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Musiktheater
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Der Schmied von Marienburg
Oper in drei Aufzügen
von Siegfried Wagner op.13


Halb-szenische Ausführung in deutscher Sprache
mit deutsch-polnischen Untertiteln
am 28. Juni 2008
Konzertsaal der Polska Filharmonia Baltycka in Gdansk (Danzig)

pianopianissimo musiktheater
Künstlerischer Leiter: Peter P. Pachl

Polska Filharmonia Baltycka
Direktor: Roman Perucki

in Koproduktion mit DeutschlandRadio Kultur

mit Fördermitteln der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft, der Berliner Technischen Kunsthochschule und des Freistaats Bayern

sowie mit Unterstützung des Komitees zur Förderung der Deutsch-Französisch-Polnischen Zusammenarbeit und des Deutschen Kulturforums östliches Europa

Polska Filharmonia Baltycka, Gdansk

http://www.filharmonia.gda.pl/
(Homepage)
Opernrarität an historischem Ort

Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Stefanie Kolb und Linda Horstkotte

Obwohl Siegfried Wagners Opern gegen Ende der Kaiserzeit zu den erfolgreichsten Werken hinsichtlich ihrer Aufführungszahlen rechneten, scheint heute kaum mehr jemand an ihre Bühnentauglichkeit zu glauben. Angesichts der von wachsenden Sparzwängen getrieben abnehmenden Risikobereitschaft unserer Spielplangestalter finden diese Stücke fast nur über Festivals und ähnliche Sonderveranstaltungen zu vereinzelten Inszenierungen. Das pianopianissimo musiktheater, das schon mehrfach mit Aufführungen von Opern Siegfried Wagners auf sich aufmerksam gemacht hat, war wiederum Initiator auch diesen Projektes. Die treibende Idee bestand darin, den Schmied von Marienburg am Orte des Geschehens - also im Burgmuseum des heutigen Malbork (Nordpolen) - aus der Versenkung zu holen, wo im Verbund mit polnischen und internationalen Partnern ursprünglich vier open-air-Darbietungen auf der dortigen Freiluftbühne vorgesehen waren.

Vergrößerung in neuem Fenster Mummenschanz als Albtraum - Tanzen wie unter Taliban

Dabei stand das Zustandekommen des Projektes unter keinem guten Stern, sah es sich doch neben finanziellen Unwägbarkeiten auch ästhetisch-politisch verquirlten Vorbehalten ausgesetzt. Der pekuniären Bredouille konnte man ausweichen, indem das Programm auf heuer nur eine einzige halbszenische Darbietung in der Philharmonie in Gdansk abgespeckt und der Rest auf 2009 verschoben wurde; die ideologischen Einwände - ausschließlich auf deutscher Seite - gegen ein vermeintliches "Prunkspiel deutschtümelnder Revanchisten" ließen sich entkräften einzig durch nähere Lektüre von Text und Partitur. Denn sowenig Mozarts Figaro das anmaßende Gehabe eines Grafen Almaviva preist, indem es das ius primae noctis thematisiert, so wenig verklärt Siegfried Wagner die Machtverhältnisse des Deutsch-Ritter-Ordens, wenn er vielmehr deren verheerende Wirkung auf die dieser Ordnung unterworfenen Individuen aufzeigt. Die Rahmenbedingungen einer Gesellschaft unter der Dominanz halb-klerikaler Ritterorden - noch dazu am Stammsitz der Herrschaftszentrale - dienen bei Siegfried Wagner dazu, Strukturen der Unfreiheit zu definieren, unter denen seine ProtagonistInnen sich abplagen und dabei in Verfolgung unterschiedlicher Strategien unterschiedliches Maß an Freiraum erringen.

Dabei kommt auch hier wieder zum Tragen, was für Siegfried Wagner generell gilt: Da er seinen Personalstil sehr früh gefunden und ausgeprägt hatte, waltet eine auffällige Stieleinheitlichkeit durch sein gesamtes Schaffen, dessen erste Werke bereits Tonfall und Themenkanon sowohl seiner Sujets wie auch die Komponenten seiner Tonsprache unverkennbar definierten, woran er dann fast 30 Jahre nahezu veränderungsfrei festhalten konnte, was ihn im Kontext der zeitgeschichtlichen Umbrüche von einem Vertreter aktueller Kompositionstechnik zu einem unzeitgemäßen Fortschrittsverlierer werden ließ.

Vergrößerung in neuem Fenster

Unruhe beim Einsiedler mit Projektion der Vorkriegsburg

In seiner Vorliebe für düstere Stoffe tangiert er Tabus, um Verborgenes und Verdrängtes zu thematisieren. Immer wieder geht es um die Vorzüge der Indifferenz, die sog. "letzten Fragen" besser nicht beantworten zu wollen - zugleich aber auch um die ewige Unruhe, die daraus resultiert, wenn gefühlte Schuld aus ethisch ungeklärten Verhältnissen das Unbewusste im Gewissen eines Menschen belastet.

Muthart als titelgebender Waffenschmied der Marienburg ist genau so ein Antiheld, der trotz eindeutig guter Absichten stets zwischen die Stühle gerät und dabei ständig verliert, am Ende sein Haus, die Liebe und ganz zuletzt gar das Leben. Doch auch die Gegenposition hat Siegfried Wagner personifiziert und lässt in Friedelind eine Frau von atemberaubendem Freiheitswillen auftreten, deren garstiger Vater Willekin den exakten Widerpart gibt zu den Herzensergießungen der Visionärin, in deren Ausführungen der Dichter am klarsten persönlich redet und wie zum Beweise seiner kurz nach Abfassung geborenen Tochter den Namen Friedelind gab.

Vergrößerung in neuem Fenster Wanhilt bei Helwich: Warum kam der Brief nie an?

Siegfried Wagner situiert das Geschehen nicht nur lokal sondern auch temporal ganz konkret auf das Jahr 1410, wo der Deutsch-Ritter-Orden seine besten Zeiten schon hinter sich hatte. Nach Gründung 1190, Fusion 1237, Burgbau 1274-80 und Verlagerung des Hochmeistersitzes nach Marienburg 1309 hatten intern die Militärs gegenüber den Klerikalen klar die Oberhand gewonnen und in ihren Strukturen jene gnadenlose Ordnungsstrenge ausgebildet, die der grenzsichernden Frontstellung der Marienburg in Sonderheit entsprach.

100 Jahre später, am Vorabend der Schlacht von Tannenberg, sind deutlich Zeichen inneren Verfalls zu beobachten. Der Ritterorden verhängt seine sinnenfeindlichen Regeln, die Individuen suchen sich ihre Nischen. Der Neffe des Hochmeisters flirtet gelübdewidrig beim verbotenen Mummenschanz und muss nun einen Pferdsturz vortäuschen, um die Tarnung zu erhalten; Mutharts Frau Wanhilt hat ein Geheimtreffen mit Helwich von Hartenstein, der ebenfalls geheim bleiben muss, da wir ihn später als leiblichen Vater von Wanhilts Kind erkennen; obendrein gehört er zum Kulmer Eidechsenbund, den man als oppositionelle Verschwörerfraktion im Deutsch-Ritter-Orden verstehen kann und der eine Eroberung der Ordensburg im Guerilla-Wege anstrebte. Schmied Muthart ahnt vieles, weiß manches, und manches andere will er auch gar nicht zu genau wissen. Aus Gutherzigkeit hat er die Schwangere geheiratet, um ihr die Schande zu ersparen; deswegen unterschlägt er auch den Brief des Erzeugers, damit die Rettungsehe eine ungestörte Chance auf Liebe erhält; ihrem Wort vertrauend entlässt er den inzwischen Gesuchten durch einen Geheimtunnel, den dieser prompt seinen Bundesverschworenen verrät und so den Brand der Burg auslöst. Zerrissen zwischen vielfältigen Loyalitäten will Muthart dies natürlich auch nicht, warnt doch noch seine Ordensbrüder und kommt dabei um.

Vergrößerung in neuem Fenster

Schmied und Teufel: Wer ist schuldig am Tod des Babys?

Ein solches Werk konnte in der faschistischen Rezeption kaum gut wegkommen, weswegen die Berliner Aufführung von 1938 tragbar nur wurde, indem an fast 2000 Stellen durch Striche und sogar Sprecheinfügungen der Sinn systemkonform entstellt werden musste. Schon von daher kommt der Danziger Aufführung die besondere Ehre der ersten ungekürzten und unentstellten Darbietung zu!

Den zentralen Saal der neuen Polska Filharmonia Baltycka, einem umgebauten ehemaligen Elektrizitätswerk gegenüber dem Herzen der Danziger Altstadt, nutzt die halbszenische Gestaltung des Münchner pianopianissimo-Musiktheater (pppmt) von Peter P.Pachl geradezu optimal aus. Hinter dem Orchester können die SolistInnen erhöht auftreten, in den oberen Winkeln ist Platz für den Kammerchor, und Achim Bahr hat sein Bühnenbild - so freilich kaum zu verwirklichen - durch Videoinstallationen ergänzt, die bereits während der Ouvertüre einsetzen und neben Persönlichem zum Komponisten auch längere Luftaufnahmen der Marienburg selbst bringen, darüber hinaus auch manche Einblendung, deren Sinn sich nicht erschließen mochte und deren Fülle bisweilen ablenkend gestört hat.

Unter den SolistInnen, die allesamt vom pppmt gestellt werden, profilierte sich Karl Schneider in der Titelpartie besonders gut durch Bühnenpräsenz und Ausdrucksstärke. Er nahm seine Rolle nachdenklich, fast resignativ, was sicher auch seiner meist sitzenden Haltung geschuldet war, wenn er permanent - mal unauffällig verdeckt, mal demonstrativ - mit dem Klavierauszug zugange war. Die Vertreter des Ordens-Adel Marek Kalbus und Anton Leisz-Huber als Komtur und Hochmeistersneffe entsprachen der gesetzten Gewichtigkeit ihrer Partien weit weniger, sangen zwar mehr als ordentlich, aber nicht tragend und raumfüllend. Das gelang Ralf Sauerbrey hingegen nahezu perfekt. Sein Willekin ist der spießige Gegenspieler Mutharts, der für seine herzlosen Vorstellungen von Richtigkeit sich rabiat mit allen anlegt und gerne auch das Glück der eigenen Tochter vernichtet. Dass er selbst Opfer eines kollektiven Meineides seiner ansonsten höchst disparaten Gegnerschaft wird, mag man als mitfühlender Zuschauer zwar irgendwie gerecht finden, dient Sauerbrey aber zu einer wirkungsvollen Präsentation seiner schauspielerischen Fähigkeiten.

Übertroffen wird er darin nur noch von Johann Winzer, dessen hinkender Wanderer vom Dichter selbst bereits teuflisch und zugleich als Mutharts alter ego angelegt ist und der hier archetypisch kostümiert während des ganzen Abends pantomimisch als mephistophelischer Strippenzieher durchs Proszenium geistert, mal das Publikum neckt und andernmals den Meta-Dirigenten gibt. Seine Dialogszene mit dem Schmied, der mit sich selbst und seiner Rolle in der Welt bitter ringt, zählt zu dem Stärksten, was Siegfried Wagner je geschaffen hat und fand hier eine adäquat-ergreifende Umsetzung, die durch mehr ausinszeniertes Drumherum schwerlich wird gewinnen können.

Unter den Damen wäre Anne Wieben hervorzuheben. Ihre Maldradut trifft mit markanter Schärfe optimal das Rollenprofil von Mutharts zynischer Mutter in vollendeter Cosima-Optik, und ihre Verständlichkeit geriet trotz manchem Tremolo erstaunlich gut. Verständlichkeit erreichte Maacha Deubner als Mutharts Frau Wanhilt durch klare Stimmführung und angenehm deutlichen Wohlgesang. Auch brachte ihr Spiel die Zerrissenheit der Gestalt bis zur letzten großen Fehlentscheidung gut zum Ausdruck. Finalement ist von Rebecca Broberg zu reden. Zentralgestalt in schon so mancher Siegfried Wagner Oper, hat sie mit der Friedelind sicher die dankbarste der weiblichen Partien abbekommen, ist Friedelind doch zweifellos die Sympathiefigur par excellence, der der Dichter wie selten andernorts seine Vision einer zwangbefreiten Welt in den Mund gelegt hat. Voll glaubhafter Wärme gelang ihr der Spagat zwischen Inbrunst und Naivität, der diese Gestalt mit doppeltem Überschuss an Melos und Pathos zugleich auszeichnet.

Dass relativ viele SängerInnen not hatten, adäquat durchzudringen, dürfte sicher auch der Raumverteilung geschuldet sein; über das Orchester quasi hinweg singen zu müssen, erfordert mehr Stimmformat, als es das Stück und seine streckenweise kammeropernartige Anlage vermuten ließen. Auch das Orchester fand nicht durchgängig zu einheitlicher Tonsprache, wenn die Blechbläser gelegentlich hörbar unsauber spielten oder die Streicher zu erdrücken drohten. Bei den hymnischen Passagen wie dem großen Tutti im 2.Aufzug zur Rettung der Burg gereichte dies zu einem Vorzug von beachtlicher Wirksamkeit, wobei das Dirigat von Frank Strobel mit seinen großen Gesten voller Engagement v.a. hinsichtlich rhythmischer Präzision erfolgreich war. Er ließ die weiten Bögen, Siegfrieds Version der unendlichen Melodie, herrlich offen klingen und die Zusammenhänge hörbar werden.


FAZIT

Ein köstlicher Vorgeschmack auf die für Sommer 2009 zu erwartende Nachholung der voll-inszenierten Realisierung in Malbork, das Pausenjahr zugleich die Chance, den unverschuldeten Probenrückstand aufzuholen. Diese Opern gehören auf die Bühnen!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Frank Strobel

Inszenierung
Peter P. Pachl

Ausstattung
Achim Bahr

Musikalische Assistenz
Quentin Hindley

Studienleitung
Günter Lang

Regieassistenz
und Inspizienz
Stefanie Kolb



Solis'ci oraz Chór
"Pianopianissimo-Musiktheater” w Monachium

Orkiestra Symfoniczna Polskiej
Filharmonii Baltyckiej


Solisten

Heinrich Reuß von Plauen,
Komtur von Schwetz
Marek Kalbus

Michael Küchmeister von Sternberg,
Ordens-Marschall
Till Schulze

Alfred von Jungingen,
Neffe des Hochmeisters Ulrich von Jungingen
Anton Leiß-Huber

Helwich von Hartenstein,
zum Kulmer "Eidechsenbunde" gehörig
Christoph von Weitzel

Muthart,
Waffenschmied der Marienburg
Karl Schneider

Frau Madaldrut, seine Mutter
Anne Wieben

Wanhilt, seine Frau
Maacha Deubner

Martin, sein Geselle
Johannes Föttinger

Winelib, eine Waise
Therese Glaubitz

Willekin, ein Bürger
Ralf Sauerbrey

Friedelind, seine Tochter
Rebecca Broberg

Grete, deren Amme
Anna Wawrzyniak

Ein Einsiedler
Marek Kalbus

Ein Torwächter der Marienburg
Antoine Godor

Der hinkende Wanderer
Johann Winzer

Urte, Magd bei Muthart
Dinah Berowska

Ein Bursch
Michael Gann

Ein Gastwirt
Patrick Ruyters

Maria, die Patronin der Marienburg
Therese Glaubitz

Ritter der Marienburg
Ritter des Eidechsenbundes
Bauern, Volk
Dinah Berowska,
Johannes Föttinger,
Michael Gann,
Therese Glaubitz,
Antoine Godor,
Patrick Ruyters,
Stefanie Schwaß,
Anna Wawrzyniak,
Anne Wieben



Weitere Informationen


http://www.filharmonia.gda.pl/
(Homepage)







Da capo al Fine

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