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Eine Kirche voller Narren
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Karl Forster
Für seinen Essener Don Giovanni vom Januar 2006, von der Zeitschrift Opernwelt zur Inszenierung des Jahres gekrönt, hat der norwegische Regisseur Stefan Herheim (Jahrgang 1970) einen überbordenden barock anmutenden Bilderbogen entworfen allerdings einen, bei dem manchem konservativen Besucher der entsetzte Ausruf Blasphemie! nur deshalb im Halse stecken bleiben dürfte, weil die Wucht der Bilder den Atem verschlägt. Herheim siedelt das Geschehen vollständig im Inneren einer riesigen Kirche an, wobei Heiligenbilder lebendig werden und der Beichtstuhl zum reichlich frequentierten Liebesnest mutiert. Statt einer linearen Handlungswiedergabe arbeitet der Regisseur mit freien Assoziationen. Der Gegensatz von Don und San Giovanni, Verführer und Heiliger, ist eine Leitidee der Inszenierung. Mit der provokativen Vernetzung oder besser: Durchsetzung - von christlicher und sinnlicher Liebe wühlt sich die Regie tief in die Schichten des Unterbewussten hinein, mit starker und auch verstörender Wirkung. Don Giovanni etwa erscheint immer wieder in Christus-Pose. Das sind Bilder, die man so schnell sicher nicht vergisst. Schattenseite des Konzepts ist allerdings, dass die Musik hinter die szenische Aktion zurück tritt, manchmal mehr als wünschenswert. ![]() Die doppelte Zerlina: Eine Statistin spielt die junge Braut, Helen Donath (l.) singt und spielt die alte Frau. Das macht es für Leporello (Almas Svilpa, 2. v.l.) und Giovanni (Diogenes Randes) nicht leichter.
Das Aalto-Theater bietet gegen die szenische Übermacht ein fulminant agierendes Ensemble auf. Diogenes Randes singt auf der Basis seines eleganten und geschmeidigen Kavaliersbaritons einen zupackenden, mitunter auch aggressiven Don Giovanni von großer Präsenz ein Frauenheld unter Hochspannung. Almas Svilpa ist ein zupackender Leporello mit großer Stimme (Svilpa hat in Essen auch schon den fliegenden Holländer erfolgreich gesungen), darin seinem Herrn mindestens ebenbürtig und auch er singt und spielt mit allerhöchster Intensität. Gegen diese geballte Virilität im Doppelpack fällt der solide singende Stefan Kocán als Komtur ein wenig ab. Silvana Dussmann trifft mit ihrer recht hellen, angemessen scharfen (und nicht unangenehmen) Timbre den dramatischen seria-Tonfall der Donna Anna perfekt. Musikalisch strahlt sie eine große Souveränität aus, die der Figur etwas Aristokratisches verleiht (schauspielerisch bleibt sie allerdings recht unbeweglich). Marie-Belle Sandis hat die kleinere Stimme, gestaltet die Donna Elvira aber musikalisch (und auch szenisch) vielschichtig mit einer angespannten Nervosität, die deutlich macht, wie es unter der katholischen Oberfläche brodelt. Andreas Hermann hinterlässt als Ottavio ambivalente Eindrücke. Sein Tenor ist etwas eng und fest und es fehlt sicher an lyrischer Geschmeidigkeit, auf der anderen Seite klingt er standfest robust. Die erste Arie Dalla sua pace gestaltet er eindrucksvoll ohne jede falsche Weinerlichkeit; die zweite Il mio tesoro allerdings misslang in der hier besprochenen Aufführung nicht zuletzt wegen reichlich verschmierter Achtelketten. ![]()
Zerlina und Masetto erscheinen in dieser Inszenierung verdoppelt. Es gibt ein junges Brautpaar, das stumm bleibt, und es gibt ein dezidiert altes Paar (sie mit rollender Gehhilfe, er mit Krückstock), das singt. Marcel Rosca imponiert einmal mehr mit kraftvoller, souverän geführter kerniger Stimme. Hinreißend ist die Zerlina von Helen Dontah (die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum feiert!). Sicher hat die Stimme inzwischen Brüche bekommen und manchen Tönen fehlt der Glanz, aber technische Perfektion und überlegene Linienführung sind frappierend das ist eine Gesangskultur, die verloren zu gehen droht. Das Orchester, obwohl gewohnt sauber und präzise spielend, bleibt an diesem Abend im Vergleich zu den Sängern recht blass. Dirigent Stefan Soltesz lässt in moderner, heißt: klassisch-romantischer Art musizieren, dazu in relativ großer Besetzung. Dadurch klingt die Musik weniger scharf und pointiert als in (guten) Aufführungen in historischer Spielpraxis. Eher entsteht ein durchaus delikater Breitwand-Sound, der manches glättet, was aufgerauter erscheinen müsste. Soltesz lässt die großen Akzente pointiert ausmusizieren, aber die kleinen Noten dazwischen scheinen ihm nicht so wichtig zu sein. So bleibt das Orchester ein schön klingender Begleiter, aber auch nicht mehr.
Eine Inszenierung, die man so schnell nicht vergisst mit fabelhaften Sängern. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Der Komtur
Don Giovanni
Leporello
Donna Anna
Donna Elvira
Don Ottavio
Zerlina
Masetto
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