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Spaßgesellschaft in Lack und Leder
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Stefan Kühle (© Theater Hagen)
Da ist die Sache mit dem Sack: Ein junges Mädchen lässt sich, ohnehin allzu leichtfertig zum Selbstopfer bereit, an Stelle ihres untreuen Liebhabers ermorden, wird erstochen in eben jenen Sack gepackt, um kurz darauf noch ein umfangreiches Duett zu singen. Da ergeben sich für manchen Betrachter Glaubwürdigkeitsprobleme. Ein dramaturgischer Fauxpas des Komponisten? Wohl kaum. Im Briefwechsel Verdis mit dem Librettisten Francesco Maria Piave ist es Verdi, der auf diesem Handlungselement besteht: Ebenfalls muss die Sache mit dem Sack bleiben, heißt es da etwa im November 1850, als die Zensur den Libretto-Entwurf Piaves zerpflückte. Natürlich dachte Verdi wie stets von der musikalischen Disposition aus, die im Finale zunächst eine Szene Rigolettos, danach das abschließende Duett erforderte: Musikalische Wahrhaftigkeit steht da über filmisch-realistischer Glaubwürdigkeit. Aber auch inhaltlich wird hier noch einmal in komprimierter Form die Fallhöhe vorgeführt, die Rigoletto schockartig in Sekundenbruchteilen vom vermeintlichen Triumphator zum hilflos trauernden Vater abstürzen lässt. ![]()
Szenisch ist dieses Problem in der Hagener Neuinszenierung von Gregor Horres teilweise solide, teilweise überhaupt nicht gelöst. Horres lässt der Leiche im Sack die Totenruhe; Gildas Gesang ist eine Vision Rigolettos, findet also auf einer anderen, inneren Ebene statt das ist plausibel und auch optisch überzeugend umgesetzt. Die angesprochene Fallhöhe dagegen hat Horres dem buckligen Hofnarren von vornherein aberkannt. Hier ist Rigoletto kein missgestalteter Emporkömmling (dabei war Verdi der Kontrast zwischen der äußeren Hässlichkeit und der inneren Wärme, die sich in der Vaterliebe zeigt, ausgesprochen wichtig), sondern ein eleganter Edelmann, Teil der höfischen Spaßgesellschaft und damit einer von vielen: Die Narrenkappe, die er trägt, könnte man auch jedem anderen aufsetzen. Hier sucht sich eine dekadente Gesellschaft aus sadistischer Vergnügungssucht ihre Opfer in den eigenen Reihen; im Original dagegen muss man den fast unglaublichen Aufstieg der Missgeburt (der nur durch das riskant zynische Auftreten möglich war, also Rigolettos Verhalten den um ihre Frauen und Töchter betrogenen Grafen gegenüber indirekt rechtfertigt) mitdenken. Dieser Aspekt bricht bei Horres weg und macht die Geschichte in Teilen uninteressant: Da läuft eben nichts Außerordentliches ab, sondern nur das übliche (und deshalb mäßig interessante) Gesellschaftsspiel. ![]() Mädchenhafte Dulderin: Gilda (Stefania Dovhan)
Ausstatter Jan Bammes hat die Hofgesellschaft in viel Lack und Leder gesteckt. Da schimmern manche Anleihen an die Filme Stanley Kubricks mit ihren durchgestylten Bilderwelten durch, etwa die schwarze Messe aus Eyes Wide Shut und die Jungendgang aus A Clockwork Orange - und aus der Korova Milchbar aus eben diesem Film könnten auch die Schemel in Gestalt von Frauenunterkörpern stammen. Dieser Aufwand steht in merkwürdigem Widerspruch zum kargen Bühnenraumgestell auf der Drehbühne, das aus ein paar mit Leinwand bespannten Holzlatten besteht und ein wenig so aussieht, als sei man nicht rechtzeitig zur Premiere fertig geworden. Sicher liegt auch ein Grund für dieses schlichte Modell darin, bewusst auf Realismus zu verzichten, der in mancher Szene eben doch dem 19. Jahrhundert verhaftet ist; wirklich überzeugend ist diese Lösung indes nicht. Und wenn man sich die skurrilen Kostüme wegdenkt, bleibt eine kreuzbrave und recht konventionelle Inszenierung vorne an der Rampe übrig, immerhin mit sorgfältiger Personenregie. Nachhaltig in Erinnerung wird man diese nicht ganz schlechte Regiearbeit aber sicher nicht behalten. ![]()
Das konzentriert in vielen Momenten auf die Musik, was ja nicht das schlechteste ist. Gesungen wird nämlich ausgezeichnet. Frank Dolphin Wong ist in der Titelpartie ein Narr mit jugendlich klarer, präziser geführter und stets klangschöner Stimme, zupackend und präsent, und er hat Dank kluger Disposition auch Kraftreserven. Stefania Dovhan ist eine sehr mädchenhafte, ja anrührend kindliche Gilda, auch stimmlich, wobei der warme und leuchtende Sopran nie dünn ist und durchaus Nachdruck besitzt. Diesen beiden jungen (hauseigenen) Sängern gelingt eine frische und unprätentiöse, entschlackte Interpretation jenseits aller Aufführungstradition da macht es wenig, dass sie die interpretatorische Tiefe gestandener Verdi-Sänger (noch) nicht besitzen. Ricardo Tamura hält als Herzog dieses hohe Niveau nicht ganz; sein strahlend heller und bombenfest höhensicherer Tenor verharrt zu sehr im pauschalen Dauerforte. Rolf A. Schneider gibt einen Monterone mit leicht rauem Klang, nicht ohne Wirkung. Der schlacksige Orlando Mason ist wohl wegen seiner ungewöhnlichen Körpergröße und der entsprechenden szenischen Wirkung für den Sparafucile ausgewählt worden, die Stimme ist doch sehr dünn. Solide und gewohnt spielfreudig ist Marilyn Bennett als Maddalena. ![]() Spaßgesellschaft mit pronografischem Hocker: Der Hofstaat von Mantua (Ensemble)
Florian Ludwig, Hagens neuer Generalmusikdirektor, wagt von Beginn an viel, wenn er die Blechbläser zum heiklen Pianissimo auffordert der eine oder andere exponierte Wackler ist die Folge. Ganz rund läuft der erste Akt am Premierenabend noch nicht, aber im Verlauf des Abend gewinnt auch die orchestrale Seite an Format und entwickelt insbesondere in der Gewittermusik des dritten Akts düstere Konturen. Verlässlich singt der von Wolfgang Müller-Salow einstudierte Herrenchor.
Die mittelprächtige Inszenierung bleibt zweitrangig neben starken Sängerleistungen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Kostüme
Choreographie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Herzog von Mantua
Rigoletto, Hofnarr
Gilda, seine Tochter
Graf von Monterone
Sparafucile
Maddalena, seine Schwester
Giovanna
Marullo
Borsa
Graf von Ceprano
Gräfin von Ceprano
Ein Gerichtsdiener
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