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Blaubart im Mafia-Milieu Von Thomas Molke / Fotos: © Volker Beushausen
Nachdem Jacques Offenbach 1858 mit Orphée aux Enfers der internationale Durchbruch als Komponist gelungen war, entwickelte sich in den folgenden Jahren eine regelrechte "Offenbachiade". Darunter versteht man eine spezielle Form der Operette bzw. Opéra-bouffe, die großen Spaß daran hatte, antike Stoffe oder Märchen mit Frivolitäten, Anzüglichkeiten und beißender Satire zu parodieren, was zur Zeit der strengen Zensur unter Kaiser Napoleon III. keinem anderen Genre der Kunst oder des öffentlichen Lebens gestattet war. Doch hierhin kam die Elite des Zweiten Kaiserreichs, um sich in der Travestie gewissermaßen über sich selbst zu amüsieren. In diese Zeit fiel auch die Uraufführung von Barbe-Bleue am 5. Februar 1866 am Théâtre des Variétés,. Nach Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges geriet das Werk vier Jahre später zunächst ein wenig in Vergessenheit, da man Offenbach sowohl in seiner Wahlheimat Frankreich als auch in Deutschland vermehrt mit nationalen Ressentiments begegnete. Erst Walter Felsenstein leitete mit seiner Aufführung an der Komischen Oper Berlin 1963 eine Renaissance des Stückes ein. Die Produktion erlebte nicht nur bis 1992 369 Aufführungen, sondern erschien auch auf DVD. Nachdem man das Stück in Hagen zum letzten Mal 2008 auf dem Spielplan hatte und sich 2022 mit der musikalischen Umsetzung von Béla Bartók beschäftigt hat, feiert nun eine Neuproduktion in der Inszenierung von Holger Potocki Premiere. Auf blauem Pferd macht Ritter Blaubart (Santiago Bürgi) Boulotte (Angela Davis, links) einen Antrag. Offenbach bürstet in seiner Operette das blutrünstige Märchen des frauenmordenden Blaubart gehörig gegen den Strich. Hier sterben die Frauen nur scheinbar. Blaubarts Handlanger Popolani, der ihnen eigentlich jeweils ein tödliches Gift verabreichen soll, hat sie nur mit einem Schlafmittel in tiefen Schlaf versetzt und anschließend im Keller versteckt. Blaubart lässt bei Offenbach seine Frauen auch nicht ermorden, weil er blutrünstig ist oder ihre Neugier bestrafen will, sondern weil er sich in eine andere Frau verliebt hat und er mit den bisher Angetrauten ja bis zum Tod in heiliger Ehe verbunden ist. So verliebt er sich bei einem Schönheitswettbewerb in die Bäuerin Boulotte und führt sie zum Altar. Doch auch dieses Glück währt nicht lange. König Bobèche, der seine verschollene Tochter Hermia wiedergefunden hat und sie mit dem Prinzen Saphir verheiraten will, lädt Blaubart mit seiner neuen Frau auf das Schloss ein. Boulotte erkennt in Saphir einen ehemaligen Geliebten, und Blaubart verliebt sich unsterblich in Hermia, so dass Popolani auch Boulotte beseitigen soll. Doch diese lässt sich nicht im Keller wie die anderen Frauen einsperren, sondern überredet sie, den Keller zu verlassen und Rache zu nehmen. Unterstützung bekommen sie von fünf Edelmännern, die Bobèche von seinem Diener Graf Oscar hatte töten lassen, weil sie angeblich mit seiner Gattin Clementine geflirtet hätten. Doch auch Oscar ist dem Befehl nicht nachgekommen. So versammeln sich alle vor der Kirche und verhindern eine Hochzeit zwischen Blaubart und Hermia. Hermia bekommt ihren Saphir, die fünf ehemaligen Gattinnen Blaubarts werden mit den fünf Edelmännern verheiratet, und Boulotte verzeiht wohl oder übel ihrem Blaubart. Blaubart (Santiago Bürgi, links) erklärt Boulotte (Angela Davis), dass sie sterben muss (rechts: Hagen-Goar Bornmann als Popolani). Das Regie-Team um Holger Potocki versucht, die in Offenbachs Operette angepriesenen Missstände näher an die Gegenwart heranzuholen. Dafür hat man die Geschichte ins Mafia-Milieu verlegt, so dass für den Ritter Blaubart Don Corleone aus Der Pate Modell gestanden hat. Auch das Orchester spielt an zahlreichen Stellen die Filmmusik an, wobei die Darstellerinnen und Darsteller stets innehalten und mit einem bedeutungsschwangeren Blick in den Orchestergraben blicken. Mit dem König Bobèche wird auf den ehemaligen italienischen Premierminister Berlusconi angespielt, der nicht nur die Medien manipuliert hat, sondern auch seine Festgesellschaften mit berüchtigten Partys unterhalten hat. Mafia-Boss Blaubart tarnt sich als "Restaurantbesitzer". Seine "ermordeten" ehemaligen Frauen sind nicht im Keller eingesperrt, sondern leben in riesigen als Zimmer eingerichteten Gefrierschränken. Popolani hat eine futuristische Apparatur entwickelt, mit der er die Toten jeweils ins Leben zurückholt. Saphir (Anton Kuzenok) und Hermia (Ofeliya Pogosyan) wollen heiraten. Das ist von der Grundidee erst einmal sehr witzig, wird aber teilweise mit arg derbem Klamauk und plattem Humor umgesetzt. Saphir und Hermia haben sich, wie es heute wohl so üblich sein soll, über Tinder kennengelernt, wobei als Chefin des Unternehmens auch noch eine Tinda Falcone über die Bühne läuft und von zahlreichen Menschen umlagert wird. Dass Hermia, die zu dem Zeitpunkt noch nicht als Tochter des Königs erkannt worden ist und Fleurette heißt, sich in diesen Einfaltspinsel verlieben soll, weil er ja so "herrlich doof" ist, wirkt genauso albern und unglaubwürdig wie die Tatsache, dass Boulotte zuvor eine Affäre mit ihm gehabt haben soll. Mit blauen Haaren und bläulichem Outfit, was wohl eine Anspielung auf Blaubart sein soll, passt die Bäuerin eigentlich gar nicht in das "Beuteschema" des Macho-Ritters. Folglich wird sie auch nicht bei einem Schönheitswettbewerb ausgewählt, sondern beeindruckt Blaubart mit einem Essay über eine Rose. Wenn sie dann mit den anderen Ehefrauen Rache an Blaubart nehmen will, tarnen sich alle unter einer Zombie-Fratze. Für die Edelmänner hat der Priester von irgendwelchen Spielen mit Messdienern - auch diese Anspielung wird nicht ausgelassen - ebenfalls noch Masken unter dem Altar, so dass man den Machos Blaubart und Bobèche am Ende große Angst einjagt und zum Einlenken zwingt. Tanzdarbietung auf der Party (von links: Maria Sayrach Baró mit Salvatore Piramide, Evan Inguanez, Yu-Hsuan (Mia) Hsu mit Quentin Nabor, dahinter Opernchor) Eingefügt werden auch zahlreiche Tanzeinlagen, für die Musik aus anderen Werken Offenbachs und auch von anderen Komponisten verwendet wird. Die fünf Tänzerinnen und Tänzer, die damit größtenteils die Partys in Bobèches als Schwimmbad angelegtem Saal unterhalten, zeigen dabei die ganze Bandbreite ihres Könnens in unterschiedlichen Stilrichtungen. Besondere Komik entfalten sie, wenn sie zur berühmten "Barcarole" als vier Schwäne herrlich kitschig über die Bühne schweben und dabei immer von einem fünften weißen Schwan (Evan Inguanez) gestört werden, der in ihre Choreographie aufgenommen werden will und dabei alles durcheinander bringt. Auch beim berühmten Can-Can machen die fünf Tänzerinnen und Tänzer mit roten Herz-Kostümen eine sehr gute Figur. Bei den modernen Nummern zeigen sie großes schauspielerisches Talent. Das ist alles sehr schön anzusehen und unterhaltsam, bringt die eigentliche Handlung allerdings nicht weiter. König Bobèche (Richard van Gemert) lädt zur Party ein. Das übrige Ensemble setzt die Gags mit großem Spielwitz um. Da ist zunächst Santiago Bürgi in der Titelpartie zu nennen. Wenn er sein blaues Pferd besteigt, mit dem er Boulotte zum Altar führt und hinterher bei König Bobèche erscheint, verfügt er über eine grandiose Slapstick-Komik. So fällt er einige Male scheinbar fast vom Pferd fällt und rutscht etwas unsanft aus dem Stand in den Sattel. In den Spitzentönen klingt sein Tenor bisweilen ein wenig angestrengt, und in seiner Auftrittsnummer droht er tempomäßig dem unter Rodrigo Tomillo frisch aufspielenden Philharmonischen Orchester Hagen ein wenig davonzueilen. So sehr ist er als Blaubart beseelt davon, nach seiner anfänglich vorgespielten Trauer eine neue Gattin zu suchen. Als italienischer Mafia-Boss ist er in Mimik und Gestik absolut glaubwürdig. Auch Richard van Gemert begeistert als unsympathischer Berlusconi-Verschnitt in der Partie des Königs. Die sexuellen Anspielungen sind zwar bisweilen etwas derb, passen aber zur Rolle. Anton Kuzenok gibt den Prinzen Saphir herrlich dämlich, auch wenn das über den Kopf gestülpte Schaf, um sich als Schäfer zu tarnen, arg platt ist. Stimmlich überzeugt er mit leichtem Tenor und punktet vor allem im Duell mit Blaubart durch großen Spielwitz, wenn er in Ohnmacht fällt und glaubt, tot zu sein. Hagen-Goar Bornmann verleiht Blaubarts Handlanger Popolani mit bissiger Ironie markante Züge, auch wenn der immer wieder hervorgeholte Gag mit "Popo" spätestens nach dem dritten Mal nicht mehr zündet. Der von Julian Wolf einstudierte Opernchor überzeugt nicht nur stimmlich und darstellerisch als Masse. Einzelne Chorsängerin schlüpfen auch mit viel Spielfreude in die Rollen der ehemaligen Ehefrauen Blaubarts. Ofeliya Pogosyan punktet als Hermia mit mädchenhaftem Sopran und bezauberndem Spiel. Witzig ist der Einfall, sie gegen ihren Willen in einer weißen Zwangsjacke zum Altar mit Blaubart führen zu wollen. Sophia Franke ist eine mondäne Königin Clementine, die zur Erhaltung ihrer gesellschaftlichen Stellung bereit ist, sich mit ihrem Gatten zu arrangieren. Star des Abends ist einmal mehr Angela Davis als Boulotte, die mit großartiger Mimik deutlich macht, dass sie das ganze Spiel nicht mitmachen wird, da sie eine durch und durch selbstbestimmte Frau ist. Dabei glänzt sie mit strahlendem Sopran und zeigt beim eingefügten "Bella ciao", dass sie auch andere musikalische Qualitäten hat. So gibt es für alle Beteiligten am Ende großen Applaus.
FAZIT Manches gerät in dieser Modernisierung des Stückes zwar ein bisschen arg klamaukig und platt, insgesamt bietet der Abend aber gute Unterhaltung, bei der ein Großteil der aktuellen Anspielungen aufgeht. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme Choreographie
Licht Chor Dramaturgie
Chor des Theaters Hagen Philharmonisches Orchester Hagen Statisterie Theater Hagen Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung Ritter Blaubart Boulotte König Bobèche Königin Clementine Prinzessin Hermia (Fleurette) Saphir Popolani Graf Oscar Heloise
Eleonore Isaure
Rosalinde
Blanche
Graf Alvarez
Priester
Mafiosi Touristen
Frau Tinda Falcone / Kamerafrau
Tänzerinnen und Tänzer
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