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Simon Boccanegra

Musikalisches Drama in einem Prolog und drei Akten (Zweitfassung von 1881)
Text von Francesco Maria Piave mit Ergänzungen von Giuseppe Montanelli in der Neufassung von Arrigo Boito
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Theater Lübeck

Premiere im Theater Hagen am 29. September 2018


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Fragwürdige Zerlegung einer Oper

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre (Rechte Theater Hagen)

Verdis Simon Boccanegra zählt zu den eher sperrigen Werken des großen italienischen Komponisten, was vor allem an der reichlich verworrenen Handlung liegen dürfte, die vielleicht mit dazu beitrug, dass der Uraufführung am 12. März 1857 im Teatro La Fenice in Venedig kein Erfolg beschieden war. 24 Jahre später überarbeitete Verdi das Stück noch einmal, straffte die Handlung und schuf mit einem bruchlosen Wechsel von Rezitativen und ariosen Formen eine musikalische Verdichtung, die in der Instrumentation seinen Spätwerken angepasst ist und wesentlich vergeistigter klingt. Wenn dieses Stück heute auf dem Spielplan steht, ist in der Regel diese Zweitfassung zu erleben, die bei der ersten Aufführung an der Mailänder Scala am 24. März 1881 einen großen Erfolg verbuchen konnte. Auch in Hagen hat man sich in Koproduktion mit dem Theater Lübeck für diese zweite Fassung entschieden. Doch das Regie-Team um Magdalena Fuchsberger scheint auch dieser Version zu misstrauen und macht die verworrene und kaum nachvollziehbare Handlung noch abstruser. So fängt man einfach mit dem dritten Akt, dem Tod des Dogen an, und spielt dann den Rest.

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Simon Boccanegra (Kwang-Keun Lee, links) und Jacopo Fiesco (Dong-Won Seo, rechts) streiten um Maria (Veronika Haller).

Da man dabei nun gar nicht mehr versteht, worum es eigentlich geht, soll hier noch einmal der eigentliche Inhalt kurz zusammengefasst werden: Simon Boccanegra ist der historisch erste belegte Doge von Genua, der von 1339 bis 1363 über den Stadtstaat herrschte und das Staatsgebiet entlang der Riviera erweiterte. In der Oper ist er ein Korsar, der der Wahl zum Dogen nur zustimmt, um endlich die von ihm geliebte Patriziertochter Maria Fiesco heiraten zu können. Als er zum Dogen ausgerufen wird, muss er von Jacopo Fiesco, Marias Vater, erfahren, dass Maria mittlerweile gestorben ist. Auch die gemeinsame Tochter Maria, die Boccanegra in die Obhut einer alten Amme gegeben hat, ist verschwunden. Was er nicht weiß, ist, dass die vermögende Familie Grimaldi das Mädchen an Kindes statt angenommen hat und unter dem Namen Amelia aufzieht. Als Boccanegra 24 Jahre später - in der Oper bleibt er die ganze Zeit über Doge, während der historische Boccanegra zwischenzeitlich einige Jahre im Exil verbracht hat - Amelia aufsucht, um für seinen Günstling Paolo um ihre Hand anzuhalten, erkennt er in Amelia seine verschollene Tochter wieder und gibt ihren Bitten nach, Paolo nicht heiraten zu müssen. Dies veranlasst Paolo, eine Verschwörung gegen den Dogen anzuzetteln. Er überredet Amelias Geliebten Gabriele Adorno, einen Anschlag auf Boccanegra zu verüben, indem er ihn glauben lässt, Amelia sei die Geliebte des Dogen. Des Weiteren lässt er Boccanegra einen vergifteten Trank reichen. Amelia vereitelt Gabrieles Anschlag auf den Dogen und klärt ihren Geliebten auf, dass Boccanegra ihr Vater sei. Daraufhin wechselt Gabriele die Seiten und kämpft fortan für den Dogen. Der von Paolo angezettelte Aufstand wird niedergeschlagen, aber der vergiftete Trank zeigt bereits seine Wirkung. Boccanegra kann mit letzter Kraft Amelia / Maria ihrem Großvater Fiesco zuführen und ernennt vor seinem Tod ihren zukünftigen Ehemann Gabriele zu seinem Nachfolger.

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Paolo (Kenneth Mattice, links), Gabriele Adorno (Xavier Moreno, 2. von links), Pietro (Valentin Anikin, 2. von rechts) und Jacopo Fiesco (Dong-Won Seo, rechts) planen eine Verschwörung gegen den Dogen.

Was hat sich Frau Fuchsberger nun dabei gedacht, in ihrer Inszenierung mit dem Ende anzufangen? Intendant Francis Hüsers, der in dieser Produktion als Dramaturg fungiert, versucht eine Erklärung im Programmheft, die nicht wirklich überzeugen kann: Eine lineare Erzählung der Handlung erwecke den Eindruck, dass Geschichte sich nicht in ihrer Grundstruktur ständig wiederhole, weshalb im Zusammenhang mit den Königsdramen von Shakespeare ja auch häufig vom "Rad der Geschichte" die Rede sei. Der Tod des Dogen stehe also am Anfang und am Ende. Deswegen beginnt der Abend mit der Schlussansprache aus dem Film Der große Diktator von Charlie Chaplin, die aus einem blechernen Lautsprecher, der in Form eines Eimers aus dem Schnürboden herabgelassen wird, ertönt, während die sich drehende Bühne mit zahlreichen Leichen übersät ist. Am Ende sind auch wieder alle tot. Nur Maria steht im Spot auf der rechten Seite und beginnt mit dieser Schlussrede erneut, nur dass jetzt nicht mehr von "Herrschern" und "Meistern" die Rede ist, sondern alle Ämter in die weibliche Form gesetzt werden. Das Grundübel ist nämlich der Mann. Deswegen spricht Frau Fuchsberger im Programmheft auch von "Patriarchendämmerung", und Hüsers übertitelt seinen Beitrag: "Wäre die Welt friedlicher, wenn Frauen sie regierten?" Wesentlich zutreffender für das gesamte Konzept der Produktion ist aber ein weiterer Satz, der in großen Lettern eine ganze Seite im Programmheft füllt: "Ich verstehe das nicht!" Diesen Eindruck gewinnt man leider bei Frau Fuchsberger mit Bezug auf Verdis Oper.

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Kampf zwischen verfeindeten Lagern: links: Simon Boccanegra (Kwang-Keun Lee), rechts: Jacopo Fiesco (Dong-Won Seo, 2. von rechts) und Gabriele Adorno (Xavier Moreno, ganz rechts) mit dem Chor und Extrachor

Während die Kostümbildnerin Kathrin Hegedüsch die "bösen" Männer kontrastreich in helle Anzüge kleidet, was zwar übertrieben plakativ, aber zumindest nachvollziehbar ist, hat man selten einen derart unnützen Einsatz der Drehbühne gesehen. Bühnenbildnerin Monika Biegler hat auf der Drehbühne fünf oder sechs Mal den exakt gleichen mit braunem Holz getäfelten Raum konzipiert, in dem sich ein brauner Schreibtisch, ein schwarzes Ledersofa, eine Stehlampe, ein Fernseher, eine Schreibtischlampe und ein Bürostuhl befinden, die sich höchstens in der Anordnung im Raum unterscheiden. Da in jedem Raum auch ein Gewehr und ein Madonnenbild auf der linken Seite an der Wand hängen, und auf der anderen Seite ein Dolch, mit dem der Anschlag auf den Dogen verübt werden soll, in der Wand steckt, handelt es sich immer um den gleichen Raum zu unterschiedlichen Zeiten. Ist das ständige Drehen der Bühne an sich schon größtenteils unnötig, kommen bisweilen noch knarrende Geräusche hinzu, die den musikalischen Genuss stören.

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Maria (Veronika Haller) verhindert einen Anschlag ihres Geliebten Gabriele (Xavier Moreno) auf ihren Vater Simon Boccanegra.

Die Personenregie von Frau Fuchsberger ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Völlig unmotiviert lässt sie Figuren auf- und abtreten, die in der Szene gar nicht vorkommen. In den Massenszenen ist mit dem Chor und Extrachor ebenfalls keine Struktur zu erkennen. Die Männer benehmen sich teilweise wie "unzivilisierte Wilde", wenn sie sich in einem Ritual im Kreis sitzend mit roter Farbe im Gesicht beschmieren oder einen Knochen herumreichen. Paolo rührt das Gift für den Dogen in einer riesigen Holzschale an, die Boccanegra später leert. Selten hat man einen Menschen aus so einer riesigen Schale trinken sehen, die eher an einen Trog für Tiere erinnert. Völlig unklar bleibt auch, wieso der sterbende Boccanegra am Schluss - also eigentlich am Schluss, in Frau Fuchsbergers Inszenierung natürlich am Anfang - mit dem Wasser aus dieser Schale die anderen Figuren segnet oder tauft. Eine Frau bricht sogar unter der Taufe zusammen. Kommt das von dem Gift oder liegt es daran, dass die Frauen ja sowieso die armen Opfer in einer patriarchalischen Gesellschaft sind? Veronika Haller muss sich als Maria ständig unter den Schreibtisch auf die Bühne legen und später - also eigentlich im zweiten Akt, aber in der Inszenierung am Ende - auch noch aus völlig unerklärlichem Grund die ganzen Requisiten von der Drehbühne schleppen, was schon unfreiwillig komisch wirkt.

Bei diesen ganzen Ärgernissen geht fast unter, dass der Abend musikalisch einiges zu bieten hat. Mit Generalmusikdirektor Joseph Trafton und dem Philharmonischen Orchester Hagen kann man schon fast Mitleid haben, dass sie gezwungen werden, Verdi in einer solch zerlegten Form spielen zu müssen. Aber die Musiker lassen sich nichts anmerken und machen aus dem Graben deutlich, welche Schönheit und welcher Klang in der Partitur steckt. Vielleicht sollte man einfach nur die Augen schließen und der Musik lauschen. Auch die Solistenbesetzung kann als hochkarätig bezeichnet werden, zumal ein Großteil der Partien mit Ensemble-Mitgliedern besetzt werden kann. Veronika Haller begeistert als Maria / Amelia mit leuchtendem Sopran und stimmlicher Dramatik. Mit jugendlich strahlenden Höhen präsentiert sie sich in ihrer Auftrittsarie "Come in quest'ora bruna" im ersten Akt, wenn sie auf die Rückkehr ihres Geliebten Gabriele wartet. Xavier Moreno ist in Hagen kein Unbekannter mehr. Nach Don Carlo und Cavaradossi kehrt er nun als Gabriele Adorno zurück und punktet mit höhensicherem Tenor und glänzend angesetzten Spitzentönen. In Erinnerung bleibt seine große Arie "Sento avvampar nell'anima" im zweiten Akt, in der er um Amelias Unschuld bangt, nachdem Paolo ihm gegenüber behauptet hat, Amelia sei die Geliebte des Dogen. Kenneth Mattice verleiht dem Bösewicht Paolo mit dunkel geführtem Bariton sehr negative Züge.

Dong-Won Seo, der vom Musiktheater im Revier ins Ensemble nach Hagen gewechselt ist, empfiehlt sich als Fiesco mit fulminantem Bass und verkörpert dabei eine Unnachgiebigkeit, die bis zum bitteren Ende verhindert, dass Fiesco mit Boccanegra Frieden schließen kann, auch wenn er zuvor Paolos Ansinnen, den Dogen zu ermorden, brüsk von sich gewiesen hat. Für die Titelpartie hat man den südkoreanischen Bariton Kwang-Keun Lee verpflichtet, der ebenfalls stimmlich durch große Dramatik überzeugt. Valentin Anikin und Richard van Gemert runden als Pietro und Hauptmann die Solistenriege überzeugend ab. Der von Wolfgang Müller-Salow einstudierte Chor leistet stimmlich ebenfalls Gewaltiges. Die schwache Personenregie kann ihm nicht angelastet werden. So gibt es zumindest für das Ensemble und die Musiker bei der Premiere großen Applaus. Für das Regie-Team mischen sich in vereinzelte Bravorufe auch lautstarke Unmutsbekundungen in einer Premiere, bei der merkwürdig viele Plätze im Parkett frei geblieben sind. Sollte der Regie-Ansatz schon im Vorfeld einige Besucher abgeschreckt haben?

FAZIT

Intendant Francis Hüsers hat zwar angekündigt, dass er ein vielseitiges Programm anstrebt, das stellenweise auch kontrovers diskutiert werden soll. Mit dieser Inszenierung läuft er aber Gefahr, dass das Publikum nicht mal mehr diskutieren will, sondern einfach ausbleibt, was die gute musikalische Umsetzung dieses relativ selten zu erlebenden Werkes nicht verdient hat.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Joseph Trafton

Inszenierung
Magdalena Fuchsberger

Bühne
Monika Biegler

Kostüme
Kathrin Hegedüsch

Licht
Hans-Joachim Köster

Video
Aron Kitzig

Chor
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Francis Hüsers

 

Chor und Extrachor des Theaters Hagen

Philharmonisches Orchester Hagen


Solisten

*Premierenbesetzung

Maria alias Amelia Grimaldi
Veronika Haller

Simon Boccanegra
Kwang-Keun Lee

Jacopo Fiesco alias Andrea
Dong-Won Seo

Gabriele Adorno
Xavier Moreno

Paolo Albiani
Kenneth Mattice

Pietro
Valentin Anikin

Ein Hauptmann
Richard van Gemert

Eine Magd
*Andrea Kleinmann /
Vera Käuper-de Bruin


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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