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Blutrache im Hochhaustrakt
Lange Zeit galt Wolfgang Fortner als einer der bedeutendsten
deutschen Komponisten der Nachkriegszeit, der den von Alban Berg begonnenen Weg
der Literaturoper konsequent fortsetzte und 1957 mit der musikalischen
Bearbeitung von Federico García Lorcas lyrischen Tragödie Bluthochzeit (Bodas
de sangre) aus dem Jahr 1933 ein Erfolgswerk schuf, welches bis 1986
in insgesamt 22 Inszenierungen präsentiert wurde, bevor es von den Opernbühnen
verschwand. Fast 30 Jahre später haben sich die Wuppertaler Bühnen unter anderem
auch mit Blick auf ihren Spanien-Schwerpunkt in dieser Spielzeit, der seinen
Abschluss mit Jules Massenets selten gespielter Oper Don Quichotte nehmen
wird, entschieden, dieses bedeutende Werk der Nachkriegszeit wieder auf den
Spielpan zu stellen. Und dem musikinteressierten Publikum wurde in diesem
Zusammenhang
neben der Premiere einiges geboten, was dem recht vernachlässigten Komponisten,
dem für seine musikalischen Verdienste 1977 zu seinem 70. Geburtstag das Große
Bundesverdienstkreuz mit Stern verliehen wurde, wieder mehr Aufmerksamkeit
bescheren soll. So gab es neben einem Wolfgang Fortner-Symposium mit mehreren
Vorträgen in der Hochschule für Musik Wuppertal einen Tag zuvor ein
Kammermusik-Konzert, das den Zuhörern den Leipziger Komponisten näher bringen
sollte. Am Tag der Premiere wurde dann auch noch nachmittags zu einer
Podiumsdiskussion eingeladen, in der die Frage nach der Repertoire-Tauglichkeit
von Fortners Opern gestellt wurde. Wie auch immer man diese Frage beantworten
mag, lässt sich nicht leugnen, dass die Wuppertaler Bühnen mit der Premiere am
Abend einen uneingeschränkten Erfolg feiern konnten. Die Mutter (Dalia Schaechter)
und das Messer Lorcas lyrische Tragödie spielt in einem kleinen
südspanischen Dorf in Andalusien und erzählt die Geschichte einer Mutter, die in
einer blutigen Familienfehde ihren Mann und ihren ältesten
Sohn verloren hat. Als ihr verbliebener Sohn eine Braut heiraten will, die
vorher mit Leonardo, dem Sohn der verfeindeten Familie, verlobt war, ahnt sie bereits,
dass sie ihren jüngsten Sohn auch noch verlieren könnte. Dennoch wird die Ehe
zwischen den beiden arrangiert. Schließlich ist Leonardo mittlerweile mit der
Cousine der Braut verheiratet. Allerdings trifft er sich nachts heimlich
weiterhin mit der Braut. Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten gelingt es ihm, die
Braut zu überreden, mit ihm zu fliehen. Der Bräutigam folgt Leonardo und der
Braut in den Wald und kann die beiden im hellen Licht des Mondes stellen. Es
kommt zum Kampf zwischen den beiden Rivalen, dem beide Männer zum Opfer fallen. Die
Braut kehrt reumütig zur Mutter des Bräutigams zurück und hofft, von ihr getötet
zu werden. Doch die Mutter hat keine Kraft mehr, Rache zu nehmen. Sie hat
ihren letzten Sohn und damit ihren Lebensinhalt verloren. Die Mutter (Dalia Schaechter)
sorgt sich um ihren Sohn (Gregor Henze). Christian von Götz lotet in seiner Inszenierung die
tragischen und surrealen Momente recht kammerspielartig aus. So spielt das
Orchester nicht aus dem Orchestergraben vor der Bühne, sondern ist hinter einem
leicht durchsichtigen Vorhang, auf dem eine breite Hochhausfront abgebildet ist,
hinter den Sängern auf einem hohen Podest platziert, wodurch ein
recht ungewöhnliches Klangerlebnis entsteht. Die Bühnenrequisiten beschränken
sich auf einen Tisch, mehrere Stühle und eine Holzkiste, die mal als Sarg, mal
als Bett und mal als Schrank fungiert.
Eine wichtige Rolle spielt ein Küchenmesser, das die Mutter zu Beginn der Oper
beinahe liebkost und mit dem ihr Sohn im Kampf gegen Leonardo später den Tod
finden soll. Von Götz baut eine Tänzerin (Verena Hierholzer) als Dämon ein, die
von Anfang an die Ängste der Mutter darstellt. In weißem Brautkleid sitzt sie
zunächst auf der Holzkiste und rückt der Mutter anschließend auf den Leib,
stellt somit eine Bedrohung ihrer Welt dar. Mit dem Wunsch des Sohnes zu
heiraten, beginnt das Ende. Im zweiten Teil ist das Brautkleid nicht mehr weiß
sondern schwarz wie der Tod. Die Mutter hält schließlich den leeren Schleier in
den Händen, weil dieser Dämon, der ihr Leben zerstört, nicht zu fassen ist. Vor
dem Kampf beschmiert der Dämon sein bleiches Gesicht mit roter Farbe, um den
folgenden blutigen Kampf anzukündigen. Hochzeit unter schlechten
Vorzeichen: in der Mitte: die Braut (Banu Böke) und der Bräutigam (Gregor
Henze), links davon: der Vater der Braut (Stephan Ullrich) und die Mutter des
Bräutigams (Dalia Schaechter), ganz links: die Bettlerin (Ingeborg Wolff),
rechts: Mitglieder des Chors Während der Teil bis zur Pause vor dem Vorhang mit der
Häuserfront spielt, die aus der Bühne einen abgeschlossenen Raum macht, aus dem
es für die Protagonisten kein Entrinnen gibt, wird der Vorhang im zweiten Teil
in den Schnürboden gezogen. Auf der größtenteils schwarzen Bühne befinden sich
jetzt nur Stühle mit abgesägten Beinen, die wohl die Bäume im Wald darstellen
sollen. Hier herrscht absolute Finsternis. Der Mond tritt auf, um mit einem
Scheinwerfer dem Bräutigam den Weg zum fliehenden Paar zu weisen. Nach einem
nahezu lyrischen Duett zwischen der Braut und Leonardo kommt es zum tödlichen
Duell zwischen den beiden Männern. Erst wenn die Braut in die Dorfgemeinschaft
zurückkehrt, wird der Vorhang mit der Häuserfront wieder aus dem Schnürboden
herabgelassen. Die Stühle bleiben jedoch auf der Bühne. Aus dem Zuschauerraum
wird die Holzkiste als Sarg auf die Bühne getragen. Erst jetzt findet die Mutter
die Kraft zu schreien, während zu Beginn der Oper mit dem Versuch eines Schreis
die Musik beginnt. Fortners Zwölftonmusik ist
weit davon entfernt, schön zu klingen, geht aber mit der grausamen Handlung eine
ergreifende Symbiose ein. Leonardo (Thomas Laske) und die
Braut (Banu Böke) sind geflohen, doch der Mond (Martin Koch) verrät sie. Beeindruckend gelingt das Zusammenspiel von lyrischen Texten,
Sprechgesang und gesungenen Passagen, die den einzelnen Figuren des Stückes
zugeordnet sind und das Werk beinahe zu einem Crossover-Projekt machen. Das
Ensemble begeistert hierbei in der darstellerischen Intensität. Da ist zunächst einmal der Opernchor der Wuppertaler Bühnen unter der
Leitung von Jens Bingert zu nennen, der zu Beginn des Stückes wie Zuschauer aus
dem Publikum die Bühne betritt und in kleinen solistischen Passagen zu
überzeugen weiß. Auch die leicht folkloristischen Anklänge auf der Hochzeit
werden von den Mitgliedern des Chors glaubhaft umgesetzt. Gregor Henze gefällt
in der Sprechrolle des Bräutigams mit großer Leidenschaft, der die Zurückweisung
der Braut auf seiner Hochzeit nur schwer ertragen kann und sich voller Wut in
das Duell mit Leonardo wirft. Thomas Laske gibt als Leonardo mit
textverständlichem Bariton einen adäquaten Gegner ab, der nicht nur im Gesang
eine andere Sprache als der Bräutigam spricht. Bei Martin Koch als Mond hätte
man sich Übertitel gewünscht, da die Partie so extrem angesetzt ist, dass die
Textverständlichkeit arg darunter leidet. Mit seinem perfiden Spiel lässt Koch
das Licht des Mondes zu einer regelrechten Gefahr werden. Im Zentrum des Stückes stehen die weiblichen Partien. Annika
Boos gefällt als naives Mädchen, das mit ihrem braven Sopran noch zu jung ist,
um zu
verstehen, was in diesem Dorf eigentlich vorgeht. Miriam Ritter gibt die
enttäuschte Frau Leonardos, die seine Zurückweisungen kaum erträgt. Joslyn
Rechter gefällt als respektlose Magd. Banu Böke überzeugt als
unglückliche Braut, die den Bräutigam nicht heiraten will und stattdessen mit
Leonardo flieht. Großartig spielt Böke die Verzweiflung dieser jungen Frau aus.
Ein Höhepunkt des Abends ist ein Wiedersehen mit dem langjährigen
Ensemble-Mitglied Ingeborg Wolff, die als Nachbarin und personifizierter Tod in
Gestalt einer Bettlerin auftritt. Mit welcher Intensität sie jede einzelne Silbe
auf der Zunge zergehen lässt, ist ein regelrechter Hörgenuss. Hinzu kommt ihr
grandioses Spiel. Der zweite Höhepunkt des Abends ist Dalia Schaechter in der
Partie der Mutter. Wie ergreifend sie die Verzweiflung dieser Frau, deren
ganze Familie der Blutrache letztendlich zum Opfer fällt, ausspielt und zu
welchen stimmlich dramatischen Ausbrüchen sie dabei fähig ist, lässt den Abend
auch für die Besucher zu einem Ereignis werden, die der Zwölftonmusik eher abgeneigt
gegenüber stehen. Hilary Griffiths setzt mit dem Sinfonieorchester Wuppertal
Fortners Musik ergreifend, dabei aber stets sängerfreundlich um, so dass es am
Ende großen Applaus für alle Beteiligten für einen rundum gelungenen Abend gibt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne Kostüme Licht Choreinstudierung
Dramaturgie
Opernchor der Studierende der Hochschule Sinfonieorchester Wuppertal SolistenMutter Die Braut Die Magd Die Frau
Leonardos
Die Schwiegermutter Leonardos Die
Nachbarin, Die Bettlerin
(Der Tod)
Das Kind
5 Mädchen
Der Mond
Leonardo
Zwei Burschen
Drei Gäste
Der Bräutigam
Der Vater der Braut
Drei Holzfäller
Der Dämon
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- Fine -