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Rache an den Männern!
Von Stefan Schmöe / Fotos von Jochen Quast
Was treibt eine Frau an, reihenweise Männer in ihre Macht zu bringen? Diese Alcina aus dem Jahr 1735 (die literarische Vorlage Orlando furioso ist noch 200 Jahre älter) ist ja noch keine spätromantische Femme fatal. Und überhaupt: Wenn sich ein Mann von einer Frau "verzaubern" lässt, dann will er in der Regel nicht als Tier oder Pflanze enden. "Warum muss sie die Männer unterdrücken, malträtieren, quälen?" fragt Regisseurin Lotte de Beer im Programmheft dieser Produktion nach der Motivation Alcinas. Es geht der Regie um die psychologischen Zusammenhänge. Klingt nicht falsch - aber geht es nicht letztendlich im Theater immer darum? ![]() Sängerin Jacquelyn Wagner ist ohnehin groß an Statur, das passende Schuhwerk macht sie noch größer und die Männer um sie herum, hier Ruggiero, klein.
Die Zauberinsel der Alcina ist ein mit ein paar Streben angedeuteter Luxusbungalow in exotischer Gartenlandschaft, der sich nach und nach zur trostlosen Ruine wandelt, wie das im Libretto mit der Insel ja vorgesehen ist - Bühnenbildner Christof Hetzer hat das ziemlich plakativ und allzu vordergründig ausgestaltet. Alcina ist ein mondänes Luxusweib, der die Männer zunächst wie Lustsklaven zu Füßen liegen, später lemurenhaft mit Tüten über dem Kopf herumkriechen. Von Liebeszauber ist nichts zu spüren, eher schon von Macht und Reichtum. Zum obligatorischen Personal der Oper (wobei der Chor gestrichen ist, im Finale singen die Hauptdarsteller den Chorsatz unsichtbar von der Hinterbühne - ganz glücklich sind die Kürzungen nicht) gesellen sich mehrere identische Frauen, die wohl Alcina als junges Mädchen darstellen sollen, sowie eine alte Frau, auch die wie Alcina gekleidet. Als Mädchen musste Alcina offenbar Gewalt von Männern über sich ergehen lassen, was vage angedeutet wird, und damit ist im Grunde schon fast alles über diese Inszenierung erzählt. Der Rest ist Rache an den Männern, eine Umkehrung der Macht. Und natürlich Alcinas Ende, herbeigeführt durch eine junge Frau namens Bradamante, die ihren Verlobten Ruggiero aus der Umklammerung Alcinas befreien wird. Dass sie dafür eine Pistole benötigt, gehört nicht gerade zu den besseren Momenten einer Regie, die ziemlich ratlos wirkt. ![]() Bradamante (rechts) war als Mann verkleidet in Alcinas Anwesen eingedrungen - jetzt muss sie den verblendeten Ruggiero davon überzeugen, dass sie nicht nur eine Frau ist, sondern sogar seine Verlobte.
Man kann im Programmheft ein paar kluge, wenn auch für ein Regiekonzept nicht allzu tragfähige Gedanken der Regisseurin und ihres Mitarbeiters Peter te Nuyl nachlesen - nur findet man auf der Bühne wenig davon wieder. Die Personenregie bleibt unbestimmt, die Figuren fremd - das Konzept lässt einen merkwürdig teilnahmslos, auch weil die Charaktere kaum Profil gewinnen. Selbst im Umfeld der "Kö", Düsseldorfs kurz hinter der Oper beginnendem Prachtboulevard, dürfte das Schicksal einer elitären Randgruppe, wie sie hier dargestellt ist, nicht übermäßig interessieren: Soll die High Society doch ihre extravaganten Liebesspiele in ihrer Parallelwelt veranstalten. Erst im zweiten Teil kommt man der Alcina näher, aber das liegt mehr an der Musik als an der Szene. Zudem verzettelt sich Lotte de Beer, wechselt unentschieden zwischen einer konkreten und einer metaphorischen Ebene (und landet irgendwo dazwischen im Niemandsland). Alcinas Kostüm, ein elegantes beige-rotes Kleid (Kostüme: Jorine van Beek), spielt in den Farben auf Lotte de Beers letztendlich misslungene Essener Carmen an, die freilich von einem anderen Team ausgestattet wurde - ist diese visuelle Parallele Zufall oder Absicht? Im Gestus, archetypische Geschlechtsrollenmuster aufzeigen zu wollen, sind sich beide Inszenierungen nahe (und beiden fehlt die Idee, wie man eine dreistündige Oper damit füllen kann). ![]() Keine Sorge, weder das Messer an Ruggieros Kehle noch die Pistole in Bradamantes Hand kommen zum Einsatz, aber etwas Besseres ist der Regie für den Showdown leider nicht eingefallen.
Das Motiv des Alterns etwa hat Damiano Michieletto in seiner eindrucksvollen Inszenierung für die Salzburger Pfingstfestspiele ins Zentrum gerückt (unsere Rezension), und das sehr viel zwingender, als es Lotte de Beer gelingt, bei der man in dieser Inszenierung oft das Gefühl hat, dass sie ihre Ideen nicht überzeugend szenisch umsetzen kann. Mühe hat sie auch mit den barocken Formen: Mehrfach applaudiert das Publikum in die Da-capo-Arien hinein, und es wäre zu einfach, das mit Unbedarftheit abzutun. Tatsächlich signalisiert die Regie immer wieder, dass eine Szene zu Ende erzählt ist; dabei müssten die Mittelteile der Arien mit dem typischen Stimmungswechsel doch irgendeine szenische Aktion auslösen, müsste zumindest ein Spannungsbogen aufgebaut werden, der eine ganze Arie anhält, selbst wenn diese lang ist. ![]() Vorbei ist's mit Exotik, Zauber und Verführung - Alcina muss sich gedanklich auf eine Zukunft als Rentnerin einstellen.
Ganz glücklich macht dabei auch das Dirigat von GMD Axel Kober am Pult der barockversierten Neuen Düsseldorfer Hofmusik nicht. Ein Barockspezialist ist Kober nicht, seine Auffassung folgt der derzeit angesagten Richtung "historisch informiert", und in einer Reihe von Arien trifft er auch sehr schön einen intimen Ton, wobei Kober eher im auf die Klassik vorausweisenden großen Bogen als in kleinteiligen Affekten dirigiert. Was fehlt, ist das Gespür für Übergänge, für Pausen und Verzögerungen etwa zwischen den schnellen und langsamen Teilen der Arien (oder auch am Ende einer Arie) - da handelt Kober die Musik oft ziemlich schematisch ab. Statisch, ja: geradezu langweilig geraten die Rezitative, bei denen die Musik einfallslos von Akkord zu Akkord setzt, ohne Variation und ohne Bezug zum Text. Wo bei anderen Dirigenten der Hofmusik wie Konrad Junghähnel (der Händels Xerxes hier dirigiert hat) jeder Ton von Bedeutung war, kommt es bei Kober oft nicht so genau darauf an, solange nur die Musik im Fluss bleibt. Auf einen Countertenor und die damit verbundene Stimmfarbe hat die Rheinoper bei dieser Produktion leider verzichtet, dafür aber ein sehr gut aufeinander abgestimmtes Ensemble aufgeboten. Jacquelyn Wagner, sonst in großen romantischen Partien wie Mimí (La Bohème), Desdemona (Otello) oder Arabella zu hören, singt die Titelpartie mit schlanker Stimme und zeichnet glaubwürdig den Abstieg Alcinas von der Herrscherin zur um die verlorene Herrschaft trauernden alternden Frau nach, phrasiert dabei sorgfältig und trifft den Gestus der Musik sehr schön. Maria Kataeva gibt ihren Liebhaber Ruggiero mit jugendlich-burschikosem Übermut, Wallis Giunta als dessen Verlobte Bradamante besticht mit leuchtender Stimme und perfekten Koloraturen - wie von allen sehr genau und sauber gesungen wird. Für die Morgana, Alcinas lebensfrohe Schwester, war Elena Sancho Pereg vorgesehen, die aber vor der Premiere erkrankte und kurzfristig von Shira Patchornik ersetzt wurde - die passte sich mit kokett leichtem, beweglichem, nicht zu kleinem Sopran perfekt in das ausgezeichnete Ensemble ein. Andrés Sulbarán mit schönem lyrischem Tenor ist ein ausgezeichneter Oronte, Beniamin Pop agiert souverän als Bradamantes Begleiter Melisso, und Maria Carla Pino Cury (wie Sulbarán Mitglied im Opernstudio der Rheinoper) ist mit knabenhafter Erscheinung und Stimme eine ideale Besetzung für das Kind Oberto.
Lotte de Beers Konzept funktioniert auf dem Papier besser als auf der Bühne - szenisch bleibt diese Alcina blass. Musikalisch erfüllt Axel Kober manche, aber nicht alle Barockwünsche, wobei er sich auf ein sehr gutes und homogenes Sängerensemble verlassen kann. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Choreographische Mitarbeit
Konzeptionelle Mitarbeit
Dramaturgie
Solisten
Alcina
Ruggiero
Morgana
Morgana
Oronte
Melisso
Oberto
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E-Mail: oper@omm.de