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Die Putze findet diese Party ziemlich mega
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans Jörg Michel
Der Goldrahmen trügt (und dabei sind es sogar zwei Rahmen, hintereinander gestaffelt, mit denen Ausstatter Frank Philipp Schlossmann die Bühne rahmt). Den nostalgischen Blick auf die goldene Operette gibt es nicht. Das fidele Gefängnis ist eine Justizvollzugsanstalt in NRW, Einladungen zum Ball, korrigiere: zur Party, werden per Smartphone versendet. Wer jetzt denkt: Die Fledermaus in trister Duisburger Moderne, da klick ich schnell weg! der kann getrost weiterlesen - die Modernisierung gelingt Regisseur Axel Köhler ganz gut und ohne allzu große Substanzverluste, und in zeitgemäßer Kulisse bleibt die Regie letztendlich klassisch, insbesondere im dritten Akt. Wolfgang Reinbacher als Gefängniswärter Frosch ist und bleibt eben Österreicher und spielt die Partie mit Charme und Schmäh, wie man's kennt. Dass er statt Alkohol diverse Putzmittel zu sich nimmt, darf man als Unterwanderung der Rezeptionsgeschichte betrachten, denn Scherze über Alkoholismus wären ja sowieso politisch absolut inkorrekt, da witzelt es sich schon besser aus der ironischen Distanz. Adele hat's schwer im Hause Eisenstein
Die satirische Operette hat schon immer ihre Zeit aufs Korn genommen, an diese Tradition knüpft Köhler an. Wirklichen Mehrwert bringt die Verlagerung in unsere Gegenwart hier allerdings nicht. Die Problematik der Inszenierung ist aber eine andere, wenn auch nicht davon zu trennende. Köhler arbeitet sehr genau den Grundkonflikt der Handlung heraus (der oft in Champagnerseligkeit verloren geht). Zur Erinnerung: In der Vorgeschichte der eigentlichen Handlung wurde Dr. Falke, als Fledermaus kostümiert, nach einem Maskenball sturzbetrunken von seinem Freund Eisenstein an prominenter Stelle "abgelegt" und damit zum Gespött der Stadt; als Revanche will er nun beim Ball des Prinzen Orlofsky eben diesen Eisenstein als notorischen Ehebrecher vorführen. Köhler stellt heraus, dass es sich hierbei keinesfalls um Kavaliersdelikte handelt; er ändert den Text (geringfügig) ab und verschärft den Konflikt: Falke ist durch den "Streich" um seine Karriere als Gerichtspräsident gebracht worden, und Eisenstein wird seine politischen Ambitionen wohl aufgeben müssen: Beide werden hier Opfer der Boulevardpresse, die nach Skandalen giert. Das ist so weit ja ganz plausibel, wenn auch ein wenig plakativ gedacht. Köhler geht aber noch weiter: Bei ihm ist der gesamte Ball eine Inszenierung Falkes, der eine Prostituierte in die Rolle des ominösen russischen Prinzen Orlofsky schlüpfen lässt (der angeblich einen Weltraumbahnhof in Duisburg plant - so viel Lokalkolorit muss sein), und die Gesellschaft sind die Inhaftierten des Gefängnisses, die gegen ein angemessenes Bestechungsgeld mal eben für eine Nacht Freigang bekommen und natürlich brav ihre Rollen als Partygäste ausfüllen. Wer's glaubt … Rosalinde und Gabriel von Eisenstein
Diese aberwitzige Konstruktion könnte man als höheren Operettenblödsinn abtun, wäre da nicht noch eine andere Dimension: Vieles in der Operette (und gerade in der Fledermaus) lebt ja vom Spannungsfeld zwischen dem Individuum und der Gesellschaft (in Offenbachs Orpheus in der Unterwelt ist eigens die Figur der "öffentlichen Meinung" geschaffen!). Wenn die Gesellschaft aber nur Staffage ist, eine Fake-Gesellschaft, vor wem blamiert sich Eisenstein dann eigentlich? Und ein lediglich fingierter Prinz mit Staffage singt sein Ich lade gern mir Gäste ein notgedrungen im gesellschaftsfreien Raum, was ebenso verpufft wie Adeles Mein Herr Marquis, mit dem sie die vermeintliche Unfähigkeit ihres Dienstherren Eisensteins anprangert, eine Kammerzofe von einer feinen Dame zu unterscheiden - all' das setzt eine verbindliche gesellschaftliche Etikette voraus, die den Stand einer Person nach ihrem Erscheinungsbild bemisst. Nun kann man zu Gunsten des Regisseurs annehmen, dass auch hier die Brechung mitgedacht ist, denn es würde ja reichen, wenn die Hauptfiguren glauben, sie befänden sich in einer solchen Gesellschaft - das aber müsste dann doch deutlich genauer inszeniert werden. Gerade sie Chorauftritte wirken fahrig und beliebig; der (musikalisch vollauf überzeugende) Chor wird zu den Chornummern schnell auf die Bühne geholt und verschwindet sofort wieder, und das ist viel zu wenig, als dass daraus das notwendig vielschichtige Spiel entstehen könnte - Köhlers Inszenierung bleibt in den entscheidenden Momenten banal. Dr. Falke (links) ist zu Gast beim Ball des Prinzen Orlofsky
Ansonsten ist die Regie handwerklich recht ordentlich und spult die Komödie souverän ab. Köhler, selbst ein erfahrener Opernsänger, hat Gespür für die Abläufe, und auch wenn der gedankliche Konstrukt nicht wirklich aufgeht, so funktioniert immerhin die Operettendramaturgie. Zwei Schwachpunkte bleiben: Die bestenfalls mittelprächtige Choreographie (Mirko Mahr) wird eher untermittelprächtig vom wenig präzisen Tanzensemble umgesetzt, wodurch die Nummern, die als Revue-Einlagen inszeniert sind (etwa der Csardas von Rosalinde als angebliche ungarische Gräfin, schlimmer noch im Duett von Eisenstein und dieser "Ungarin") an Wirkung verlieren. Und dann sind da noch manche misslungene sprachliche Aktualisierungen: Aus der Kammerzofe Adele wird ganz zeitgemäß eine "Putzfrau" und, gänzlich unsäglich, eine "Putze" und "Rheinperle", die den Auftritt des Prinzen einfach nur "mega" findet. Und den Tenor Alfred zu "Alfredo Lambrusco Parmeggiano" zu verballhornen, zeugt von eher schlichten humoristischen Ansprüchen. "Klänge der Heimat": Rosalinde, verkleidet als ungarische Gräfin
Gesungen wird nicht glanzvoll, aber ganz solide. Norbert Ernst gibt den Gabriel von Eisenstein mit beweglichem Tenor, Anke Krabbe die attraktive Gattin Rosalinde mit durch und durch souveränem Operettencharme. Kimberley Boettger-Soller ist ein eher hell timbrierter, überzeugender Orlofsky, Heidi Elisabeth Meier eine kokette, rechtleichtgewichtige Adele, Ovidiu Purcel ein klangschön tenoraler Liebhaber Alfred. Kay Stiefermann spielt den zur Hauptfigur aufgewerteten Falke mit überzeugender Eleganz, stimmlich scheint er an diesem Abend angeschlagen und rettet sich nach gutem Beginn zunehmend angestrengt ins Finale, Torsten Grümbel singt den Gefängnisdirektor Frank ein wenig poltrig. Dirigent Benjamin Reiners hat mit den guten Duisburger Sinfonikern sehr genau gearbeitet; die Interpretation ist kammermusikalisch klar und von großer Delikatesse, wofür Reiners zu Recht bejubelt wird. Zum ganz großen Operettenglück fehlt ein wenig der Abstand, es klingt mitunter noch sehr einstudiert, eine Spur zu brav und zu geplant.
Kein Glanz, auch keine Katastrophe - diese Fledermaus fügt sich mittelprächtig ins Repertoire ein. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Choreographie
Licht
Chor
Choreographische Assistenz
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Gabriel von Eisenstein
Rosalinde
Gefängnisdirektor Frank
Prinz Orlofsky
Alfred
Dr. Falke
Dr. Blind
Adele
Ida
Frosch
Staatsanwalt
Tänzerinnen
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