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Magie im abstrakten Projektionswald
Nachdem die neue Generalmusikdirektorin Julia Jones bereits
in den Sinfoniekonzerten begeistert vom Wuppertaler Publikum aufgenommen worden
war, wurde nun mit großer Spannung ihr Debüt an der Wuppertaler Oper erwartet.
Als "Einstand" ist die Wahl auf die Märchenoper Hänsel und Gretel von
Engelbert Humperdinck gefallen. Was ursprünglich als kleines Singspiel mit ein
paar Liedern anlässlich der Geburtstagsfeier von Adelheid Wettes Ehemann geplant
war, sollte Humperdinck nicht nur aus der künstlerischen und privaten Krise
holen, in die ihn der Tod seines großen Vorbildes Richard Wagner 1883 gestürzt
hatte, sondern auch kurz nach der Uraufführung am 23. Dezember 1893 als großer
Erfolg die ganze Welt erobern und steht heutzutage vor allem in der
Vorweihnachtszeit oft auf den Spielplänen der Opernbühnen. Dabei ist durchaus diskutabel, ob das
Werk als durchkomponierte Oper, in der vieles an Humperdincks großes Vorbild
Wagner erinnert, abgesehen von der Handlung so "kindertauglich" ist, wie
es die
Märchenvorlage erwarten lässt. Denis Krief findet in seiner Inszenierung in
Wuppertal Bilder, die fernab von märchenhaftem Kitsch sind und sich eher
abstrakt einer modernen Jugend annähern. Dabei überlässt er die Ouvertüre ganz
dem Orchester und versucht nicht, die Klangsprache und die anklingenden Motive
zu bebildern. Die Konzentration liegt folglich ganz auf dem Sinfonieorchester
Wuppertal und seiner Generalmusikdirektorin Julia Jones, die bereits nach der
Ouvertüre auch dem Opernpublikum bewiesen hat, welch guter Griff den
Wuppertaler Bühnen mit diesem Engagement gelungen ist. Mit großer
Leidenschaft und Präzision arbeitet sie die Klangfarben des Vorspiels heraus, so
dass es dem Zuhörer richtig weihnachtlich warm ums Herz wird. Hänsel (Catriona Morison) und
Gretel (Ralitsa Ralinova) vertreiben sich die Zeit mit Schabernack. Wenn sich der Vorhang zum ersten Akt öffnet, sieht man eine
karge, hohe Holzhütte, in der Hänsel und Gretel ihr von Armut und Hunger
geplagtes Dasein fristen, Hänsel
beim Besenbinden und Gretel beim Stricken. Auf der linken Seite befindet sich
ein Korb mit den Besen, auf der rechten Seite ein weiterer Korb mit Holz für den Kamin.
Diese beiden Körbe bleiben wie die Seitenwände und das Dach des Hauses das ganze
Stück über auf der Bühne, während die Rückwand in den Schnürboden emporgezogen
wird und den Blick auf mehrere mit Leinwand bespannte Stellwände freigibt, auf
die im zweiten Akt der Wald und im dritten Akt die Leckereien im Haus der
Knusperhexe projiziert werden. Die leere Vorratskammer im Haus des Besenbinders
auf der rechten Seite mutiert zum Ofen, in dem die Hexe die Kinder zu leckeren
Kuchen verarbeitet. Dieses Konzept geht im Großen und Ganzen auf und ermöglicht
bei aller Abstraktion eindrucksvolle Bilder durch gelungene Videoprojektionen,
zumal das Holz des Daches ebenfalls als Projektionsfläche im Zauberwald gut nutzbar
ist. Beinahe schon unheimlich kommen die Videoeinspielungen der Knusperhexe daher,
wenn Peter sich im ersten Akt ausmalt, in welcher Gefahr seine Kinder schweben
könnten, falls sie auf die Hexe treffen sollten. Das Zwischenspiel
zwischen dem ersten und zweiten Akt wird mit den düsteren Bildern von Hexen auf
ihren Besen, die zu einer Art Hexensabbat fliegen, recht gruselig gestaltet. Der Besenbinder Peter (Alejandro
Marco-Buhrmester) weiß noch nicht, dass seine Frau Gertrud (Belinda Williams) die Kinder
in den Wald geschickt hat. Auf Übertitel wird in der Inszenierung verzichtet, was gerade
für die jüngeren Zuschauer nicht immer ganz so geeignet sein dürfte. Zwar kennt
man die Geschichte und weiß auch dann, was gerade passiert, wenn man nicht jedes
Wort versteht. Aber Belinda Williams bleibt als Mutter Gertrud in großen Teilen
so textunverständlich, dass man die Motive der Mutter nicht immer nachvollziehen kann.
Auch fehlt Williams ein wenig die stimmliche Dramatik, die die Rolle erfordert. So
bleibt sie in der Auseinandersetzung mit den Kindern und in der anschließenden
Szene mit ihrem Mann Peter im ersten Akt recht blass. Alejandro Marco-Buhrmester hingegen
begeistert als Besenbinder Peter nicht nur mit donnerndem Bass und
hervorragender Diktion, sondern auch mit überzeugendem Spiel. Dabei gelingt ihm
ein glaubhafter Wechsel von dem frohen, lebenslustigen Mann zu einem besorgten
Vater, wenn er hört, dass seine Frau die Kinder in den Wald geschickt hat. Catriona Morison und Ralitsa Ralinova geben stimmlich und optisch ein gutes
Geschwisterpaar ab. Morison legt den Hänsel mit frechem Spiel an, der sehr
deutlich macht, dass er Mädchen (noch) "doof" findet, und hat sichtlichen Spaß
daran, Gretel zu necken. Morisons Mezzo klingt dabei warm und jugendlich.
Ralinova verfügt als Gretel über einen mädchenhaften Sopran und überzeugt in den
ersten beiden Akten genauso wie Morison durch gute Textverständlichkeit. Wenn es
im dritten Akt ein wenig dramatischer wird, wären jedoch Übertitel angebracht,
da der Text hier fast völlig unverständlich ist. Hänsel (Catriona Morison) und
Gretel (Ralitsa Ralinova) schlafen beim "Abendsegen" ein. Für den Zauberwald im zweiten Akt kommt die Drehbühne zum
Einsatz, durch die der Wald mit den durcheinander aufgestellten Wänden immer
neue Gestalten annimmt, so dass gut nachvollziehbar wird, wieso Hänsel und Gretel die
Orientierung verlieren und den Heimweg im Dunkeln nicht mehr finden. Das
Sandmännchen (Nina Koufochristou) tritt dann in einer Art Pierrot-Kostüm auf und
beruhigt die Kinder mit zartem Gesang. Koufochristou punktet dabei mit
glockenklarem Sopran. Beim "Abendsegen" finden dann Ralinovas Sopran und
Morisons Mezzo zu einer betörenden Innigkeit, und auch Julia Jones rundet diesen
musikalischen Glanzpunkt der Oper mit dem Sinfonieorchester Wuppertal mit warmen
Melodienbögen ab. Was jedoch auf der Bühne passiert, nachdem die Kinder
eingeschlafen sind, wirkt im Gegensatz zur Musik jedoch fast
entzaubernd. Krief lässt die Engel als Kinder in beliebig wirkenden Kostümen
auftreten. Hat man hier im Fundus einfach irgendetwas zusammengesucht, was noch
vorhanden war? Auch scheinen die Kinder auf der Bühne nichts mit sich anfangen
zu können und auch keine klaren Anweisungen erhalten zu haben, was sie denn
eigentlich machen sollen. So schlägt ein Junge einfach mal ein Rad, andere
stöbern in dem Korb mit den Besen, wieder andere beschäftigen sich mit den
Holzscheiten. Wachende Engel sind sie jeweils nicht, zumal der 14. Engel erst
auftritt, nachdem die anderen bereits hinter einem weißen Tuch, auf das große
Kumuluswolken projiziert werden, verschwunden sind. Vielleicht hätte man die
Engel in der Inszenierung lieber ganz weglassen und wie bei der Ouvertüre auf
die Kraft der Musik vertrauen sollen. Hänsel (Catriona Morison) und
Gretel (Ralitsa Ralinova) in der Gewalt der Knusperhexe (Mark Bowman-Hester) Mark Bowman-Hester bleibt als Knusperhexe Rosina Leckermaul
stimmlich blass. Optisch und darstellerisch gibt er mit der
wilden Frisur und den riesigen Handschuhen mit gewaltigen Krallennägeln eine
sehr unheimliche Hexe ab. Doch leider kommt sein Tenor häufig nicht über das
Orchester, so dass von seinem gesungenen Text gar nichts zu verstehen ist. Zwar
versucht er, mit seinem hellen Tenor der Knusperhexe eine gruselige Stimmfärbung
zu geben. Das gelingt jedoch nur zu Beginn beim "Knusper, Knusper Knäuschen",
wenn seine Stimme aus dem Off von einem Mikrofon verstärkt wird. Vielleicht
hätte man ihn in der ganzen Aufführung mit Mikrofon unterstützen sollen, um der
Figur durch leichten Hall eine unheimliche Note zu geben. Auf die besungenen
Lebkuchen, die die Kinder an dem Haus finden, wird in den Projektionen, soweit
man sie auf den Bühnenelementen erkennen kann, vollständig verzichtet.
Stattdessen sieht man leckere Kuchen und Obst. Aus dem Schnürboden wird als
Hexenhäuschen eine kleine Holzwand mit einer Tür und einem Fenster
herabgelassen. Wenn die Hexe im Ofen gelandet und Hänsel mit dem
Hexenhandschuh aus dem Holzkäfig befreit worden ist, fallen die einzelnen
Bretter von dieser Holzwand ab und geben den Blick auf den Kinderchor frei.
Unter den Kindern befinden sich auch die 14 "Engel" aus dem zweiten Akt. Auch
hier fragt man sich, wer den eigentlich mit den Kindern szenisch gearbeitet hat,
da die Bewegungen recht unkoordiniert wirken. Peter und Gertrud finden ihre Kinder nicht im Wald, sondern
in der Hütte. Die Rückwand wird nach der Befreiung der Kinder aus dem
Schnürboden herabgelassen, die Wände geschlossen und ein Tisch mit Süßigkeiten
aus dem Bühnenboden hochgefahren. Wenn Peter und Gertrud zurückkehren, feiern
die Kinder bereits mit Zuckerwatte und anderen Leckereien in Peters Haus eine
große Party. War vielleicht alles nur ein Traum? Das Publikum zeigt sich von
der Aufführung begeistert und spendet lang anhaltenden Applaus.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht Choreographie Chor Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Kinderchor der
Solisten*Premierenbesetzung Peter, Besenbinder Gertrud, sein Weib Hänsel Gretel Die Knusperhexe Sandmännchen Taumännchen
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- Fine -