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Musiktheater
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Zaira

Tragedia lirica von Vincenzo Bellini
Libretto von Felice Romani
nach Voltaires Trauerspiel Zaire


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Erstaufführung außerhalb Italiens im Großen Haus des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen
am 28. Mai 2006


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Musiktheater im Revier
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Das Wunder von Gelsenkirchen

Von Thomas Tillmann / Fotos von Rudolf Majer-Finkes


Die Stellung von Zaira im Schaffen Vincenzo Bellinis kann vielleicht am besten mit den Worten eines Journalisten erklärt werden, die dieser 1836 nach der einzigen Wiederaufnahme der Oper im 19. Jahrhundert schrieb (erst 1976 hörte man es wieder in Catania mit Renata Scotto in der Titelpartie, 1990 ebenfalls in der Geburtsstadt des Komponisten mit der mehr als problematischen Katia Ricciarelli, beide Aufführungen sind auch auf CD festgehalten) und die man auch im Online-Opernführer zu der Erstaufführung außerhalb Italiens nachlesen kann, zu der sich das stets um die Pflege auch unbekannterer Werkes des Belcanto bemühte Musiktheater im Revier jetzt entschlossen hatte: Zaira ist "wie eine Mutter, die ihre Schönheit verschiedenen Töchtern, die bereits von der besten Gesellschaft bewundert wurden, übertragen hatte, dann selbst, allerdings etwas verspätet, wieder auftauchte, um bewundert zu werden, aber den Rat erhielt, nach Hause zu gehen“. Bellini war zweifellos von der Qualität seiner wunderbaren Partitur überzeugt und entnahm ihr weite Teile, die sich später in I Capuleti e i Montecchi oder Norma wiederfinden, und nach der Gelsenkirchener Premiere waren zweifellos auch die meisten Besucherinnen und Besucher überzeugt, dass die schöne, vernachlässigte Mutter es verdient, zum Leben erweckt zu werden, zumal neben dem melodischen Reichtum des Werkes auch der Stoff kein schlechter ist:

Seit nunmehr fünfzehn Jahren sind die Kreuzritter Gefangene des Sultans Orosmane. Unter ihnen befindet sich auch Zaira, die als vermeintliche Waise im Harem aufgewachsen ist. Ein Jahr ist nun verstrichen, seitdem ein Mitgefangener, Nerestano, freigelassen wurde, um vom französischen Hof Lösegeld für die Gefangenen herbeizuschaffen. Inzwischen hat sich der Sultan in Zaira verliebt, und sie erwidert seine Liebe. Ihre Hochzeit steht unmittelbar bevor, sehr zum Verdruss des strenggläubigen Corasmino, der keine ehemalige Christin an der Seite des Sultans sehen möchte, und Fatimas, einer Mitgefangenen Zairas, die ihr nahe legt, den christlichen Glauben zu bewahren. Da kehrt Nerestano mit dem Lösegeld zurück. Der großmütige Orosmane gewährt 100 Gefangenen die Freiheit, auf inständiges Bitten Zairas sogar Lusignano, dem Anführer der Kreuzritter. In Zaira und Nerestano erkennt der freigelassene Lusignano seine tot geglaubten Kinder wieder. Als er von Zairas bevorstehender Hochzeit mit Orosmane erfährt, klagt er sie heftig des Verrates an Glaube und Familie an. Zaira bittet den nichts ahnenden Orosmane, die Hochzeit um einen Tag aufzuschieben.

Vergrößerung in neuem Fenster Noch ist alles in Ordnung im Leben der schönen Braut (Hrachuhí Bassénz als Zaira mit Damen des Chores des MiR als Haremsdamen).

Fatima bestürmt Zaira, ihre Liebe der Pflicht zu opfern. Zaira jedoch möchte ihrem Herzen folgen. Da sie für ihren Bruder fürchtet, offenbart sie dem Sultan ihre Herkunft jedoch nicht, bittet ihn aber, die Hochzeit um einen weiteren Tag aufzuschieben - um eben jenen Tag, an dem die Christen abziehen sollen. Lusignano stirbt; Orosmane gewährt ihm ein ehrenvolles Begräbnis. Die Trauerhymnen erschüttern Zaira, sie beschließt nun, mit Nerestano und Fatima zu fliehen. Im Garten des Palastes aber, wohin Nerestano Zaira heimlich gebeten hatte, lauern der Sultan und Corasmino. Sie hatten eine Botschaft Nerestanos an Zaira abgefangen, die sie für eine Liebesbotschaft hielten. Im Augenblick der Flucht wird Zaira von Orosmane erstochen. Als er erfährt, dass Nerestano nicht ihr Liebhaber, sondern ihr Bruder war, folgt er ihr in den Tod.

Freilich stand die Premiere vor 170 Jahren unter einem schlechten Stern: Bellini war für die Eröffnung des Nuovo Teatro Ducale in Parma nur zweite Wahl, nachdem Rossini aus Zeitgründen abgesagt hatte, und hatte zudem das Libretto eines dilettierenden Rechtsanwalts zurückgewiesen, so dass sowohl die Fans des Stars aus Pesaro als auch die Freunde des beleidigten Advokaten Bellinis Version des Voltaire-Trauerspiels ablehnten, die aber auch den Nerv des relativ unvoreingenommenen Publikums nicht recht traf, das zu dieser Zeit von einer liebenden Frau nicht die Entscheidung für Pflicht und Familie erwartete, sondern für die Liebe, was vermutlich auch Bellinis Naturell mehr entsprochen hätte.

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Es kommt zu Missstimmungen zwischen Zaira (Hrachuhí Bassénz), die um eine Verschiebung der Hochzeit bittet, und ihrem Verlobten Orosmane (Nicolai Karnolsky).

Dieter Kaegi beschwört keine Kreuzfahrerromantik, sondern lässt das Stück in einem dieser reichen Staaten des Morgenlandes spielen, in dem die Feinheiten des Golfspiels und des dolce far niente den Sultan mehr interessieren als der Koran und die politischen Ambitionen der traditionsverbundenen Opposition, ohne bei seiner Aktualisierung den Holzhammer anzusetzen. In Stefanie Pasterkamps kühlen, fensterlosen und damit trotz aller Weite und repräsentativer Möblierung wie ein Hochsicherheitstrakt wirkender Halle mit Aufzug, riesigen Säulen und stimmungsvoll beleuchteten Vorhängen entwickelt sich eine betont ruhige, ohne jenen nervtötenden Aktionismus auskommende, die Darsteller in ihren edlen, schicken Kostümen (besonderes Lob verdient zudem die Maske, die tolle Make-ups und Frisuren gezaubert hat!) zu sehr natürlichem, unverkrampften Spiel anleitende, besonders den Konflikt der Titelfigur anschaulich und berührend herausarbeitende, nie auf überflüssige Provokationen schielende und nicht zuletzt der Musik den Vorrang lassende Inszenierung ohne die Peinlichkeiten eines Regietheaters, die nicht nur das traditionelle Publikum inzwischen satt hat.

Und auch musikalisch gab es wenig auszusetzen an diesem Abend: Kai Tietje, den man bisher eher als musikalischen Leiter flotter Musicalproduktionen schätzte, bewies nach etwas wackligem Beginn, bei dem zwischen Graben und Bühne nicht alles zusammen war, ein erstaunliches Gespür für die besonderen Erfordernisse der Musik Bellinis, die schnell banal, einfallslos und starr klingen kann, wenn man sie nicht angemessen und mit Flexibilität hinsichtlich der Tempi und in der Sängerbegleitung zum Leben erweckt.

Vergrößerung in neuem Fenster Noch einmal bittet Zaira (Hrachuhí Bassénz) in Anwesenheit ihrer Vertrauten Fatima (Leah Gordon) ihren Orosmane (Nicolai Karnolsky) um Verschiebung der Hochzeit.

Hrachuhí Bassénz hat zwar zu wenig Stimme für die Titelpartie und damit zu wenig Farben, um im Ausdruck variieren zu können, und zu wenig Volumen, um nicht in tiefer gelegenen Passagen an hörbare Grenzen zu kommen, aber ihr leicht vibrierender, sehr femininer, fragiler Sopran besitzt die nötige Agilität für diese Rolle, es gelingen ihr zahlreiche schöne Spitzentöne und wunderbare Bögen, und sie ist nicht zuletzt eine ungemein anmutige, schöne junge Frau, der man jedes gesungene Wort abnimmt und die einen die Tränen in die Augen treibt. An Attraktivität steht ihr Nicolai Karnolsky als heißblütiger Orosmane wenig nach, und auch vokal gefiel mir sein schlanker Bass in dieser Belcantopartie besser als in zu schweren Verdirollen. Star der Aufführung war aber eigentlich Anna Agathonos, die mit der Hosenrolle des Nerestano eine weitere Paradepartie gefunden hat und sich mehr und mehr als echte Autorität in diesem Fach erweist, der man eine Karriere auch an größeren Häusern zutraut. Das Kapital der Stimme ist die reiche, aber nicht "fette" Mittellage und die sehr leicht und ohne Druck ansprechende, bruchlos angebundene und nie vulgär gebrustete, klangvolle Tiefe, aber auch die wohl durchdachte, intelligente Textausdeutung und die Identifikation mit dem ihr anvertrauten Charakter, der auch entschlossenere Töne nötig macht, verdienen Erwähnung.

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Lusignano (Jee-Hyun Kim, hinten im Bild) und Nerestano (Anna Agathonos, Bildmitte) erwarten von Zaira (Hrachuhí Bassénz), dass sie sich für die (christliche) Familie und gegen den (muslimischen) Verlobten entscheidet.

Einmal mehr für Diskussionen in der Pause sorgte der wahrlich nicht klangschöne, mancherlei Nebengeräusche aufweisende, fordernde Bariton von Jee-Hyun Kim, aber ich bleibe bei der auch an dieser Stelle mehrfach geäußerten Meinung, dass der Koreaner es versteht, die Schwächen des Materials durch einen intelligenten, expressiven Umgang mit demselben, durch viel verinnerlichtes Piano und mezza-voce-Qualitäten, durch die Lebendigkeit seines Vortrags wenn nicht vergessen zu machen, dann doch zweitrangig erscheinen zu lassen, und ein eindringlicher Darsteller ist er auch (hier als alter, kranker Lusignano). Sergio Blazquez gefiel als Corasmino mit seinem zwar ein wenig kehligen, stumpfen, kleinen, aber durchaus geschmeidigen, höhenstarken Tenor, elegischen Tönen und geschmackvollen Phrasierungen, Leah Gordon wirkte in dieser Produktion eher optisch als maliziös-zickiges, modisch-elegantes blondes Gift, das den Kopf nur ungern verhüllt, den Diamant im Bauchnabel zeigt und es nicht gut meint mit ihrer Freundin, sondern selber ein Auge auf den schmucken Sultan geworfen hat; ihr Sopran ist ein wendiger, feiner, mitunter aber auch noch ziemlich piepsiger. Auch Charles Moulton (Meledor), William Saetre (Castiglione) und die Damen und Herren des Chores tragen viel zum Gelingen dieses großen Abends bei.


FAZIT

Sicher, ein bisschen mehr action und deutlichere aktualisiert-politische Deutung hätte es schon sein dürfen, aber Dieter Kaegi hat sich anders entschieden und so dem unbekannten Bellini-Werk vielleicht den größeren Dienst erwiesen. Belcanto-Freunde sollten sich schleunigst auf den Weg nach Gelsenkirchen machen!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kai Tietje

Inszenierung
Dieter Kaegi

Ausstattung
Stefanie Pasterkamp

Chor
Nandor Ronay

Dramaturgie
Wiebke Hetmanek



Opernchor des
Musiktheaters im Revier

Herren des Extrachores des
Musiktheaters im Revier

Statisterie des
Musiktheaters im Revier

Neue Philharmonie
Westfalen


Solisten

* Besetzung der Premiere

Orosmane,
Sultan von Jerusalem
Nicolai Karnolsky

Corasmino,
Wesir
Sergio Blazquez

Meledor,
Offizier des Sultans
Wolf Rüdiger Kimm/
* Charles Moulton

Zaira,
fränkische Sklavin
* Hrachuhí Bassénz/
Claudia Braun

Fatima,
ihre Vertraute
Leah Gordon

Nerestano,
fränkischer Ritter
Anna Agathonos

Lusignano, aus dem Geschlecht
der Könige von Jerusalem

Jee-Hyun Kim

Castiglione,
fränkischer Ritter
William Saetre



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