Die Macht der Kameras
Von Thomas Molke /
Fotos von Monika Rittershaus
Bed řich Smetana
ist in Deutschland vor allem für seine sinfonische Dichtung Die Moldau
und die komische Oper Die verkaufte Braut bekannt. Dabei soll er selbst
diese Oper nur als Gelegenheitswerk betrachtet haben und sehr verzweifelt
darüber gewesen sein, dass seine dritte Oper Dalibor, die er selbst für
sein bestes Werk hielt, nicht ansatzweise den Erfolg der verkauften
Braut erreichen konnte. Als Nationaloper gedacht wurde das Werk am 16. Mai
1868 anlässlich der Grundsteinlegung des Nationaltheaters im Neustädter Theater
Prag uraufgeführt, brachte seinem Komponisten allerdings von Anfang an reichlich
Kritik ein. Wegen des deutschen Librettos bezichtigte man ihn der Deutschtümelei,
und auch die Übersetzung ins Tschechische konnte ihn vor dem Vorwurf des
"untschechischen Wagnerismus" nicht bewahren. Einer zweiten Fassung, die Smetana
zwei Jahre später folgen ließ, war ebenfalls kein großer Erfolg beschert. Erst
viele Jahre nach Smetanas Tod konnte sich das Werk zumindest auf den
tschechischen Bühnen allmählich etablieren. In Deutschland führt es
weiterhin ein Schattendasein. Da ist es schon überraschend, dass in dieser
Spielzeit mit Augsburg und Frankfurt direkt zwei Bühnen dieses Stück auf den
Spielplan gestellt haben.

Dalibor (Aleš Briscein,
Mitte) wird im Studio 19 der Prozess
gemacht (links als Klägerin: Milada (Izabela Matuła), rechts in Gelb: Kanzler Budivoj (Simon Bailey)).
Die Handlung führt
zurück ins 15. Jahrhundert zur Zeit des Königs Vladislav Jagellonský. Der
Ritter Dalibor von Kozojedy, der für seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
bekannt war, unterstützte die tschechischen Bauern in ihrer Revolte gegen den
grausamen Gutsherren Adam Ploshovský von Drahonice. Die übrigen
Lehnsherren der Gegend beschwerten sich beim König, so dass Dalibor ins
Gefängnis geworfen wurde, wo er die übrigen Häftlinge und an seiner Zelle
vorbeigehende Passanten mit seinem eindringlichen Geigenspiel fasziniert haben
soll. Zahlreiche Bittgesuche, vor allem von jungen Frauen und Mädchen, nützten
aber nichts, und Dalibor wurde 1498 hingerichtet. In der Oper ist es nicht
Dalibor, der die Menschen durch sein begnadetes Geigenspiel begeistert, sondern
sein Freund Zdeněk, der bereits vor Beginn der Oper vom Grafen Ploškovic
getötet worden ist, weshalb Dalibor Rache am Grafen für den Tod des Freundes
genommen hat. Die Oper beginnt mit der Gerichtsverhandlung, in der die Schwester
des Grafen, Milada, als Klägerin auf Dalibor trifft und sich sofort in ihn
verliebt. Da er ins Gefängnis geworfen wird, schließt sie sich den
Rebellen, die von Dalibors Ziehtochter Jitka und ihrem Freund Vítek
angeführt werden, an, um Dalibor zu befreien. Milada verkleidet sich als Junge und
schleicht sich als Diener beim Gefängniswärter Beneš ein. So gelingt es
ihr, Dalibor nicht nur die Geige des Freundes sondern auch noch Werkzeug in die
Zelle zu schmuggeln, um ihm den Ausbruch zu ermöglichen. Die beiden gestehen
einander ihre Liebe und verbringen eine gemeinsame Nacht. Ihr Verrat fliegt
allerdings auf. Bei der Revolte wird Milada auf der Flucht tödlich verwundet.
Dalibor stellt sich seinen Feinden und opfert sich.

Eingeschlossen von Kameras und
Scheinwerfern: Dalibor (Aleš Briscein) in seiner Zelle
Das Regie-Team um
Florentine Klepper verlegt die Geschichte aus dem 15. Jahrhundert in eine nicht
näher definierte Gegenwart, in der eine totalitäre Überwachung mit Kameras eine
erschreckende Transparenz liefert. Der König tritt als schmieriger
Fernsehmoderator in blauem Glitzeranzug auf, um den Prozess vor laufenden
Kameras in einer TV-Sendung zu führen. Als Geschworene fungieren Zuschauer im Publikum, die wie geklont aussehen und von den Machern der Sendung
zu den entsprechenden gewünschten Reaktionen animiert werden. Über Televoting
läuft nicht nur eine Abstimmung darüber, ob Dalibor nun schuldig oder nicht
schuldig gesprochen wird, sondern es erscheinen auch noch wie im "richtigen
digitalen Leben" entsprechende Hashtags mit mehr oder weniger sinnvollen
Kommentaren. Jitka hat sich in den "Sender 19" als Kamerafrau eingeschlichen, um
den Prozess zu filmen und Dalibors Anhänger über das Geschehen zu informieren. Der Sender wird wie eine eiserne Wand vor den Rebellen abgeschirmt, so
dass zunächst keine Möglichkeit besteht, den Sender zu stürmen. Nur Milada gelingt es, sich als Junge
bei dem Gefängniswärter Beneš einzuschleichen. Um zum Gefangenen Dalibor
vorgelassen zu werden, muss sie ihn allerdings mit einer Flasche außer Gefecht
setzen.

König Vladislav (Gordon Bintner,
links) muss sich dem Druck der Öffentlichkeit beugen.
Die Zelle, in der
sich Dalibor befindet, besteht aus Kameras und Scheinwerfern, die den Gefangenen
einrahmen. Die drei Scheinwerfer dienen als Folterinstrumente, da sie ihm keinen
Moment der Ruhe und Dunkelheit gönnen. Die Kameras zeichnen jede seiner
Bewegungen auf, so dass nichts unbeobachtet bleibt. In dieses Gefängnis dringt
nun Milada ein. Anstelle der Geige überreicht sie ihm allerdings Kopfhörer,
mit denen er bereits im ersten Akt aufgetreten ist. Auch die Geige ist
folglich nicht real sondern nur digital vorhanden. Inmitten der Kameras finden Milada und
Dalibor zu einem bewegenden Moment der Zweisamkeit, da Milada vorher zumindest die
Scheinwerfer ausgestellt hat. Trotzdem werden die beide natürlich über einen
Bildschirm entdeckt. Nun gerät alles aus dem Ruder. Der König, der sich
eigentlich Dalibors Hinrichtung widersetzen will und dem Druck des Systems
nachgeben muss, wird bei der folgenden Revolte kurzerhand vom Kanzler Budivoj
getötet, wobei Budivoj den Mord Jitkas Freund Vítek in die Schuhe schiebt. Die
vermummte Polizei streckt mit Schlagstöcken schließlich auch noch den Kanzler
nieder, und am Ende weiß man eigentlich gar nicht mehr, wer jetzt eigentlich als
Sieger aus dem Gemetzel hervorgeht. Dalibor lässt sich zur Hinrichtung bringen,
während Milada leblos an der Bühnenrampe liegt.

Befreiung ohne Happy End:
Dalibor (Aleš Briscein) und Milada (Izabela Matuła)
Wirft die Inszenierung einige
Fragen auf, lässt die musikalische Gestaltung des Abends keine Wünsche offen.
Izabela Matuła
gibt als Milada in Frankfurt ein umjubeltes Debüt. Mit großem dramatischen
Sopran gestaltet sie die Partie, der jungen Frau, die stimmlich und
darstellerisch eine Mischung aus Wagners Elsa und Beethovens Leonore darstellt.
Im Gegensatz zu Leonore ist ihr allerdings kein glückliches Ende vergönnt. Aleš
Briscein begeistert in der Titelpartie mit strahlendem Tenor und sauber
ausgesungenen Höhen. Mit Matuła findet er in dem großen Duett des zweiten
Aktes zu einer betörenden Innigkeit. Seine große Arie im zweiten Akt, wenn er
vor Miladas Auftreten mit seinem Schicksal hadert, erinnert stark an Beethovens
Florestan. Gordon Bintner stattet den König Vladislav mit markantem Bariton aus
und gestaltet die Figur darstellerisch als schmierigen Entertainer. Thomas
Faulkner punktet als Gefängniswärter Beneš mit gewaltigem Bass. Simon
Bailey kehrt als Kanzler Budivoj nach Frankfurt zurück und überzeugt mit
kräftigem Bass. Angela Vallone und Theo Lebow runden als Jitka und Vítek das
Ensemble großartig ab. Auch der von Tilman Michael einstudierte Chor begeistert
stimmlich durch homogenen Klang. Stefan Soltesz lotet mit dem Frankfurter Opern-
und Museumsorchester Smetanas Partitur, die mit ihren romantischen Anklängen an
die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts etwas antiquiert klingt,
differenziert aus, so dass es für die musikalische Gestaltung des Abends
einhelligen Beifall gibt. Nur das Regie-Team muss einige Unmutsbekundungen über
sich ergehen lassen.FAZIT
Smetanas Einstellung, dass Dalibor seine beste Oper sein und die
verkaufte Braut um Klassen übertreffen soll, lässt sich nach dieser
Produktion nicht teilen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Stefan Soltesz Inszenierung
Florentine Klepper Bühnenbild
Boris Kudliča Kostüme
Adriane Westerbarkey
Licht
Jan Hartmann Video
Anna Henckel-Donnersmarck
Kai Ehlers Chor
Tilman Michael
Dramaturgie
Norbert Abels Frankfurter Opern- und
Museumsorchester Chor der Oper Frankfurt
Statisterie der Oper Frankfurt
Solisten
Dalibor
Aleš Briscein
Milada
Izabela Matuła
Vladislav
Gordon Bintner
Budivoj
Simon Bailey
Beneš
Thomas Faulkner
Vítek
Theo Lebow
Jitka
Angela Vallone
Live-Kamera
Lena Reidt
Max Wacha
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Oper Frankfurt
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