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Musiktheater
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Capriccio

Ein Konversationsstück für Musik
Text von Clemens Krauss und Richard Strauss
Musik von Richard Strauss


Aufführungsdauer: ca. 2'45 h (eine Pause)

Premiere in Edinburgh am 28. August 2007
Premiere im Opernhaus Köln am 30. Mai 2009


Besuchte Vorstellung: 7. Juni 2009

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Capriccio 1942/2009

Von Thomas Tillmann

"Wollen Sie, wenn Sie eine Karte für die Oper kaufen, wieder einmal die deutsche Geschichte vor 70 Jahren auf der Bühne sehen?" fragte erbost eine ältere Dame die vor mir sitzende Gruppe junger Japaner, als sie auf dem Vorhang das riesige Auge gewahrte, indem sich eine Szene des Einmarschs der Nazis in Paris spiegelte, jener Stadt, in der Strauss' Capriccio spielt. Die Antwort der sichtlich irritierten Asiaten habe ich leider nicht hören kann, ich könnte auch nicht vor Gericht bezeugen, dass die Dame in ihrem Redeschwall den Regisseur wirklich als "Judensau" bezeichnet hat (wie meine Sitznachbarin behauptet), andere volksverhetzende, lautstark geäußerte Bemerkungen ähnlicher Couleur sind mir indes nicht entgangen (der Holocaust ist keine Erfindung von Amerikanern, die vor zehn Jahren zum Judentum konvertiert sind und sich jetzt wichtig tun).

Es ist kein neuer Einfall, wenn Christian von Götz in einer Operninszenierung, die in Koproduktion mit dem Edinburgh International Festival ebendort bereits im Sommer 2007 herausgekommen ist und nun als letzte Premiere der problematischen Intendanz Raddatz in Köln gezeigt wurde, die schrecklichste Zeit der deutschen Geschichte reflektiert, aber man muss ihm doch lassen, dass das Konversationsstück für Musik genau in dieser Zeit uraufgeführt wurde, und das keineswegs unberührt von dem "Meer von Blut und Tränen" des Zweiten Weltkrieges und dem Einfluss der Nazidiktatur, wie Prof. Dr. Gerhard Splitt, außerplanmäßiger Professor am Institut für Musikwissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg mit dem Forschungsschwerpunkt Musik und Politik im NS-Staat und Autor einer Monographie mit dem Titel "Richard Strauss 1933-1935. Ästhetik und Musikpolitik zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft", in seinem Originalbeitrag fürs Programmheft erschöpfend belegt: Der "Nichtarier" Stefan Zweig wurde als spiritus rector des Werkes verschwiegen, Strauss hatte bereits 1934 einen "Ständigen Rat für die internationale Zusammenarbeit der Komponisten" gegründet, deren Präsident er auch bis 1944 war, "ein Konsortium überwiegend zweitrangiger Komponisten", in dem nach dem Vorbild der NS-Politik gemäß dem "Führerprinzip" Entscheidungen durch Bestimmungen und Verordnungen von Strauss ins Werk gesetzt wurden, und so ist die von La Roche formulierte Frage, wo denn die Schöpfer jener fruchtbar neuen Werke seien, leicht zu beantworten, nämlich in innerer Emigration (ein paar wenige), auf der Flucht vor den Nazis oder im Exil oder in den KZs. Splitt weist überzeugend nach, dass La Roches Phrasen ziemlich genau der offiziellen Kulturpropaganda der Nationalsozialisten entsprechen und spricht dabei noch recht dezent von "partielle(n) geistige(n) Kongruenzen". Darüber hinaus stand die Uraufführung unter der "Schirmherrschaft" von Propaganda-Minister Goebbels, die politischen Führer haben bewusst Unsummen an zusätzlichen Mitteln für diese Strauss-Premiere zur Verfügung gestellt, und so war die kulturelle Betriebsamkeit jener Tage keineswegs Zufall, sondern politisch gewollt. Nichtsdestotrotz fiel das Gutachten des "Reichsdramaturgen" Schlösser reichlich negativ aus, der das Werk als "ein liebenswürdiges Nichts" bezeichnet hat, aus dem Strauss ein "bezauberndes Etwas hätte machen können, wenn nicht beide (Strauss und Gregor, T. T.) geschwätzig geworden wären" (ein Urteil, dem sicher bis heute mancher zustimmen würde, der sonst nichts mit den braunen Machthabern zu schaffen haben möchte, nicht nur die vielen, die dafür gesorgt haben, dass bereits in der dritten Vorstellung ganze Reihen im Kölner Opernhaus leer blieben).

Von Götz macht aus der Vorlage ein Etwas, wenn auch kein bezauberndes. Während des Streichsextetts wird die Situation der Entstehungszeit skizziert: Gestapomänner dringen in das elegante Haus des Grafen und seiner Schwester ein (wobei mir nicht ganz klar wurde, ob die beiden Juden sind oder nur anständige Deutsche, die in edlem Ambiente Juden zur Flucht verhelfen, bis es auffliegt) und verkörpern die brutale Wirklichkeit, von der man sich mit einer Flucht in die heile Opernwelt eben nicht mehr wirklich ablenken kann, auch wenn sich alle noch brav und für den Zuschauer sichtbar in die historisierenden, detailverliebten Kostüme von Gabriele Jaenecke (besonders schick fand ich die vielfältigen Dienerkostüme, und auch das eindrucksvolle, hervorragend ausgeleuchtete Ambiente hat sie geschaffen) begeben und sich nach und nach in die Personen des 18. Jahrhunderts zu verwandeln scheinen, die das Libretto vorsieht. An entscheidenden Stellen tauchen diese Schächer wieder auf, verbreiten Angst, führen Darsteller ab. Zwar gibt es Momente, in denen das Bühnenpersonal den Druck, das Ausgeliefertsein an die Machthaber beinahe zu vergessen scheint, sich verliert in dem Theoretisieren über Vorrang von Wort oder Ton in der Oper, den amourösen Verwicklungen und dem zunehmend ungenierter fließenden Alkohol, selbst die Garderoben an der Seite verschwinden zeitweilig, aber beim Anlegen eines Colliers etwa realisiert die Gräfin, dass dies aus beschlagnahmtem jüdischen Besitz stammt, nach der Pause (gespielt wir die Fassung, wie sie 1957 von Joseph Keilberth und Rudolf Hartmann eingerichtet wurde) ist auch das edle Treppenhaus auf dem Hintergrundprospekt zerstört, die Tänzerin, die eine Art historischen Striptease zelebriert (Luisa Sancho Escanero), wird nach ihren Bemühungen deportiert, Dichter und Komponist entpuppen sich später auch als Gestapoleute, die Diener tragen unter der schicken Livrée Braunhemden. Und so holt auch den Zuschauer, der die Hoffnung hegt, endlich doch ungestört in Strauss' Orchesterglanz eintauchen zu können, die "Wirklichkeit" schnell wieder ein. Man sieht ein anderes Stück als das, was die Lektüre des Librettos oder des Programmhefts vorgibt, aber es ist richtig so.

Und man freut sich über eine gute, klare Personenführung und eine Erzählweise, die ich eher als solide und handwerklich gut gemacht als als revolutionär bezeichnen möchte, aber auch das ist ja kein Fehler, und erfreulicherweise erkennt man eben auch ein durchgängiges Konzept und ärgert sich nicht über zusammenhanglos aneinandergereihte Mätzchen und vordergründiges Provozieren. Und sind wir ehrlich: Wie will man dieses Stück im Jahre 2009 wirklich überzeugend auf die Bühne bringen, ohne es auf die eine oder andere Art zu brechen? Eine ganz traditionelle Bebilderung würde man wohl auch nur goutieren, wenn eine sensationelle Besetzung zur Verfügung stünde, und das war Solveig Kringelborn nicht ansatzweise: Ihr Ton ist kühl, ältlich-fahl, vibratoreich-steif und mitunter scharf, besonders in der nicht mehr selbstverständlichen Höhe, affektiert-exaltiert und reichlich uncharmant, die nicht vorhandene Tiefe wird durch vulgären Sprechgesang nur unzureichend kompensiert, erst im Sonett während des Schlussmonologs freut man sich über einige gelungene Passagen im Piano, bevor das Flackern einer gespreizten, überstrapazierten Stimme im Forte den grundsätzlichen Eindruck des Abends bestätigt (pardon, aber die richtige Partie wäre die Leitmetzerin im Rosenkavalier, nicht die Marschallin, die sie seit einigen Jahren singt und die der Madeleine ja nicht unähnlich ist). Und es geht auch nicht, dass man von dem wichtigen, geistreichen Text der Protagonistin, die auch szenisch wenig aristokratisch daherkommt, so wenig versteht - vieles von Strauss' "Verstandestheater, Kopfgrütze, trockenen Witz" verpuffte einfach, was den Komponisten sehr geärgert hätte, der in seinem Geleitwort die "Wichtigkeit" betont, "die in diesem Werke dem gesprochenen Worte ganz besonders zukommt" (es ist doch inzwischen durchaus üblich, auch detusche Werke zu übertiteln, das muss man doch organisieren können, wenn man schon eine bereits vorhandene Produktion zeigt und damit erheblich entlastet ist!).

Auch Ursula Hesse von den Steinen hat in der tiefen Lage wenig mehr anzubieten als einen gewöhnlichen Chansonettenton, was zur spöttischen Clairon aber besser passt als zur Gräfin, und natürlich gibt die Mezzosopranistin darstellerisch wie schon bei ihrer Dalila alles - und für meinen Geschmack etwas zu viel -, wobei mir die gesprochenen Passagen am Anfang deutlich besser gefielen als die gesungenen und mir die starke Konzentration aufs richtige Einsetzen nicht entgangen ist. Immerhin, die Mittellage hat einen gewissen sinnlichen, "gefährlichen" Klang, und so darf man gespannt sein, wie sie in der nächsten Saison mit der Eboli zurechtkommen wird. Ashley Holland ist an ihrer Seite ein untadeliger Graf, ich fand ihn köstlich als dilettierenden Schauspieler und mit dem Kerzenleuchter auf dem Kopf, und er versteht es auch, den Selbstmord in der Garderobe ohne Überzeichnung zu transportieren.

Hauke Möller ist ein darstellerisch sehr engagierter Flamand mit schlanker, sehr schlanker Stimme, die wenig Reserven hat und dem Ohr nicht gerade schmeichelt, und obwohl der Tenor häufig nah an der Rampe anzutreffen ist, ist einiger Druck nötig, um überhaupt verständlich zu bleiben. Miljenko Turk ist ein attraktiver Olivier nicht ohne Akzent, aber mit großem Bemühen um Aussprachedeutlichkeit, angemessen jugendlichem Feuer und einem herrlich strömenden Bariton, Michael Eder ein praller La Roche, der an den richtigen Stellen poltert, aber eben auch zu leiseren Tönen findet mit einem Bass, dem hohe Töne nicht mehr ganz leicht fallen und der auch sonst nicht der eines Dreißigjährigen ist, aber ja auch nicht sein muss. Gerade in der Ansprache aber hätte er noch deutlicher artikulieren müssen, das hat man schon viel lebendiger und intensiver gestalteter gesehen und eleganter und müheloser gesungen gehört. Johannes Preißinger ist ein ordentlicher Taupe, aber auch da kann man mehr draus machen, Csilla Csövári vom Opernstudio war als italienische Sängerin eher szenisch als vokal ein Ereignis, aber trotzdem präsenter als ihr Kollege Benjamin Bruns, während Ulrich Hielscher nach seiner langen Karriere zwar große Präsenz hatte, die Stimme aber inzwischen dem Gestaltungswillen nicht mehr dauerhaft gehorcht und ihre Zeit braucht, um angemessen anzusprechen.

Nach wie vor nicht nachvollziehen kann ich, warum manche Berichterstatter Markus Stenz für einen guten Dirigenten halten. Tatsache ist, dass das Gürzenich-Orchester unter seiner Leitung einmal mehr nicht das Niveau erreichte, über das man sich noch vor wenigen Jahren freuen konnte. Stattdessen unsaubere, verwaschene Streicherläufe, viel Unelegantes, Schwülstiges und schlicht zu Lautes, wenig Transparenz und noch weniger Gefühl für die Orchestrierungsraffinessen, und so war gerade die Mondscheinmusik in dieser Aufführung nicht der Höhe-, sondern der Tiefpunkt.


FAZIT

Man kann sie mögen, diese Inszenierung, oder nicht - dass Produktionen, die uns an den Schrecken der Nazidiktatur erinnern, nötig sind, zeigt das Betragen der eingangs beschriebenen Dame.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Markus Stenz

Inszenierung
Christian von Götz

Bühne und Kostüme
Gabriele Jaenecke

Dramaturgie
Christoph Schwandt

Licht
Hans Toelstede


Statisterie der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Gräfin
Solveig Kringelborn

Graf
Ashley Holland

Flamand
Hauke Möller

Olivier
Miljenko Turk

La Roche
Michael Eder

Clairon
Ursula Hesse
von den Steinen

Monsieur Taupe
Johannes Preißinger

Italienische Sängerin
Csilla Csövári

Italienischer Sänger
Benjamin Bruns

Haushofmeister
Ulrich Hielscher

Tänzerin
Lusia Sancho Escanero

Diener
Andrés Orozco Martínez
Anthony Sandle
Alexander Fedin
Stefan Kohnke
Jong Min Lim
Raphael Wittmer
Dong-Min Suh
Hans-Ulrich Schüler


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bühnen der Stadt Köln
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