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Empört Euch!
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Martin Kaufhold Es ist ein topaktueller Krimi, den Mariame Clément da inszeniert. Der Plot in Kürze: Vom Stiefvater sexuell misshandeltes Mädchen versucht unter Gewaltanwendung den Ausbruch aus den kriminellen familiären Verhältnissen. Neu ist der Ansatz nicht, eher schon ein derzeit bestimmender Aspekt der Salome-Rezeption. Nicht ohne Grund, denn das Libretto spricht das an etlichen Stellen kaum verklausuliert aus. Das Publikum in NRW konnte in jüngerer Vergangenheit den Ansatz in Bonn in der Regie von Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, noch deutlicher (und ähnlicher dieser Essener Neuproduktion) in Tatjana Gürbacas umstrittener Inszenierung an der Düsseldorf-Duisburger Rheinoper (die man so oder so sehen konnte) mit dieser Grundidee auseinandersetzen. ![]()
Zum Wesen eines Krimis gehört der Überraschungseffekt, und auch wenn sich vermutlich vieles schnell herumspricht, möchten wir nicht die ersten sein, die allzu viel verraten. Darum nur so viel: Ort des Geschehens ist eine Villa mit viel Dienstpersonal und Security, dazu gehören in dieser Konstellation Narraboth (mit bestechend schönem, durchsetzungsfähigem Tenor: Carlos Cardoso) und natürlich die Soldaten (großartig die Nebenpartie aufwertend: Tll Faveyts, sehr ordentlich Karel Martin Ludvik) und auch der Page (betörend intensiv: Liliana de Sousa). Der Anfang spielt in den Räumen des Personals, der größte Teil dann im Kinderzimmer Salomes, einem ausgesprochen freudlosen Raum ohne Spielsachen (und es ist zu befürchten, dass sich in den Kartons über Kartons allesamt Röckchen befinden, die sie auf Geheiß von Stiefvater Herodes anziehen musste). Salome feiert ihren 18. Geburtstag (das entnimmt man dem Programmheft), wobei: Feiern tun nur die anderen. Ein spätpubertäres Mädchen an der Grenze zum Erwachsensein, die sich in ihrer Verzweiflung die Arme aufgeritzt hat (wie man aus den dezent eingesetzten, trotzdem ein wenig pädagogisch belehrend wirkenden Videorückblenden erfährt). ![]() Salome hat Security-Chef Narraboth (hinten) überredet, Jochanaan zu ihr zu bringen
Der Fanatiker Jochanaan müsste ihr Verbündeter sein, so wie er als einziger das Unrecht ausspricht - während alle anderen betreten wegschauen, wenn es zu den regelmäßigen und keineswegs verheimlichten Vergewaltigungen durch Herodes kommt. Aber so sehr sie ihn auch bekniet und anfleht - der Mann ist ein Idiot, bis zur Realitätsverweigerung fanatisiert in seinem Glauben. Die Mutter: sorgt sich nur um sich selbst. So muss sich Salome allein helfen. Man muss der Regie lassen, dass sie keine Sekunde langweilig ist, im Gegenteil. Sie zeigt ein beklemmendes Kammerspiel, bei dem man sicher über manche gravierende Unstimmigkeit mit dem Text hinweghören und -sehen muss (wenn Herodes doch offensichtlich ein schwerreicher Geschäftsmann ist - wie kann er dann einen Gefangenen haben und auch noch über dessen Leben und Tod entscheiden?), das aber, wenn man sich darauf einlässt, in sich durchaus schlüssig ist. ![]()
Mariame Clément nimmt sehr konsequent die Perspektive Salomes ein. Das geht so weit, dass die Figur schon wieder ein wenig eindimensional gerät, ausschließlich als Opfer gesehen und gleichsam entschuldet wird. Am Ende scheint es zudem fast, als habe die Regisseurin Angst von der eigenen Courage - das Finale jedenfalls deutet unkonventionellere Lösungen an, als die Regie letztendlich wählt. Immerhin, das sei verraten, ist der Schluss als ein großer Akt der Befreiung inszeniert. Die Rebellion gegen den Stiefvater Herodes kann man dabei durchaus in einem größeren Kontext verstehen, denn es ist gleichzeitig eine Rebellion von Regisseurin Mariame Clément und Ausstatterin Julia Hansen gegen die klassische Rezeption des Salome-Stoffes, hier beginnend beim Komponisten Richard Strauss. Eine Rezeption, die aus Männersicht mit wohligem Voyeurismus die erotisierende femme fatale vorführt, die tanzende und mordende Kindsfrau. Die provozierende Radikalität der Inszenierung ist nicht die Verlagerung des Stoffes in die Gegenwart, sondern der dahinterliegende Aufruf: Empört Euch! Ihr im Stück, empört Euch über das Unrecht vor Euren Augen, und Ihr im Publikum, empört Euch über das Frauenbild, das Euch so kritiklos kulinarisch vorgesetzt wird! (Gemessen an dem provokativen Kern der Regie war der eher irritierte und die Sänger bejubelnde Applaus des Premierenpublikums von arg zögerlichen Protesten unterlegt.) ![]() Salome bekommt von Herodes - wie immer - ein Röckchen als Geburtstagsgeschenk.
Und wie soll die Musik sich dazu stellen? "Der Revolutionär als Sonntagskind, keck und konziliant. Nie waren Avantgardismus und Erfolgssicherheit vertrauter beisammen", zitiert das Programmheft genussvoll eine Passage aus Thomas Manns Doktor Faustus über die Uraufführung der Oper. Chefdirigent Tomáš Netopil muss das von der Regie aufgezeigte Dilemma ausbaden, nämlich ein fragwürdiges Sujet zu kombinieren mit einer großartigen Partitur zwischen Schockeffekt und "gutmütigem Einlenken, den Spießer versöhnend" (so geht es bei Thomas Mann weiter). So oder so: Die Essener Philharmoniker zeigen sich in prächtiger Verfassung. Netopil entscheidet sich über weite Strecken eher für das "gutmütige Einlenken" als für die Avantgarde, einen satten und eher geglätteten Klang, der (das gehört zu den Kosten der Regie) ein wenig wie der Soundtrack zur dominanten Szene erklingt - dass im Finale die tonmalerischen Schauermomentee beim Warten auf die Enthauptung Jochanaans besonders schaurig gezeichnet werden, verstärkt den Effekt noch. Dem Credo der Regie "wir wollen das Stück anders sehen" steht jedenfalls kein "wir wollen es orchestral anders hören" zur Seite, sondern eine eher "romantische" als "moderne" Interpretation. Ganz pragmatisch muss Netopil sein Orchester in der Lautstärke merklich zurücknehmen, um die Sänger nicht zuzudecken, und dadurch fehlt es insgesamt an Wucht. Die nach oben und zu den Seiten offene (Dreh-)Bühne ermöglicht zwar szenisch Kammerspielformat, scheint aber akustisch eher problematisch. Das Regiekonzept steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit der Titelfigur, und da ist die Niederländerin Annemarie Kremer eine Traumbesetzung - sie sieht tatsächlich aus wie eine 18jährige, und die junge, vergleichsweise lyrische Stimme unterstreicht diesen Eindruck. Gesungen ist das mit flammender Intensität. Die hochdramatische Attacke dagegen fehlt, auch die Überspanntheit der Figur (von der die Regie sich freilich lossagt). Mühe hat Almas Svilpa als Jochanaan, der ja partiturgemäß andauernd donnernd zu singen hat - Svilpa macht das sehr ordentlich, die eigentlich erforderliche Riesenstimme hat er nicht. Leichter haben es Rainer Maria Röhr und Marie Helen Joel als Herodes und Herodias, Charakterpartien mit der Möglichkeit, über heikle Stellen hinwegzuhuschen, was beiden gut gelingt.
Die durchaus bemerkenswerte Regie protestiert energisch gegen das traditionelle Salome-Bild und damit letztendlich auch gegen Richard Strauss - das bietet allerhand Streitpotential, ist aber bei mancher Widersprüchlichkeit spannend inszeniert. Ungeschoren kommt die (gute) musikalische Seite nicht davon. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Video
Licht
Dramaturgie
Solisten
Herodes
Herodias
Salome
Jochanaan
Narraboth
Ein Page
1. Jude
2. Jude
3. Jude
4. Jude
5. Jude
1. Nazarener
2. Nazarener
1. Soldat
2. Soldat
Ein Kappadozier
Ein Sklave
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