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Sommernachtstraum am Badestrand
Eigentlich sollte mit Otello 1887 sein letztes
Bühnenwerk entstehen, bevor sich Giuseppe Verdi auf seinem Landgut Sant'Agata in
den wohlverdienten Ruhestand zurückziehen wollte. Aber Arrigo Boito konnte ihn
aufgrund eines erstklassigen Librettos dann doch noch einmal überreden, eine
Oper auf einen Shakespeare-Stoff zu vertonen, und gerade mit seinem Alterswerk
Falstaff konnte der Komponist, dessen Name wohl für die größten Tragödien
der Opernwelt steht, der Nachwelt zeigen, dass er nach dem Fiasko, das er mit
seinem Frühwerk Un giorno di regno erlebt hatte, durchaus in der Lage
war, auch komische Opern zu schreiben. So verabschiedete sich Verdi mit einem
Meisterwerk, das bei allem Witz auch die Lebenserfahrung seines Schöpfers in
sich trägt, augenzwinkernd mit einem schlimmen Gesellen von der Opernbühne, der
bei all seinen schlechten Eigenschaften eine große Portion Humor besitzt. Die
Wuppertaler Bühnen präsentieren dieses Ensemble-Stück nun fast vier Wochen nach
der Premiere im Teo Otto Theater in Remscheid im Opernhaus an der
Wupper. Falstaff (Kiril Manolov,
Mitte) heckt mit seinen beiden Dienern Bardolfo (Ralf Rachbauer, links) und
Pistola (Thomas Schobert, rechts) neue Missetaten aus. Arrigo Boito greift beim Libretto gleich auf drei
Shakespeare-Dramen zurück, aus denen er 10 Charaktere herausschält und zu einer
Geschichte um den alternden Ritter Sir John Falstaff zusammenfasst: die beiden
Königsdramen Henry IV. und Henry V. und natürlich The Merry
Wives of Windsor. Falstaff, der mit seinen beiden Dienern Bardolfo und
Pistola ein ausschweifenderes Leben führt, als es seine Finanzen eigentlich
zulassen, plant, durch eine lukrative Liaison mit den beiden verheirateten
Damen, Alice Ford und Meg Page, zum einen seine Libido zu befriedigen, zum
anderen seine finanziellen Probleme zu lösen. Doch Alice und Meg sind nicht
darüber begeistert, von Falstaff einen identischen Liebesbrief zu bekommen, und
beabsichtigen, dem eitlen Geck eine Lektion zu erteilen. Folglich lässt sich
Alice scheinbar auf ein Rendezvous ein, versteckt aber, als ihr Gatte unerwartet
nach Hause kommt, den vermeintlichen Liebhaber in einer Wäschekiste, die die
Diener mit der schmutzigen Wäsche in den Fluss kippen. Doch damit haben die
beiden Frauen noch nicht genug. Unter dem Vorwand der Reue locken sie den Ritter
des Nachts zu einer Eiche, wo sie ihm nahezu unter Beteiligung des ganzen Dorfes
einen Mummenschanz mit Elfen und Kobolden vorspielen, an dessen Ende Falstaff
von der maskierten Schar gepiesackt und verprügelt wird. Falstaff ist allerdings nicht
der einzige, dessen Pläne durchkreuzt werden. Auch Fords Idee, seine Tochter Nanetta mit dem etwas älteren Dr. Cajus zu verheiraten, wird bei der Maskerade
verhindert, indem Nanetta in ein anderes Kostüm schlüpft und somit mit ihrem
Geliebten Fenton vermählt wird. So bleibt am Ende für alle die Erkenntnis:
"Alles auf der Welt ist Spaß, und der Mensch ist als Narr geboren". Alice (Banu Böke, rechts) liest
Meg (Joslyn Rechter, links), Mrs. Quickley (Diane Pilcher, 2. von links) und
Nanetta (Dorothea Brandt, 2. von rechts) Falstaffs Liebesbrief vor. Das Regieteam um den Opernintendanten Johannes Weigand hat
die Handlung an den Anfang des 20. Jahrhunderts verlegt, um die Figuren
einerseits realistisch darzustellen, andererseits aber die Übermittlung der
Liebesbriefe durch einen Boten noch glaubhaft zu machen. Um die Geschichte zu
motivieren, hat Moritz Nitsche eine Strandkulisse in einem Einheitsbühnenbild
konzipiert, das auf der linken Seite mit weißen Tischen und Stühlen die Bar als
Strandcafé darstellt, in dem Falstaff mit seiner Gefolgschaft seine Zechgelage
feiert, und in dem auf der rechten Seite mit zwei Umkleidekabinen und einem Steg, der
zum Meer führt, der Badebereich für die bürgerliche Gesellschaft gezeigt wird.
Die Figuren befinden sich also im Urlaub, weswegen sie sich auf das ganze
Theater überhaupt einlassen. Warum auf dem Prospekt im Bühnenhintergrund noch
ein Jahrmarkt mit Riesenrad und Achterbahn dargestellt wird, erschließt sich
nicht. Vielleicht soll damit der Spaßfaktor der Handlung betont werden. Auch
lässt es sich schwer motivieren, warum der Wäschekorb im zweiten Akt ins Meer
gekippt werden sollte. Das Boot, mit dem Falstaff im zweiten Akt zu seinem
ersten Rendezvous bei Alice erscheint, stellt auch im dritten Akt die Eiche dar,
an der Falstaff um Mitternacht Alice treffen soll. Dabei wird der Name des
Bootes "Ernie's Boat" kurzerhand durch leichte Ergänzungen und Striche in "Herne's
Oak" umgewandelt. Großes Lob gebührt der Lichtregie von Henning Priemer, der
mit Unterstützung eines schwarzen Gaze-Vorhangs im dritten Akt einen herrlichen
Nachthimmel zaubert, unter dem der nächtliche Spuk mit Elfen und Kobolden
stattfinden kann. In diesem Akt kann sich auch Judith Fischer mit sehr
fantasievollen Kostümen regelrecht austoben. So sitzt Nanetta mit einem langen
türkisfarbenen Fischschwanz auf dem Dach einer Umkleidekabine, und Meg Page
führt in einem herrlich grünen Kostüm die Schar der Elfen um das Boot, in dem sich Falstaff als Jäger mit großem Geweih versteckt. Auch Nanettas Liebhaber Fenton
und Alices Ehemann Ford machen als Biene und Meeresgott mit langem Rauschebart
eine gute Figur. Dieser knallbunte Sommernachtstraum entwickelt sich szenisch
zum Höhepunkt der Aufführung. Falstaff (Kiril Manolov)
erscheint um Mitternacht zum vereinbarten Treffen bei Herne's Oak. Für die Titelfigur konnte der bulgarische Bass Kiril Manolov
als Gast gewonnen werden, der in dieser Partie bereits in Wiesbaden und an der
Hamburgischen Staatsoper brillierte. Dabei begeistert Manolov nicht nur
stimmlich mit einem kernigen Bass, sondern gibt auch optisch einen grandiosen Falstaff ab, der zum einen über die nötigen Ausmaße verfügt, diesen behäbigen
Lebemann glaubhaft darzustellen, andererseits mit überbordender Spielfreude den
Ritter mit seinen ganzen schlechten Manieren fast schon wieder sympathisch
macht. Sein komisches Talent zeigt er, wenn er sich im zweiten Akt vor Ford in
der Wäschekiste verstecken muss und immer wieder ein Arm oder ein Bein aus der
Kiste herauskommt, was Meg und Mrs. Quickley schnell wieder mit schmutziger
Wäsche bedecken. Auch in seiner Verkleidung als Jäger mit großem Geweih gelingt
es Manolov, selbst dieses lächerliche Kostüm mit einer gewissen Würde zu tragen.
Mit Ralf Rachbauer steht ihm als Bardolfo ein ebenso spielfreudiger wie
stimmlich mit kräftigem Tenor überzeugender Diener zur Seite. Mitternächtlicher Spuk an der
Eiche (vorne in Rot: Alice (Banu Böke), auf dem Dach: Nanetta (Dorothea Brandt),
Elfen (Chor)). Neben den Ensemblemitgliedern sind in dieser Produktion auch
einige Ehemalige zu erleben. Da ist zunächst Stephan Boving als Dr. Cajus,
der von 2005 bis 2008 zum Wuppertaler Ensemble gehörte, bevor er nach Dortmund
wechselte. Mit leichtem Tenor und viel Komik interpretiert er Dr. Cajus, der
zunächst von Falstaff und seinen Dienern um sein Vermögen geprellt wird und dann
auch noch die ihm versprochene Braut Nanetta an den jungen Fenton verliert und
stattdessen den verkleideten Bardolfo als Angetraute erhält. Auch Thomas Schobert
ist für die Rolle des Pistola an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt. Mit
großem Bass mimt er Falstaffs zweiten Diener, der seinem Herrn optisch
nachzueifern scheint, auch wenn ihm mit den ungepflegten langen Haaren die
Eleganz des Ritters fehlt. Diane Pilcher, die in der letzten Spielzeit
bereits als Zita in Gianni Schicchi in Wuppertal zu erleben war, gastiert
erneut an der Wupper, dieses Mal als Mrs. Quickley. Mit großem Mezzo gelingt es
ihr, Falstaff immer wieder einzuwickeln und zu einem zweiten Rendezvous mit Alice zu
überreden. Auch die hauseigenen Kräfte überzeugen auf ganzer Linie. Banu
Böke gibt mit warmem Sopran eine sehr verführerische Alice Ford, die ihre Reize
bei Falstaff geschickt einsetzt und auch ihren Mann im Griff hat. Thomas Laske
stattet den Ford mit profundem Bariton aus und arbeitet die komischen Züge der
Figur glaubhaft heraus, indem er einerseits den eifersüchtigen Ehemann mimt und
andererseits glaubt, seine Tochter gegen ihren Willen mit Dr. Cajus verheiraten
zu können. Christian Sturm und Dorothea Brandt bilden stimmlich und optisch ein
schönes junges Liebespaar. Brandt überzeugt als Nanetta in den Höhen mit sehr
klarem Sopran, und Sturm verfügt über weichen tenoralen Schmelz in der Stimme,
der ihn für die Rolle des Liebhabers prädestiniert. Den Glanzpunkt des Ensembles
setzt Joslyn Rechter, die die Meg Page mit großem Mezzo und unglaublicher
Komik gestaltet, sei es nun, dass sie in den Wogen baden geht oder die Elfen zu
einem Reigen anführt. Hilary Griffiths rundet mit dem frisch aufspielenden
Sinfonieorchester Wuppertal die großartige Leistung der Solisten formvollendet ab,
so dass es am Ende verdienten und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten
gibt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild Kostüme Licht Choreinstudierung
Dramaturgie
Opernchor und Statisterie der Sinfonieorchester Wuppertal Solisten*Besetzung der Premiere
Sir John Falstaff
Ford
Mrs. Alice Ford Nanetta
Fenton Dr. Cajus Bardolfo Pistola Mrs. Meg Page Mrs. Quickley Wirtin Ned Will Tom Isaac
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- Fine -