Elektra als Orchesteroper
Von
Ursula
Decker-Bönniger / Fotos von
Jörg Landsberg
Wer erleben will, warum Richard Strauss seine 1909
uraufgeführte Oper Elektra als „Orchesteroper“
bezeichnet, sollte das Theater Osnabrück besuchen.
Dort präsentieren GesangssolistInnen, Andreas Hotz
und das Osnabrücker Symphonieorchester als letzte
Opernpremiere der Spielzeit Elektra konzertant. Ein
wenig Lichtregie, ein wenig szenisches Arrangement,
kleinere Orchesterbesetzung als bei der
Uraufführung; Kostüme, die das Archaische, Dunkle
betonen. Hier ist nichts, was das Ohr ablenken
könnte. Das Orchester beherrscht die Bühne. Und Hotz
zaubert Richard Strauß-Tondichtungen vom feinsten!
Virtuos und effektvoll zugespitzt, transparent in
den Mittelstimmen leuchten die Farben in der ersten
Szene scheinbar zusammenhanglos in unterschiedlichen
Motiven auf. Es sind Klangbilder, die Tod und
Zerfall, die dunkle Welt der Schatten
vergegenwärtigen, Klangsymbole des Seelenleben
Elektras. Sopranistin Rachael Tovey weiß kraftvoll
und mit dramatischer Inbrunst die von Vaterliebe und
Rachegedanken gequälte Psyche Elektras zu
vergegenwärtigen, sich immer mehr in Gewalt und
Hassgedanken hineinzusteigern. Ein aufwühlender
Monolog, zumal die Solistin meisterlich die Spannung
der ungeheuerlichen, geradezu brutalen Bilder
vorantreibt.

Martina Dike (Klytämnestra),
Elektra (Rachael Tovey)
Dann betritt Lina Liu als Chrysothemis die Bühne: Im
Unterschied zur ausdrucksstarken Schwärze der
Elektra weckt sie Mitleid, verkörpert mit schlank
geführtem, strahlend hellem, klangschönen,
anrührenden Sopran, Unschuld und jugendlichen
Freiheitsdrang. Star des Abends war Martina Dike als
Klytämnestra. Virtuos, mit brillanter Stimmtechnik
weiß sie den ausdrucksstarken Sprachcharakter des
Strauß-Melos vor Augen zu führen, bruchlos die
Stimme von nackter, tiefer Sprechstimme in höchste,
dramatische Sopranhöhen zu führen.
Sie ist die Königin, doch Ruhelosigkeit und panische
Alpträume erfassen, bedrängen sie. Hilfesuchend
wendet sie sich an ihre Tochter. Tovey und Dike, die
beiden großartigen Darstellerinnen des Abends lassen
die Begegnung zu einem packenden Erlebnis werden,
das ganz vom ironischen Spiel Elektras beherrscht
wird.
Ralf Waldschmidt rückt für die szenische Einrichtung
die Zwiesprache der Protagonistinnen, Mimik, Gesten
und Körperhaltungen in den Vordergrund.
Die Todesschreie Klytämnestras hört man aus dem Off.
Auch der Mord an Aegisth wird angedeutet. Die
jubelnden Orest-Rufe des Chores gehen jedoch im
Orchestergetümmel unter. „Ich habe Finsternis gesät
und ernte Lust über Lust“ singt Elektra gegen Ende.
Ihr Tanz wird zu einer spannungsvoll
interpretierten, rhythmisch geschärften, die
polyphonen Linien transparent offenlegenden, erdigen
Schlussapotheose des Orchesters.
FAZIT
Das kleine Theater Osnabrück zeigt
mit der konzertanten Darbietung der Oper Elektra und
guten Solistinnen die Superklasse des Orchesters und
seines Generalmusikdirektors Andreas Hotz.