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Sterbenslangweilig und unsensibel
Von Carsten Neudorf
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Fotos vom Hans Jörg Michel
Überall, wo Calixto Bieito inszeniert, hört und liest man von heftigen Reaktionen am Premierenabend, von tumultartigen Szenen im Publikum und erbitterten Auseinandersetzungen in der Presse angesichts seiner am sozialen Alltag orientierten extremen Bilder voller Gewalt und Sexualität (Ortsansässige erinnern sich an das Theater um die angekündigte und dann wegen des öffentlichen Drucks dann doch nicht realisierte Neuinszenierung der Meistersinger von Nürnberg). Und so wird es manchem Opernfreund in Mannheim vermutlich gar nicht unrecht gewesen sein, dass der Spanier die Regie von Verdis Don Carlo aus persönlichen Gründen zurückgeben musste. Guter Rat war teuer, die Zeit drängte, und so war man froh, dem Publikum Werner Düggelins am 20. Januar 2001 in Zürich herausgekommene Inszenierung präsentieren zu können. ![]()
Den zentralen Eindruck fasste der mit Ende der Spielzeit scheidende Generalintendant Ulrich Schwab während der anschließenden Feier zusammen, als er von einer Produktion sprach, die man sich als Folie für viele Festliche Opernabende vorstellen kann, also jene in Mannheim so beliebte Galaveranstaltungen, bei denen prominente Gäste, die sich häufig im Spätherbst ihrer Karrieren befinden oder kaum das Niveau erreichen, das man angesichts ihrer massiv beworbenen Tonträger erwarten würde, für teures Geld die Rollen von Ensemblemitgliedern übernehmen. Um sich in diesem Don Carlo zurecht zu finden, reicht vermutlich ein kurzes Gespräch mit dem zuständigen Abendspielleiter, denn eigentlich wird kaum mehr erwartet, als sich in Kostümen von Sue Willmington, die sich zwischen historischen Roben und Alltagskleidung unserer Tage nicht hatte entscheiden können, und in dem die meiste Zeit sehr dunklen Szenenbild von Raimund Bauer (mit breitem schwarzen Rahmen, was den Verdacht nahe legt, dass die Schweizer Bühne erheblich schmaler ist als diejenige des Nationaltheaters) in Richtung Rampe zu bewegen und sich auf eigene, die Intensität des Vortrags unterstreichende Gesten zu besinnen. Dass der Ausstatter eine Art Arena, einen Kampfplatz der Liebe gegen die Politik, der Machtauseinandersetzungen, Intrigen und Konventionen, im Sinn hatte, einen Raum, der die Spannung zwischen den beiden Polen der Oper - private Liebesgeschichte und große Staatsaktion - bildlich umsetzte, wusste ich glücklicherweise aus den Presseinformationen. Durch die schwarzen, gleichmäßig durchlöcherten und damit für die unsichtbaren Spitzel der Inquisition durchlässigen Wände, die die mit edlem Parkett ausgelegte, durch ein Paar Stufen unterbrochene und in der Mitte einen Kreis aufweisende Spielfläche wie ein Gefängnis wirken lassen, bricht sich stimmungsvoll ein wenig Licht, die aufgestellten Kerzen und später Kandelaber tun das ihre, ein paar schlampig aufgehängte Prospekte im Bühnenhintergrund skizzieren verschiedene Handlungsorte (wie etwa die sanften Hügel der Extremadura), das von allen Hofdamen bestickte Tuch mit Fontainebleau-Bild reflektiert Elisabeths Sehnsucht nach der Heimat und die Erinnerungen an die kurze Romanze mit Carlos, der der Zuschauer in der vieraktigen Fassung nicht beiwohnt. Zentrum und beherrschendes Handlungsmoment der Oper sollte dem Vernehmen nach das Autodafé als Sinnbild einer Welt voller Gewalt und Zerstörung sein, als Chiffre für den Kampf des Menschen gegen den Menschen - gerade diese Szene aber habe ich selten so konventionell, vordergründig und langweilig gesehen und so grob und oberflächlich musiziert gehört, zumal auch die Einstudierung des Chores, der sicher einiges Potential hat, einmal mehr die nötige Disziplin und Differenzierung vermissen ließ. Besonders ärgerlich fand ich aber die mangelnde Personenführung: Willy Decker etwa hatte sich in der letzten Spielzeit in seiner Neuinszenierung in Amsterdam auch nicht als Bilderstürmer und Anhänger eines hektischen Aktionismus erwiesen, hatte aber die Befindlichkeiten der Figuren und ihr Mit- und Gegeneinander nachvollziehbar bebildert. Bei Walter Düggelin sitzt Carlo völlig unbeteiligt am linken Bühnenrand (hat er wie mancher Zuschauer den lauen Schuss überhört?), während Posa im hinteren Teil der Szene bei schlechtem Licht sein Leben aushaucht, und auch die Idee, Elisabeth am Ende Carlos ins Kloster folgen zu lassen, fand ich kaum abendfüllend, und das nicht nur, weil die Nebelmaschine des Nationaltheaters nicht die beste ist. ![]()
Über die sterbenslangweilige Inszenierung hätte man wohl hinweggesehen, wäre es um die musikalische Seite besser bestellt gewesen. Enrico Dovico, seit September 2002 immerhin Stellvertretender GMD des Traditionshauses, wurde zwar vom Generalintendanten für seine "italienische" Herangehensweise an das Stück über den grünen Klee gelobt, störte aber in erster Linie durch viel zu häufige, unsinnige Rubati und Fermaten ganz erheblich den Fluss der Musik, verhinderte dadurch jede Spannung und machte zudem den Sängerinnen und Sängern das Leben unnötig schwer, denen die mitunter geradezu knallige Lautstärke auch nicht entgegenkam und die man alle in der Vergangenheit viel besser gehört hat. Besonders Susan Maclean, die am selben Ort als Didon in Les Troyens einen so exzellenten Eindruck hinterlassen hatte, und eigentlich eine Idealbesetzung für die Eboli sein dürfte, hatte unter der Willkür des unflexiblen Dirigenten zu leiden. Die Mezzosopranistin hatte sich vor der Vorstellung ansagen lassen, weil sie sich nach eben überstandener Grippe und anstrengenden Proben (anders als die anderen Rollen war diese als einzige nicht doppelt besetzt) nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte fühlte. Das Maurische Lied bewältigte sie zwar noch mit schlankem, metallischen Ton, erstaunlicher Agilität (was man da sonst mitunter zu hören bekommt, vor allem in der Kadenz!) und auffälliger Textdurchdringung und übertraf die Kollegen auch hinsichtlich des darstellerischen Einsatzes, der Identifikation mit der Rolle und der daraus resultierenden szenischen Präsenz, geriet aber durch die brutal zerdehnten Tempi im "O don fatale" in hörbare vokale Not besonders in der sonst doch so leicht ansprechenden Höhe - ein einfühlsamer Begleiter hätte das Tempo angezogen und das Orchester nicht ausgerechnet hier sehr gedämpft spielen lassen, damit die Sängerin sich hätte schonen können! ![]()
Dass Galina Shesterneva zuletzt als Leonora in Bonn mehr zu überzeugen wusste als an diesem Abend als Elisabetta, liegt natürlich in erster Linie an der Rolle, die in der vieraktigen italienischen Fassung wenig Möglichkeiten der Profilierung bietet, zumal wenn in der ersten Arie auch noch die zweite Strophe gestrichen wird. Große Leidenschaft entwickelte die Sopranistin allerdings in der Auseinandersetzung mit Philipp im dritten Akt, und im anschließenden Quartett gelangen ihr wie später in der großen Szene einige wirklich berückende Töne, wie man überhaupt angesichts ihres herrlich femininen, nicht zu üppigen Soprans, der für die flammenden Phrasen des letzten Duetts wie geschaffen ist, immer wieder ins Schwärmen kommt. ![]()
Michail Agafonov, der auch schauspielerisch sensationelle Enée der erwähnten Troyens-Produktion und mit seinem süchtig machenden Timbre inzwischen mehr als ein Geheimtipp für das (vor allem italienische) dramatische Tenorfach, blieb in der Titelpartie überraschend blass, was meinen Eindruck untermauert, dass der Russe einen versierten Regisseur braucht - und sicher keine rote Samthose und ein kurzes schwarzes Oberteil, das trotz verlorener Pfunde nicht eben vorteilhaft wirkt. Und auch die Spitzentöne hatten an anderen Abenden mehr Glanz und wurden mit weniger Kraft erreicht. ![]()
Mit großer Routine bemühte sich Mikel Dean um die Partie des Posa, wusste auch die Feinheiten auszuführen und beschränkte sich nicht auf kraftvollen Fortegesang, sondern fühlte sich auch im Piano wohl, aber mir fehlte die dunkle Farbe, die südliche Sonne in der Stimme, was natürlich Geschmackssache ist, und spätestens in der langen Sterbeszene kämpfte der Amerikaner dann auch mit kleineren Konditionsproblemen. Mihail Mihaylovs reifem Bass war die angesagte Indisposition kein bisschen anzuhören (man fragt sich grundsätzlich, warum in solchen Fällen nicht der Kollege gefragt wird, der doppelt besetzt ist!), so dass die große Szenen des dritten Aktes ihre Wirkung nicht verfehlten, auch wenn sensible Hörer den veristischen Zugang, einige rhythmische Freiheiten und den Rückgriff auf Sprechgesang beklagen mochten. Großes Potential ließ Fachkollege Tomasz Konieczny mit seiner robusten, ausladenden, üppigen Stimme als Großinquisitor erkennen; der junge Pole sollte allerdings weiter an seiner Diktion arbeiten und darauf achten, nicht alle Vokale als Einheitslaut zu präsentieren. Daneben waren Marina Ivanova ein diskreter Tebaldo, Thomas Jesatko mit klangvollem Material ein prägnanter Mönch (und Karl V. im Finale), während Iris Kupke das rechte flinke, frische Organ für die Himmelsstimme hatte und Souffleur Günther Michelsen auch große Teile des Zuschauerraums zur Mitwirkung reizte.
Sicher war es nicht leicht für die Verantwortlichen, in kürzester Zeit eine adäquate Produktion des Don Carlo aufzutreiben, und natürlich freut man sich mit ihnen, dass sich der Vorhang an diesem Februarsamstag überhaupt gehoben hat. Trotzdem fragte man sich, ob man dem Unternehmen nicht mit ein bisschen mehr Kreativität und einem kompetenteren musikalischen Leiter mehr Leben hätte einhauchen können. Andererseits: Warum sollten die Beteiligten sich mehr Mühe geben, wenn sich das Publikum auch angesichts des beschriebenen Niveaus vor Begeisterung kaum halten kann? Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Szenische Leitung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Solisten* PremierenbesetzungPhilipp II Mihail Mihaylov */ Tobias Schabel
Don Carlo
Rodrigo, Marquis
Großinquisitor
Elisabeth von Valois
Prinzessin Eboli
Tebaldo, paggio
Graf von Lerma
Ein Mönch/Karl V.
Stimme vom Himmel
Deputierte Flanderns
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