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Liebestrank mit lokalem Bezug
Was eigentlich als Lückenbüßer für das Mailänder Teatro della Canobbiana gedacht war und in einer Rekordzeit von zwei bis vier Wochen entstand, hat sich bis heute als gängiges Stück im Opernrepertoire halten können und weist mit der Arie "Una furtiva lagrima" eine der populärsten Nummern der Opernliteratur aus, die jeder lyrische Tenor bei einem Konzert zumindest als Zugabe in petto haben dürfte. Die Rede ist von Gaetano Donizettis L'elisir d'amore, einem Werk, das bereits bei seiner Uraufführung einen der größten Erfolge für den Komponisten markierte und sich schnell über ganz Europa verbreitete. Dabei war die Geschichte eigentlich nicht neu, sondern wurde nahezu eins zu eins aus der ein Jahr zuvor uraufgeführten französischen Oper Le philtre übernommen, die Daniel-François-Esprit Auber auf ein Libretto von Eugène Scribe komponiert hatte. Dass Donizettis Melodramma Aubers Werk in der Publikumsgunst übertraf, mag zum einen am italienischen Sprachwitz liegen, den Romani schon bei der Namensfindung der Hauptpersonen einsetzte. So bedeutet Nemorino in etwa "das kleine Nichts", was durchaus zu einem mittellosen Landarbeiter passt, während der Name Dulcamara aus den Adjektiven "dolce" (süß) und "amaro" (bitter) besteht und damit die Vielzahl der Tränke andeutet, die der Quacksalber seinen leichtgläubigen Kunden anpreist. Zum anderen hat die erwähnte Tenorarie kein Pendant in der französischen Fassung und dürfte neben dem breiten Spektrum von komischen und gefühlvollen Szenen den musikalischen Charme des Werkes ausmachen. Adina (Ralitsa Ralinova) fühlt sich zu Belcore (Simon Stricker) hingezogen, sehr zum Ärger von Nemorino (Sangmin Jeon, hinten rechts). Aus heutiger Sicht ist es kaum vorstellbar, dass das Werk über 30 Jahre vor Richard Wagners Tristan und Isolde entstand, da es sich nahezu wie eine Parodie auf den fatalen Liebestrank in Wagners Musikdrama liest. Doch auch zu Donizettis Zeit erfreute sich der Tristan-Stoff, dessen Urfassung in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden war, einer so großen Beliebtheit, dass es nicht verwundert, dass die schöne wohlhabende Pächterin Adina zu Beginn des Stückes den Arbeitern aus diesem Roman vorliest und der junge Bauer Nemorino, der sich in sie verliebt hat, Hoffnung schöpft, mit einem solchen Trank ihr Herz gewinnen zu können, auch wenn sie aufgrund ihres Standes und ihrer Bildung eigentlich unerreichbar für ihn ist. Da kommt ihm der reisende Doktor Dulcamara gerade recht, der angeblich genau diesen Trank in seinem Gepäck hat. Eile ist geboten, da mittlerweile der selbstgefällige Sergeant Belcore ins Dorf gekommen ist und Adina einen Heiratsantrag gemacht hat, den diese auch annehmen will. Nemorino setzt folglich alles daran, diesen Trank zu erwerben, und da er nicht genug Geld besitzt, verschreibt er sich dafür dem Militär. Sofort scheint der Trank seine Wirkung zu zeigen, da Nemorino plötzlich von zahlreichen Frauen umgarnt wird. Allerdings weiß er im Gegensatz zu diesen nicht, dass er mittlerweile eine große Summe von seinem verstorbenen Onkel geerbt hat, was ihn zu einer guten Partie macht. Adina wird sich ihrer Gefühle für Nemorino bewusst, als sie sieht, wie er von den anderen Frauen umworben wird, und ist zunächst gekränkt. Als sie jedoch von Dulcamaras vermeintlichem Liebestrank erfährt und ihr klar wird, welchen Preis Nemorino dafür bezahlt hat, kauft sie den jungen Mann vom Militär wieder frei und gesteht ihm ihre Liebe, so dass Dulcamara sich am Ende als Wunderheiler feiern lässt und den Erfolg seines Liebestranks preist. Nemorino (Sangmin Jeon, rechts) erhofft sich Rettung bei Dulcamara (Sebastian Campione, links). Das Regie-Team um Stephan Prattes siedelt die Geschichte in der Gegenwart mit lokalem Bezug zum Aufführungsort Wuppertal an. So scheint ein Leuchtschild über einer Tür auf der linken Bühnenseite den Aufgang zur Schwebebahn zu markieren. Der Bühnenraum, für den Prattes neben der Regie verantwortlich zeichnet, ist auf den leicht grünlich schimmernden Wänden mit Kunstinstallationen verziert, die ebenfalls von Wuppertal inspiriert sein sollen. Der Opernchor wird zunächst fast museal in Szene gesetzt, wenn er auf einzelnen Podesten in Kostümen steht, die zahlreiche Berufsgruppen aus allen Epochen der Wuppertaler Geschichte darstellen. Sinn macht das zwar eigentlich nicht, da es sich hierbei ja eigentlich um Adinas Landarbeiter handeln soll. Nett anzusehen ist es aber trotzdem. Außerdem wirkt Nemorino in seinem schlichten Outfit dagegen relativ unscheinbar, was erklärt, wieso Adina ihm zunächst keine Aufmerksamkeit schenkt. Für Adina ist ein Podest bestimmt, das nicht Teil der Drehbühne ist und in die Höhe gefahren werden kann, um anzudeuten, dass sie teilweise über den anderen Figuren steht. Dass einzelne Podeste von innen beleuchtet sind und die Figuren im Scheinwerferlicht erstrahlen lassen, gibt dem Ansatz einen gewissen Show-Charakter. Belcore und seine Soldaten, die in diese Welt eindringen, bilden optisch einen deutlichen Kontrast. Mit den zahlreichen bunten Applikationen auf ihren schwarzen Kostümen wirken sie fast wie Clowns. Dass es sich bei diesen bunten Farben um Blumen handelt, steht im Kontrast zum Krieg, in den sie eigentlich ziehen wollen. Unklar bleiben die Pappzielscheiben, die beim Auftritt der Soldaten aus dem Schnürboden herabgelassen werden und Soldaten im gleichen Outfit darstellen. Elefanten-Polonaise beim bevorstehenden Hochzeitsfest: in der Mitte: Belcore (Simon Stricker, sitzend) und Dulcamara (Sebastian Campione, rechts dahinter), oben: Adina (Ralitsa Ralinova), rechts und links als Elefanten: Chor In dieses Ambiente dringt Dulcamara nahezu mephistophelisch ein. Zunächst erscheint er auf den Bildschirmen riesiger Smartphones, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden. Dann tritt er selbst auf und setzt die Manipulation der Masse fort, wobei seine Verführungskünste auch noch recht plakativ durch die großen Lettern "SEDUZIONE" (ital. für Verführung) unterstrichen werden, die über der Bühne schweben. Tränke hat er eigentlich nicht im Gepäck. So raubt er die erste Flasche, die er Nemorino verkauft, unter Androhung von Gewalt einem armen Bettler, der am Bühnenrand sitzt. Dementsprechend schlecht scheint Nemorino der Fusel zu schmecken, aber Glaube versetzt ja bekanntlich Berge. Die zweite Flasche, die der verzweifelte Nemorino erwirbt, stammt vom Beginn des Hochzeitsfestes zwischen Adina und Belcore, das das Volk ausgelassen feiert. Wieso die Frauen anschließend Nemorino im Rahmen von Gymnastikübungen verführen wollen, erklärt sich genauso wenig wie der Einfall, den Wuppertaler Elefanten Tuffi einzubauen, der 1950 auf einer Fahrt aus der Schwebebahn in die Wupper sprang. Prattes lässt zunächst Belcore Adina einen pinkfarbenen Plüsch-Elefanten als Hochzeitsgeschenk übergeben, bevor im weiteren Verlauf ein riesiger aufblasbarer Elefant aus dem Schnürboden gewissermaßen auf die Bühne herabspringt und Nemorino bei den Feierlichkeiten unter sich begräbt. Adina (Ralitsa Ralinova) und Dulcamara (Sebastian Campione) bei der Barcarole Während die Regie-Einfälle bisweilen fragwürdig sind, lässt die musikalische Umsetzung keinerlei Wünsche offen. Dabei ist hervorzuheben, dass die Wuppertaler Bühnen die Rollen komplett aus dem Ensemble besetzen können und zwar sehr hochkarätig. Da ist zunächst Sangmin Jeon als Nemorino zu nennen. Sein lyrischer Tenor fließt so samtig weich und sauber, dass man nahezu das ganze Stück der berühmten Arie entgegenfiebert, die erst kurz vor Ende kommt. Mit lyrischem Schmelz begeistert er in den Höhen, so dass man ihm die Leiden des jungen Mannes musikalisch und szenisch jederzeit abnimmt. Da verwundert es nicht, dass er zur leichten Beute Dulcamaras wird. Sebastian Campione legt den Dulcamara mit extrovertiertem Spiel und großartiger Komik an. Mit beweglichem Bass preist er seine Waren an und verzaubert dabei durch eine leicht schrille Ausstrahlung. Besonders witzig gestaltet er in seiner ersten Begegnung mit Nemorino den Moment, wenn er zunächst gar nicht weiß, was Nemorino mit dem Trank der Isolde eigentlich meint, dann aber sehr geschäftstüchtig den armen Bauernjungen übers Ohr zu hauen versteht. Absolut selbstbewusst lässt er sich am Schluss für das glückliche Ende feiern, dass angeblich sein Trank herbeigeführt hat. Da dürfte es ihn auch nicht einschüchtern, dass Belcore das überdimensionale Smartphone im Bühnenhintergrund zerschießt. Ralitsa Ralinova begeistert als Adina mit jugendlichem Sopran, der in strahlenden Bögen fließt und die Flatterhaftigkeit der Figur unterstreicht. Ein musikalischer und szenischer Höhepunkt ist das Duett mit Campione, in dem Dulcamara einen alten Mann mimt, der eine junge Frau umwirbt, deren Herz bereits einem anderen gehört. Simon Stricker legt den etwas einfältigen Sergeanten Belcore mit kraftvollem Bariton und herrlich selbstverliebt an. Wendy Krikken und der von Markus Baisch einstudierte Opernchor runden als Adinas Freundin Gianetta und Landarbeiter*innen das spielfreudige Ensemble wunderbar ab. Johannes Pell lässt mit dem Sinfonieorchester Wuppertal einen frischen und leichten Belcanto-Sound aus dem Graben erklingen, so dass es für alle Beteiligten großen Beifall gibt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne Kostüme Choreographie Zeichnungen Bühnenbild Chor Licht Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor der Statisterie der SolistenAdina Nemorino Belcore Dulcamara Giannetta
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- Fine -