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21. Händel-Festspiele
in Karlsruhe 1998

Von Gerhard Menzel


Neuanfang und Weiterführung

Foto: Händel-Festspiele 1998 Karlsruhe

Foto: Karlsruhe/Rodelinda
Foto von Bettina Strauss

Die ersten Händel-Festspiele in Karlsruhe unter der neuen Intendanz von Pavel Fieber und dem Oberspielleiter und Kodirektor der Händel-Festspiele Ulrich Peters begannen mit einer fast sensationellen Eröffnungspremiere von Rodelinda: musikalisch von sehr hoher Qualität und szenisch ungeheuer intensiv und aufregend.

Ein zweiter Höhepunkt kündigte sich mit der Uraufführung von Siegfried Matthus' Oper Farinelli an, die einige Stationen aus dem Leben Farinellis - des wohl berühmtesten Kastraten - aufzeigt.

Schon bei der Einführungsveranstaltung am Sonntag vor der Premiere gelang es den Anwesenden des Produktionsteams, Siegfried Matthus (Komponist und Librettist), GMD Kazushi Ono (Musikalische Leitung) und Heinz Balthes (Bühne), im Gespäch mit Dramaturg Udo Salzbrenner die Neugier auf das Werk zu steigern.

Die Solisten Andrzej Dobber (König Philipp V. von Spanien), Tero Hannula (Nicola Porpora), Guido Jentjens (Impressario) und John Pickering (Barbier) gaben kleinere Kostproben zum besten. Neben allgemeinen Hinweisen zur Musik wies Kazushi Ono besonders auf diverse Zitate bzw. Anlehungen an Vorbilder aus verschiedenen Jarhunderten der Musikgeschichte hin: so z.B. aus Händels Messias und Xerxes und aus Verdis Otello.

Die Uraufführung von Farinelli, einer Auftragskomposition der Dresdner Musikfestspiele und des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, konnte die hochgesteckten Erwartungen aber dann doch nur zum Teil erfüllen. Zwar ist diese Oper kein "Schreckgespenst" für das "normale" Opernpublikum - es ist über weite Strecken sogar unterhaltsam - aber es bleibt doch zu sehr neutral, "geschichtlich" und distanziert, um mitzureissen und zu begeistern.

Foto: Karlsruhe/Farainelli
Foto von Bettina Strauss
Foto: Karlsruhe/Agrippina
Foto von Peter Bastian
Richtig enttäuschend bei diesen Händel-Festspielen war allerdings nur die Wiederaufnahme der Agripina aus dem letzten Jahr (Kritik von 1997). Für diese Wiederaufnahme blieb bei den Vorbereitungen - vor allem wohl der Konzentration auf die Uraufführung von Farinelli wegen - anscheinend nicht viel Zeit übrig.

Weder der Kontakt zwischen Orchester und Solisten, noch die synchrone Abfolge der Übertitel war über längere Strecken gewährleistet. Auch die diesjährigen Neubesetzungen konnten nur bedingt überzeugen: Während sich Michael Schopper als römischer Kaiser Claudio sichtlich wohl fühlte, konnte sich Jonny Maldonado in der Rolle des Ottone weder stimmlich noch darstellerisch profilieren.
So war es vor allem Lynda Lee als Agrippina, die den hohen musikalischen Standard der letztjährigen Aufführungen halten konnte.

Von der szenischen Brillanz des vergangenen Jahres war ebenfalls so gut wie nichts mehr übriggeblieben. Im Programmheft war dann auch (gerechtfertigter Weise) vermerkt: "Nach einer Inszenierung von Michael Hampe". Dieser hatte ja auch mit Farinelli wirklich genug zu tun. Ein glücklicher Zustand war das sicherlich nicht.

Beim Festkonzert der Deutschen Händel-Solisten unter der musikalischen Leitung von Roy Goodman konnte man dann schliesslich hören, dass auch die Deutschen Händel-Solisten zu den führenden "Originalklang-Ensembles" gehören. Neben Johann Sebastian Bachs Ouvertüre Nr. 3 D-dur (BWV 1068) erklang auch Händels Concerto grosso F-dur op. 3. Nr. 4 (HWV 315) und Georg Philipp Telemanns "Ouvertüre D-dur verbunden mit einer tragikomischen Suite für 3 Trompeten, Pauken, Streicher und B.c." (TWV 55/D22), deren charakterisierenden Satzbezeichnungen von Roy Goodman höchstpersönlich dazu gesprochen wurden.
Zum Höhepunkt des Abends geriet allerdings Vivaldis Concerto d-moll für 2 Oboen, Streicher und Basso continuo (RV 535) mit den beiden erstklassigen Oboistinnen Katharina Arfken und Ann-Kathrin Brüggemann.
Zwei Raritäten, Concerti grossi von Capel Bond und Charles Avison, ergänzten das wirklich festliche Programm. Ein rundum gelungenes Konzert!

Ein abwechslungsreiches Programm mit Kammermusik, Ouvertüren und Opernarien bescherte das Kammerkonzert unter dem Motto LOVE AND DEATH IN VENICE. Ausführende waren der Lautenist Steven Stubbs und das von ihm gegründete Ensemble Teatro Lirico. Die Gesangssolisten waren Suzie LeBlanc (Sopran) und Daniel Taylor (Countertenor). Die beeindruckensten Momente des Abends waren dabei das Finalduett aus Monteverdis L'Incoronatione di Poppea und das von Suzie LeBlanc innig anrührend gestaltete "Lascia ch'io pianga" aus Händels Almirena.

Das Thema des diesjährigen Symposiums der Internationalen Händel-Akademie Karlsruhe lautete "Ist die Theorie Praxis oder die Praxis Theorie? - Johann Matthesons Passionsoratorium Das Lied des Lammes (Hamburg 1723)".

Generell soll in den folgenden Jahren jeweils ein Werk zentrales Thema der Akademie und des Symposiums sein. Eigentlich eine guter Idee, nur sollte man dann sicherstellen, dass auch die Teilnehmer am Symposium das jeweilige Werk kennen, bzw. zumindest kurz zuvor einmal gehört haben.
So könnte man z.B. einen Tag vor dem Symposium das betreffende Werk zur Aufführung bringen. Im dazugehörenden Programmheft sollten dann neben dem vollständigen Libretto auch einführende Texte abgedruckt sein, damit man schon mit einigen Vorkenntnissen in das Symposium einsteigen kann.
Da dieses in diesem Jahr nicht der Fall war, blieben manche Erläuterungen und Details auf der Strecke, was gerade bei einem solch interessanten Werk äusserst schade ist.

Nach der Begrüssung und kurzen Einführung von Prof. Dr. Siegfried Schamalzried (Karlsruhe), der auch die Gesprächsleitung hatte, wies Prof. Dr. Hans Joachim Marx (Hamburg) auf einige Beziehungen zwischen "Mattheson und Händel" hin. Jesper Christensen (Basel) demonstrierte anschliessend (mit einigen akustischen Beispielen) "Matthesons Umsetzung seiner Affektenlehre in die musikalische Praxis. 'Critica musica' und Das Lied des Lammes". Ein sehr interessantes Gebiet der Aufführungspraxis präsentierten Dr. Reinhold Kubik und Margit Legler (Wien) mit der "Gestik als eines der Grundprinzipien der Gestaltung barocker Kunstwerke, dargestellt an Matthesons Das Lied des Lammes". Prof. Dr. Silke Leopold (Heidelberg) stellte dann ihre Ausführungen zum Thema "Matthesons Das Lied des Lammes. Oratorium oder Passion?" vor. Dr. Ulrich Peters' (Karlsruhe) "Gedanken zu einer szenischen Realisierung von Matthesons Das Lied des Lammes" beendeten den Vortragsreigen. Wie immer bei solchen Gelegenheiten - wenn viele "Wissenschftler" und ein oder nur wenige "Praktiker" diskutieren - gab es auch diesesmal wieder "Kontaktprobleme" und "Blickwinkelverzerrungen". Wie würden wohl die Ergebnisse aussehen, wenn die Tischrunde annähernd ausgeglichen besetzt wäre?

Zu den diesjährigen Festspielen erschien dann auch der 6. Band der Veröffentlichungen der Internationalen Händel-Akademie Karlsruhe, mit den Berichten über die Symposien der Jahre 1994 bis 1997.

Die als Händel-Frühschoppen angekündigte Veranstaltung konnte ihrem Titel leider gar nicht gerecht werden. Zu starr wurde das Programm Bolck für Block aneinandergereiht, ohne dem kurzweiligen und abwechslungsreichen Charakter eines Frühschoppens gerecht zu werden. Dabei besassen die dargebrachten Programmpunkte durchaus ihren unterhaltsamen Wert.

Da war zum einen der Villanella-Kinderchor der Musikschule Kandel, der unter der Leitung von Christina Germann, zum Teil begleitet durch Johann Anton Germann am Cembalo, italienische und englische Werke des 16. und 17. Jahrhunderts von Orlando di Lasso bis Henry Purcell sang. Dabei bezeugte nicht nur der homogene Gesamtklang, sondern auch die solistisch besetzten Stücke die musikalische Qualität dieses Kinderchores.

Zum anderen sorgte das Flötenquartett V.I.F. (Very Important Flutists), bestehend aus Stefan Boots (Flöte), Christiane Oxenfort (Piccolo und Flöte), Andreas Dahmen (Altflöte und Flöte) und Hildegard Schattenberg (Baßflöte), für einiges aufsehen bzw. aufhorchen. Ihre Bearbeitungen für vier nicht immer ganz alltägliche Flöten von Josquin Desprez über Bach und Händel bis zur Moderne, vertreten z.B. durch Friedrich Gulda (*1930), Oliver Peters (*1955) und Heike Beckmann (*1959), zeugen von musikalischer Kompetenz und interpretatorischer Spielfreude. Ein Genuss nicht nur für Flöten- oder Klassikfans!

Im literarischen Teils der Veranstaltung las Dr. Hubert Ortkemper einige Kapitel über den Kastraten Farinelli (passend zu Uraufführung der gleichnamigen Oper von Siegfried Matthus) aus seinem neuesten, noch im Entstehen befindliche Buch über Caffarelli, das vermutlich den Titel Der Vorgeschmack des Paradieses haben wird. Darin vermischen sich historische Fakten mit anekdotischem und zu einem unterhaltsamen Ganzen.

Eine Fotoausstellung von Gert Kiermeyer, der seit 1989 als Theaterfotograf am Opernhaus Halle arbeitet, stand unter dem Titel Anmut und Ausgleich - Fotografien zu Händel-Inszenierungen in Halle. Leider wirkten sie - einer grossen Brecht-Ausstellung wegen, die sich durch das ganze Haus erstreckte - etwas verloren und in die Ecke gedrängt. Dabei hätte sie wirklich mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt, auch wenn man auf Hinweise, aus welchen Stücken diese Fotos stammten, verzichten musste (was aber für die "Aussage", wie eine bestimmte Situation im Stück in genau diesem Augenblich eingefangen wurde, von Interesse sein könnte).

Ausserdem standen noch ein Rockkonzert mit der Crossover-Band Engel wider Willen und Händels Geburtstagsparty in der Nacht vom 22. auf den 23. Februar auf dem Programm der Festspiele.


FAZIT

Insgesamt eine gelungene Fortsetzung der Arbeit der Ära Günter Könemanns und gleichzeitig ein verheissungsvoller Neubeginn unter der Leitung von Pavel Fieber und Ulrich Peters.





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