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Dieser Dichter ist nicht therapierbar
Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung Eine Krankenhausreform scheint überfällig. Im Wartesaal (bei Bedarf auch Behandlungszimmer), den das Einheitsbühnenbild (Roland Lehmeier und Jule Dohrn-van Rossum) darstellt, blättert die Farbe, sind einige geborstene Fenster notdürftig mit Planen oder Brettern verschlossen, und die Heizungsanlage entspricht sicher nicht modernen Hygienestandards. Hier soll der Dichter Hoffmann therapiert werden. Drei Akte lang wird er über seine Vorstellung von Frauen phantasieren, zwischendurch immer wieder zum Flachmann greifen, wenn vom Wein die Rede ist. Die behandelnde Ärztin, im Stück heißt sie wahlweise "Muse" oder (als Hoffmanns Begleiter in den Mittelakten) "Niklausse", sitzt die meiste Zeit vorne an der Rampe und koordiniert das Selbstfindungsspiel. Die Muse (vorne) ist die Psychotherapeutin des narzisstisch veranlagten Dichters HoffmannRegisseur Roland Lehmeier sieht die drei Erzählungen Hoffmanns als Variation des immergleichen Themas: Der narzisstisch veranlagte Dichter erträumt sich eine Frau nach seinem Gusto. Ganz schlüssig ist das nicht, denn mindestens die Kurtisane Giulietta im (schon immer dramaturgisch schwierigen) Venedig-Akt schert selbstbewusst aus dem Schema aus und fügt sich nicht in die eher passiven Rollen der Puppe Olympia (ein weiblicher Frankenstein aus dem Operationssaal) und der sich zu Tode singenden Künstlerin Antonia (die sowieso im klinischen Ambiente richtig aufgehoben ist). Überzeugender wirkt die finale Apotheose: Dieser Hoffmann ist nicht therapierbar; im Grunde ist es gerade sein Leiden an der (Frauen-)Welt, das ihm Genugtuung gibt: Groß durch die Liebe, noch größer durch Tränen, wie es im Finale heißt. Im Operationssaal erschaffen: Die Puppe Olympia. Rechts an der Wand Hoffmanns Gegenspieler Lindorf, der hier als Coppélius erscheint. Das Konzept an sich funktioniert leidlich und schafft Raum für phantastisch-absurde wie revuehafte Momente (wie ein ziemlich komisches Ballett vom Pflegepersonal jeglichen Geschlechts in Kleid und Kittel zur prominenten Barcarole im Giulietta-Akt), was Offenbachs Dramaturgie zwischen Schauergeschichte und operettenhafter Ironie durchaus entspricht. Problematischer sind die Kürzungen. In allen Akten (den letzten ausgenommen) geht durch Striche die Logik verloren, und die Oper (die Offenbach unvollendet hinterlassen hat und die hier auf Basis der eigentlich deutlich längeren fünfaktigen Version von Michael Kaye und Jean-Christoph Keck gespielt wird) wirkt immer wieder kurzatmig. Das auslösende Moment der Handlung - Hoffmanns Liebe zur Operndiva Stella, um die sich auch sein Gegenspieler Lindorf bemüht - wird weitgehend unterschlagen, und damit auch die Funktion Lindorfs in den drei Erzählungen (dort tritt er in wechselnden Gestalten auf und führt immer die Katastrophe herbei). Das nimmt der genauen Dramaturgie Offenbachs und seines Librettisten Jules Barbier die Präzision und belässt die Handlung mehrfach im Ungefähren. Für die von der Regie gezeichneten Therapiesitzungen mag das belanglos sein; der Oper fehlt es an den Schlüsselstellen an Stringenz und Dramatik. Antonia (links) singt sich unter dem Einfluss ihrer eigentlich verstorbenen, hier ziemlich real erscheinendern Mutter zu TodeGesungen wird sehr ordentlich. Stephen Chambers gibt den Hoffmann mit höhensicherem, nicht allzu großen, aber zuverlässigem Tenor, mit nicht allzu viel französischer Eleganz, aber doch sehr achtbar. Lotte Kortenhaus singt die als strenge Therapeutin agierende Muse mit schönem Sopran, den sie ab und zu unnötig forciert. Penelope Kendros hat für die Puppe Antonia (die kurzerhand ein Massaker anrichtet, was ihre Geschichte ins Groteske wendet) glasklare, nicht zu leichtgewichtige Koloraturen. Emily Dorn ist eine flammende, im Forte leicht angestrengte Antonia, und Adréana Kraschewski eine souveräne Giulietta, eher die kühl kalkulierende Geschäftsfrau als verführerische Kurtisane. Giulietta (links) mit Lindorf/Dapertutto (der die beliebte, aber gar nicht von Offenbach komponierte "Diamantenarie" nicht singt) und Muse Die Rolle von Hoffmanns Widersacher Lindorf - in den Erzählungen Coppélius, Dr. Miracle und Dapertutto - übernimmt der spielfreudige Seungweon Lee mit großer Stimme und beeindruckender Bühnenpräsenz, mit der er alle anderen locker an die Wand spielt (vor allem den zögerlich agierenden Hoffmann). Jaime Mondaca Galaz steuert einen beeindruckenden Crespel, Vater Antonias, bei. Der Chor des Landestheaters Detmold ist hier und da unaufmerksam im Tempo, singt aber klangschön und zuverlässig. GMD Per-Otto Johansson dirigiert das gute Detmolder Orchester mit flüssigen Tempi. Für die Musik gab's vom Premierenpublikum einhelligen Jubel, das Regieteam musste neben viel Beifall auch ein paar Buhs einstecken.
Das Regiekonzept erweist sich als mitunter recht holprig, hat aber seine Unterhaltungsqualitäten. Musikalisch auf gutem Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Maske
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Olympia
Antonia
Giulietta
La Muse/ Nicklausse
La Voix de la Tombe (La Mère)
Hoffmann
Lindorf, Coppélius, Miracle, Dapertutto
Spalanzani
Nathanaël
Crespel
Peter Schlémil
Cochenille
Pitichinaccio
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