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Musiktheater
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Les Troyens
(Die Trojaner)

Oper in fünf Akten
Libretto nach Vergil vom Komponisten
Musik von Hector Berlioz


In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 45' (drei Pausen)

Duisburger und Düsseldorfer Erstaufführung
am 29. Oktober 2005



Homepage

Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)
Troja liegt am Rhein, Karthago auch

Von Thomas Tillmann / Fotos von Eduard Straub

Die Deutsche Oper am Rhein hat das Thema Mythologie für sich entdeckt. Zwei Jahre nach der offiziellen "année Berlioz", in der sich das Zwei-Städte-Institut nicht weiter gerührt hatte (anders als etwa die Opernhäuser von Mannheim, Amsterdam und Leipzig sowie das Pariser Châtelet), hatte man sich nun zur Erstaufführung von Les Troyens durchringen können, die Produktionsdramaturg Peter Heilker reißerisch als "griechische Mythologie von großer Musik elektrisiert" bewirbt.

Vergrößerung Cassandre (Evelyn Herlitzius) beklagt in der Repräsentationshalle des trojanischen Königshauses das drohende Schicksal ihres Volkes.

Und man hatte die Werbetrommel gerührt! Man konnte Premierenkarten gewinnen, wenn man einer Hotlinenummer den Namen des Komponisten anvertraute, bereits Wochen vor der Premiere verhökerte man zu Spottpreisen Karten für das "Opernevent" an Schüler und Eltern der umliegenden Städte, man konnte in Premierenvorberichten erfahren, wo man die besten Stoffe für Didons Kleider bekommt, dass 200.000 Euro für die Produktion veranschlagt worden seien und dass das Oeuvre in diesem Umfang und mit so viel Aufwand noch auf keine Bühne gekommen sei, was natürlich Unsinn ist. Oder hat der Generalintendendant damit die das Werk korrumpierende Trennung in zwei Teile gemeint, die Regisseur Christof Loy in seinen Notizen zur Inszenierung mit Hinweis auf die wechselvolle (Ur-)Aufführungsgeschichte, die die Oper von je her in zwei Stücke teilte, keinesfalls legitimiert (die Komposition war 1859 abgeschlossen, aber mehr als die konzertante Aufführung einiger Szenen ergab sich nicht, die Direktion der Opéra und auch der Kaiser hielten Berlioz immer wieder hin, der schließlich einer zusammengestrichenen Aufführung des zweiten Teils am kleineren und unzulänglich ausgestatteten Théâtre-Lyrique im November 1863 zustimmte; erst 1969, also zum hundersten Todestag des Komponisten, kam es zu einer weitgehend vollständigen Aufführung beider Teile), sondern die Chance verspielt, diesem Irrtum und dem Vorurteil der Nichtaufführbarkeit, der Monstrosität und der nicht enden wollenden Spieldauer zu widersprechen? Wolfgang Dömling weist in seiner Berlioz-Biografie ausdrücklich darauf hin, "daß eine Teilung den Sinn des Werkes verstümmelt hat. Der Zusammenhang des Ganzen erweist nämlich, daß es ... auch in den Akten III bis V ... nicht primär um die persönlichen Konflikte zwischen Liebe und Pflicht geht: Die Verklammerung von Geschichte, mythischer Bestimmung und Schicksal bildet durchgehend den Gegenstand von Les Troyens". Oder meint Richter, dieser große Visionär des Musiktheaters, den Bus-Shuttle-Service - "Von Troja nach Karthago geht die Reise des Aeneas in ... Les Troyens ..., und der Zuschauer reist mit! Tatsächlich reist er ganz real, denn die Deutsche Oper am Rhein lässt die Schauplätze der Handlung an ihren beiden Spielstätten Duisburg und Düsseldorf erbauen" und nutzt damit "in besonders sinnfälliger Weise ihr Doppelleben als Zwei-Städte-Institut" -, für den die Besucher mit 12,50 Euro pro Person zur Kasse gebeten werden und für den sie sich zwischen 13 und 14 Uhr um Karten anstellen sollen? Was, bitte, kann das Publikum dafür, dass die Verantwortlichen der Rheinoper sich diese auf platteste Weise die zwei Handlungsorte widerspiegelnde, wirklich pubertäre, logistisch ebenso aufwändige wie gedanklich einfältige Lösung haben einfallen lassen? Ursprünglich hatte man sogar im Sinn, die Zuschauer rheinaufwärts von Duisburg nach Düsseldorf auf einem Schiff fahren zu lassen, um sich in die Situation der geflohenen Trojaner einfühlen zu können, was wahrlich die Vorstellungskraft eines Dreizehnjährigen erkennen lässt. Doch es kommt noch schlimmer: Nur bei "einigen der Termine bieten wir Ihnen an, Sie als Publikum komfortabel und rechtzeitig von Troja nach Carthago zu transportieren", wirbt der Generalintendant in der Spielzeitbroschüre. Zehn Aufführungen sind geplant, aber an nur fünf Tagen kann man beide Teile erleben, an den anderen gibt es im Anschluss an die ersten beiden Akte um 21.30 Uhr im Troja-Bühnenbild für 150 Zuschauer eine Aufführung von Offenbachs in Sparta und damit lange vor dem Fall Trojas spielende La belle Hélène! In Ergänzung dieser grandiosen Idee schlage ich vor, demnächst in Düsseldorf den ersten Aufzug des Rosenkavalier im Opernhaus spielen zu lassen, dann das Publikum in Fiakern neben dem Wagen der Marschallin durch den Hofgarten-Prater und dann zum Rhein-Donau-Ufer fahren zu lassen, um abschließend in der geplanten Interimsspielstätte überteuerte, aber originale Sachertorte nebst einem Querschnitt aus Johann Strauß' Wiener Blut zu servieren. Oder warum nicht Puccinis Trittico an drei aufeinanderfolgenden Abenden an den Handlungsorten aufführen und dreimal Tickets verkaufen? Gar nicht auszudenken, welche innotativen Eventkonzepte sich da noch realisieren ließen!

Vergrößerung

Cassandre (Evelyn Herlitzius) versucht ihren Verlobten Chorèbe (Boris Statsenko) zur Flucht zu überreden.

Klangbeispiel Klangbeispiel: (1. Akt)
Cassandre (Evelyn Herlitzius)
(MP3-Datei)


A propos Geld: Die billigste Karte für beide Premierenteile kostete am 29. 10. Euro 20,20, die teuerste Euro 102,90 (für die auch nicht ganz kurze, ebenfalls zum Projekt Mythologie kompakt gehörende Premiere von Scarlattis Telemaco am Abend drauf wurden indes "nur" Euro 11,50 bis 71,10 berechnet. Karten für La belle Hélène dagegen bekommt man für Euro 8,70 auf allen Plätzen!) Wenn man die Programmhefte für beide Produktionen zusammen erwerben möchte, zahlt man Euro 8,50; will man allerdings den passenden Pappschuber dazu, wird man mit zusätzlichen Euro 1,50 zur Kasse gebeten! Dem Umstand, dass manche Menschen zwischen dem Vorstellungsende in Duisburg gegen 16.30 Uhr und dem Beginn in Düsseldorf drei Stunden später gern auch noch etwas essen und trinken möchten, wird mit ausgedehnten Cateringangeboten im Opernhaus an der Heinrich-Heine-Allee Rechnung getragen (was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass man während der Vorstellung nicht nur dem Geruch durchschwitzter Operngarderobe, sondern auch prägnanten Essensdüften ausgesetzt ist). Damit auch genug verkauft wird, gibt es gleich zwei Pausen in Düsseldorf. Ein teurer Abend also ...

Am 17. Oktober 2005, also exakt vier Wochen vor dem Beginn der närrischen Jahreszeit am Rhein, schüttelte man den Kopf über eine Pressemitteilung folgenden Inhalts: "Die Premiere des großen Opernevents (sic!; wie bei Arenaproduktionen bekam man sogar noch die Anzahl der Mitwirkenden vorgerechnet!) Die Trojaner rückt immer näher! Doch was wäre der Mythos um Troja ohne das Trojanische Pferd? Um ein weithin sichtbares Zeichen zu setzen, das schon von außen davon kündet, dass ein künstlerisches Großereignis unmittelbar bevorsteht, wird am Freitag, den 21. Oktober 2005, um 10.00 Uhr vor dem Theater Duisburg 'unser' Trojanisches Pferd feierlich enthüllt. Wir freuen uns sehr, dass wir für diesen Termin den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg, Adolf Sauerland, und den Kulturdezernenten der Stadt, Karl Janssen, gewinnen konnten! Seien Sie dabei, wenn am kommenden Freitag um 10.00 Uhr das überdimensionale Pferd zum Klang des Trojanischen Marsches enthüllt wird!" Dass in prekären Haushaltszeiten die Werkstätten des Zwei-Städte-Instituts offenbar freie Kapazität haben, um solch idiotische, infantile Ideen umzusetzen, ist nichts anderes als ärgerlich, zumal die Beine und der Rumpf eines weiteren Pferdes auch noch auf der Bühne auftauchen, obwohl Berlioz solch vordergründige Effekte eigentlich durch die Anlage seiner Oper gerade vermieden hat (wichtig sind in dieser Szene doch Cassandres Kommentare, nicht die "passage du cheval", und Bühnenbildner Murauer hatte der Lokalpresse doch vorher verraten, dass man gerade "keine antike Troja-Ausstellung" machen wolle, sondern "aktuelles Theater"!).

Vergrößerung Enée (Albert Bonnema) ist aus dem Schlaf erwacht und glaubt noch, Troja retten zu können.

Christof Loy hatte angekündigt, "die antike Geschichte von Krieg und Liebe, vom Konflikt zwischen Pflicht und Neigung als zeitloses und zugleich heutiges Geschehen" inszenieren zu wollen: "Parallelen mit politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts werden dabei offensichtlich!" Der erste Akt spielt in einem monumentalen, klassizistischen Repräsentationsraum von Herbert Murauer, der mit seinen Einschusslöchern, dem eingestürzten Dach, den Mauerresten in der Mitte die Spuren eines langen Krieges nicht verleugnen kann (Trümmerfrauen werden im weiteren Verlauf für Ordnung sorgen). Cassandre, im unvorteilhaften, zu kurzen Hochzeitshänger und mit entsprechendem Kranz und Schleier versehen (die wenig beeindruckenden Kostüme hat Michaela Barth entworfen), ist eine mädchenhaft wirkende Frau, sie liebt Chorèbe wirklich, auch wenn er mit seiner unglücklichen Perücke wie eine der komischen Figuren in einer Rossini-Buffa ausschaut, sie möchte ihn heiraten, weiß aber, dass daraus nichts mehr werden kann - die Begegnung zwischen Cassandre und Chorèbe gelingt Loy bemerkenswert intensiv -, sie passt nicht zu den in luftigen Blumenkleidern herumtollenden Frauen und zu der oberflächlichen trojanischen Königsfamilie in ihren Operettenuniformen, sie "analysiert, woran der marode Staat Troja krankt. Sie weiß und beschreibt, wohin das Verhalten von Menschen führt, die nur eine Wahrheit anerkennen, alles, was nicht im direkten Blickfeld liegt, aus ihrem Bewusstsein ausblenden und so dem eigenen Untergang umso schneller entgegen eilen". Überflüssig fand ich das lächerliche Herumgespringe von Jungs im Military-Outfit zu den Klängen des Ringer-Baletts, bevor die offenbar gänzlich verwirrte Andromache die Bühne betritt (Monique Janotta, ehemalige Primaballerina und Ehrenmitglied der Rheinoper, in Gruberova-Optik) und Unverständliches auf Französisch brabbelt.

Vergrößerung

Der Untergang Trojas: Die Frauen liegen vergast im Bunker, oben sind die "Griechen" bereits eingefallen (Ensemble der Deutschen Oper am Rhein).

Für den zweiten Akt wird die Halle hochgefahren, der Blick fällt nun auf einen Bunker mit niedrigen Decken, in dem Cassandre ihre Brautnacht verbracht hat. Enée ist an seinem Feldherrnschreibtisch eingeschlafen, Hektors Schatten erkennen wir neben dem Heldenkranz und den anderen Ehrengaben, die während der Feier im ersten Akt aufgehäuft worden sind, und oben fällt müde eine Wand um, wirbelt dem Dirigenten und dem Orchester mächtig Staub in die Gesichter - ein schwacher coup de théâtre. Dass man zusehen muss, wie oben die Griechen - hier sind es offenbar die Russen, die 1945 Berlin befreien - diejenigen Trojanerinnen vergewaltigen, die Cassandre nicht folgen, lenkt von der eigentlich wichtigen Handlung unten ab: Cassandre ersticht sich nicht selbst, sie tötet Polyxène, bevor sie "La douleur est rien" singt, sie zerhackt die Rohre (wie lächerlich der Bühnennebel vor sich hinwabbert!) und führt so den kollektiven Gastod herbei, eine Idee, die von vielen an diesem Abend als geschmacklos empfunden wurde, zumal angesichts der zeitlichen Fixierung, die die Inszenierung ohne Not vornimmt.

Vergrößerung Didon (Jeanne Piland) ist stolz darauf, in Carthage einen florierenden Staat zu regieren.

Klangbeispiel Klangbeispiel: (3. Akt)
"Gloire à Didon"
Das Volk von Karthago (Chor und Extrachor der Deutschen Oper am Rhein)
huldigt seiner Königin
(MP3-Datei)


In Düsseldorf schaut man auf einen im Wesentlichen schwarzen, merkwürdig unwirklich wirkenden Raum, an dessen Seite ein paar afrikanische Bäume platziert sind und der mit seiner an das Autodafé in Loys Don Carlos-Inszenierung erinnernden Tribüne mit einfachen Holzstühlen für einen streng organisierten und offenbar nach festem Schema ablaufenden Auftritt von Königin Didon hergerichtet ist, die ein bisschen müde in den Zuschauerraum blickt. Als Zeichen ihrer Seriosität als Herrscherin trägt sie ein graues Kostüm, aber ganz so volksnah, wie sie sich selber inszeniert, ist sie nicht, wird sie doch permanent abgeschirmt, auch wenn einzelne verdiente Untertanen des Arbeiter- und Bauernstaates ihr die Hand schütteln und in ihrer Nähe Platz nehmen dürfen, um die Videoeinspielung anzuschauen, in der Originalbilder aus Afrika zusammengestellt sind. Dann werden noch schnell ein Spendenscheck der Banque National de Carthage überreicht und ein paar Orden und Pokale verteilt, bevor die äußere Handlung gleichsam einfriert und der Blick des Zuschauers ganz auf die Protagonistin gerichtet wird, die sich ihrer Pumps entledigt. Der Regisseur betont von Anfang an die Verletzlichkeit Didons, die auch als Regentin nicht so souverän ist, wie man annehmen könnte, sondern deutlich von Narbal und Anna manipuliert wird. Die Trojaner sind ziemlich heruntergekommene, grobschlächtige Menschen, denen viel zu heiß ist in Afrika. Ascagne setzt Didon ungefragt Helenas Krone und Schleier auf, Enée macht immer wieder durch lautes Lachen auf sich aufmerksam und klatscht bei den Musikvorführungen auf dem Landsitz peinlich mit (von wegen "pius Aeneas", ein Proll ist das hier!), während sein Sohn die Frauen begrapscht.

Diskutabel ist der Verzicht "auf die konventionellen und rein illustrativen Balletteinlagen", um "das dramatische Geschehen zwischen den Figuren umso plastischer und konzentrierter hervortreten" zu lassen (immerhin gibt es am Haus eine Ballettcompagnie, die wie selbstverständlich bei dem Aida-Spektakel in der LTU-Arena im nächsten Sommer mitwirkt und eine zeitgemäße Interpretation der Ballettszenen hätte beisteuern können). Zu Beginn des vierten Aktes erlebt der Zuschauer einen Traum Didons mit, die im schicken Leoparden-Outfit zunächst allein auf der Bühne ist, sich ein Glas Champagner servieren lässt und sich auf dem Boden lagert, den die farbigen Domestiken unter beträchtlichem Körpereinsatz und lautstark stöhnend scheuern müssen, was natürlich einen reizvollen Kontrast bildet zu der idyllischen Musik. Die Stimmung kippt schnell: Die Afrikaner lachen Didon nunmehr aus, sie geben ihr die Orden und Pokale zurück, bedrohen sie, das von ihr kunstvoll ersonnene, aber empfindliche Staatsgefüge scheint zu zerbrechen - eindringliche Bilder für Didons schlechtes Gewissen für den von ihr verantworteten Kolonialismus, der schon zuvor offensichtlich geworden war ("Die politisch motivierten Avancen von Iarbas, dem Herrscher des numidischen Nachbarvolkes, weist sie ab", erklärt uns der Regisseur: "Ganz im Sinne des europäischen Kolonialismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Afrika lässt Berlioz Dido und die Karthager mit stereotypen Hasstiraden gegen diese ursprünglichen Bewohner des Landes wüten"), aber wohl doch auch eher ein Nebenaspekt des Werkes ist, für ihre Angst vor dem Abstieg, ein Albtraum.

Vergrößerung

Didon (Jeanne Piland) ist rasend verliebt in Enée (Albert Bonnema), der zwischen Liebe und Pflicht hin- und hergerissen ist.

Höhepunkt der Inszenierung ist vielleicht der vierte Akt, in dem wir Didons Clique in eine geräuschlos nach vorn gefahrene Fünf-Sterne-Lodge begleiten, die keine Wünsche offen lässt und hervorragend dazu geeignet ist, den "Zauber einer afrikanischen nacht (sic!)" zu erleben. Das geschmackvolle Arrangieren von Dekorativem, Atmosphärischen gehört zweifellos zu den ersten Qualitäten des Regisseurs (man erinnerte sich an die wundervolle Abendstimmung in seiner Rheinopern-Produktion von Mozarts La finta giardiniera), und so lässt man sich gern hineinziehen in diese wirklich schönen Bilder. Man freut sich über die Ruhe, mit der diese Szenen ablaufen, fragt sich aber am Ende, warum erneut eine Nebenhandlung (Panthée nimmt Anna brutal auf der Terrasse des Feriendomizils, was eben doch die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich zieht), die von der sich auf ihren Höhepunkt zubewegenden Liebe zwischen Didon und Enée unnötigerweise ablenkt. Der befriedigte, fiese Panthée ist es hier, der Enée an seinen Auftrag gemahnt, nicht Mercure, wie von Vergil und Berlioz vorgesehen (ein Götterbote hätte schlecht in das Ambiente gepasst, aber diesen zentralen Aspekt der Vorlage zu eliminieren, ist dennoch diskutabel). Der Held bleibt frustriert zurück, anders als sein Kumpel bekommt er die lang ersehnte Gelegenheit nicht.

Vergrößerung Didon (Jeanne Piland) ist außer sich: Enée will sie verlassen.

Und dann geht alles sehr schnell: Didon hat sich Enée offenbar doch ergeben, wir sehen sie im Soldatenmantel in Enées Feldlager, sie "spürt den Verlust ihrer Würde, kann sich nicht an das erinnern, was sie einmal als Königin ausgezeichnet hat", beschreibt Loy es. Wir sind zurück im harten Alltag, der tote Hylas wird von den Sentinelles in einen schwarzen Plastiksack gesteckt, ein paar farbige Prostituierte treiben sich herum, seine Arie brüllt Enée einer von ihnen ins Gesicht. Didon rast wie eine Megäre, sitzt dann da wie ein kleines Mädchen, bevor sie würdevoll wie Brünnhilde im großen schwarzen Kleid und mit einem Benzinkanister zurückkommt. Als sie vorn ein Streichholz entzündet, geht hinten das Feuer auf dem Scheiterhaufen an, was für einiges Gelächter sorgte, wie überhaupt einige technische Details einer verbesserten Ausführung harren. Diskutabel, wenn auch konsequent bei einem Regieansatz, der sich kaum für Enée und die für Berlioz zentrale Italie-Rome-Idee interessiert, sondern allein für die beiden zweifellos wichtigen Frauenfiguren, ist die Entscheidung für das kurze, bekanntere Finale (von wegen "in ungekürzter Originalfassung", womit man geworben hatte!). "Was bleibt, ist der wehmütige Traum von einer idealen gesellschaftlichen Ordnung.", schließt Loy in seinem Programmheftbeitrag (zusammen mit Peter Heilker hat er auch die verkürzte, zum Teil eigenwillige Übersetzung des französischen Textes für die Übertitel verfasst), aber auf der Bühne ist davon nichts zu sehen, da sieht man die nicht rasend originelle Hommage an eine verdiente Sängerin, die primadonnenhaft vor dem Vorhang stehen bleiben und dort den Schlussapplaus entgegennehmen darf.

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"Starke Scheite schichtet mir dort" - Didon hat den Scheiterhaufen entzündet.

Das "Musiktheater im Breitwandformat", das Produktionsdramaturg Peter Heilker angekündigt hatte - in seiner Diskografie vergisst er übrigens den ja durchaus erhältlichen Mitschnitt aus Covent Garden aus dem Jahre 1958, bei dem Amy Shuard (Cassandre), Blanche Thebom (Didon) und Jon Vickers (Enée) die Stars unter Rafael Kubeliks kundiger Leitung sind, sondern auch die wegen der merkwürdigen Zwischentexte berühmte Bostoner Produktion von 1973, bei der Sarah Caldwell immerhin Maralin Niska (Cassandre), Régine Crespin (Didon) und Ronald Dowd (Enée) als Solisten hatte - fand natürlich auch im Orchestergraben statt. John Fiore weiss mehr über Berlioz' Meisterwerk (1993 hat er die Wiederaufnahmeproben an der Met begleitet, 1994 die erste komplette szenische Fassung in Australien dirigiert, und auch die unter dem Titel The John Fiore Show veröffentlichte Einführung am Klavier unterstreicht es), als er mit den beiden Orchestern umsetzen kann (wobei die Duisburger Philharmoniker eindeutig das bessere Kollektiv waren), was nicht zuletzt auf zu wenig Proben schließen lässt (ebenso wie das allerdings nicht zu häufige Durcheinander zwischen Graben und Bühne). Vieles ist mir zu laut und knallig, einmal mehr zu sehr am vordergründigen Effekt orientiert, zu wenig elegant und atmosphärisch, zu "weichgespült" (Hermann Hofer bezeichnet Berlioz nicht zu Unrecht als "eine Art Urerfinder der Moderne"), manche Passage des natürlich riesigen Orchesterpassages zu unkonturiert, quallig und ohne die nötige, typische französische clarté, die man - andere Aufführungen beweisen es - durchaus erreichen kann. Überrumpelung mit Klangmasse statt Raffinesse schien hier die Devise zu sein.

Evelyn Herlitzius hatte mich bereits vor zwei Jahren als Brünnhilde in einer konzertanten Aufführung der Walküre im Dortmunder Konzerthaus sehr positiv überrascht: "Besonders in der unteren Mittellage und Tiefe ist die natürlich eher schlanke Stimme erstaunlich tragfähig und klangschön", hatte ich damals bemerkt und zudem gerühmt, dass bei ihrem Vortrag "jedes Wort zu verstehen und mit Sinn erfüllt war". All dies gilt auch für ihre Cassandre, die in ihrer Interpretation das vokale Ereignis dieser Produktion war, zumal sie erstes Französisches sang, die Kraft für die langen Bögen hatte, sich in keiner Sekunde schonte und einmal mehr bewies, was für eine intelligente Sängerdarstellerin sie doch ist.

Jeanne Piland, "die ihrem umfangreichen Repertoire erstmals die großen dramatischen Ausbrüche der Dido beifügt und damit sich und ihrem Publikum nach ihren Erfolgen im dramatischen Sopranfach einen lang gehegten Wunsch erfüllt" (wer schreibt nur solche Texte?), hat mich im dritten und vierten Akt überrascht: Die Stimme klang am Premierenabend viel frischer und weniger grau als bei dem Probenmitschnitt, der an die Presse verteilt wurde, die Künstlerin sang viel disziplinierter und kultivierter als zuletzt und überzeugte mit hoher Legatokultur. Natürlich fehlt es ihrem hohen Mezzosopran an Rundung und Fülle in der unteren Mittellage und Tiefe, mitunter muss sie da schon ein bisschen "drücken", aber all dies hielt sich zunächst in vertretbaren Grenzen. Die Stunde der Wahrheit kam im letzten Akt, das war bei Susan Graham in Paris oder Cornelia Helfricht in Leipzig nicht anders, denn hier braucht man nun wirklich eine dramatische Stimme, die keine der drei besitzt. Und so geht Jeanne Pilands Trickkiste einmal mehr auf, zur Freude ihrer Fans und zum Ärger des Berichterstatters, der wenig Sinn hat für wildes Geheul, harte Registerbrüche und exzessiven Einsatz der nicht liebenswürdigen Bruststimme, für Sprechgesang, weit aufgerissene Augen und rudernde Arme in Stummfilmmanier, auch nicht für die Idee der Amerikanerin, am Ende Kunst zu machen und sich nur noch piano zu äußern.

John Fiore beschreibt ganz richtig, welche Anforderungen an einen Interpreten des Enée zu stellen sind: Man braucht keinen schweren deutschen Heldentenor, sondern er "muss strahlen und Durchschlagskraft vereinen, ohne dabei die typische französische Flexibilität zu vernachlässigen, er hat schließlich am Ende der Oper eine ganz klassische Arie zu singen mit einer Art von Cavatina und einer Cabaletta. Schon bei seinem ersten Auftritt verlangt Berlioz Unglaubliche (sic!), so schnell und leicht muss er seinen Schrecken über Lacoons (sic!) Ende heraussingen, gekrönt von einem hohen h - da ist noch keine Minute vergangen". Albert Bonnema, neben Evelyn Herlitzius zweiter Gast für diese Produktion, erfüllte keines, aber auch wirklich keines dieser Kriterien: Der Tenor machte kaum etwas anderes als Schreien und erreichte trotzdem (oder gerade deswegen?) kaum je die vorgesehenen Tonhöhen, er ließ notierte Töne aus oder punktierte, besonders in der hohen Lage klang alles flach, farblos und gestemmt, allenfalls in der Mittellage gelangen einige runde, klangvolle und differenziertere Töne, im berühmten Duo aber brüllte er seine um zarte Farben bemühte Kollegin brutal nieder, die Arie bequemte er seiner Stimme an (trotz Pause rührte sich keine Hand!), um eine auch nur annähernd korrekte Aussprache des Französischen scherte er sich wenig. All dies würde man einem bemühten, überforderten Ensemblemitglied vermutlich nachsehen, nicht aber einem hoch bezahlten Gast, der doch wohl ein Vorsingen hat absolvieren müssen. Der Niederländer kann die Partie definitiv nicht singen, ein Intendant mit Rückgrat hätte ihn spätestens nach der Premiere feuern müssen.

Boris Statsenko legte den Chorèbe wie eine seiner Verdipartien an, was Publikumszuspruch sichert, an der Rolle aber erheblich vorbeigeht, zumal das französische Idiom auch nicht seine Sache ist und Fortepräferenz sehr schnell zu Langeweile führt, Günes Gürle und Anke Krabbe wirkten eher optisch als akustisch als Panthée und Ascagne, ähnlich wie die Interpreten der anderen Partien. Sami Luttinen machte einigen Eindruck als Hektors Schatten, ohne wirklich mysteriös oder idiomatisch zu sein, Thorsten Grümbel war ein schlank singender Narbal mit profunder Tiefe und bemühte sich sehr um differenziertes Singen, blieb aber dennoch vokal wie darstellerisch eher blaß. Keine gute Wahl für die Anna ist Katarzyna Kuncio, die zwar einige szenische Präsenz entfaltete, aber einfach nicht die nötige Alttiefe für diese Partie mitbringt, stellenweise überhaupt nicht zu hören war und auch beim Erreichen der wenigen hohen Töne manche Schwierigkeit hatte. Fabrice Farina sang das Lied des Iopas mit metallisch hellem, beweglichen, etwas farblosen und wenig strahlendem Tenor, schaffte aber das gefürchtete C. Einen besseren Eindruck hinterließ Norbert Ernst mit geschmackvoll-elegischen, verinnerlichten, weichen Tönen als Hylas. Gewichtigen Anteil am Erfolg des Abends hatten zweifellos die erheblich verstärkten, erstaunlich sicheren Chöre, für deren Einstudierung Gerhard Michalski und Christoph Kurig sich offenbar viel Zeit genommen haben - man hat das Kollektiv auch schon bedeutend schlechter erlebt! -, und da fiel es weniger ins Gewicht, dass die Herren beim ersten Auftritt ihre liebe Not mit der hohen Lage hatten und die Damen im Bunker ein sehr deutsches Französisch sangen.


FAZIT

Christof Loys repräsentativ-dekorative Inszenierung dieses wunderbaren Werkes, das übrigens - anders als von vielen behauptet - nicht länger als Götterdämmerung oder Meistersinger ist, hat wie die musikalische Seite des Abends ihre Momente und ist sicher keine schlechte, aber ein großer Wurf oder gar Maßstäbe setzend ist sie auch nicht, zumal er sich ganz auf die beiden Frauenfiguren konzentriert, die Italie-Idee fast völlig ausblendet und damit Berlioz' eigene, aus seiner tiefen Liebe zu Vergils Aeneis gespeiste Aussageabsicht nicht ernst genug nimmt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
John Fiore

Inszenierung
Christof Loy

Bühne
Herbert Murauer

Kostüme
Michaela Barth

Dramaturgie
Peter Heilker

Licht
Volker Weinhart

Chor
Gerhard Michalski/
Christoph Kurig

Regiemitarbeit
Benedikt von Peter

Choreografische
Mitarbeit
Istvan Herczog



Chor und Extrachor der
Deutschen Oper am Rhein
Statisterie der
Deutschen Oper am Rhein
Bühnenorchester der
Deutschen Oper am Rhein
Die Duisburger
Philharmoniker (Akte I-II)
Die Düsseldorfer
Symphoniker (Akte III-V)


Solisten

Kassandra,
Tochter des Priamus
Evelyn Herlitzius

Choroebus,
Kassandras Verlobter
Boris Statsenko

Aeneas
ein trojanischer Held
Albert Bonnema

Ascanius,
sein Sohn
Anke Krabbe

Pantheus,
trojanischer Offizier
Günes Gürle

Priamus,
König von Troja
Michail Milanov

Hekuba,
seine Frau
Nassrin Azarmi

Helenus,
Sohn des Priamus
Sergey Tkachenko

Polyxene
Tochter des Priamus
Victoria Demkina

Andromache,
Hektors Witwe
Monique Janotta

Hektors Schatten,
gefallener Sohn
des Priamus

Sami Luttinen

Ein trojanischer Führer
Julian Kumpusch

Ein griechischer
Heerführer
Daniel Djambazian

Dido,
Königin von Karthago
Jeanne Piland

Anna,
Schwester Didos
Katarzyna Kuncio

Narbal,
MInister Didos
Thorsten Grümbel

Iopas,
Dichter am Hof Didos
Fabrice Farina

Hylas,
ein Matrose
Norbert Ernst

Zwei trojanische
Soldaten
James Martin
Sergio Raonic Lukovic

Priamus' Schatten
Michail Milanov

Choroebus' Schatten
Julian Kumpusch

Kassandras Schatten
Manuela Kunze

Hektors' Schatten
Ortwin Rave








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Deutsche Oper am Rhein
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