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Hoffmann mit
vier Regie-Handschriften
Nachdem der neue Intendant der Wuppertaler Oper, Berthold
Schneider, die Spielzeit am Samstag mit der Video-Oper Three Tales von
Steve Reich und Beryl Korot eher experimentell eingeläutet hat (siehe auch
unsere Rezension), geht es direkt einen Tag
später mit einem Klassiker des Opernrepertoires weiter, der alles andere als
konventionell präsentiert wird. Zwar bietet die fantastische Oper Les Contes
d'Hoffmann, die Offenbach durch seinen Tod 1880 unvollendet
hinterließ und die postum zahlreiche Umarbeitungen erfahren hat, so dass sich
jede Bühne aus den Fassungen von Michael Kaye, der die Quellen der Pierpont
Morgan Library in New York betreut, und Jean-Christophe Keck, der Manuskripte aus diversen Pariser Archiven zusammengeführt hat, eine eigene
Version stricken kann, schon per se großen Spielraum, was die
Gestaltung der Inszenierung betrifft. Aber das reicht Schneider für den
Spielzeitauftakt noch nicht aus, und so übergibt er die Produktion in die Hände
von vier unterschiedlichen Regisseuren, die jeweils eine Erzählung Hoffmanns
(Akt 2 bis 4) beziehungsweise die Rahmengeschichte in Luthers Weinstube (Akt 1
und 5 beziehungsweise Prolog und Epilog) bearbeiten. Als weitere Besonderheit
lässt er auch noch mit Lucia Lucas einen weiblichen Bariton auftreten, so dass
es wirklich genügend Gründe gibt, gespannt auf diesen Neuanfang an der Wupper zu
blicken. Hoffmann (Mickael Spadaccini)
und die Muse (Kerstin Brix) in Luthers Weinkeller (im Hintergrund: Nathanael (Sangmin
Jeon, links) und Wilhelm (Simon Stricker, rechts)) Wer besorgt ist, dass die vier unterschiedlichen
Regie-Handschriften wie beim letzten Ring des Nibelungen im Aalto
Theater das Stück möglicherweise zerfasern, kann beruhigt werden. Charles
Edwards, Nigel Lowery, Christopher Alden und Inga Levant haben ihre Konzepte gut
aufeinander abgestimmt, so dass ein durchgängiger roter Faden im Stück erkennbar
bleibt. Wer allerdings auf eine klassische Umsetzung hofft, dürfte
enttäuscht werden, da die Suche nach einer Neudeutung dazu führt, dass vieles
anders ist, als man es aus dem Libretto kennt oder zu kennen glaubt. Zunächst
einmal wird die Rolle der Muse von der des Nicklausse getrennt, wie es wohl auch
in der Urfassung von Offenbach angelegt war. Kerstin Brix verkörpert die Muse
als Theaterdramaturgin, die vor der Vorstellung in einer Video-Einspielung Sara
Hershkowitz als Stella in der Garderobe interviewt, um dann vor den eisernen
Vorhang zu treten und dem Publikum mehr schlecht als recht eine Einführung in
das Leben E.T.A. Hoffmanns zu geben. Dabei gibt sie sich mit bitterem
Zynismus sehr schnell dem Alkohol hin und torkelt schließlich angetrunken von
der Bühne durch den Zuschauerraum ins Foyer, was dann wieder in einer
Video-Projektion eingefangen wird, um an der Theke im Foyer für einigen Wirbel
zu sorgen, bevor sie dann nach dem Auftritt der zechenden Studenten, Hoffmann
mit einer Aldi-Tüte in der Hand auf die Bühne schleppt. Brix verbreitet dabei
beißende Komik, auch wenn dem einen oder anderen Besucher die Szene ein wenig zu
platt oder klamaukig erscheinen mag. Während Brix und der Herrenchor die Texte auf Deutsch
sprechen beziehungsweise singen, redet und singt Hoffmann von Anfang an
Französisch, um ihn aus der Masse herauszuheben. Wieso der Stadtrat Lindorf, der
mit Hoffmann um die Gunst Stellas buhlt, als Stadträtin in eng sitzendem
Politikerinnen-Kostüm auftreten muss, erschließt sich nicht wirklich. Zwar
bleibt Lucia Lucas damit trotz der Bariton-Stimme Frau. Aber für die Rivalität
um die Sängerin Stella bringt dieser Ansatz gar nichts. Musikalisch glänzt Mickael Spadaccini im ersten Akt mit
enormen stimmlichen Reserven bei seiner berühmten Ballade von Klein-Zack. Brix
bekommt die Übergänge vom Sprech- zum klassischen Operngesang im ersten Akt
nicht immer ganz sauber hin. Lucia Lucas verfügt als Stadträtin Lindorf über
einen profunden Bariton, den sie mit ausdrucksstarkem Spiel von der Loge auf der
linken Seite einsetzt. David Parry fängt mit dem Sinfonieorchester Wuppertal
einen frischen Offenbach-Klang ein, der bei den Bläsern nicht immer ganz sauber
klingt. Die Herren des Opernchors gefallen musikalisch als Studenten ebenso wie
Sangmin Jeon als Nathanael, Simon Stricker als Wilhelm und Sebastian Campione
als Wirt Luther. Die Trinkrituale mit dem gewaltsamen Abfüllen einzelner
Studenten ist dabei allerdings Geschmacksache. Olympia (Sara Hershkowitz) außer
Rand und Band (links: Nicklausse (Catriona Morison), rechts: Spalanzani (Sangmin
Jeon), im Hintergrund: Opernchor) Beim folgenden "Olympia"-Akt übernimmt nun Nigel Lowery die
Regie und zeichnet auch für die Bühne und Kostüme verantwortlich. Als
Hintergrund wählt er eine düstere Häuserfront, die an eine unheimliche Großstadt
in der Zeit alter Gruselfilme erinnert. So sieht man Mark Bowman-Hester als
buckeligen Diener Cochenille Frauenleichen auf weißen Leinentüchern in das Haus
Spalanzanis ziehen, die dieser dann wie Dr. Frankenstein zu neuen Wesen
zusammenzusetzen scheint. So ist Olympia kein Automat im eigentlichen Sinne,
sondern ein aus Leichenteilen zusammengesetzter neuer Mensch, der mit einer
neuen Hand, die Cochenille gerade von einer Leiche abgesägt hat, als neue
Errungenschaft in einer Gesellschaft präsentiert wird, die sich aus Kurtisanen
und ihren Freiern zusammensetzt. Lucia Lucas schleicht als finsterer Coppelius
wie eine Art schwarzer Vampir über die Bühne und hat Olympia wohl nicht nur die
Augen gegeben, sondern sie auch mit einem unstillbaren Durst für Blut
ausgestattet, so dass sie die sie betrachtenden Männer, wenn sie ihr zu nahe
kommen, gerne anfällt und beginnt auszusaugen. Warum der Dialog von Lucas als
Coppelius und Jeon als Spalanzani im Flüsterton angesetzt wird, den man bis in
die neunte Reihe nicht ansatzweise verstehen kann, erschließt sich nicht. Dank
der Übertitel kann man aber nachlesen, worüber sich die beiden unterhalten. Da Olympia keine Aufziehpuppe darstellt, legt Sara Hershkowitz die berühmte Arie "Les oiseaux dans la chamille" keineswegs so
künstlich an, wie sie wohl ursprünglich gedacht ist. Dabei überzeugt sie aber
mit klaren und sauber angesetzten Höhen, die durchaus dem wirren Temperament der
Figur entsprechen. Bisweilen klingen die Töne auch so scharf wie ihre Zähne, mit
denen Olympia den einen oder anderen Gast beißt. Der Tanz, mit dem sie Hoffmann
an den Rand der Erschöpfung bringt, wird hier zu einem sexuellen Akt, bei dem
angedeutet wird, dass sie ihn entmannt. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen
Komik, wenn Catriona Morison anschließend als Nicklausse den Boden um das Bett
absucht. Die Figur des Nicklausse wird in dieser Geschichte übrigens keineswegs
logisch eingeführt. In den Gesichtszügen und der Maske erinnert er noch ein
wenig an die Muse aus dem ersten Akt. Diese Parallele wird dann aber in den
beiden folgenden Teilen komplett aufgehoben. Im nächsten "Antonia"-Akt schlüpft
Morison nämlich in die Rolle der verstorbenen Mutter. Die Muse zieht sie an
einem Seil als blass geschminkten Engel mit einem Flügel in einem weißen, antik
anmutenden Gewand herein und bindet sie an einem Stuhl fest. Die Stimme der Mutter (Catriona
Morison) im "Antonia"-Akt als gefallener Engel Das Bühnenbild für den "Antonia"-Akt besteht
aus einem weiß-grauen
Raum, in den nur eine Klappe aus dem Boden führt. Sebastian Campione thront über diesem Raum und arbeitet an seiner Geige, die er nicht nur
seiner geliebten Tochter Antonia widmen will, sondern sie wohl auch nach ihr
gestaltet. So scheint er mit der Geige auch den Körper seiner Tochter zu
berühren. Jedenfalls windet sich Hershkowitz als Antonia auf der Bühne, während
Campione die Geige liebkost. An der Wand prangt zunächst eine Schrift, die
gemahnt, dass Antonie nie die Stimme zum Gesang erheben soll. Sobald sie dies
tut, erscheinen rote Blutspritzer auf der Wand, die von Mark Bowman-Hester in
der komisch angelegten Partie des Dieners Frantz mit großer Mühe wieder
abgewischt werden. In diese Welt dringt nun "Frau" Dr. Miracle ein, um Antonia
"zu heilen". Lucas durchbricht die Wand und symbolisiert in breiter schwarzer
Robe den bevorstehenden Tod. Die Muse setzt nun auch den "gefallenen Engel"
frei, so dass Antonia unaufhaltsam ihrem Untergang entgegenstrebt und in der
Luke im Bühnenboden versinkt. Hershkowitz begeistert als Antonia mit lyrischem
Sopran, und Morison begeistert als Stimme der Mutter mit warmem Mezzo. Giulietta (Sara Hershkowitz)
raubt Hoffmann (Mickael Spadaccini) auf Befehl Dapertuttos (Lucia Lucas, im
Hintergrund) sein Spiegelbild. Während Christopher Alden im "Antonia"-Akt einen beinahe
schon konventionellen Ansatz wählt, verlegt Inga Levant den folgenden "Giulietta"-Akt
von Venedig in die Irrenanstalt. Zu den weichen Klängen der Barcarole pusten der
Opern- und Extrachor der Wuppertaler Bühnen mit weißen Masken Seifenblasen über
die zahlreichen Badewannen auf der Bühne und vergnügen sich anschließend mit
einer "Reise nach Jerusalem" auf den weißen Stühlen der Anstalt, während
Hoffmann mit dem Rivalen Schlemil (Simon Stricker mit kräftigem Bariton) nicht Karten spielt, sondern ein Wagenrennen à
la Ben Hur imitiert. Dapertutto als Nonne macht genauso wenig Sinn wie
die Prostituierte Giulietta, die sich vom Blumenmädchen in eine
Krankenschwester in knallrotem Lack und Leder verwandelt. Morison bleibt in der
Personenregie als Nicklausse erneut blass, da gar nicht klar wird, welche
Funktion diese Figur in dieser Geschichte eigentlich haben soll. Szenisch werden
hier mehrere Versionen verquickt. Zum einen tötet Hoffmann Schlemil, bevor er
sein Spiegelbild an Giulietta verliert. Dann enthauptet er auch noch Giuliettas
Geliebten Pitichinaccio, der in einer grauen Zwangsjacke durch das Bühnenbild
läuft. Apotheose Hoffmanns (Mickael
Spadaccini, rechts vorne) im letzten Akt (in der Mitte: Catriona Morison) Musikalisch stimmen Hershkowitz und Morison mit lyrischem
Sopran und warm-timbriertem Mezzo eine bewegende Barcarole an. Lucas begeistert
stimmgewaltig bei Dapertuttos großer Spiegelarie, in der dieser Giulietta
überredet, Hoffmanns Spiegelbild zu stehlen, und auch Spadaccini klingt immer
noch frisch, wenn er zu seiner großen Arie im vierten Akt ansetzt, in der er den
flüchtigen Genuss der sinnlichen Lust preist. Das Spiegelbild wird dann
gewissermaßen unter einer Dusche abgewaschen beziehungsweise mit einem
Eisenschaber abgekratzt. Von dort geht es dann wieder zurück in den Weinkeller.
Brix erläutert als Muse, dass alle drei Frauen eigentlich für Stella stehen, die
nun auftritt und mit der Stadträtin Lindorf die Bühne verlässt, während die
letzte Strophe von Klein-Zack aus einem Kassettenrekorder ertönt. Als die Muse
den Stecker zieht, erwürgt Hoffmann sie. Somit hat sie ihn also am
Ende nicht gewonnen. Stattdessen treten zur Apotheose Figuren aus allen
Erzählungen auf, die Hoffmann in eine andere Welt entführen, allen voran Morison
als Engel.
Soll hier am Ende vielleicht doch noch eine Verbindung zwischen Muse und Nicklausse
hergestellt werden? Die Solisten werden vom Premierenpublikum mit tosendem
Beifall überschüttet, in den sich auch das Regie-Team einreiht. Der von Jens
Bingert und seinem Nachfolger Markus Baisch einstudierte Opern- und Extrachor
präsentieren sich spielfreudig, haben aber beim "Olympia"-Akt leichte
Abstimmungsschwierigkeiten mit dem Orchester.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Regie und Bühne (Prolog)
Regie, Bühne und Kostüme (Olympia) Regie (Antonia) Regie (Giulietta) Bühne und Kostüme (Giulietta) Kostüme (Prolog, Antonia, Epilog) Chor Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor und
Extrachor der Statisterie der Wuppertaler SolistenOlympia / Antonia / Giulietta / Stella Die Muse Nicklausse / Die
Stimme der Mutter Hoffmann Lindorf / Coppelius / Dr. Miracle /
Dapertutto Nathanael /
Spalanzani Luther / Crespel Wilhelm /
Schlemil / Hauptmann Cochenille / Frantz / Pitichinaccio Hermann
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- Fine -