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Cyberschmarrn
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Ist eigentlich ein humanoider Roboter entehrt, wenn er vorehelichen Geschlechtsverkehr hat? Zugegeben, die Frage hat uns bis zum heutigen Abend nicht weiter beschäftigt. Auch nicht diese: Ist es Sachbeschädigung, wenn derselbe humanoider Roboter Selbstmord begeht? Und wie sieht die strafrechtliche Sachlage aus, wenn ein Auftragsmörder vorgibt, einen Menschen ermordet zu haben, in Wirklichkeit aber einen humanoiden Roboter, der gerade Selbstmord begangen hat, in einem Plastiksack in einen Fluss werfen will? ![]() Bei Verdi hat das Mädchen zu diesem Zeitpunkt die Bühne noch gar nicht betreten: Rigoletto erweckt "Tochter" Gilda, offenbar ein ziemlich perfekt programmierter Roboter, per Knopfdruck zum Leben
Ja, hier geht es um die Neuinszenierung von Rigoletto, die mit einer Optik aufwartet, wie man sie von schlechten Science-Fiction-Filmen der 1970er-Jahre kennt, als sich lautlos öffnende Schiebetüren aus unerfindlichen Gründen abgerundete Ecken hatten und hypermoderne Schusswaffen aberwitzige Ausmaße (mit einer solchen wird der arme Graf Monterone hingerichtet). Das kann Bühnenbildner Julius Theodor Semmelmann unmöglich ernst gemeint haben. Andererseits gibt sich die Regie von Dorothea Kirschbaum gnadenlos ironiefrei (selbst da, wo Mörder Sparafucile auf die Ehrbarkeit seines Berufsstands pocht - Verdi hatte mehr Sinn für schwarzen Humor als die Regie). Und doch ist es irgendwie lustig - weil die Inszenierung sich permanent unfreiwillig selbst parodiert. ![]() Rigoletto und Gilda im sorgfältig durchgestylten Kinderzimmer
Um das alles zu sortieren: Rigoletto, im öffentlichen Leben ein Zyniker und Menschenverächter, pflegt sein privates Idyll mit Tochter Gilda, die vor allem eines muss: funktionieren, und zwar als engelsgleiches Idealbild des Guten und Schönen an sich. Das kann kein Mensch leisten, vielleicht aber ein in diesem Sinne perfekt programmierter Roboter. Ganz falsch gedacht ist das sicher nicht, nur scheinen an diesem Punkt die berühmten Pferde mit der Regisseurin durchgegangen zu sein: Aus dem Rigoletto ein Science-Fiction-Cyborg-Spektakel zu machen, das geht ganz sicher am Stück vorbei, und das hat nichts mit falsch verstandener Werktreue zu tun. Man kann eine Oper produktiv umdeuten, auch als Material für ganz andere Gedankengänge verwenden, aber was hier passiert, ist (tiefernst gemeinter) höherer Blödsinn. Es liegt nicht an der famos agierenden Sophie Witte in der Rolle des Gilda, die bravourös den Spagat zwischen Roboter und erwachendem Teenager bewältigt, dass das Konzept nicht aufgeht - eine an sich gute Idee wird hier völlig überdreht. Der Gipfel des Unsinns: In der Pause laufen eine Reihe von Pseudo-Robotern durchs Foyer (was fast niemanden interessiert) (wir bedauern die armen Statistinnen, die sich diesen Blödsinn antun müssen) (dabei hat das Theater Krefeld-Mönchengladbach doch eine versierte Dramaturgin, die solchen Unfug hätte stoppen müssen - aber die Kunst ist wohl, das ist ehrenwert, in Krefeld frei). ![]() Der Herzog hat der (ziemlich androgyn erscheinenden) Gilda die Kleider vom Roboterleib gerissen - ist sie als Cyborg damit entehrt? Rigoletto (vorne) jedenfalls ist verzweifelt.
Immerhin kann Regisseurin Dorothea Kirschbaum spannungsreiche Tableaus stellen, und sie hat ein spielfreudiges Ensemble zur Verfügung, das immerhin noch rettet, was szenisch zu retten ist. Was wäre da möglich gewesen, wenn die Regie sich nicht selbst mit einem überambitionierten Konzept im Wege stehen würde? Johannes Schwärsky ist ein eindrucksvoller Rigoletto, ein wenig altväterlich vielleicht (was ja auch zum Stück passt), eine Spur zu gutmütig, aber doch sehr souverän in der Gestaltung und mit der erforderlichen Kraft, und er besitzt eine enorme Präsenz (statt des Buckels trägt er eine entstellende Narbe im Gesicht). Sophie Witte singt und spielt eine famose Gilda, und auch wenn die Partie vermeintlich stimmlich keine allzu großen Anforderungen an das Volumen zu stellen scheint (jedenfalls gerne mit zu leichten lyrischen Sopranen besetzt wird): Da liegen die Spitzentöne wieder und wieder offen, ohne schützendes Orchester, und Sophie Witte bewältigt das mehr als achtbar. Kompliment an das Ensembletheater, das so etwas möglich macht. (Am Niederrhein muss man freilich befürchten, dass nach der dritten Vorstellung, wenn die Sängerin auch noch an Sicherheit gewonnen hat, größere Theater mit Angeboten Schlange stehen.) Und Tenor David Estaban, als Herzog von Mantua der dritte im Bunde der Hauptrollen, wäre von den stimmlichen Möglichkeiten als lyrischer Tenor wohl besser bei Mozart aufgehoben mit dem Tamino oder Don Ottavio, aber aus dem, was ihm an Mitteln zur Verfügung steht (tenoraler Glanz bei den Spitzentönen ist das nicht unbedingt) macht er das allerbeste, nämlich einen nicht übermäßig draufgängerischen, aber doch soliden und immer klangschönen Herzog. Auch das ist Ensembletheater. (Welches andere Haus in NRW würde derzeit den Rigoletto ohne Gäste schultern?) Matthias Wippich als sorgfältig phrasierender, nicht übermäßig dämonischer, aber sehr akkurat gesungener Mörder Sparafucile und Eva Maria Günschmann als ordentliche Maddalena vervollständigen ein spielfreudiges und klangvolles Ensemble. ![]() Auch wenn Mörder Sparafucile (hinten) kurz zuvor in einem Anfall von Hyperrealismus Maddalena alle Fingerabdrücke des letzten Auftragsmords hat beseitigen lassen, geht die Regie ziemlich abstrakt mit dem Libretto um - der Herzog (rechts) singt jedenfalls sein überaus populäres "La donna e mobile" Rigoletto direkt ins Ohr.
Chefdirigent Mikhel Kütson und die guten Niederrheinischen Sinfoniker spielen einen entschlackten, schlanken Verdi, oft sängerfreundlich zurückgenommen. Hier und da würde man sich vielleicht eine Spur mehr Brio und Italianitá wünschen, aber das ist durchaus hörenswert, auch wenn die Koordination mit der Bühne an diesem Premierenabend gelegentlich noch etwas wacklig ist - der Rigoletto ist eben doch ein tückisches Stück. Fabelhaft singt der von Maria Benyumova und Michael Preiser einstudierte Chor. So triumphiert letztendlich Verdis vollblütige Musik über die im wahrsten Wortsinn blutleeren Cyberwesen auf der Bühne.
Die Regie verrennt sich in den unendlichen Weiten der schönen neuen Robot Society. Musikalisch gelingt dem Theater Krefeld Mönchengladbach ein mehr als achtbarer Rigoletto. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Herzog von Mantua
Rigoletto
Gilda
Graf von Monterone
Graf von Ceprano
Gräfin Ceprano
Marullo
Borsa
Sparafucile
Maddalena
Giovanna
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Gerichtsdiener
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