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Julietta

Lyrische Oper in drei Akten
nach dem Stück Juliette ou la clé des songes von Georges Neveux
Musik und Libretto von Bohuslav Martinů

In deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 5' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 3. März 2018


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Verloren in der Traumwelt


Von Thomas Molke / Fotos: © Jens Grossmann

Auch wenn Bohuslav Martinů, dessen Stil nicht nur von tschechischen und mährischen Volksliedern geprägt ist, sondern auch eine besondere Affinität zum Jazz und französischen Impressionismus aufweist, neben Leoš Janáček, Bedřich Smetana und Antonin Dvořák zu den bedeutendsten tschechischen Komponisten zählt, stehen seine Werke zumindest im deutschsprachigen Raum eher selten auf den Spielplänen. In den letzten Jahren rückte vor allem seine 1961 in Zürich posthum aufgeführte letzte Oper The Greek Passion wieder mehr ins Interesse und stand beispielsweise 2010 in Wuppertal und 2015 in Essen auf dem Spielplan (siehe auch unsere Rezension). Nun hat man sich in Wuppertal erneut mit diesem Komponisten auseinandergesetzt und für die "Traumoper" Julietta entschieden, die 1938 in Prag uraufgeführt wurde. Martinů hatte zunächst geplant, das Werk in Paris herauszubringen und das Libretto auf Französisch verfasst. Das Stück basiert auf einem Theaterstück von Georges Neveux, der es eigentlich Kurt Weill zur Vertonung zugesagt hatte. In seinen Memoiren berichtet Neveux allerdings, dass ihn Martinůs Komposition des ersten Aktes so beeindruckt habe, dass er Weills Agenten kurzerhand habe mitteilen lassen, dass sein Stück nicht mehr frei sei und es sich bei seiner Zusage um ein Missverständnis gehandelt habe. Während sich das Theater Bremen 2014 entschieden hat, das Stück in Französisch unter dem ursprünglichen Titel Juliette ou La clé des songes zu spielen (siehe auch unsere Rezension), greift man in Wuppertal auf eine deutsche Übersetzung der tschechischen Fassung zurück, in der die Titelfigur Julietta heißt.

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Skurrile Gestalten in der Traumwelt: Kleiner Araber (Catriona Morison, links), Mann am Fenster (Sebastian Campione, rechts), Akkordeonspieler (Christopher Bruckman, Mitte) und Damenchor der Wuppertaler Bühnen im Hintergrund

Laut Aussage des Komponisten hat das Stück eigentlich keine richtige Handlung, sondern bewegt sich ständig an der Grenze zwischen Realität und Illusion, wobei die Illusion im Verlauf des Stückes immer mehr die Oberhand gewinnt. Zu Beginn der Oper kehrt der Buchhändler Michel Lepic in ein Städtchen am Meer zurück, wo er sich vor drei Jahren in eine junge Frau namens Julietta verliebt hat, die ihn mit ihrem wunderbaren Gesang verzaubert hat. Bei seiner Rückkehr muss er allerdings feststellen, dass die Bewohner dieser Stadt keinerlei Erinnerung an ihre Vergangenheit haben. Da sie ihn für seine eigenen Kindheitserinnerungen bewundern, ernennen sie ihn zum Kapitän der Stadt. Schließlich trifft er auch auf Julietta, die sich immer noch zu ihm hingezogen fühlt und einem Rendezvous an einer Wegkreuzung zustimmt. Als dort ein Erinnerungsverkäufer Julietta Erinnerungen an eine gemeinsame Vergangenheit verkauft, die ihr wesentlich besser als Michels reale Geschichte gefallen, kommt es zum Streit, bei dem sich ein Schuss löst. Michel wird daraufhin des Mordes angeklagt und will aus der Stadt fliehen. Ein Handleser rettet ihn vor der Verurteilung, indem er ihm rät, eine völlig neue Geschichte zu erfinden. So gelangt Michel auf ein Schiff, mit dem er eigentlich die Stadt verlassen könnte. Doch Juliettas Stimme, die er aus der Ferne hört, hält ihn zurück. Anschließend befindet er sich in einem zentralen Traumbüro, in dem viele Leute einen Traum buchen, in dem eine begehrenswerte junge Frau mit dem Namen Julietta vorkommt. Obwohl der Beamte im Traumbüro Michel warnt, erneut in die Traumwelt einzutauchen, weil er  dann in dieser Zwischenwelt gefangen sein werde, hört Michel nicht auf die Warnungen und verliert sich, vom reizenden Gesang Juliettas angezogen, für immer in dieser Traumwelt.

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Michel (Sangmin Jeon) ist Julietta (Ralitsa Ralinova) verfallen.

Das Regie-Team um Inga Levant lässt das Publikum in eine surreale Traumwelt eintauchen, die vor allem bis zur Pause einige Längen aufweist, zumal man große Schwierigkeiten hat, der (Traum-) Handlung zu folgen. Jan Freese und Petra Korink haben ein Bühnenbild entworfen, das die einzelnen Räume der Träume nur andeutet und so die Grenze zwischen Realität und Illusion verschwimmen lässt. Michel wirkt in dieser bunten Welt mit seinem schwarzen Anzug wie ein Fremdkörper und hebt sich von den anderen Figuren deutlich ab. Eine zentrale Rolle kommt einem Schachbrett zu, das mit seinem Muster im Verlauf der ersten beiden Akte immer wieder aufgegriffen wird und schließlich in einer riesigen Projektion Michel und den Zuschauer in diese surreale Traumwelt hineinzuziehen scheint. Zu Beginn der Oper spielt der Kleine Araber (Catriona Morison) gegen den Akkordeonspieler (Christopher Bruckman), während Michel auf der Suche nach dem "Hotel zur Wassernixe" ist, in dem er einst Julietta begegnet ist. Später legt der Akkordeonspieler auf dem Schachbrett mit den weißen Figuren Bilder, die mal in Form eines Herzens die Liebe zwischen Michel und Julietta kommentieren, mal mit einem großen Fragezeichen das unverständliche Geschehen auf der Bühne andeuten. Julietta taucht schließlich mit voluminöser Haarpracht, die ihren Kopf beinahe verschwinden lässt, wie eine wunderschöne Statue aus einer Art Brunnen auf der linken Bühnenseite auf und zieht Michel sofort in ihren Bann. Die übrigen Figuren wirken in ihren bunten Kostümen, für die ebenfalls Korink verantwortlich zeichnet, skurril und machen deutlich, dass man dieser surrealen Traumwelt nicht mit Logik begegnen kann.

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Der Sträfling (Sebastian Campione, hinten) bucht beim Beamten (Christian Sturm, rechts) im Traumbüro einen Traum.

Erst im dritten Akt werden Michel und der Zuschauer beinahe unsanft aus diesem Traum gerissen. Die Bühne ist nach oben hin nicht mehr abgeschlossen und gibt mit herabhängenden Scheinwerfern den Blick in den Schnürboden frei. Ein Beamter (Christian Sturm) lässt relativ emotionslos verschiedene Leute, die durch den Zuschauerraum auftreten, in eine Traumwelt eintauchen. Da kommt der "Hotelboy" (Catriona Morison), der eigentlich an der Garderobe der Wuppertaler Bühnen die Mäntel der Zuschauer bewachen soll, um sich für einen kleinen Moment als Cowboy in den Wilden Westen zu träumen. Ein Sträfling (Sebastian Campione) tritt auf, der zumindest im Traum seine beengte Zelle in einen riesigen Saal verwandelt. Doch die Illusion wird in beiden Fällen schonungslos entlarvt. Der Hotelboy irrt allein mit der Pistole in der Hand über die Bühne, und der Sträfling sitzt auf einer vergoldeten Toilette in einem schmalen Raum vor einem Flachbildschirm. Ein Bettler (Simon Stricker) wird vom Beamten sogar abgewiesen, weil er am falschen Tag gekommen sei und ihm der Traum nur an einem anderen Wochentag zur Verfügung stehe. Dies alles soll Michel wahrscheinlich daran hindern, wieder in die Traumwelt einzutauchen und das Traumbüro zu verlassen. Doch wie eine Sirene erklingt Juliettas Stimme und zieht Michel erneut in ihren Bann. So sind alle Warnungen umsonst. Michel verliert sich in der Traumwelt. Die herabhängenden Scheinwerfer werden wieder in den Schnürboden emporgezogen, und die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit wird endgültig aufgelöst. Nun ist Michel genauso unwirklich wie die anderen Figuren in dieser Welt, dafür jedoch mit seiner Julietta auf ewig vereint.

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Verloren in der Traumwelt: Julietta (Ralitsa Ralinova, links) und die übrigen Figuren (Ensemble und Damenchor der Wuppertaler Bühnen)

Johannes Pell lotet mit dem Sinfonieorchester Wuppertal die verschiedenen Klangfarben der Partitur differenziert aus und lässt einen Klangkosmos zwischen französischem Impressionismus und Klassizismus entstehen. Hinzu kommen Sprechgesang und volksliedhafte Einschübe, die von Christopher Bruckman am Akkordeon eindrucksvoll umgesetzt werden. Obwohl in deutscher Sprache gesungen wird, ist es sehr hilfreich, dass der Text in Übertiteln eingeblendet wird, da er an manchen Stellen schlecht zu verstehen ist. Bei der Fülle des Textes wird man jedoch auch durch das ständige Lesen vom Geschehen auf der Bühne ein wenig abgelenkt. Sangmin Jeon begeistert als Michel mit lyrischem Tenor, der auch in den Höhen über eine enorme Strahlkraft verfügt, ohne dabei zu forcieren. Darstellerisch macht er Michels wachsende Entfremdung von der Realität mit eindringlichem Spiel deutlich. Ralitsa Ralinova verfügt in der Titelpartie über einen weichen, mädchenhaften Sopran, der den sirenenhaften Charakter der Figur unterstreicht. Christian Sturm stattet den Kommissar im ersten Akt und den Beamten im dritten Akt mit höhensicherem Tenor und sauberer Diktion aus. Die übrigen Ensemble-Mitglieder überzeugen in den zahlreichen kleineren Rollen, so dass es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Das Regie-Team taucht mit beeindruckenden Bildern in die surreale Traumwelt ein, auch wenn der Teil bis zur Pause einige Längen aufweist. Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Pell

Inszenierung
Inga Levant

Bühne
Jan Freese

Bühne und Kostüme
Petra Korink

Choreographie
Rafal Dziemidok

Chor
Markus Baisch

Dramaturgie
Jana Beckmann

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Damenchor der
Wuppertaler Bühnen


Solisten

Julietta / Alte Dame
Ralitsa Ralinova

Michel
Sangmin Jeon

Kleiner Araber / Alte Frau / Handleser /
Junger Matrose / Hotelboy
Catriona Morison

Mann mit Helm / Altvater Jugend /
Verkäufer von Erinnerungen / Blinder Bettler / Lokomotivführer / Waldhüter
Simon Stricker

Mann am Fenster / Alter Mann /
Alter Matrose / Sträfling
Sebastian Campione

Kommissar / Beamter
Christian Sturm

Alter Araber
Oliver Picker

Vogelverkäuferin
Marco Agostini

Fischverkäuferin
Tomasz Kwiatkowski

Drei Herren
Ralitsa Ralinova
Katrin Natalicio
Britta Huy

Akkordeonspieler
Christopher Bruckman

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

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