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Wer erlöst
hier wen?
Zweieinhalb Jahre ist es her, dass der damals scheidende
Intendant Gerd Leo Kuck dem Wuppertaler Publikum gewissermaßen zum Abschied eine
Tristan-Inszenierung schenkte, die nicht nur überregional große
Begeisterung hervorrief, sondern auch das Publikum mit großem Stolz erfüllte,
dass die Wuppertaler Oper nach so vielen Jahren ohne Wagner einen solchen
Brocken mit hochkarätigen Solisten und einer überzeugenden Deutung stemmen
konnte. Großes Bedauern hatte man lediglich darüber geäußert, dass diese
Inszenierung nach nur wenigen Aufführungen aus Kostengründen wieder vom
Spielplan verschwinden musste. Nun hat es Opernintendant Johannes Weigand in
seiner dritten Spielzeit mit dem fliegenden Holländer geschafft, das
Wuppertaler Bedürfnis nach Wagner erneut zu befriedigen. Und dieses Mal stehen
nicht nur mehr Vorstellungen auf dem Programm als damals beim Tristan.
Auch die Titelpartie kann mit Kay Stiefermann als Ensemblemitglied besetzt
werden, worauf die Wuppertaler ganz besonders stolz sein dürften. Und nach dem
Premierenabend darf gemutmaßt werden, dass diese Inszenierung eine ähnliche
Euphorie auslösen dürfte wie Kucks Tristan. Der Holländer (Kay Stiefermann) sehnt sich nach einem Engel, der ihn erlöst. Dabei verzichtet das Regieteam um Jacob Peters-Messer
größtenteils auf ein Bühnenbild und vertraut mit einer sehr ausgeklügelten
Lichtregie auf die Vorstellungskraft des Publikums. So reichen im ersten Aufzug
ein paar Taue, die aus dem Schnürboden herabhängen, um zu demonstrieren, wie
Dalands Mannschaft das vom Sturm auf dem Meer gepeitschte Schiff in einer Bucht
kurz vor dem Heimathafen an Land ziehen. Das Schiff des Holländers wird durch
sechs leicht gewölbte Scheinwerferleisten dargestellt, die die Form eines Segels
suggerieren. Das weiße Licht dieser Scheinwerfer auf der sonst recht dunkel
gehaltenen Bühne wirkt gespenstisch. Im zweiten Aufzug sind diese Leisten
in die Neonröhren der Deckenbeleuchtung in der Stube integriert, in der die
jungen Mädchen, hier an weißen Hochzeitskleidern nähend, auf die Rückkehr der
Seemänner warten. Neben der Zweckmäßigkeit dieser Konstruktion mag aber auch
Sentas Obsession durch den Holländer damit ausgedrückt werden. Im dritten Aufzug
strahlt dieses Segel mit gleißendem Licht in den Zuschauersaal, um zum einen den
Aufbruch des Holländers anzudeuten und zum anderen Sentas Opferung zu
versinnbildlichen, indem sie sich durch das gleißende Licht ins Meer stürzt. Senta (Allison Oakes, links)
fühlt sich von Mary (Miriam Ritter, rechts) und der Dorfgemeinschaft (Chor)
eingeengt. In den dunklen Bühnenboden, der leicht
angeschrägt nach oben verläuft, ist auf der rechten Seite eine große rechteckige
weiße Platte eingelassen, die durch eine darunter angebrachte Lichtquelle hell
erstrahlen kann. Dieser Platte kommt zum ersten Mal im ersten Aufzug eine
Bedeutung zu, wenn der Holländer seine Hoffnung auf einen Engel besingt, der ihn
aus seiner Qual erlösen kann. Diesen Engel scheint er in der weißen Platte zu
sehen. Im zweiten Aufzug ersetzt diese Platte das Gemälde, das in Senta die
romantische Fantasie weckt, dieser Engel für den Holländer zu sein. Sehr
eindrucksvoll gestaltet Jacob Peters-Messer die Szene im zweiten Aufzug, wenn
Senta träumend mit dem Gesicht auf dieser weißen Platte liegt und plötzlich der
Holländer leibhaftig hinter ihr steht. Um Liebe geht es in dieser Inszenierung
aber weder dem Holländer noch Senta. Das macht Peters-Messer im zweiten Aufzug
sehr deutlich, wenn er die beiden aus relativ großer Distanz singen lässt.
Dabei stehen sie auch in getrennten Lichtkegeln und schauen sich nicht an. Der
Holländer will Senta nur benutzen, um endlich seine Erlösung zu finden. Und
Senta? Sie sucht ebenfalls Befreiung und zwar von ihrem Vater und den
einengenden Konventionen des Dorfes. Daraus kann sie nur der Holländer befreien.
Vielleicht stellt sie auch deshalb bei ihrem Treueschwur auf einem Hocker ein
Kreuz dar, an dem der Holländer wie der Erlöser zu hängen scheint. Doch wer hier
im eigentlichen Sinne wen erlöst, bleibt diskutabel. Eine eindeutige Position bezieht Peters-Messer in seinem
Schlussbild. Nachdem sich Senta für den Holländer geopfert hat und das Segel des
Holländerschiffes in den Schnürboden entschwebt, sieht man vor dem im weißen
Nebel aufschäumenden Meer den Holländer und Senta langsam zu den letzten Klängen
der Musik aufeinander zugehen. Auch im Jenseits gesteht Peters-Messer - im
Gegensatz zur Musik - den beiden noch keine Zusammengehörigkeit zu, aber
vielleicht finden sie einen Weg, sich aneinander anzunähern. Immerhin schauen
sie sich jetzt an, was sie vorher nicht getan haben. Von daher lässt das
Schlussbild doch die Hoffnung, dass die beiden irgendwann zueinander finden
werden, auch wenn sie beim letzten Ton der Musik noch recht weit voneinander
entfernt sind. Daland (Michael Tews, Mitte)
verschachert seine Tochter Senta (Allison Oakes) an den Holländer (Kay Stiefermann, links). Die Kostüme von Sven Bindseil sind sehr dunkel gehalten. Mary
und die Mädchen des Dorfes tragen schwarze Kleider im Stil der Entstehungszeit
der Oper. Auch Daland und die Matrosen sind recht klassisch kostümiert. Senta
unterscheidet sich von den anderen Frauen eigentlich nur durch die Haare. Im
zweiten Aufzug trägt sie lange rote Zöpfe, was ihre mädchenhafte Naivität
unterstreicht. Im dritten Aufzug hat sie die roten Haare geöffnet. Dennoch trägt sie
trotz der bevorstehenden Hochzeit mit dem Holländer immer noch ein schwarzes
Kleid. Auch
hierdurch wird die Düsterkeit der Beziehung unterstrichen. Der Holländer wirkt
mit seinem Tattoo auf der Schläfe und seinem Irokesenschnitt wie eine Figur aus
einem Anime-Film. Das Diabolische geht ihm dabei verloren, vielmehr wirkt er wie
ein tragischer gebrochener Held. Anders seine Mannschaft, die als maskierte
schwarze Zombies bisweilen schon einmal versuchen, sich mit einer Pistole zu
erschießen, aber den Tod nicht finden können und immer wieder zum Leben
erwachen, wenn der Holländer sie mit seiner Pfeife ruft. Der Holländer (Kay Stiefermann,
rechts) zweifelt an Sentas (Allison Oakes) Treue (hinten rechts: Erik (Johan
Weigel)). Musiziert und gesungen wird auf recht hohem Niveau. Das
Sinfonieorchester Wuppertal lässt unter der Leitung von Hilary Griffiths mit
großem Gespür für Dramatik die Ouvertüre sehr flott und sicher aus dem
Orchestergraben erschallen und überzeugt auch im weiteren Verlauf, wenn auch mit
bisweilen recht eigenwilligen Tempi. Dabei werden die Sänger niemals überdeckt.
Christian Sturm begeistert mit sehr lyrischem Tenor und hervorragender
Textverständlichkeit als Steuermann bei seiner Auftrittsarie "Mit Gewitter und
Sturm aus fernem Meer" und singt die Höhen sehr klangschön aus. Wenn sich zum Ende
seiner Arie mit den langsam aufleuchtenden
Scheinwerfern das Gespensterschiff des Holländers nähert, erzeugt dieses
Zusammenspiel von wunderschönem Gesang und Bedrohung eine Gänsehaut. Auch Miriam
Richter überzeugt als Mary mit sehr klarer Diktion und sauberer Stimmführung.
Michael Tews wirkt mit seinem profunden Bass als Daland schon fast diabolischer
als der Holländer. So ist es kein Wunder, dass sich Senta von ihm befreien
möchte. Tews gelingt stimmlich und darstellerisch ein ausgezeichnetes
Rollenportrait. Allison Oakes verfügt als Senta mit sehr dramatischem Sopran
über enorme Kraftreserven. Allerdings ist sie vor allem in den
Höhen nicht ganz so textverständlich wie die anderen Solisten und neigt dazu, in
den Spitzentönen ein wenig zu schreien. Johan Weigel kann als Erik bei dem hohen
Niveau der übrigen Solisten leider nicht ganz mithalten. Zwar verfügt er über
eine sehr klare Diktion, aber seine Stimme klingt besonders in den Höhen sehr
belegt, so dass seine Charakterzeichnung recht blass bleibt. Ein ganz großes Lob ist dem von Jens Bingert
einstudierten Chor der Wuppertaler Bühnen auszusprechen, der um den Extrachor
und Studierende der Hochschule für Musik verstärkt ist und mit großer
Spielfreude und Homogenität im Klang überzeugt. Besonders eindrucksvoll gelingt
der Beginn des dritten Aufzuges, wenn der komplette Chor an der Rampe steht und
Richtung Zuschauerraum das Geisterschiff aus seinem Schlaf reißen will. Schade
ist nur, dass die Reaktion der Holländer-Mannschaft daraufhin nur vom Band
eingespielt wird. Auch die im Bühnenhintergrund auftretenden Statisten vermögen
es nicht, die Bedrohung und das Entsetzen der Dorfgemeinschaft, das von diesem
Erwachen ausgehen soll, glaubhaft zu machen. Hier hätte man vielleicht von der
Chormasse einen Teil für den Holländerchor abtrennen sollen. Star des Abends
bleibt Kay Stiefermann, der den Holländer mit
großartiger Textverständlichkeit und kräftigem Bariton interpretiert. Die
Wuppertaler können sich glücklich schätzen, einen auch darstellerisch absolut
überzeugenden Holländer im Ensemble zu haben. So gab es am Ende lang anhaltenden
und verdienten Applaus für alle Beteiligten.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Lichtdesign Kostüme Beleuchtungseinrichtung Choreinstudierung
Dramaturgie
Chor und Extrachor der Statisterie der Studierende der Hochschule Sinfonieorchester Wuppertal Solisten*Besetzung der Premiere
Daland, ein norwegischer Seefahrer
Senta, seine Tochter
Erik, ein Jäger
Mary, Sentas Amme
Der Steuermann Dalands Der Holländer
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- Fine -