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Opernrarität an historischem Ort
Von Ralf Jochen Ehresmann
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Fotos von Stefanie Kolb und Linda Horstkotte Obwohl Siegfried Wagners Opern gegen Ende der Kaiserzeit zu den erfolgreichsten Werken hinsichtlich ihrer Aufführungszahlen rechneten, scheint heute kaum mehr jemand an ihre Bühnentauglichkeit zu glauben. Angesichts der von wachsenden Sparzwängen getrieben abnehmenden Risikobereitschaft unserer Spielplangestalter finden diese Stücke fast nur über Festivals und ähnliche Sonderveranstaltungen zu vereinzelten Inszenierungen. Das pianopianissimo musiktheater, das schon mehrfach mit Aufführungen von Opern Siegfried Wagners auf sich aufmerksam gemacht hat, war wiederum Initiator auch diesen Projektes. Die treibende Idee bestand darin, den Schmied von Marienburg am Orte des Geschehens - also im Burgmuseum des heutigen Malbork (Nordpolen) - aus der Versenkung zu holen, wo im Verbund mit polnischen und internationalen Partnern ursprünglich vier open-air-Darbietungen auf der dortigen Freiluftbühne vorgesehen waren. ![]()
Dabei stand das Zustandekommen des Projektes unter keinem guten Stern, sah es sich doch neben finanziellen Unwägbarkeiten auch ästhetisch-politisch verquirlten Vorbehalten ausgesetzt. Der pekuniären Bredouille konnte man ausweichen, indem das Programm auf heuer nur eine einzige halbszenische Darbietung in der Philharmonie in Gdansk abgespeckt und der Rest auf 2009 verschoben wurde; die ideologischen Einwände - ausschließlich auf deutscher Seite - gegen ein vermeintliches "Prunkspiel deutschtümelnder Revanchisten" ließen sich entkräften einzig durch nähere Lektüre von Text und Partitur. Denn sowenig Mozarts Figaro das anmaßende Gehabe eines Grafen Almaviva preist, indem es das ius primae noctis thematisiert, so wenig verklärt Siegfried Wagner die Machtverhältnisse des Deutsch-Ritter-Ordens, wenn er vielmehr deren verheerende Wirkung auf die dieser Ordnung unterworfenen Individuen aufzeigt. Die Rahmenbedingungen einer Gesellschaft unter der Dominanz halb-klerikaler Ritterorden - noch dazu am Stammsitz der Herrschaftszentrale - dienen bei Siegfried Wagner dazu, Strukturen der Unfreiheit zu definieren, unter denen seine ProtagonistInnen sich abplagen und dabei in Verfolgung unterschiedlicher Strategien unterschiedliches Maß an Freiraum erringen. Dabei kommt auch hier wieder zum Tragen, was für Siegfried Wagner generell gilt: Da er seinen Personalstil sehr früh gefunden und ausgeprägt hatte, waltet eine auffällige Stieleinheitlichkeit durch sein gesamtes Schaffen, dessen erste Werke bereits Tonfall und Themenkanon sowohl seiner Sujets wie auch die Komponenten seiner Tonsprache unverkennbar definierten, woran er dann fast 30 Jahre nahezu veränderungsfrei festhalten konnte, was ihn im Kontext der zeitgeschichtlichen Umbrüche von einem Vertreter aktueller Kompositionstechnik zu einem unzeitgemäßen Fortschrittsverlierer werden ließ. ![]() Unruhe beim Einsiedler mit Projektion der Vorkriegsburg
In seiner Vorliebe für düstere Stoffe tangiert er Tabus, um Verborgenes und Verdrängtes zu thematisieren. Immer wieder geht es um die Vorzüge der Indifferenz, die sog. "letzten Fragen" besser nicht beantworten zu wollen - zugleich aber auch um die ewige Unruhe, die daraus resultiert, wenn gefühlte Schuld aus ethisch ungeklärten Verhältnissen das Unbewusste im Gewissen eines Menschen belastet. Muthart als titelgebender Waffenschmied der Marienburg ist genau so ein Antiheld, der trotz eindeutig guter Absichten stets zwischen die Stühle gerät und dabei ständig verliert, am Ende sein Haus, die Liebe und ganz zuletzt gar das Leben. Doch auch die Gegenposition hat Siegfried Wagner personifiziert und lässt in Friedelind eine Frau von atemberaubendem Freiheitswillen auftreten, deren garstiger Vater Willekin den exakten Widerpart gibt zu den Herzensergießungen der Visionärin, in deren Ausführungen der Dichter am klarsten persönlich redet und wie zum Beweise seiner kurz nach Abfassung geborenen Tochter den Namen Friedelind gab. ![]()
Siegfried Wagner situiert das Geschehen nicht nur lokal sondern auch temporal ganz konkret auf das Jahr 1410, wo der Deutsch-Ritter-Orden seine besten Zeiten schon hinter sich hatte. Nach Gründung 1190, Fusion 1237, Burgbau 1274-80 und Verlagerung des Hochmeistersitzes nach Marienburg 1309 hatten intern die Militärs gegenüber den Klerikalen klar die Oberhand gewonnen und in ihren Strukturen jene gnadenlose Ordnungsstrenge ausgebildet, die der grenzsichernden Frontstellung der Marienburg in Sonderheit entsprach. 100 Jahre später, am Vorabend der Schlacht von Tannenberg, sind deutlich Zeichen inneren Verfalls zu beobachten. Der Ritterorden verhängt seine sinnenfeindlichen Regeln, die Individuen suchen sich ihre Nischen. Der Neffe des Hochmeisters flirtet gelübdewidrig beim verbotenen Mummenschanz und muss nun einen Pferdsturz vortäuschen, um die Tarnung zu erhalten; Mutharts Frau Wanhilt hat ein Geheimtreffen mit Helwich von Hartenstein, der ebenfalls geheim bleiben muss, da wir ihn später als leiblichen Vater von Wanhilts Kind erkennen; obendrein gehört er zum Kulmer Eidechsenbund, den man als oppositionelle Verschwörerfraktion im Deutsch-Ritter-Orden verstehen kann und der eine Eroberung der Ordensburg im Guerilla-Wege anstrebte. Schmied Muthart ahnt vieles, weiß manches, und manches andere will er auch gar nicht zu genau wissen. Aus Gutherzigkeit hat er die Schwangere geheiratet, um ihr die Schande zu ersparen; deswegen unterschlägt er auch den Brief des Erzeugers, damit die Rettungsehe eine ungestörte Chance auf Liebe erhält; ihrem Wort vertrauend entlässt er den inzwischen Gesuchten durch einen Geheimtunnel, den dieser prompt seinen Bundesverschworenen verrät und so den Brand der Burg auslöst. Zerrissen zwischen vielfältigen Loyalitäten will Muthart dies natürlich auch nicht, warnt doch noch seine Ordensbrüder und kommt dabei um. ![]() Schmied und Teufel: Wer ist schuldig am Tod des Babys?
Ein solches Werk konnte in der faschistischen Rezeption kaum gut wegkommen, weswegen die Berliner Aufführung von 1938 tragbar nur wurde, indem an fast 2000 Stellen durch Striche und sogar Sprecheinfügungen der Sinn systemkonform entstellt werden musste. Schon von daher kommt der Danziger Aufführung die besondere Ehre der ersten ungekürzten und unentstellten Darbietung zu! Den zentralen Saal der neuen Polska Filharmonia Baltycka, einem umgebauten ehemaligen Elektrizitätswerk gegenüber dem Herzen der Danziger Altstadt, nutzt die halbszenische Gestaltung des Münchner pianopianissimo-Musiktheater (pppmt) von Peter P.Pachl geradezu optimal aus. Hinter dem Orchester können die SolistInnen erhöht auftreten, in den oberen Winkeln ist Platz für den Kammerchor, und Achim Bahr hat sein Bühnenbild - so freilich kaum zu verwirklichen - durch Videoinstallationen ergänzt, die bereits während der Ouvertüre einsetzen und neben Persönlichem zum Komponisten auch längere Luftaufnahmen der Marienburg selbst bringen, darüber hinaus auch manche Einblendung, deren Sinn sich nicht erschließen mochte und deren Fülle bisweilen ablenkend gestört hat. Unter den SolistInnen, die allesamt vom pppmt gestellt werden, profilierte sich Karl Schneider in der Titelpartie besonders gut durch Bühnenpräsenz und Ausdrucksstärke. Er nahm seine Rolle nachdenklich, fast resignativ, was sicher auch seiner meist sitzenden Haltung geschuldet war, wenn er permanent - mal unauffällig verdeckt, mal demonstrativ - mit dem Klavierauszug zugange war. Die Vertreter des Ordens-Adel Marek Kalbus und Anton Leisz-Huber als Komtur und Hochmeistersneffe entsprachen der gesetzten Gewichtigkeit ihrer Partien weit weniger, sangen zwar mehr als ordentlich, aber nicht tragend und raumfüllend. Das gelang Ralf Sauerbrey hingegen nahezu perfekt. Sein Willekin ist der spießige Gegenspieler Mutharts, der für seine herzlosen Vorstellungen von Richtigkeit sich rabiat mit allen anlegt und gerne auch das Glück der eigenen Tochter vernichtet. Dass er selbst Opfer eines kollektiven Meineides seiner ansonsten höchst disparaten Gegnerschaft wird, mag man als mitfühlender Zuschauer zwar irgendwie gerecht finden, dient Sauerbrey aber zu einer wirkungsvollen Präsentation seiner schauspielerischen Fähigkeiten. Übertroffen wird er darin nur noch von Johann Winzer, dessen hinkender Wanderer vom Dichter selbst bereits teuflisch und zugleich als Mutharts alter ego angelegt ist und der hier archetypisch kostümiert während des ganzen Abends pantomimisch als mephistophelischer Strippenzieher durchs Proszenium geistert, mal das Publikum neckt und andernmals den Meta-Dirigenten gibt. Seine Dialogszene mit dem Schmied, der mit sich selbst und seiner Rolle in der Welt bitter ringt, zählt zu dem Stärksten, was Siegfried Wagner je geschaffen hat und fand hier eine adäquat-ergreifende Umsetzung, die durch mehr ausinszeniertes Drumherum schwerlich wird gewinnen können. Unter den Damen wäre Anne Wieben hervorzuheben. Ihre Maldradut trifft mit markanter Schärfe optimal das Rollenprofil von Mutharts zynischer Mutter in vollendeter Cosima-Optik, und ihre Verständlichkeit geriet trotz manchem Tremolo erstaunlich gut. Verständlichkeit erreichte Maacha Deubner als Mutharts Frau Wanhilt durch klare Stimmführung und angenehm deutlichen Wohlgesang. Auch brachte ihr Spiel die Zerrissenheit der Gestalt bis zur letzten großen Fehlentscheidung gut zum Ausdruck. Finalement ist von Rebecca Broberg zu reden. Zentralgestalt in schon so mancher Siegfried Wagner Oper, hat sie mit der Friedelind sicher die dankbarste der weiblichen Partien abbekommen, ist Friedelind doch zweifellos die Sympathiefigur par excellence, der der Dichter wie selten andernorts seine Vision einer zwangbefreiten Welt in den Mund gelegt hat. Voll glaubhafter Wärme gelang ihr der Spagat zwischen Inbrunst und Naivität, der diese Gestalt mit doppeltem Überschuss an Melos und Pathos zugleich auszeichnet. Dass relativ viele SängerInnen not hatten, adäquat durchzudringen, dürfte sicher auch der Raumverteilung geschuldet sein; über das Orchester quasi hinweg singen zu müssen, erfordert mehr Stimmformat, als es das Stück und seine streckenweise kammeropernartige Anlage vermuten ließen. Auch das Orchester fand nicht durchgängig zu einheitlicher Tonsprache, wenn die Blechbläser gelegentlich hörbar unsauber spielten oder die Streicher zu erdrücken drohten. Bei den hymnischen Passagen wie dem großen Tutti im 2.Aufzug zur Rettung der Burg gereichte dies zu einem Vorzug von beachtlicher Wirksamkeit, wobei das Dirigat von Frank Strobel mit seinen großen Gesten voller Engagement v.a. hinsichtlich rhythmischer Präzision erfolgreich war. Er ließ die weiten Bögen, Siegfrieds Version der unendlichen Melodie, herrlich offen klingen und die Zusammenhänge hörbar werden.
Ein köstlicher Vorgeschmack auf die für Sommer 2009 zu erwartende Nachholung der voll-inszenierten Realisierung in Malbork, das Pausenjahr zugleich die Chance, den unverschuldeten Probenrückstand aufzuholen. Diese Opern gehören auf die Bühnen! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Musikalische Assistenz
Studienleitung
Regieassistenz
Solisten
Heinrich Reuß von Plauen,
Michael Küchmeister von Sternberg,
Alfred von Jungingen,
Helwich von Hartenstein,
Muthart,
Frau Madaldrut, seine Mutter
Wanhilt, seine Frau
Martin, sein Geselle
Winelib, eine Waise
Willekin, ein Bürger
Friedelind, seine Tochter
Grete, deren Amme
Ein Einsiedler
Ein Torwächter der Marienburg
Der hinkende Wanderer
Urte, Magd bei Muthart
Ein Bursch
Ein Gastwirt
Maria, die Patronin der Marienburg
Ritter der Marienburg
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