähnliches wiederholt sich (zehn Jahre später) im Bordell, wo sich Greta in einer Art Wiederholungszwang dann sogar selbst zum Preis für die extravaganteste Geschichte aussetzt, was von zwei Männern gleich zu obskuren Balladen genutzt wird. Und sie versteigt sich sogar dazu, den plötzlich aufgetauchten Fritz, nach dessen Liebe sie sich immer gesehnt hat, barsch zurückzuweisen, weil er sie heiraten möchte. Schließlich muss Grete (weitere fünf Jahre später) bei der Aufführung von Fritz' Oper nochmals dieselbe Szene aus ihrer Jugend auf der Bühne gespielt erleben, worauf sie im Theater zusammenbricht. Subtil aber deutlich weist der Regisseur darauf hin, wie sehr Schreker als Librettist um 1910 ganz Zeitzeuge der aufkommenden Lehre Sigmund Freuds gewesen ist. Und die immer wieder vor und zurückgeschobenen Gazevorhänge, die nur schemenhafte Durchblicke gewähren, stehen eindrücklich auch wohl als Symbole für die Schichten des Bewusstseins. Schrekers Musik, in der Zwischenzeit der beiden Kriege ungemein erfolgreich, dann v. a. durch das Naziverdikt gleichsam komplett ins Vergessen gestoßen, blieb bis auf wenige Ausnahmen seit 1945 ungehört, bis Michael Gielen mit seinem untrüglichen Gespür für Qualität als Frankfurter GMD mit den Gezeichneten zuerst wieder eine Schreker-Oper aufs Programm setzte. Wieder gab Frankfurt die Initialzündung und langsam begann dann von hier ausgehend eine Schreker-Renaissance, die bis heute die Werke dieses Komponisten zu Bestandteilen des Repertoires werden ließ. Eine schöne Geste, dass die Oper Frankfurt diese Produktion dem jüngst verstorbenen Michael Gielen gewidmet hat. Dennoch bleiben Aufführungen der Werke von Franz Schreker eine enorme Herausforderung; denn nicht allein die schwer zu interpretierenden Stoffe, besonders auch die Musik bedeuten für ein Opernhaus höchst artifizielle Bemühungen. Die erhellende, aber nicht mit einem Konzept überfrachtete Regie ist der eine Vorzug dieser Frankfurter Produktion. Es ist auch die musikalische Gestaltung durch das Opernorchester unter der Leitung von Sebastian Weigle, die den Fernen Klang zu einem großen Ereignis macht. Weigle schafft es, die stilistische Vielfalt der Musik prägnant herauszuarbeiten. Bei all dem musiziert das Orchester ausnehmend klangschön. Schon im Vorspiel fasziniert diese musikalische Sorgfalt in ihrer Differenzierung und Plastizität der Klangschichten, die Schrekers besonderen, singulären Stil ausmachen. Atmosphärisch berückend ist da ein Züngeln, Flirren, Beben und Wogen der Klänge zu spüren, bis sich schließlich im Schlussakt durch die Celesta der ferne Klang bezaubernd verströmt. Hochdramatisch bäumt sich der Klang in der Verwandlungsmusik im 1. Akt auf, wenn Grete nach der Flucht aus dem Elternhaus in Todessehnsucht sich am liebsten im nahen See das Leben nähme. Und dann zu Gretes Vision eines neuen Lebens erblüht der Klang wie ein Idyll hell und erlösend strahlend auf. Mittels digitaler Wellen und Strömungen, die auf die weißen Vorhänge projiziert werden, wird auch das Auge in die weit gespannte Sinnlichkeit dieser Aufführung einbezogen. Dazu gehören auch die phantasievoll entworfenen Kostüme von Klaus Bruns für die extravagante Gesellschaft in "Haus der Masken" im 2. Akt. Der nahe ferne Klang: Ian Koziara als Fritz
Fordernd ist
diese Oper vor allem auch für die Solisten der Hauptrollen. Lyrik und
Dramatik führt Schreker im Orchester wie in den Gesangspartien eng
zusammen. Jennifer Holloway als Grete / Greta erfüllt mit ihrem
sensibel geführten, gleichermaßen in der Höhe strahlenden wie lyrisch
warmem Sopran diese Anforderungen an die Partie beeindruckend.
Darstellerisch bleibt sie als durchsetzungsstarke Person in allen
Phasen dieses Frauenlebens absolut überzeugend. Das einzige Problem
zugleich auch bei den meisten anderen Solistinnen und Solisten ist eine
schwache Textverständlichkeit, wenn sie weiter hinten auf der Bühne
agieren müssen und zugleich das Orchester recht laut hochfährt. Auch
Ian Koziara in der Rolle des Fritz hat vor allem im ersten Akt mit
diesem Problem zu kämpfen. Am Premierenabend im 1. Akt noch etwas
zurückgenommen, singt er
sich mehr und mehr frei und entwickelt auch in der Höhe die nötige
Strahlkraft. Die meisten der übrigen zahlreichen Rollen hat die
Frankfurter Oper aus dem Haus und dem Opernstudio besetzt. Vor allem
Gordon Bintner als Graf mit der Ballade vom bleichen König und Theo
Lebow als Chevalier mit dem auch glänzend choreografierten Couplet von
den Blumenmädchen in Sorrent präsentieren sich mit vokal
eindrucksvoller Gestaltung. Nadine Secunde, einst große Strauss- und
Wagnerinterpretin, gibt der zwielichtigen Rolle der Alten Frau mit
flackernder Stimme Gestalt. Leider ist der Text dieser Schlüsselszene
im 1. Akt, in der Grete in die Welt des sinnlichen Genusses
gelockt wird, kaum zu verstehen. Anthony Robin Schneider ist in
zynischer Drastik und aggressiver Lüsternheit ein eindrucksvoll
präsenter Wirt. Großes leistet zum wiederholten Mal der Frankfurter
Chor, der die Parallelführung der unterschiedlichsten Gruppen im Gewirr
der Lustbarkeiten im venezianischen Edelbordell zu bewältigen hat. FAZIT
Erneut hat
sich die Oper Frankfurt um Franz Schreker verdient gemacht. Eine
subtile Regie, prächtiger Orchesterklang und ein überzeugendes Ensemble
machen diese Produktion zu einem Erlebnis: Der ferne Klang
schwingt lange nach.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Frankfurter Opern- und Chor der Oper Frankfurt Solisten
Grete Graumann
Fritz
Der Wirt des Gasthauses "Zum Schwan"
Ein Schmierenschauspieler
Der alte Graumann / zweiter Chorist
Seine Frau
Dr. Vigelius, ein Winkeladvokat
Ein altes Weib
Mizi
Milli / Die Kellnerin
Mary
Eine Spanierin
Der Graf
Der Baron
Der Chevalier / Erster Chorist
Rudolf Ein zweifelhaftes Individuum
Ein Polizeimann / Ein Diener
Die alte Grete
Der alte Fritz
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