Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Die Welt als Fluchtort und KunstobjektVon Joachim Lange / Fotos © Paul Leclaire
Im Falle Tannhäuser kann man sich bekanntlich immer auf Wagners eigene Unzufriedenheit mit diesem Werk herausreden. Dass er der Welt noch einen Tannhäuser schuldig sei, gehört zu den gerne zitierten, griffigen Wagner-Bonmots. Die Zerrissenheit des Mannes und Künstlers zwischen verschiedenen weiblichen Ideal- und Selbstverwirklichungs-Weltbildern, die Rigorosität, das eigene Begehren einer bigotten Gesellschaft ins Gesicht zu schleudern, und die Gegenwehr dieser Gesellschaft auf Leben und Tod sind das eine. Und durchaus aktuelle. Die Welt ist ja immer noch zwischen mittelalterlichem Steinigungsfuror dort und der faszinierenden Emanzipation irischer Katholiken hier gespalten. Wolfram legt sich ins Zeug
Will ein Regisseur mehr als nur eine Geschichte erzählen, wird er nicht nur den Beweggründen für den libertinär rabiaten Wechsel des Titelhelden von hier nach da nachspüren, sondern er wird auch für Nichtkatholiken schlüssig zu erklären versuchen, was ihn bewegt nach Rom zu wallen, darüber zu verzweifeln, dass sich der Papst verhält, wie es seines Amtes ist, um dann doch in einem augenzwinkernden Einverständnis zwischen Wagner und Gott heil aus seiner Lebensmisere herauszukommen. Der Stab grünt, da kann der Papst reden, was er will. Aber damit, dass er als Zeichen göttlicher Gnade halt grünen muss, bleibt Wagner dann doch auf dem Weg in die selbstbestimmte Freiheit vor dem Ziel auf der Strecke. Bei Jochen Biganzoli, und das ist der entscheidende intellektuelle Vorzug seiner Bielefelder Inszenierung, geht die Sache auf, wird ohne religiöse Vernebelung nachvollziehbar, rettet den Sängerkrieg nicht nur als grandiose Musik, sondern als Stück zur Zeit in die Gegenwart. Bei diesem Heinrich Tannhäuser ist der verkündete Entschluss zur Wallfahrt nach Rom am Ende des zweiten Aktes ein taktisches Zugeständnis, mit dem er der physischen Gewalt der schlagkräftigen Smokingträger nachgibt, denen wahrscheinlich schon die Jeans, die Turnschuhe und die langen Haare des Malers nicht passen. So, wie der mit seiner Kunst auf die Welt aus ist, zu der für ihn auch die Liebe jenseits bürgerlicher Normen gehört, müssen sie ihn loswerden. Auch mit der Bikerbraut Venus hält Tannhäuser es nicht lange aus.
Was er Wolfram als Romerlebnis, mit dem Mikro in der Hand wie eine Privatshow und schön ausgeschmückt, auftischt, ist das, was er sich zum Thema denkt. Also das, was ihm mit großer Wahrscheinlichkeit widerfahren wäre, wenn er sich darauf eingelassen hätte. Ein Coup ist es, wie Heinrich dann auch noch die Venus in einer Playback-Show selbst imaginiert. Da ist die menschliche Katastrophe längst passiert. Da hat Wolfram die alleingelassene Elisabeth zwar zunächst vom Tabletten-Selbstmord abgehalten, die im Schock Erstarrte dann aber vergewaltigt und schließlich ermordet. Ganz nach dem Macho-Motto: Wenn ich sie nicht kriege, dann kriegt sie keiner. Die Rom-Erzählung als One-Man-Show
Schon bei der geplatzten Hochzeit von Heinrich und Elisabeth, deren Zeuge wir im Vorspiel geworden waren, versucht Wolfram mit so klammheimlicher wie zupackender Freude davon zu profitieren, dass sein Rivale kalte Füße kriegt, als es ernst wird, und im letzten Moment von der Festtafel zwischen den Sperrholzwänden dieser Welt flieht. Zu einer Venus im roten Overall und Vorliebe für schwere Motorräder. Aus geschickt dazwischen geschnittenen Videoerinnerungsbildern können wir die Bindungsscheu Heinrichs auf Defizite von Mutterliebe zurückführen. Dass er dann auch wieder dem Alltag mit dieser Werkstatt -Venus entfliehen will und der (Hirtenknaben-)Lolita verfällt, versteht sich da fast von selbst. Genauso wie die Rücksichtslosigkeit, mit der die Wiederannäherung an Elisabeth beim Sängerwettstreits-Diner zu einer Bloßstellung Elisabeths ausartet, über die er selbst erschrickt. So wie (endlich mal) auch Elisabeth, als sie erfährt, dass sie als Preis für einen Wettstreit ausgelobt wurde, bei dem der Sieg Wolframs offenbar eine abgekartete Sache ist. Biganzoli vertreibt aber nicht nur mit so blitzgescheiten Einsichten wabernde Unschärfen. Er liefert mit dem Einzug der Gäste auch ein Beispiel so handfesten Humors, dass es dafür Szenenapplaus gibt. Hier machen sich nämlich das livrierte und von oben herab behandelte Bedienungspersonal und die bekopftuchten Putzfrauen im Hause des Landgrafen selbst einen Jux aus dem Einmarsch-Priborium - und plötzlich klingt das ganze Aufmarsch-Pathos tatsächlich wie ein Humtata im Bierzelt Tannhäuser in der Klemme
Biganzoli vertreibt aber nicht nur mit solchen Einsichten wabernde Unschärfen. Er liefert mit dem Einzug der Gäste auch ein Beispiel so handfesten Humors, dass es dafür Szenenapplaus gibt. Hier machen sich nämlich das livrierte und von oben herab behandelte Bedienungspersonal und die bekopftuchten Putzfrauen im Hause des Landgrafen selbst einen Jux aus dem Einmarsch-Priborium - und plötzlich klingt das ganze Aufmarsch-Pathos tatsächlich wie ein Humtata im Bierzelt Mit dem intellektuellen Crescendo der Inszenierung wird Wolf Gutjahrs WELT-Bühnenbild immer klarer. Auf die Drehbühne hat er die Riesen-Versalien des Wortes gestellt, damit Räume geschaffen und eine Großmetapher. Am Ende ist Elisabeth das Opfer - Frauen sind meistens das Opfer, wenn sie zum Objekt der Begierde werden. Wolfram hat das Gift geschluckt, dass noch herumstand, was man bei diesem Wolfram, für den seine schönen Monologe die reine Tarnung sind, gar nicht schlimm findet. Heinrich aber münzt seine Erfahrungen in Kunst um. Er hat das WELT - Bühnenbild als Modell und selbstreferenzielle Pointe auf dem Schoß. Und erkennt damit die Welt. Die packende szenische Stringenz profitiert natürlich von einem höchst spielfreudigen und durchweg den stimmlichen Anforderungen der Partien gewachsenen Ensemble. Vor allem der stimmgewaltige und konditionsstarke Ungar István Kovácsházi macht sich den rebellischen Künstler Tannhäuser voll zu eigen. In Sarah Kuffner hat er ein intensiv gebeuteltes Elisabeth-Gegenüber, während Evgueniy Alexiev die radikale Demaskierung Wolframs auch stimmlich glaubhaft macht. Bei Julia Faylenbogens Venus ist das einzig bedauerliche, dass man sie im dritten Akt nur hört und nicht noch einmal zu sehen bekommt. Alle übrigen Partien sind vorzüglich mit Solisten des Ensembles besetzt, der Chor in spielerischer Hochform. Im Graben gelingt es Alexander Kalajdzic mit Verve und viel Sinn für die dramatischen Effekte, dieser faszinierend eigenwilligen Tannhäuser-Deutung ein sicheres musikalisches Fundament zu geben.
Nach seinen hochpolitischen Meistersingern in Leipzig ist Biganzoli in Bielefeld ein erfrischend eigenwilliger und blitzgescheiter Tannhäuser gelungen. Ein paar Wagneropern gibt es ja zum Glück noch. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Hermann, Landgraf von Thüringen
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth, Nicht des Landgrafen
Venus
Ein junger Hirt
Erster Edelknabe
Zweiter Edelknabe
Dritter Edelknabe
Vierter Edelknabe
Priester
|
© 2015 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de