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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Belcanto vom FeinstenVon Christoph Wurzel / Fotos vom Festspielhaus Baden-Baden
Lucia di Lammermoor als konzertante Aufführung? Dieses Werk mit allem Attributen, die ein Theater in Wallung bringen können: die düstere Stimmung der schottischen Landschaft, finstere Schlösser bis aufs Blut verfeindeter Familien, die verzehrende Liebe einer jungen Frau zum vom Bruder verbotenen Geliebten, deren erzwungene Heirat mit einem zwar reichen, aber blutleeren Freier, dann der verzweifelte Mord in der Hochzeitsnacht, der Auftritt der Mitgefühl erregenden Mörderin als blutiger Engel und am Schluss der heroische Selbstmord des Geliebten am Grab seiner Ahnen - das alles soll die Freunde der Italienischen Oper, des Inbegriffs gefühlvollen Gesangstheaters, ohne stimmungsvolles Bühnenbild und ohne theatralische Aktion an die Sitze fesseln? Sehr unwahrscheinlich, werden Sie sagen. Warten Sie ab!
Natürlich lebt jede Oper auch von der Szene, aber die Musik - und gerade die Musik einer Belcantooper wie der Lucia - schildert ja Affekte und dramatische Konflikte in üppigem Gefühl und mit großer Emphase. Vorausgesetzt natürlich, dass die Solisten, der Chor, das Orchester die emotionale Verzückung, die melodische Entrücktheit, die wilden Turbulenzen und den schrecklichen Furor, die durch die Musik sprechen, zum Klingen bringen können.
Es beginnt wie ein Konzert. Das durch die düsteren Farben von Klarinette und Pauken dominierte Preludio setzt an, ein passendes Stimmungsbild zu malen, aber die unheilschwangere Erzählung der drei Männer im Wald von Ravenswood gerät noch etwas distanziert. Die Kavatine des Enrico (Georg Tichy mit eher kantabel edlem, als wuterfüllt bösem Bariton) lässt an Stimmung noch zu wünschen übrig. Bis dann - schon von üppigem Auftrittsbeifall begleitet - Lucia, sprich Edita Gruberova und an ihrer Seite Zandra McMaster als Alisa das Podium betreten. Nach dem stimmungsvollen Vorspiel der Harfe dann das Rezitativ in glänzendem Parlando, und Lucias Kavatine, sehr einfühlsam von den Bläsern begleitet, zuerst mit reinster mezza voce, dann im kontinuierlichen Spannungsbogen bis zur koloraturverzierten Verzückung von der Gruberova gesteigert: ein erster Höhepunkt dieser Aufführung. Die Sängerin glänzt mit einem makellosen Rubato, perfektem Passaggio, kristallklaren Trillern und verführerischen Fiorituren. Nun spätestens ist klar, dass an diesem Abend auch die Musik allein durchaus bestehen kann und das Fehlen der Szene kein Manco ist - Beifallsstürme des Publikums. Im folgenden Liebes- und Abschiedsduett tritt José Bros in der Rolle des Edgardo auf den Plan. In der Stimme besitzt der spanische Tenor eine gehörige Portion Metall (Geschmacksache!) und erinnert stark an den jungen Pavarotti. Kraftvoll in der Höhe, sauber und sicher in der Intonation, an dieser Stelle aber noch etwas pauschal im Ausdruck, ist er ein nicht vollständig ebenbürtiger Partner der Primadonna. Das Orchester hat inzwischen auch zur nötigen Italianitá gefunden und schließt den ersten Akt schmissig ab.
Im zweiten Akt dann das verhängnisvolle Duett Enrico - Lucia, das beide Sänger schön ausgestalten: Lucias energische Ablehnung der vom Bruder eingefädelten Heirat und die hinterhältigen Einschmeichelungen Enricos. Die Bläser des SWR-Sinfonieorchesters, sonst an sinfonischen Werken einschlägig erprobt, beweisen erneut ihre bewährte Spielkultur. Die Szene endet als musikalisch hochdramatischer Konflikt.
Dritter Akt. Schauerliche Gewittermusik. Friedrich Haider spornt das Orchester zu animiertem, farbigen Spiel an. Der von Hörnern und Posaunen untermalte hochdramatische Austausch tödlichen Hasses der verfeindeten Männer und dann der absolute Höhepunkt, die sogenannte Wahnsinnsarie der Lucia. Edita Gruberova gestaltet sie zu einer hochexpressiven Szene, in der sie alle erdenklichen Mittel der Belcantokunst mühelos aufbietet. Die obligate Flöte müsste vor Neid erblassen angesichts solch gesanglicher Virtuosität: die perlenden Glissandi, glasklaren Kadenzen, makellosen Wechsel zwischen Pianissimo und Fortissimi, schönste Reinheit in der Färbung, eine strahlende Höhe. Technische Perfektion, höchste Ausdruckskraft und himmlischer Schöngesang paaren sich zu absoluter Kunst. Eine größere Identifikation mit der Rolle ist kaum denkbar. Hier reißt es das Publikum von den Sitzen: lang anhaltende stehende Ovationen.
Auch der tragische Held muss untergehen: In der Schlussszene kann José Bros als Edgardo auch noch seine lyrischen Qualitäten beweisen und mit dem nötigen Schmelz in der Stimme "durchbohrt er sich mit dem Dolch". Im Orchester blitzen rührend Reminiszenzen an das Duett der unglücklich Liebenden im 1. Akt auf und - kein Vorhang schließt sich, wir sind ja nicht im Theater. Aber der Beifallssturm bricht los - ein rauschender Erfolg, verdient durch eine außergewöhnlich packende Gestaltung dieser Oper.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Choreinstudierung
SolistenLord Enrico AshtonGeorg Tichy
Lucia, seine Schwester
Sir Edgardo di Ravenswood
Lord Arthur Bucklaw
Raimondo, Lucias Erzieher
Alisa, Lucias Kammerdame
Normanno, Hauptmann
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- Fine -