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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Ein FamilienstückVon Stefan Schmöe / Fotos: Bernd Uhlig![]() Der Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinunterschaut. Wenn in der Musik der Mond so suggestiv blutrot aufgeht, dass die Kölner Oper zu Recht auf jeden Bühnenmond verzichtet, dann liegt Marie in Wozzecks Armen wie ein kleines Mädchen in den Armen des schützenden Vaters, und einen Moment lang hofft man inständig gegen alles bessere Opernwissen, dieses eine Mal ginge vielleicht doch alles gut aus. Dann bricht er ihr das Genick. Dieser Wozzeck ist zärtlich und gefährlich, sanft und brutal, naiv und klug. Er ist nicht fassbar. Er ist nicht der soziale underdog, wie überhaupt die rezeptiosgeschichtlich ja lange dominierende Wir-arme-Leut-Geste ganz zurückgenommen ist. Dieser Wozzeck macht einen in der Tat schwindelig, und das ist auch das Verdienst des großartigen Florian Boesch in der Titelpartie. Der spielt die von Alban Berg geforderten Abstufungen zwischen sprechen und singen ungeheuer nuanciert aus, bleibt der Partie aber auch die großen Ausbrüche nicht schuldig. Mit seiner Erfahrung als Liedsänger findet er aber gerade in den leisen Momenten zu ungeheurer Intensität und zeichnet ein sehr differenziertes, vielschichtiges Rollenporträt. ![]() Marie (Asmik Grigorian) und Tambourmajor (Gordon Gietz) Es ist eine aufregende Gratwanderung zwischen Schauspiel und Musikdrama, die Regisseur Ingo Kerkhof und sein sehr engagiert spielendes Ensemble unternehmen und bravourös meistern. Wozzeck ist wohl einzigartig darin, dass die Textvorlage, Georg Büchers Schauspielfragment Woyzeck, und Alban Bergs auf dem (verkürzten) Originaltext basierende Oper beide gleichermaßen im Repertoire verankert sind. Kerkhof inszeniert auf der fast leeren Bühne (eine Mülltonne gibt dem Ambiente einen trostlosen Anstrich) ein vom Sprechtheater inspiriertes Kammerspiel, das sich ganz auf die Beziehungen der Personen konzentriert. Die angenehm schlichten Kostüme (Jessica Karge) sind dezent historisierend, Bühnenbildner Gisbert Jäkel verzichtet weitgehend auf Requisiten. Als Wirtshaus dient ein Zelt, ansonsten sind Teich, Mond und Feld ebenso gestrichen wie Kaserne, Straße und Maries Haus. Die sehr konzentrierte Personenregie benötigt auch kein naturalistisches Ambiente, sie schafft sich die erforderliche Atmosphäre selbst. ![]() Fairerweise müsste man den Titel in Wozzeck und Marie umbenennen, so präsent ist in dieser Inszenierung die weibliche Hauptperson. Asmik Grigorian ist eine jugendlich leichte, nicht sehr dramatische, aber stimmlich jederzeit souveräne Marie. Im (maßvoll) blasierten Tambourmajor sucht sie nicht (nur) erotische Abwechslung; sie findet in diesem entschlossenen und in die Gesellschaft integrierten Mann einen Gegenentwurf zum Daueraußenseiter Wozzeck. Da leuchtet auch das durch und durch moderne Familiendrama auf. Kerkhof muss keine Hartz-4-Welten inszenieren um zu zeigen, dass es hier auch um sehr zeitgemäße Lebensperspektiven geht. Marie wirft Wozzeck das Geld, das er ihr zu einem (hier schier unendlich lang gehaltenen) C-Dur-Akkord gegeben hat, nach, um es dann wieder aufzusammeln. Da gehen viele Brüche durch die Personen. Szenisch aufgewertet sind die Rollen des Kindes und des Narren, die ja bekanntlich die Wahrheit sprechen. Bereits vor dem ersten Ton zitieren die beiden das Anti-Märchen vom Waisenkind, das zur Sonne und den Sternen geht und dort nur eine verwelkte Sonnenblume und Mücken findet. 90 Opernminuten später wird das Kind auch ein Waisenkind sein, und es wird ebenfalls weder Sonne noch Sterne finden. Diese Perspektive ist eine weitere Ebene dieser unaufdringlichen, aber eindrucksvollen Inszenierung. ![]() Wozzeck und Marie Die Spannung zwischen Schauspieltext und Oper hält bis zum Schluss und geht nie zu Lasten der Musik. Ab und zu könnte noch die Textverständlichkeit und die Aussprache besser sein. Die weiteren Rollen sind mit Gordon Gietz (etwas angestrengt) als Tambourmajor, Alexander Fedin als (zu wenig gefährlicher) Hauptmann, Dennis Wilgenhof (mit hintergründiger Komik) als Doktor, Martin Koch (unauffällig) als Andres und John Heuzenröder (sehr spielfreudig) als Narr musikalisch solide, wenn auch nicht exzellent besetzt. Die Freiheiten, die der Regisseur den Darstellern lässt, nutzen diese naturgemäß unterschiedlich gut; insgesamt ist das aber eine sehr ordentliche Ensembleleistung. Unter der Leitung von GMD Markus Stenz herrscht im Orchester ein transparenter, kammermusikalisch klarer Klang vor, der die Nähe zum Schauspiel unterstreicht. Manche Szenen werden sehr pointiert und „trocken“ gespielt, wobei auch eine hintergründige Komik anklingt. Dann kann Stenz aber auch auf einen sehr geheimnisvollen Klang umschalten. Die Zwischenaktmusik im dritten Akt ist dann eine große spätromantische Hommage an Gustav Mahler. So stehen die Szenen fast collagenhaft nebeneinander (was dem fragmentarischen Charakter der Schauspielvorlage entspricht), aber die Übergänge sind so intelligent und schlüssig gestaltet, dass die formale Geschlossenheit der Oper deutlich wird. Mit dieser mehrdeutigen Interpretation gelingt Stenz und dem guten Gürzenich-Orchester Außerordentliches.
Vordergründig unspektakuläre, aber sehr raffinierte und vielschichtige Deutung des Wozzeck mit brillantem Hauptdarsteller und famosem Dirigenten. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Choreographie
Dramaturgie
Solisten
Wozzeck
Tambourmajor
Andres
Hauptmann
Doktor
1. Handwerksbursch
2. Handwerksbursch
Narr
Marie
Margret
Mariens Knabe
Ein Soldat
Ein Pianist
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- Fine -