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Brüderlein und SchwesterleinVon Stefan Schmöe / Fotos vom Theater DortmundWarum darf Elsa nicht nach Lohengrins Herkunft fragen? Sicher, unter dem Blickwinkel des romantischen Geniekults erwartet hier eine Lichtgestalt, dem Komponisten der Oper durchaus wesensverwandt, blindes Vertrauen und damit bedingungslose Loyalität. Vielen Regisseuren gibt diese klassische Lesart allerdings zu wenig her (und ist wohl auch nicht mehr zeitgemäß). In seiner Dortmunder Neuinszenierung verknüpft Ingo Kerkhof das komplizierte Frageverbot mit einem anderen Rätsel der Oper: Was genau ist mit Elsas Bruder Gottfried passiert? (Von Ortrud verhext, erfahren wir am Ende, ohne Details zu kennen.) Kerkhoff konstruiert eine inzestuöse Liebesbeziehung zwischen Elsa und Gottfried und identifiziert den Ritter, der ihr in höchster Not zur Hilfe kommt, mit ihrem geliebten Bruder. Kühn gedacht, muss man da sagen. Rettung in höchster Not: Elsa und Lohengrin
Ob dieser Lohengrin nun tatsächlich Elsas Bruder Gottfried ist oder nur irgendein Mann, auf den sie die Bruderliebe projiziert, das ist unerheblich, da Kerkhoff die Geschichte weitgehend aus ihrer Perspektive erzählt. So oder so ist die Frage nach Lohengrins wahrer Identität verboten, und zwar aus Elsas ureigenem Interesse, weil sie sich mit der Antwort die Unmöglichkeit dieser Liebe eingestehen müsste. Bis dahin ist der gedankliche Ansatz durchaus spannend - wobei der noch weit darüber hinaus gehende Versuch, den Lohengrin autobiographisch als eine musikalische Liebeserklärung Wagners an seine Schwester Rosalie zu verstehen, schon ziemlich starker Tobak ist. Aber auf der Bühne schlüssig oder wenigstens spannend umsetzen kann Kerkhoff den verwegenen Konstrukt nicht. In Bedrängnis: Elsa und Telramund
Kerkhoff verlegt die Handlung ins bürgerliche Milieu des 19. Jahrhunderts (elektrische Beleuchtung gibt es merkwürdigerweise schon). In einem engen Zimmerchen liegt Elsa im Bett und träumt offenbar, aber es erscheinen keine mittelalterlichen Ritter, sondern bourgeoise Anzugträger. Kein Märchen also. Oder doch? Eingeblendete Texte, beginnend mit "Es war einmal…", verweisen auf eine Märchenebene. Das Zimmer befindet sich im leeren Raum, abgeschnittene Schilfhalme deuten auf Natur hin. Videoeinblendungen zeigen zwei Kinder am Tisch, Bruder und Schwester, und es handelt sich um die jungen Elsa und Gottfried. Komplizierter wird die Rolle des zweiten Paars Ortrud und Telramund, das Anfang des zweiten Akts ein offensichtlich erfülltes Sexualleben vorführt, das Elsa und Lohengrin verwehrt bleiben muss. Ist Ortrud die andere Seite Elsas und Telramund der Mann, der für sie vorgesehen (aber nicht geliebt) ist? Der Regie gelingt es nicht, das deutlich zu machen. Das Libretto, fast durchweg mit exzellenter Textverständlichkeit gesungen (und die Übertitelungsanlage gibt es sowieso), erzählt über weite Strecken eine andere Geschichte als die Regie. Und in den meisten Szenen (der erwähnte fulminante Auftritt von Ortrud und Telramund bildet eine Ausnahme) stehen die Figuren einfach herum und es passiert szenisch lange gar nichts. So ist dieser Lohengrin bei aller Gedankenspielerei vor allem eines: Langweilig. Und das eher uninspirierte Bühnenbild (Dirk Becker) rettet da auch nichts. Gegensätze: Ortrud (links) und Elsa
Der Chor ist im ersten und dritten Aufzug im oberen Rang aufgestellt, was szenisch wohl unterstreichen soll, dass die Regie ein Kammerspiel zeigen möchte. Weil auch noch die Fanfaren vor den Türen des Zuschauerraums postiert sind, ergibt sich eine faszinierende Rundum-Beschallung, und so viele Details vom Chor hat man sicher noch nie gehört. Bei allem Eindruck, den das macht, ergeben sich aber auch zwei Probleme. Da bei vielen Chorpassagen kein Chor auf der Bühne agiert und damit ohne jede szenische Aktion gesungen werden muss, verstärkt sich der statische, ja beinahe konzertante Charakter dieser Szenen - ein reines Hördrama. Zum anderen ist die Koordination zwischen Dirigent, Orchester und den über weite Strecken verteilten Sängern und Ferntrompeten eben doch sehr heikel. Der ausgezeichnete und sehr aufmerksame Opernchor, im Klang mit etwas viel Vibrato, bewältigt das großartig, und bis auf ein paar ganz kleine Wackler und Intonationseintrübungen gelingt das Unternehmen ziemlich präzise. Aber es muss eben streng auf den Schlag des Dirigenten gesungen werden, und dadurch bekommt die Musik auch etwas Unbewegliches. Zumal GMD Gabriel Feltz im Bemühen, auch die kleinen Noten sehr sorgfältig ausspielen zu lassen, mitunter die dramatische Entwicklung stocken lässt. Am besten gelingen die schwungvollen, von den Blechbläsern dominierten Zwischenspiele. Feltz interpretiert Wagner ansonsten in vielen Passagen als Zeitgenossen Mendelssohns und Schumanns, meist leicht und luftig, hebt die liedhaften Elemente hervor und weniger das sich abzeichnende Musikdrama. Manches gerät dabei arg schematisch. In weiten Teilen setzen die Dortmunder Philharmoniker das musikalische Konzept sehr gut um, manches wie die zu lauten und "klappernden" Holzbläsereinsätze zu Beginn des Vorspiels könnte noch Feinschliff vertragen. Scheiternde Hochzeitsnacht: Elsa und Lohengrin
Wenn Lohengrin weder Ritter noch Superheld ist, sondern ein sensibler junger Mann, dann ist Daniel Behle eine ganz ordentliche Besetzung - der leiseste in einer ansonsten stimmgewaltigen Riege. Die Spitzentöne singt er gerne von unten an, hat eine sichere Höhe, allerdings mit wenig Glanz. Ein netter Junge halt. Die junge schwedische Sopranistin Christina Nilsson, von der Maske sträflich behandelt (und auch Kostümbildnerin Jessica Rockstroh ist nicht viel Vorteilhaftes eingefallen), singt mit strahlkräftigem, großem Sopran die Elsa, sicher noch etwas kantig, aber mit immenser Energie - da könnte ein großer Sopran heranwachsen. (Leider verschleppt sie im hier schier endlosen Dialog mit Lohengrin im Brautgemach ausgerechnet dann, wenn Gabriel Feltz endlich mal auf Toren kommt, das Tempo.) Großartig ist Stéphanie Müther als hell timbrierte, strahlkräftige Ortrud, und Joachim Goltz ist ein metallisch wuchtiger, ungemein präsenter Telramund (die Partie liegt für ihn offenbar eine Terz zu hoch, die Spitzentöne verblassen - das fehlt ihm zur Weltklasse). Shavleg Armasi ist ein mehr als solider König Heinrich, dessen Bedeutung im Regiekonzept ziemlich unklar bleibt. Der Heerrufer ist eine Mischung aus Conferencier und Märchenerzähler, bewusst karikiert angelegt - Morgan Moody spielt das sehr schön (wobei der Effekt sich irgendwann erschöpft) und singt auch sehr ordentlich. Das Premierenpublikum war mit der musikalischen Seite sehr zufrieden: Ziemlich pauschales Gejohle von den Rängen (eine Unsitte, die sich offenbar mehr und mehr bei Premieren nicht nur in Dortmund verbreitet), auch für das Regieteam - das dann aber doch noch heftig Unmut mitgeteilt bekam. FAZITMusikalisch gibt es viel Hörenswertes, insbesondere von den Sängern; szenisch kann Ingo Kerkhoff sein überambitioniertes Konzept auf der Bühne nicht umsetzen und produziert vor allem öden Stillstand. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Dortmunder Philharmoniker Solisten
Heinrich der Vogler
Lohengrin
Elsa von Brabant
Friedrich von Telramund
Ortrud
Heerrufer des Königs
1. Edler
2. Edler
3. Edler
4. Edler
1. Edelknabe
2. Edelknabe
3. Edelknabe
4. Edelknabe
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