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Jede Frau eine Carmen, jeder Mann ein Torero?
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Jung Carmen - das ist die Verführerin schlechthin, die beständig Untreue, die am Ende dafür mit ihrem Leben bezahlen muss. Eine freiheitsliebende Zigeunerin, als Schmugglerin der Halbwelt zugehörig. Prototyp der starken Frau, sexuell selbstbestimmt - oder doch mehr Ausgeburt einer Männerphantasie, die von der verbotenen libertinären Erotik träumt und im gleichen Atemzug den Schuldspruch verhängt? (Wohlgemerkt: Gegen die Frau.) Fast alle Carmen-Inszenierungen bemühen sich inzwischen, die unvermeidlichen Stereotypen (oder wenigstens den gröbsten Folklorekitsch) zu vermeiden, und ähneln sich am Ende doch. Die junge niederländische Regisseurin Lotte de Beer, die in Essen schon eine beachtliche Rusalka inszeniert hat, geht einen Schritt weiter und stellt die Frage, wie es überhaupt zu solchen Rollenzuschreibungen kommt. Also Carmen unter der Gender-Brille - geht das gut? Na ja, in Teilen. Wer hat hier wen im Griff? Carmen und Don José
Im Grunde gibt es in dieser Inszenierung nur zwei Rollen, eine Frau und einen Mann. Alle Frauen in der Oper tragen im Wesentlichen das gleiche Kostüm, und nicht anders ist es bei den Männern. Zur Ouvertüre sieht man den Chor komplett in Frauenkleidern (und zwar alle im gleichen Kostüm, folkloristisch angehaucht mit Bluse, Tuch und langem Rock), Frauen wie Männer. In Sekundenschnelle sind die weiblichen Accessoires allerdings abgelegt, und dann stehen alle in der Männertracht da. Im vierten Akt wiederholt sich das noch einmal. Trägt man sein Geschlecht also wie eine Rolle mit sich? (Und kann man es so einfach wechseln wie eine Rolle?) Carmen wird bei ihrem ersten Auftritt von den Männern erst einmal zurechtgemacht, die Bluse aufgerissen und der Rock an einer Seite hochgesteckt - so wollen die Männer diese Frau offenbar sehen. In einer späteren Szene sieht man die Kinder des Kinderchors in Frauenkleidung, agierend wie willenlose Puppen. Problematisch wird es nicht erst dann, wenn die Regie nichts aus unterschiedlichen Rollenentwürfen macht wie aus dem Gegensatz von Carmen und Micaela, die doch von Libretto und Musik her der bürgerliche Gegenentwurf zu Carmen ist; aber hier wird der Gegensatz kaum herausgestellt. Sicher, bei Micaela bleibt die Bluse hochgeschlossen, aber das ist auch schon alles. Picknick: Micaela und Don José
Es geht aber wohl gar nicht um verschiedene Frauenbilder, sondern, ja, worum eigentlich? Um das grundsätzliche Verhältnis von Mann und Frau? Das Motiv des Stierkampfes wird umgedeutet in einen Geschlechterkampf, aus dem im Übrigen alle Beteiligten ziemlich verwundet hervorgehen. Das Bühnenbild ist reduziert auf eine runde Scheibe als Spielfläche, worin man die Stierkampfarena erahnen mag, die Requisiten auf ein Minimum reduziert (Ausstattung: Clement & Sanou). Jeglicher Realismus ist ausgeblendet. Jedenfalls beinahe, denn ganz konsequent kann die Regie das Konzept nicht durchhalten. Ist die Verhaftung Carmens im ersten Akt noch recht schlüssig gelöst, weil offen bleibt, wer hier wen fesselt und am Seil durch die Manege führt, so wird die Fesselung des Hauptmanns Zuniga am Ende des zweiten Akts eben doch librettotreu erzählt, und - gravierender - Carmen im Finale ziemlich realistisch erstochen. Gerade hier bräuchte es eine mutigere Lösung, um die gewohnte Krimi-Dramaturgie zu durchkreuzen. Der Mann als ein Stierkämpfer: Escamillo
Lotte de Beer überlässt die gesprochenen Passagen zwei Kindern (die Texte werden per Lautsprecher aus dem off eingespielt), unabhängig davon, wer gerade spricht. Zwei Kinder treten auch immer wieder auf, in wechselnden Kostümen. Dank der Einführung vor Vorstellungsbeginn weiß man, dass die Regisseurin hier einen quasi vorgeschlechtlichen Zustand zeigen möchte, der theoretisch noch die Wahl einer Geschlechterrolle offenlässt. Darüber lässt sich sicher streiten, aber kann man den Gedanken ohne einen Hinweis überhaupt verstehen? Hier wie an vielen anderen Stellen bleibt die Regie zu unscharf, zu theoretisch und zu wenig konsequent. Und es hakt an etlichen anderen Stellen. Carmen, auf das Rollenmodell reduziert, bleibt eine ziemlich leblose, merkwürdig statische Figur. Der zaudernde Don José, ohnehin eine schwierige Gestalt, ist dementsprechend ein Mann ohne Eigenschaften. Da stellt sich letztendlich die Frage: Lässt sich das ambitionierte Konzept überhaupt in dieser Oper umsetzen, oder taugt Lotte de Beers Fragestellung nicht eher für ein Symposium? Und doch wirft die Inszenierung mehr Fragen auf als viele andere. Verwundungen aus dem Geschlechterkamp? Escamillo und Chor
Musikalisch herrscht zunächst erst einmal offenbar große Nervosität. Der komplette erste Akt gerät fahrig, unpräzise im Orchester, ungenau im Zusammenspiel, und ausgerechnet die Habanera, ihr Ohrwurm-Auftrittslied, geht Bettina Ranch als Carmen daneben - verwackelt und verschwommen in der Intonation und mit brüchiger Stimme. Es wird dann viel besser, Bettina Ranch gibt die Carmen mit schön eingedunkeltem Timbre in der Mittellage (mit den hohen Tönen muss sie kämpfen) und zunehmend souveräner Gestaltung. Die Micaela von Jessica Muirhead ist ganz ähnlich timbriert, mit recht starkem Vibrato weniger liedhaft als gewohnt, im Übrigen sicherer im hohen Register als die Carmen, und sehr intensiv gesungen. Dramaturgisch passt es natürlich zur Regie, auch stimmlich keinen Gegensatz zwischen den Frauen aufzubauen. Luc Robert ist ein sehr achtbarer Don José, auch wenn der Stimme ein wenig an französischer Eleganz fehlt, aber der Tenor ist nicht zu leicht und nicht zu schwer und zudem sicher in der Höhe. Almas Svilpa gibt einen sauberen, etwas braven Torero Escamillo. Sehr differenziert singen Chor und Kinderchor. Dirigent Sébastian Rouland lässt die Essener Philharmoniker kammermusikalisch klar spielen, hebt immer wieder einzelne Instrumente hervor und gibt der Musik dadurch eine luftig-leichte Note. Im ersten Akt wackelt das, wie erwähnt, ganz bedenklich, wird dann zunehmend sicherer - aber eine längere Probenzeit hätte wohl nicht geschadet, ausgereift erscheint das trotz vieler schöner Details noch nicht. Der Beifall, unterlegt mit vielen Buhs für die Regie, war in Essen schon mal größer.
Die Regie von Lotte de Beer scheitert krachend, nicht zuletzt am fehlenden Mut, und ist doch achtbarer als viele andere noch viel mut- und ideenlosere Carmen-Inszenierungen. Musikalisch ausbaufähig. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten
Don José, Sergeant
Escamillo, Torero
Remendado, Schmuggler
Dancaïro, Schmuggler
Zuniga, Leutnant
Moralès, Sergeant
Carmen
Micaëla
Frasquita
Mercédès
Zwei Kinder
Zwei Kinderstimmen
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