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Verloren sein in einer nicht zu deutenden Welt
Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt
Es ist eine ziemlich düstere Gegenwart, die Martin Schläpfer in seinem neuesten Werk Roses of Shadow beschreibt. Eine Gruppe von Menschen in unwirtlicher Landschaft, die von einem monolithischen, geometrisch klaren Objekt beherrscht wird (Ausstattung: Marcus Spyros Bertermann) - das erinnert an den Monolithen, der in Stanley Kubricks 2001 - A Space Odyssee für eine ungewisse und unverstandene Welt stand. Im Halbdunkel scheint das ein Untergangsszenario zu sein. Mal formieren sich die Tänzerinnen und Tänzer zum Ensemble, meist bilden sie kleinere Gruppen. Wer einmal auf der Bühne ist, der bleibt auch dort. Es gibt offenbar kein Entrinnen. Oder, um es aus anderer Perspektive zu betrachten: Man sammelt sich, sucht Schutz in der Gemeinschaft. Das tänzerische Vokabular wirkt fragmentiert; Elemente des klassischen Balletts blitzen immer wieder auf wie Relikte aus der Vergangenheit. Einmal heben die Herren die Damen an, die aber wie tot in den männlichen Armen hängen, leblos herumgetragen werden. Der Aufschwung scheitert. Wenn eine Tänzerin auf Spitze hereintanzt, hat das die Eleganz des klassischen Balletts verloren und ist zu einer geradezu kämpferischen Geste umgedeutet. Ein (etwas zu dramatisch angeleuchteter) Ball wird zur Waffe, suggeriert die Weltkugel wie den Hamlet'schen Totenkopf. Am Ende legen sich die Tänzerinnen und Tänzer nieder wie zum Schlafen, ein Moment zwischen Ruhe und Resignation.
Roses of Shadow: Chidozie Nzerem, Marlúcia do Amaral
Die Musik zu diesem 45-Minuten-Werk wurde eigens bei Adriana Hölszky in Auftrag gegeben, mit der Schläpfer bereits 2014 in Deep Field zusammengearbeitet hat. Roses of Shadow (der Titel bezieht sich auf Shakespeares 67. Sonett) ist eine Komposition für ein Kammerensemble aus acht Instrumentalisten und eine Sängerin, deren Sopran immer wieder instrumental oder geräuschhaft eingesetzt wird und die vereinzelt Textfragmente (neben Shakespeare Lyrik nordamerikanischer Indianer) zischt, spuckt und keift. Wenn vom "Adler" oder der "Freiheit" die Rede ist, darf man allerdings nicht an Schiller'sches Pathos denken - auch die Musik strahlt kaum Optimismus aus. Ergeben die instrumentalen Klangereignisse, ebenfalls oft geräuschhaft und nicht klar den einzelnen Instrumenten zuzuordnen (wobei Alphorn und Euphonium auch recht exotische Klangfarben beisteuern), eine faszinierende Textur (großartig und wuchtig gespielt vom kleinen Ensemble), so ist die Verwendung der Stimme gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig. Man darf wohl davon ausgehen, dass die Interpretation und damit der betont unangenehm hässlich klingende Umgang von Sopranistin Angelika Luz mit dem Text (so sprechen sonst nur Hexen oder böse Stiefmütter im Märchen) im Sinne der Komponistin ist; man darf vielleicht auch zugutehalten, dass damit die Gefahr allzu großen Wohlklangs eingedämmt wird (eine Gefahr, die bei der immer kontrolliert anmutenden Musik Adriana Hölszkys freilich nicht allzu groß ist) - diese Text-Gekeife -Ebene gibt dem Werk ein paar unangenehme Kratzer, die verzichtbar scheinen. ![]()
Ohnehin ist es nicht ganz leicht, die anspruchsvolle (und anspruchsvoll zu hörende) Musik und die nicht weniger anspruchsvolle kleinteilige, sich auch schon mal im Detail und in Parallelaktionen verlierende Choreographie gleichzeitig wahrzunehmen. Vermutlich muss man Roses of Shadow drei-, vier-, besser fünfmal sehen, um die Vielschichtigkeit einigermaßen angemessen zu erfassen. Andererseits: Das Moment der Orientierungslosigkeit, der zersplitterte Charakter ist ja durchaus Programm. Man kann das Werk deuten als ein Lamento über den Verlust von Sicherheit, über das Wegbrechen des Vertrauten. Damit bewegt sich Schläpfer am Puls der Zeit, ohne ein irgendwie "politisches" Ballett kreiert zu haben. Das nicht leicht zu konsumierende Stück lässt den Zuschauer ebenso betroffen wie irritiert zurück. Nicht jeder beteiligte sich am durchaus heftigen Beifall (und nach der anschließenden Pause blieben eine Reihe von Parkettplätzen frei). Gleichwohl wird hier ausgelotet, was das Ballett als Gegenwartskunst vermag, und die der Musik wie der Choreographie innewohnenden Kräfte besitzen trotz der pessimistischen Grundstimmung paradoxerweise die Energie, die Hoffnung gibt. "Art can make the difference", wird Martin Schläpfer im Programmheft zitiert. Leicht gesagt - aber tatsächlich umgesetzt. Die Roses of Shadow sind große Kunst, die beschwört -und damit sind wir letztendlich doch bei Schiller angekommen - was die Menschheit den Zerfallsprozessen entgegenzusetzen hat. ![]() Polish Pieces: Ensemble
Wenn Martin Schläpfer diese Uraufführung gleich dem Zentralgemälde eines Triptychons rahmen lässt von zwei Heiligen der Ballettkunst, nämlich George Balanchine und Hans van Manen, dann mag man daraus den sehr selbstbewussten Anspruch lesen, Gültiges zu schaffen. Die Gegenüberstellung mit Balanchines Stravinsky Violin Concerto von 1972 verortet dabei Schläpfers Choreographie in der hohen Kunst des neoklassizistischen Balletts und dessen Schönheitsideal, auf das Schläpfer sich gleichzeitig bezieht wie davon distanziert. Balanchines strenge Symmetrien werden immer wieder unterlaufen von betont schlaksigen Bewegungsabläufen, die an alte Zeichentrickfilme der frühen Disney-Ära erinnern. Die Choreographie zeigt überraschend viel Humor und Selbstironie, wobei vielleicht nicht alles im Detail originaler Balanchine ist, sondern vielleicht manches auch die reflektierte zeitgemäße Übersetzung. Gleichwohl: Mit dem Schönheitsideal, das hier getanzt wird, ist der Bezugspunkt gesetzt für das, was Schläpfer in Roses of Shadow bewusst ausspart und als Leerstelle eben nicht zeigt, aber als Erinnerung durchschimmern lässt. Mark Bouchkov spielt den Solopart in Stravinskys Violinkonzert mit nonchalanten Understatement ohne jegliche Starallüren, die Düsseldorfer Symphoniker sind unter der Leitung von Wen-Pin Chien ein solider Begleiter, in diesem Konzert glänzen die Bläser als selbstbewusster Widerpart des Solisten.
Den Abschluss bilden Hans van Manens Polish Pieces auf Henryk Goreckis knapp 10 Minuten kurzes Klavierkonzert sowie die nicht längeren Drei Stücke im alten Stil für Streichorchester. Schon die farbenfrohen, hautengen Ganzkörpertrikots (blaue Farben für die Damen, gelbe und rote für die Herren) bilden einen denkbar starken Kontrast zu Balanchines strenger Schwarz-Weiß-Ästhetik wie auch den etwas rätselhaften, allzu artifiziell anmutenden Kostümen in Roses of Shadow. Optisch wie tänzerisch findet hier ein wahres Feuerwerk statt, voller Schwung und mitreißender Energie - eine Art Regenbogen nach dem Gewitter. So ungebrochen optimistisch, wie der Anfang denken lässt, geht die Choreographie dann doch nicht aus; ein finaler Pas de deux endet mit der Trennung des Paares. Van Manens Sprache zeichnet sich durch enorme Konzentration wie auch eine bestechende Ökonomie der Mittel aus (daneben wirkt Schläpfers Stil, nicht zum ersten Mal, weitschweifig). Das setzt einen fulminanten und publikumswirksamen Schlusspunkt des (Ballett-)Jahres, einhellig umjubelt. Wolfgang Wiechert als Solist am Klavier und das Orchester liefern den ein wenig glatten, aber wirkungsvollen Sound dazu.
Ein großes Theaterereignis: Das erneute Gipfeltreffen von Martin Schläpfer und Adriana Hölszky, eingebunden in eine kluge Programmkonzeption, bringt ein grandios düsteres, sehr intensives Werk von zur Uraufführung, das dem Publikum einiges abverlangt. Als versöhnlicher Ausgleich darf van Manen farbenfroh wirbeln.
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ProduktionsteamStravinsky Violin Concerto
Choreographie
Musikalische Leitung
Violine
Choreographische Einstudierung
Licht Die Düsseldorfer Symphoniker
Uraufführung: 1972, Tänzerinnen und Tänzer
Aria 1
Aria 2
Ensemble Roses of Shadow
Choreographie
Musikalische Leitung
Bühne und Kostüme
Sopran
Klarinetten
Trompete, Euphonium, Alphorn
Akkordeon
Violine
Violoncello
Schlagzeug
Bass-Koto
Klavier
Choreographie
Musikalische Leitung
Klavier
Bühne und Kostüme
Licht
Choreographische Einstudierung Die Düsseldorfer Symphoniker
Uraufführung: 1995, |
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