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Die Poesie des Weltuntergangs
Von Stefan Schmöe / Fotos von Monika Rittershaus
Selten hat Berlin so einen Schneesturm erlebt. Nicht draußen vor der Staatsoper, Unter den Linden, wo sich der Frühling zwar an diesem Premierenabend nicht durchzusetzen vermag, aber entfernt in der Luft liegt; nein, auf der Bühne von Romeo Castellucci (der für Regie, Ausstattung und Licht verantwortlich ist, ein echter Gesamtkunstwerker), da schneit es fast ununterbrochen. Was zum Stück erst einmal nicht recht passen will, spielt es doch in antiker arkadischer Landschaft mit einem mediterranen Klima, in dem Lorbeerbäume gedeihen - in einen solchen wird Daphne schließlich verwandelt. Die junge Frau widersetzt sich den Nachstellungen ihres Jugendfreundes Leukippos, der ihr auf dem Dionysosfest trotzdem (in Frauenkleidern) einen Kuss abringt und damit die Eifersucht des Gottes Apollo heraufbeschwört - was er nicht überlebt. Aber auf Daphnes Klage hin wird Leukippos in den Olymp aufgenommen, und Daphne wird eins mit der von ihr so sehr geliebten Natur. Es schadet nicht, die Handlung zu kennen, denn Castellucci ist auch ein großer Opernverrätseler. Apollo und Daphne - die hat, auch so ein Rätsel der Regie, die Wunde Chriti an der Seite
Es ist hier nicht die blühende Natur, die Daphne ansingt, sondern ein zartes und kaum lebensfähiges Pflänzchen in Winterlandschaft, das sie nach dem Tod des Leukippos kurzerhand aus dem Boden reißt wie eine Entwurzelung ihrer selbst. Das Bäumchen wird zu ihrem grandiosen Schlussmonolog über der Bühne schweben, ein Symbol für Hoffnung wie für Hoffnungslosigkeit gleichermaßen. Zuvor hat sich eine überdimensionale Ausgabe von T. S. Eliots Langgedicht The waste land vom Bühnenhimmel herabgesenkt, ein großer (ebenfalls komplex verrätselter) Abgesang auf Welt und die Kultur aus dem Jahr 1927. "April ist der grausamste Monat, treibt Flieder aus totem Land, Erinnern und Begehren mischend", lauten die ersten Zeilen, und kurz darauf: "Winter hielt uns warm, bedeckt die Erde mit Schnee des Vergessens". Aber nur Daphne nimmt den Winter als das eigentlich Wärmende wahr, sie streift sich die Kleider ab, läuft in Unterhemd und Slip herum, während alle anderen sich doch mehr oder weniger an Winterkleidung halten. Daphne ist die Außenseiterin, die sich abgrenzt. Vielleicht ist sie die Seherin, die als einzige das Drama der Welt durchschaut. Vor ihrer Verwandlung leuchtet es am Horizont gefährlich auf, als stünde diese Welt in Flammen. Aber Castellucci verweigert eine Konkretisierung. Er wirft Symbole ein, die sich einer Deutung entziehen. Auf einem Sockel mit der Aufschrift ER steht ein Kanister mit Theaterblut, der immerhin wird zur Tötung Leukippos' (der sich den Inhalt mit eigener Hand übergießt) verwendet; auf der Rückseite steht SIE, und alsbald findet sich auch ein neuer Kanister - aber Daphne braucht kein Blut, sie schmiert sich mit Schlamm ein, eine sehr handfeste Verbindung zur Erde. Apollo tötet Leukippos
Ein Mantel mit dem Aufdruck VERA spielt eine Rolle, und es ist ganz praktisch, dass man sich dadurch nicht nur an das Wahre an sich erinnert fühlt, sondern dass das auch noch der erste Vornahme der Hauptdarstellerin ist, Vera-Lotte Boecker. So spielt die Regie durch den eingeprägten Schriftzug ironisch auf einer Metaebene mit der Handlung, denn da verkleidet sich Leukippos eigentlich mit den für Daphne vorgesehenen Kleidern. Auf dieses vieldeutige Jonglieren mit Bedeutungsebenen wie mit Symbolen muss man sich bei Castellucci einlassen wollen. Eine psychologisierende Ebene, einen dramatisch geschärften Konflikt dagegen sucht man vergebens (was manchen im Parkett dazu verleitet, ziemlich oft nach der Uhr zu schauen). Die rund eindreiviertel Stunden Spieldauer dieses Einakters sind als ein großer Gesang der Daphne angelegt, ein großer Bogen, bei dem andere Figuren auf- und abtreten, aber Randfiguren bleiben. Lesestoff für Daphne? Erbauungsliteratur ist Das wüste Land von T. S. Eliot allerdings nicht.
Vera-Lotte Boecker trägt die Inszenierung szenisch wie musikalisch. Mit jugendlich jubelnder Stimme bewältigt sie die Partie mit faszinierender undramatischer Leichtigkeit ohne jedes heroinenhafte Element. Und weil Thomas Guggeis am Pult der ganz ausgezeichneten Staatskapelle mit fantastischen Bläsern weniger die große Strauss-Opulenz im Sinn hat (wofür er ein paar Buhs einstecken muss), sondern die flirrende, mitunter sich ziemlich modern präsentierende Klanglichkeit einer dem irdischen entrückten Verwandlungsmusik, passt das ganz ausgezeichnet. Großartig auch Anna Kissjudith mit betörend volltönendem Alt als Mutter Gaea und René Pape als außerordentlich nobel singender Vater Peneios. Evelin Novak und Natalia Skrycka brillieren als Mägde nur so um die Wette, dass man sich die kleinen Rollen viel, viel ausgedehnter wünscht. Ein wenig problematischer ist da schon die Sache mit den Tenören, die ja nie die große Stärke des Komponisten waren. Der junge Magnus Dietrich ist ein ganz akzeptabler, schlanker und lyrisch gefärbter Leukippos, was sich ganz gut anlässt; Pavel Černoch legt aber auch den Apollo wenig heldisch an, was insofern gut ist, weil er die Figur dadurch nicht zum gefürchteten Strauss'schen Schreitenor macht, ihr aber auch wenig Gewicht verleiht. Und die dramaturgische Leerstelle der Oper, dass es eigentlich keinen handfesten Konflikt gibt, sondern Daphne, Leukippos und letztendlich auch Apollo mehr zufällig in das Schlamassel hineinstolpern, das bekommt weder die Musik noch die Regie in den Griff. Aber das interessiert Castellucci wohl auch gar nicht; Handlungsdetails (auch die ganz großen) bleiben letztendlich Nebensache. Ihm geht es um Daphne und um deren Weltverweigerung. Daphnes Verwandlung in einen Baum
Ein Plädoyer für die Repertoiretauglichkeit der selten gespielte Daphne ist die Inszenierung, die sich kaum um deren Schwächen kümmert, daher nicht. Castellucci baut seine eigene Kunst-Welt darauf auf. Der entwurzelt schwebende Baum, die ambivalente Winterstimmung: Das sind große Bilder, die sich einprägen. Die in ihrer Poesie auch damit versöhnen, dass sich Castellucci immer wieder beinahe im Dekorativen verliert. Der mehr wie ein Wetterleuchten angedeutete Weltenbrand bleibt vieldeutig. Im Spiegel von T. S. Eliot lässt sich darin die Krise einer von der Natur wie von den kulturellen Wurzeln abgekoppelten Moderne sehen, in der die klassische Antike nur noch als verfremdetes Zitat aufblitzt. Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Oper zwischen 1935 und 1938 - der ursprünglich als Librettist vorgesehene Stefan Zweig lehnte aufgrund seiner jüdischen Abstammung im Wissen um die Unaufführbarkeit einer von ihm getexteten Oper im Nazi-Deutschland ab - lässt sich die Katastrophe des sich abzeichnenden Zweiten Weltkriegs erahnen. Aus gegenwärtiger Sicht kommt angesichts des Verzichts auf jegliche lebendige Natur auf der Bühne natürlich die drohende Klimakatastrophe in den Sinn, und die Möglichkeit eines nuklearen Winters als Ausweitung des Ukraine-Kriegs leider auch. Nur die T. S. Eliot-Variante spricht Castellucci aus; andere Bedeutungsebenen schweben im Raum. Das ist für die "bukolische Tragödie" Daphne ziemlich viel. FAZITMit betörender Leichtigkeit, aber keineswegs leichtgewichtig musiziert, wird die selten gespielte Daphne zum immer wieder irritierenden wie faszinierenden Spiel mit Bildern und Zeichen, das sich jeder konkreten Eindeutigkeit entzieht - und eben dadurch zum großen Theaterabend wird. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühnenbild,
Mitarbeit Regie
Mitarbeit Bühnenbild
Mtarbeit Kostüme
Mitarbeit Licht
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Sänger
Peneios
Gaea
Daphne
Leukippos
Apollo
Vier Schäfer
Zwei Mägde
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