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Grau ist das neue Schwarz
Von Roberto Becker /
Fotos von
Wilfried Hösl
Es beginnt stürmisch. Zumindest im Münchner Orchestergraben. Bei Kirill Petrenko sogar besonders stürmisch. Auf der Bühne sieht man nur das Zimmer der Desdemona mit Bett und Kamin. Etwas abgehoben, schwebend. Darunter kaum erkennbar, aber sehr gut hörbar, der fabelhaft einstudierte Chor. Desdemona wartet auf die Heimkehr ihres Mannes. Ihre Körpersprache verrät eine seltsame Mischung aus Erwartung und Sorge. Vielleicht vor der Entfremdung, die eintritt, wenn der Mann lange im Krieg war? Sie hat vielleicht nur wenig oder gar nichts von ihm gehört. Als er dann endlich kommt, fallen sich die beiden nicht etwa in die Arme, sondern fremdeln spürbar. Es ist der Befehlshaber der venezianischen Flotte in Zypern, der hier zurückkehrt. Er wirkt traumatisiert, obwohl er eigentlich ein erfolgreicher Aufsteiger ist, dessen Außenseitertum ihm ins Gesicht geschrieben steht. Er ist der Feldherr, der in Shakespeares Vorlage noch den Beinamen "Mohr von Venedig" trägt.
Genau diese Zuschreibung halten heute viele Regisseure für ein Problem. Weil man Diskriminierung vermutet, wenn unbändige Eifersucht einem Mann mit schwarzer Hautfarbe zugewiesen wird. Dass Jago, der eigentliche Fiesling im Stück, ein Weißer ist, führt allerdings nie zu derartigen Komplikationen. Die Regisseurin der jüngsten Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper, Amélie Niermeyer, hat für sich entschieden, dass es für sie ausgeschlossen ist, heute noch einen weißen Sänger schwarz anzumalen. (Das Anhaltische Theater in Dessau hätte bei dieser Logik Erklärungsbedarf bei seinem tatsächlich schwarzen Otello-Interpreten. Wie dem auch sei.) Es geht ja wirklich nicht um die Hautfarbe, sondern eher um Eifersucht und Misstrauen und um die grenzenlose Boshaftigkeit Jagos, der mit ziemlicher Raffinesse auf der Klaviatur von Otellos Charakter spielt. Bei Niermeyer macht gleich der erste Auftritt von Otello das Problem des ganzen Abends deutlich. Das liegt nämlich nicht im Fokus, den die Regisseurin erklärtermaßen auf Desdemona richten will, sondern in der damit korrespondierenden Verkleinerung ihres Otello. Der hat hier weder was von einem Außenseiter, der sich mit Vehemenz durchgesetzt hat, noch von einem Obermacho, der seine Frau als Statussymbol seines Aufstiegs sieht. Er ist ein Jedermann, der nicht auffallen würde, wenn man ihm begegnet. Den an sich charismatischen Jonas Kaufmann in eine solche Rolle zu bannen, ist auch schon wieder eine Leistung. Hier hat Jago leichtes Spiel. Er weiß, welche Knöpfe er drücken muss. Und seine Frau Emilia weiß, dass er es weiß. Und dass er es auch umsetzt. Einer der straken Momente in Niermeyers Inszenierung ist die Kontur, mit der sie diese Nebenrolle zeichnet. Emilia darf ihrem Mann sogar eine Ohrfeige verpassen. Sie kann aber auch hier nicht dem Schicksal ins Rad greifen, obwohl sie mit deutlichem Einsatz versucht, das verhängnisvolle Taschentuch nicht in die Hände ihres Mannes fallen zu lassen.
Das Problem der Münchner Inszenierung ist der bürgerliche Rahmen, den der gedoppelte Einheitsraum von Christian Schmidt, die ausnehmend (vorsichtig ausgedrückt) unvorteilhaften Kostüme von Annelies Vanlaere und auch der Bewegungshabitus, den Niermeyer ihren Akteuren verordnet. Das sieht alles eher nach Ibsen, Strindberg oder den Szenen einer Ehe, nach subtiler Bürgerlichkeit aus als nach der elementaren Wucht von Shakespeare oder Verdi. Desdemonas Raum füllt noch einmal als großes Duplikat die gesamte Bühne. Bietet parallele äußerliche Handlungen gleichsam als Spieglung von Desdemonas innerer Befindlichkeit. Wenn sie vor dem Kamin kniet, dann brennen bei dem Double im Parallelraum die Arme lichterloh. Das ist eine der metaphorischen Behauptungen, die dann nicht durchdekliniert werden. Faszinierend gelingen Philip Batereau dagegen Videoüberblendungen, die die festen Konturen der Räume verschwimmen lassen und damit Desdemonas wachsende Verunsicherung deutlich machen.
Dass die vorgeführte Gewalt in der Ehe in einem Mord eskaliert, ist in diesem szenischen Kontext jedenfalls einer der unwahrscheinlicheren Höhepunkte einer Beziehungskatastrophe. Wenn dieser Otello seine Frau erwürgt, dann geschieht das eher kalkuliert abgezirkelt; der theatralische Selbstmord Otellos mit einem Taschenmesser wirkt geradezu lächerlich. Das Münchner Publikum sah vor allem "seinem" Lieblingstenor Jonas Kaufmann gespannt entgegen, der die Rolle schon in London ausprobiert hatte. Für seine Fans ist es eher zweitrangig, ob ihn Annelies Vanlaere mit ihrer Allerweltsuniform auf nichtssagenden Angestellten trimmt, oder ob dieser Otello sein natürliches oder ein schwarz angemaltes Gesicht hat, wenn er denn seine Stimme in voller Farbigkeit entfaltet. Vor allem in seinen Ausbrüchen geht Kaufmann hörbar bis an seine Grenzen. Anja Hateros beherrscht natürlich ihren Verdi, versieht ihre technisch perfekte, stimmlich hörbar reife Desdemona deutlich mit einer (allzu) damenhaften Aura.
Die beiden Stars überzeugen vor allem ihre Fans restlos. Zum wirklich Außergewöhnlichen und zur Überwältigung freilich fehlte zumindest bei der Premiere das letzte Gran. Gerald Finley als Jago nutzte die Chance, die der Bösewicht allemal hat, mit einem höchst souveränen, fein gezeichneten Jago aus, wobei er ausgerechnet dem Credo den letzten Schritt in die diabolische Bösartigkeit vorenthält. Bei den Nebenrollen hinterlässt Rachel Wilson als Emilia einen starken Eindruck. Cassio (Evan LeRoy Johnson), Lodovico (Bálint Szabó), Montano (Milan Siljanov) und der Herold (Markus Suihkonen) sind auf dem in München üblichen hohen Niveau besetzt. Kirill Petrenko macht seinem Ruf, ein präziser Dirigent zu sein, der die innere Dynamik und die Leidenschaft einer Partitur aufzuspüren versteht, wieder einmal alle Ehre. Das betrifft sowohl die Tempereamentsausbrüche wie die leisen Passagen. Die Musiker folgen ihm dabei in jeder Nuance. Es gelingt ihm zu einem großen Teil, so die Defizite der Musik auszugleichen. Otello in München wird so vor allem zu einem Ereignis im Graben. FAZITBeim neue Münchner Otello mit Starbesetzung begeistert vor allem Kririll Petrenko. Szenisch ist die Inszenierung eine Enttäuschung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Choreographische Mitarbeit
Chor
Dramaturgie
Solisten
Otello
Jago
Cassio
Roderigo
Lodovico
Montano
Ein Herold
Desdemona
Emilia
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