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Dramatisches Spiel, erhellende Einsichten, erfrischender Witz Von Christoph Wurzel / Fotos: © Bernd Uhlig Bei dieser Walküre war vieles anders. Schon allein die äußeren Umstände wie Maskenpflicht (ein rascher Gewöhnungsprozess), ausgedünnte Zuschauerzahl (optimale Sicht auf die Bühne) und tägliche Tests für alle Mitwirkenden. Zudem begann das Ring-Projekt von Stefan Herheim an der Deutschen Oper Berlin erst mit dem zweiten Teil der Tetralogie. Das im Frühjahr geplante Rheingold fiel wegen des Corona-Lockdowns ins Wasser. Gleichwohl wurde dann im Juni auf dem Parkdeck des Hauses, also im Freien, eine verkürzte und musikalisch reduzierte Fassung des Vorabends zum Ring präsentiert, allerdings nicht von Herheim, sondern nach einer Regie von Graham Vick. Ende September war schließlich die Opernwelt nach vielen Opern-Kurzfassungen in den Häusern weit und breit gespannt auf eine erste vollgültige Aufführung, auf ganz große Oper also. Die bekam es auch mit dieser Produktion. Anders ist diese Walküre aber vor allem, weil sie an entscheidenden Stellen ein neues Licht auf das Werk wirft, weil es Herheim gelingt, die gewohnten Sichtweisen aufzubrechen und neue Perspektiven zu eröffnen. Sinnfällig wird dies besonders zu Beginn des dritten Akts, dem "Walkürenritt". Das teutonisch Martialische, die auftrumpfende Aggressivität, die man bei dieser Szene landläufig präsentiert bekommt, sind hier ausgetrieben. Stattdessen herrscht fröhliche Lust am Spiel, denn die Walküren sind hier nicht von vornherein angriffslustige Amazonen, sondern diese Szene beginnt, indem die acht Darstellerinnen erst ihre Rollen einnehmen, mit kindlich ausgelassenem Vergnügen in turbulentem Gerangel Kostüme, Speere und Federhelme als Requisiten eines Spiels vorführen. Herheim durchbricht so wie noch an weiteren Stellen die Illusion einer naturalistischen Bühnenhandlung. Klar wird: Es handelt sich hier um ein Spiel, das mitunter auch kritisch konterkariert wird, etwa in der darauf folgenden Szene, wenn Wotan hereinstürmt, erbost über Brünnhilde, die sich erlaubte, seine Gebote zu übertreten und eigenständig zu handeln. Als die Walküren sich mit ihrer Schwester solidarisieren, sind acht männliche Schergen Wotans zur Stelle, um die Frauen zu züchtigen, sie sexuell zu überwältigen. Das "weichherzige Weibergezücht", wie Wotan sie abschätzig nennt, soll in seine Schranken gewiesen, patriarchale Macht soll durchgesetzt werden. Ein schlagender Kommentar zum antiquierten Frauenbild im Werk des Dichterkomponisten Wagner, wodurch einem hier plötzlich die Augen geöffnet werden. 3. Akt: Der "Walkürenritt" aus purer Lust am Spielen: Nina Stemme (Mitte), Darstellerinnen der Walküren Musikalisch gestaltet Donald Runnicles diesen Walkürenritt ganz konform zum szenischen Geschehen ebenfalls eher federnd, aber vor allem enorm genau durchleuchtet auf seine klanglichen Farben, fern von stampfender Brutalität und roher Orchestergewalt. Wie überhaupt sein Dirigat allen Facettenreichtum der Partitur genau ausleuchtet, die Musik vom ersten Takt an dramatisch anfacht, ihr aber auch alle lyrische Schönheiten lässt. Das Orchester ist bestens präpariert, in den solistischen Stellen artikulieren die Musiker mit großer Spielfreude, das Blech intoniert durchweg makellos. Große Tiefenschärfe, detailreiche Motivarbeit und eine eminent klangliche Schönheit sind an diesem Abend einer der großen Pluspunkte dieser Produktion. Herheims ganz besondere Sicht auf die Oper wird auch durch einige Zutaten augenfällig. Bereits zu Beginn, auf offener Bühne noch vor dem Einsetzen der Musik, markiert der Regisseur und Bühnenbildner symbolische Zeichen. Zahllose Koffer bilden als Wände, Treppen und Hintergrund die Architektur der Bühne, in deren Mitte steht nur ein Konzertflügel als einziges Requisit. Aus dessen aufgeklapptem Flügel heraus werden zu ihren ersten Auftritten Fricka und Brünnhilde hochgefahren, sozusagen ex machina und verschwinden darin ebenso magisch wie sie gekommen sind. Am Schluss wird das Innere des Flügels auch zum Ort für Brünnhildes Verbannung auf den von Flammen umzüngelten Fels. Auf dem Flügel liegt auch die Partitur der Oper, in welcher die Akteure immer wieder blättern, auch einmal Seiten herausreißen, sei es um sich zu vergewissern, dass die Handlung in diesem Spiel sich wirklich so zutragen soll oder auch um sich von der eingeschriebenen Aussage zu distanzieren. Herheim beruft sich bei diesem Flügel auf die erste Präsentation der Walküre durch Richard Wagner im privaten Rahmen, bei der er selbst mit Liszt am Flügel die wichtigsten Rollen gesungen und szenisch markiert hat. An Wagner als den quasi ewigen Flüchtling sollen die Koffer erinnern. Tiefere Bedeutung aber erhalten sie als Symbole für das Unterwegssein in beständiger Sinnsuche, einem konstitutiven Moment der ganzen Tetralogie. Mehr noch, Herheim lässt an entscheidenden Stellen eine große Gruppe von Menschen dem Spiel der Figuren zuschauen, es gespannt verfolgen oder angstvoll miterleben, als fragten sie "Weißt du, wie das wird?". Kollektive Nornen gleichsam als weitere Ebene dieser Handlungskonstruktion auf der Bühne. 2. Akt: Heftiger Disput in aller Öffentlichkeit: Annika Schlicht (Fricka), John Lundgren (Wotan), Nina Stemme (Brünnhilde) und das alles bang verfolgende Volk Vor allem aber auch prägt Ironie diese Aufführung. Zu Beginn des ersten Akts kriecht ein wirklicher Wolfshund aus dem Souffleurkasten auf die Bühne. Wolfe, der Vater, streift also durch Sieglindes und Hundings Heim, um unerkannt auf der Hinterbühne zu verschwinden. Folgerichtig steigt im zweiten Akt aus eben diesem Kasten Wotan nun in eigener Gestalt auf die Bühne. Einen Seitenhieb auf die Tradition leistet sich Herheim bei den Kostümen der Walküren durch die Zitate ihrer Rüstungen aus historischen Aufführungen. Brünnhilde erscheint bei ihrem ersten Auftritt als Parodie einer waffenstarrenden Germania. Unvermittelt aber kippt derartiger Humor immer wieder um in beklemmenden Ernst. Vor allem die harten Auseinandersetzungen in den Zwiegesprächen gewinnen packende Intensität. Herheim verlangt den Sängerdarstellern schauspielerisch Einiges ab. Und das Ensemble folgt diesen Anforderungen mit großem, teilweise körperlich forderndem Einsatz. Schon im ersten Akt geht die Rivalität Siegmunds mit Hunding bis an physische Grenzen und auch im Zwiegespräch zwischen Wotan und Fricka schonen sich die Beteiligten nicht. In feierlichem Ernst ist die Todesverkündigung Brünnhildes an Siegmund gestaltet, auf ihrem Schild trägt die Walküre das antike Symbol der Tragödie. Eine der vielen tief berührenden Szenen an diesem Abend. So werden Situationen und Charaktere scharf herausgearbeitet. Denn es agiert ein durchweg großartiges Ensemble, das vokal zum allergrößten Teil keinerlei Wünsche offen lässt. John Lundgren ist ein Wotan mit kraftvoller Stimmgewalt, der über die nötige Härte, aber auch die gefühlvolle Wärme für die Partie verfügt. Die große Bandbreite seiner vokalen Möglichkeiten nutzt er eindrucksvoll bis hin zum fast geflüsterten, tonlosen Ausdruck der tiefen Verzweiflung seiner Figur. Lundgren zeichnet eindrucksvoll das Bild eines mit seinem Welt- und Lebensentwurf komplett Gescheiterten, der sich mit aggressiver Härte gegen seine eigentlich zutiefst geliebte Tochter wendet. Brünnhilde ist Nina Stemme mit gleichermaßen vokalem Farbreichtum. Sie verdeutlicht besonders Brünnhildes weiche Seite. Neben der Heldin zeigt sie ihre Figur als mitfühlend Liebende, die sich erlaubt, entgegen dem väterlichen Willen im Namen der Liebe, modern gesprochen aus sozialer Verantwortung, Siegmund und Sieglinde zu schützen. Mit starkem, tief grundierten Mezzo singt Annika Schlicht die Partie der Fricka. Resolut, mit Abscheu und Entsetzen über die Ausschweifungen ihres Gatten, vor allem aber über den Inzest der Wälsungen-Geschwister, lässt sie an Frickas Konfliktbereitschaft weder darstellerisch noch stimmlich keinerlei Zweifel. Blendend besetzt ist auch das Walküren-Oktett. Runnicles lässt den Sängerinnen zudem so viel Raum, dass (seltener Fall) sogar deren Text über weite Strecken verständlich wird. Sie singen, wie übrigens alle Solistinnen und Solisten, in makellos klarer Diktion. 1. Akt: Feindschaft bis auf's Blut: Siegmund (Brandon Jonanovich), Hunding (Andrew Harris), Sieglinde (Lise Davidsen) und das Hundingkind (Eric Naumann) Als Sieglinde steht, ob ihres fulminanten Karrierestarts mit Spannung erwartet, Lise Davidsen auf der Bühne. Tatsächlich erfüllt sie alle Erwartungen bis ins kleinste Detail. Hochexpressiv singt sie die Partie und füllt sie darstellerisch mitreißend aus. Sie zeigt ihre Figur als eine gegen ihr Schicksal kämpfende Frau, selbstbewusst trotz aller Einschränkungen und entschlossen, sich zu befreien. Mit großer emotionalen Ausdrucksstärke strahlt Davidsens Stimme weit in den großen Raum der Deutschen Oper aus. In größter Emphase lässt sie das zentrale Erlösungs-Motiv aufblühen: "O hehrstes Wunder!". Klug und mit wohl dosierter Stimm-Ökonomie baut sie beeindruckend die Spannungsbögen der erzählerischen Passagen auf. Dies gelingt besonders im ersten Akt Brandon Jovanovich als Siegmund nicht in gleichem Maße. Seine Stimme verfügt etwa in den prachtvoll gesungenen "Wälse"-Rufen wohl über die nötige dramatische Kraft, kann aber an den lyrischen Stellen nicht die gleiche Ausdruckskraft entfalten wie die seiner Partnerin. Andrew Harris singt die charakterlich eindeutig auf den puren Bösewicht festgelegte Partie des Hunding mit kraftvoll durchschlagendem schwarzen Bass. Auch er lässt in der Darstellung seiner Partie keine Wünsche offen. Es gibt in dieser Inszenierung die hinzugefügte stumme Rolle des Kindes von Sieglinde mit Hunding. Herheim möchte dadurch ihre Scham über den Ehebruch erklären, für den Sieglinde dieses Kind sozusagen opfert, eine Scham, die aus moderner Sicht angesichts dieser erzwungenen Ehe sonst unbegründet erschiene. Der Regisseur widmet dieser Figur große Aufmerksamkeit. Sie wird zur Projektionsfläche für die konfliktreiche Dreierkonstellation aus Sieglinde, Hunding und Siegmund. Eindrücklich spielt Eric Naumann diesen "Hundingling" (eine Parallelformulierung zu Siegmund als "Wölfing") als schwer hospitalisiertem Jugendlichen, der nicht weiß, wohin er gehört. In dieser wohl durchdachten und in ihren Mitteln klug disponierten Inszenierung fällt dann das Finale mit dem auf einer etwas wackligen Feuerleiter emporgehobenen Wotan und rot beleuchteten Tüchern im Hintergrund leider durch überzogene Theatralik etwas aus dem Rahmen. Aber es gibt noch einen ironischen Schlusscoup. Zu den verklingenden letzten Takten ereignet sich eine Geburt. Eine Figur mit den Zügen Richard Wagners hilft bei der Entbindung des Babys und wiegt es begeistert in seinen Armen, während jemand auf die Partitur der folgenden Oper weist - Siegfried! FAZIT
Mit dieser Walküre ist der Deutschen Oper
Berlin ein großer Wurf gelungen. Sängerisch und darstellerisch
brilliert ein fantastisches Ensemble. Die Inszenierung besticht in
ihrem Ideenreichtum durch anregende Fragestellungen und zudem
erfrischend auflockernden Witz. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Orchester der Deutschen Oper Berlin Statisterie der Deutschen Oper Berlin Solisten
Siegmund
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E-Mail: oper@omm.de