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Triumph der Stimmen
Von Thomas Tillmann
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Fotos von Constanze Sewing Wulf Konold schreibt bei aller grundsätzlichen - und nicht völlig von der Hand zu weisenden - Skepsis gegenüber Giordanos Andrea Chénier im "Handbuch der Oper", das Werk wisse auch heute noch "Erfolg zu machen, wenn man die drei Hauptpartien hochkarätig besetzen kann". Und in dieser Hinsicht hatte das Theater Dortmund einiges zu bieten: Wolfgang Millgramm, der in den letzten Jahren in Dortmund neben seinen Erfolgen als Wagner-Interpret (in der nächsten Spielzeit wird er als Gast hier noch seinen ersten Stolzing in Die Meistersinger von Nürnberg kreieren) immer wieder auch die zentralen Rollen des dramatischen italienischen Tenorfachs auf höchstem Niveau gesungen hat, erfüllte sich mit dem Chénier einen Kindheitstraum, und in der Tat ist sein bronzen-dunkles Timbre genau richtig für diese Partie, die man mit Corelli oder Del Monaco im Ohr hat, denen er hinsichtlich strahlender Acuti und expressiver Wucht durchaus das Wasser reichen konnte, was das Publikum ganz zurecht mit minutenlangem Beifall nicht nur nach seiner ersten Arie quittierte, das sich offenbar wie der Rezensent darüber freute, endlich einmal eine wirkliche Stimme zu hören, die auch an größeren Häusern in diesem schwer zu besetzenden Fach Effekt machen würde, wäre da nicht das Schubladendenken der Verantwortlichen, das einem Sänger mit deutschem Namen eine Karriere im italienischen Repertoire unmöglich macht. ![]()
Sein Kontrahent Gérard war ähnlich hochkarätig besetzt: Ich kann mich nicht erinnern, Károly Szilágy, der an seinem Essener Stammhaus seit einiger Zeit in die zweite Reihe verbannt oder mit unpassenden Partien bedacht wird, in den letzten Jahren in besserer Form gehört zu haben - man hörte eine kraftvoll-balsamische, edel timbrierte, exzellent geführte echte italienische Kavalierbaritonstimme der Extraklasse, man wohnte einer Lehrstunde in vollendetem Legatogesang bei, man bewunderte die Expressivität, die ohne außermusikalische Mittel und vordergründige Outrage auskam, das Wissen um eine wirkliche Ausdeutung des gesungenen Wortes und den aus dem Notentext gewonnenen spannenden Aufbau einer gleichfalls heftig akklamierten Szene wie dem "Nemico della patria", das Charisma und die virile Ausstrahlung, das Bemühen um darstellerische Nuancierung - bravo! ![]() (MP3-Datei)
Daneben erwies sich Daniela Nedialkova, die die Partie der Maddalena bereits im benachbarten Hagen gegeben hatte, zwar einmal mehr nicht gerade als Ausbund an Temperament und raffinierte Actrice, und auch stilistisch gäbe es da noch einiges zu feilen, aber ihr an die junge Anna Tomowa-Sintow erinnernder Spintosopran von fraulich-üppiger Textur, dem für slawische Stimmen so typischen sinnlichen Vibrieren und angenehm dunkler Farbe sowohl in der kräftigen, nicht selten geforderten Tiefe als auch in der über ausreichend Strahlkraft verfügenden, mitunter einen Hauch zu tief angesetzten Höhe verdient endlich auch überregionale Anerkennung. ![]()
In den kleineren Partien war Cornelia Dietrich mit ihrem etwas qualligen, rasselnden, in die Jahre gekommenen Alt eine blasiert-unsympathische Contessa und eine durch einen schauspielerisch ziemlich unbegabten Enkel gehandicapte alte Madelon, Hannes Brock ein von der Regie als diabolischer Drahtzieher gezeichneter Spitzel Incroyable der differenzierten Charakterisierungskunst, Thomas Mehnert mit seinem klangvollen Prachtbass ein attraktiver Rouchon, Andreas Becker ein viel Autorität ausstrahlender Fouquier-Tinville. Dagegen war Sven Ehrkes unkultivierter Bariton selbst mit einer Rolle wie dem Mathieu überfordert, und man hat auch angenehmere Mezzosoprane als den der als Bersi szenisch sehr präsenten Johanna Schoppa gehört. Einen soliden Eindruck hinterließ schließlich der von Granville Walker betreute Chor. ![]()
Am Pult des nur am wirklich schwierigen Beginn einige Male patzenden Philharmonischen Orchesters verantwortete der junge Axel Kober eine durchweg an den Vorgaben der Partitur orientierte und dadurch stellenweise vielleicht etwas nüchtern klingende, aber zweifellos hervorragende Werkwiedergabe, die die einzelnen Buhs aus einer bestimmten Ecke im Rang keinesfalls rechtfertigte; man möchte hier private Motive nicht ausschließen (die Konkurrenz schläft eben nicht). ![]()
Und die Regie? Roman Hovenbitzer hat sich zweifellos Gedanken gemacht über Illicas Libretto um den zunächst von der Revolution begeisterten Dichter - schnell riss ihm die strenge Gräfin in ihrer Empörung über Chéniers Kritik an der Aristokratie den von Maddalena verliehenen Dichterkranz vom Kopf -, der sich dann aber über den Terror der Jakobiner öffentlich empörte und kurz vor dem Fall Robespierres als eines seiner letzten Opfer das Schafott besteigen musste. Der junge Regisseur präsentierte folgerichtig eine Vielzahl von klugen, ambitionierten, mitunter aber auch unlogischen (warum etwa werden die vermeintlichen Revolutionsgegner mit einer roten Schnur erdrosselt?) oder wahrlich nicht neuen Einfällen (so muss Chénier mit Kreide völlig überflüssiger Weise "Amore" an die Wand schreiben), aber viele von ihnen blieben eben doch Kopfgeburten, die nicht in packende theatralische Momente umgesetzt wurden. Zudem gelang es dem jungen Regisseur nicht, die mit Ausnahme Gérards zweifellos etwas eindimensionalen Charaktere zum Leben zu erwecken und ihre Tragödie berührend jenseits spektakulärer Bilder aus der Zeit der Schreckensherrschaft der französischen Revolution, präzis choreografierter Massenszenen und kommentierender Nebenhandlungen hinter dem durchsichtigen Vorhang im Hintergrund des grauen Einheitsbühnenbildes von Anna Siegrot zu erzählen, das ab dem zweiten Bild mit Totenmasken an den Wänden dekoriert ist, die sich die Liebenden am Schluss selbst applizieren, bevor im Bühnenhintergrund Chéniers späterer Ruhm beschworen wird. Wirklich sehenswert fand ich eigentlich nur den ersten Akt, in dem sich die Adeligen mit ihren wie Masken wirkenden blasierten Gesichtern und ihren wie aus Zuckerwatte aufgetürmt daherkommenden Perücken wie Marionetten bewegen, zu Standbildern erstarren und nach dem Einfall der zerlumpten Masse unbeirrt an einstudierten Menuettschritten festhalten, bevor sie geräuschvoll in der Mitte der Bühne versinken. In Erinnerung bleiben hier auch die durchweg schicken Kostüme von José-Manuel Vazquez, der den Damen des Adels nach außen verlagerte Metallreifröcke verpasste, die wie Rüstungen wirkten und die arrogante Distanz und Unberührbarkeit dieser Schicht schlüssig unterstrichen.
Die künstlerisch insgesamt wirklich überzeugende Interimsspielzeit des Theaters Dortmund endete mit einer Premiere, an deren Ende vor allem die drei Protagonisten gut zwanzig Minuten lang für sensationelle vokale Leistungen gefeiert wurden - ein großer Abend, den sich Liebhaber der italienischen Oper nicht entgehen lassen sollten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühnenbild
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten* Premierenbesetzung
Andrea Chénier
Carlo Gérard
Maddalena di Coigny
Bersi, die Mulattin
Contessa di Coigny
Die alte Madelon
Roucher
Fléville, Romancier
Fouquier-Tinville, Ankläger
Mathieu, ein Sansculotte
Incroyable
L'Abate
Dumas
Schmidt
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