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Göttinger Händel Festspiele
1998
28. Mai - 2. Juni

Festspielkritik


Foto: Nicholas McGegan

Händel und die Welt des Orient

Der obligatorische Einführungsvortrag zu den Händel-Festspielen mit dem Titel
Die Verlockung des Ostens - The Lure of the East fand in diesem Jahr in der Aula des Max-Planck-Gymnasiums statt. Nach einem kurzen Abstecher im Chemieunterricht - auf der Suche nach der Aula, die für auswärtige Besucher nicht sofort zu lokalisieren war - traf man auf den beherzt werkelnden Festspielleiter Nicholas McGegan, der wegen technischer Probleme inzwischen den dritten Diaprojektor für seinen Vortrag präparierte. Warum er dabei nicht von einem versierten Helfer entlastet wurde, war dabei nicht so ganz ersichtlich.
Die text- und bildreiche Einstimmung auf das zentrale Thema der Festspiele
Händel und die Welt des Orient wurde dann wieder zu jenem sympatischen Konglomerat aus Wissensvermittlung und Unterhaltung, der schon seit Jahren zum festen Bestandteil des Festspielprogramms gehört.

Als diesjährige Opernproduktion im Deutschen Theater hatte man Händels Tolomeo ausgewählt. In der detailfreudigen Inszenierung von Drew Minter glänzte das ausgesprochen homogene Ensemble sowohl musikalisch als auch szenisch.

Foto: Göttingen/Tolomeo
Foto von Kaspar Seifert
Foto: Concerto Köln
Concerto Köln
Das aufregendste und interessanteste Stück im Orchesterkonzert 1 von Concerto Köln in der Aula der Universität mit Ouvertüren und Suiten von Georg Friedrich Händel, Jean-Philippe Rameau, Christoph Willibald Gluck und André Campra war Rameaus Suite aus Les Boreades mit Windmaschine und Donnerblech. Mit Glucks Ouvertüre zu Die Pilger von Mekka (1764) erklang dann ein grosses Vorbild für Mozarts knapp 20 Jahre später aufgeführte Entführung aus dem Sereil (1782) - durch den charakteristischen Einsatz der Janitscharenmusik eines der relativ wenigen Beispiel für musikalischen Exotismus.

Foto: Frieder Bernius Einen besonderen Leckerbissen präsentierte Frieder Bernius mit seinen vorzüglich musizierenden Ensembles - dem Kammerchor Stuttgart und dem Barockorchester Stuttgart - mit Händels selten aufgeführten Oratorium Alexander Balus HWV 65 (1748) in der St. Johannis-Kirche. Für Glanzlichter sorgten dabei auch die erstklassigen und musikalisch ausdrucksstark gestaltenden Solisten Sandrine Piau (Cleopatra), Derek Lee Ragin (Alexander), Mark Padmore (Jonathan), Gotthold Schwarz (Ptolomeo) und Christine Brandes in der - leider nur kleinen - Partie der Aspasia.

Foto: Sandine Piau
Sandine Piau

Foto: Derek Lee Ragin
Derek Lee Ragin

Im Wissenschaftlichen Festvortrag From Arabian’s spicy shores ..." – Orient in Händels Textvorlagen in der Aula der Universität zeigte Prof. Dr. Peter Bachmann (Göttingen) an Hand ausgewählter Beispiele aus den Oratorien Solomon und Alexander Balus, sowie aus der Oper Tamerlano, dass der Orient als Handlungsort (fast) ausschlieslich in der Szene bzw. der Ausstattung erkennbar ist, und sich nicht - oder nur äusserst selten - in der Musik widerspiegelt.

Foto: Farhan Sabbagh
Farhan Sabbagh
Zu einem Höhepunkt der besonderen Art wurde das Nachtkonzert 2 in der St. Marien-Kirche. Foto: Constanze Backes Spanisch-maurische Nachtmusik mit syrischer Lautenmusik und Improvisationen von Farhan Sabbagh (arabische Laute) und vokale Kammermusik von Georg Friedrich Händel und Domenico Scarlatti bildeten ein äusserst interessantes Programm. Letztendlich wurde das Konzert durch die technisch perfekte, interpretatorisch einfühlsame und klanglich betörende Sopranistin Constanze Backes zu einem Erlebnis, das man lange nicht vergessen wird. Ermöglicht wurde dieses allerdings auch durch die aufmerksam musizierenden Instrumentalisten Jacob Heringman (Vihuela, Barockgitarre), Ludger Rémy (Cembalo) und Katie Rietman (Violoncello).

Auch beim Chorkonzert in der Aula der Universität mit geistlicher Vokalmusik von Georg Friedrich Händel war es eine Sopranistin, die für die bemerkenswertesten Augenblicke sorgte. Maacha Deubner gestaltete die Solo-Motette "Silete venti", HWV 242 (um 1724) mit ihrer geschmeidigen, sicher geführten und in allen Lagen wohlklingenden Stimme so eindrucksvoll und überzeugend, dass man sich diesem Zauber nicht entziehen konnte. Die Solopartien beim abschliessenden Psalm "Dixit Dominus", HWV 232 (1707) sangen neben ihr noch Susanne Moldenauer (Sopran), Carola Gruber (Alt), Friedrich v. Mansberg (Tenor) und Thomas Mayer (Bass). Ingolf Helm leitete seinen Göttinger Universitätschor und sein Göttinger Studentenorchester in erster Linie diszipliniert, was von den Mitwirkenden nach besten Kräften umgesetzt wurde.

Foto: Maacha Deubner
Maacha Deubner

Foto: Deutsche Händel-Solisten
Deutsche Händel-Solisten
Mitreissendes Orchesterspiel konnte man dann beim Kammerkonzert - wiederum in der Aula der Universität - mit Instrumentalkompositionen und Arien von Georg Friedrich Händel, William Corbett, Henry Purcell, Georg Philipp Telemann und Johann Sebastian Bach erleben. Nicholas McGegan und die Deutschen Händel-Solisten - dem eigentlichen Stammorchester der Händel-Festspiele in Karlsruhe - musizierten engagiert, differenziert und mit sichtlicher und hörbarer Spielfreude. Nachdem Constanze Backes (Sopran) schon in einigen Arien aus Händels Sosarme und Tamerlano ihre grosse Gestaltungskunst erneut unter Beweis gestellt hatte, krönte sie das Konzert - im Verein mit dem Trompeter Robert van Ryne - mit der abschliessende Kantate Jauchzet Gott in allen Landen (BWV 51) von J.S Bach.

Das Kaiser-Quintett aus Hamburg war gleich für drei Veranstaltungen engagiert worden. Neben den eher unterhaltsamen Programmen beim Open-Air-Konzert auf dem Wilhelmsplatz und bei der musikalischen Begleitung des Picknick am Kiessee konnten die Musiker Ulrike Kaiser (Flöte), Hendrik Schröder (Oboe), Stefan Schultz (Klarinette), Monika Lahajnar (Horn) und Steffen Voss (Fagott) beim Nachtkonzert 3 im Alten Rathaus ihr breitgefächertes Repertoire präsentieren. Neben Werken von Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart und Carl Heinrich Graun überzeugten vor allem ihre Interpretationen der Stücke von Maurice Ravel (Le Tombeau de Couperin), Heitor Villa-Lobos (Bachiana brasileira Nr. 6) und Darius Milhaud (La Cheminée du Roi René).

Foto: Kaiser-Quintett
Kaiser-Quintett

Foto: Richard Egarr
Richard Egarr
Richard Egarr war der Solist beim Cembalokonzert in der Aula der Universität mit Werken von Johann Jakob Frohberger, Alessandro Poglietti, Georg Muffat, Johann Mattheson, Georg Friedrich Händel und J.S. Bach. Seine unprätentiöse Art und Weise seiner Interpretationen war beeindruckend und überzeugend.

Beim Orchesterkonzert 2 in der Aula der Universität hätte man wirklich mehr von dem Ensemble Baroque de Nice hören mögen, das - unter der Leitung seines Gründers Gilbert Bezzina - durch seinen warmen Klang und hohe Spielkultur auffiel. Dominierend waren allerdings Opernszenen aus Werken von Georg Friedrich Händel, Francesco Gasparini, Johann Mattheson, Domenico Scarlatti und Antonio Vivaldi, ausgeführt von den Solisten Rossana Bertini (Sopran), Jean Nirouet (Altus) und Philippe Cantor (Bass).

Foto: Gilbert Brezzina
Gilbert Brezzina
Weitere Angebote während der Festspieltage waren das Nachtkonzert 1 in der St. Marien-Kirche, das in Zusammenarbeit mit dem "Internationaal Opera Centrum Nederland" stattfand und in dem Arien und Ensemblesätze von Georg Friedrich Händel, Tommaso Albinoni, Georg Philip Telemann, Jean-Philippe Rameau und Claudio Monteverdi auf dem Programm standen, eine Sonderführung durch die Ausstellung
"Begegnung mit Arabien"- 250 Jahre arabische Studien an der Universität Göttingen in der Pauliner Kirche, "Ein musikalischer Streifzug" als eine ganz auf das Thema Musik abgestimmte Stadtführung, ein Festgottesdienst in der St. Nikolai-Kirche, und eine abendfüllende Freiluftveranstaltung am Kiessee mit musikalisch begleitetem Picknick und einer Kostümschau mit Musik und Feuerwerk.

Rechtzeitig zu den Händel-Festspielen erschienen ist auch das Kompendium von Hans Joachim Marx Händels Oratorien, Oden und Serenaten. Der werbewirksame Aufdruck auf dem Buchrücken "Dies ist das erste umfassende deutschsprachige Nachschlagewerk über die 35 oraorischen Werke Georg Friedrich Händels." entspricht so allerdings wohl nicht den Tatsachen. Immerhin ist schon 1993 der Oratorien=Führer von Albert Scheibler und Julia Evdokimova (herausgegeben von der Neuen Deutschen Händel-Gesellschaft e.V. Bonn, Lohmar: Edition Köln, ISBN 3-928010-04-2, 62,- DM ) erschienen. Dieser ist mit 591 Seiten zwar ausführlicher, mit sehr vielen Textzitaten, Notenbeispielen und einem umfangreichen und informativen Anhang versehen, leider aber nicht gut lesbar. Obwohl hier die Angabe der Aufführungsdauer des Alexander Balus mit ca. 2 1/2 Std. der Realität wesentlich näher kommt als die Angabe mit ca. 2 Std. im Kompendium von Hans Joachim Marx (was man während der Festspiele selbst feststellen konnte), sprechen der lesefreundlichere Stil, die gute Übersichtlichkeit und der auf dem neuesten Stand der Forschung beruhende Kontext für das Kompendium von Hans Joachim Marx (Vandenhoeck & Ruprecht, 1998, ISBN 3-525-27815-2, 44,- DM).


Insgesamt hinterliessen die diesjährigen Festspiele einen rundum gelungenen Eindruck, der auch wieder von der besonders "intimen" bzw. "familiären" Athmosphäre geprägt wurde.



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