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Formstrenge und schäumende Gischt
Von Christoph Wurzel / Fotos: © Claudia Hoehne
Für die Dynamik der Jungen scheint man in Birmingham ein Faible zu haben. Und ein Gespür für deren großes künstlerisches Potential. Die seit 1980 an das dortige Symphonieorchester berufenen Chefdirigenten waren bei ihrem Amtsantritt zwischen 25 Jahren (Simon Rattle) und 33 Jahren (Sakari Oramo) alt, Andis Nelsons war 30 und zu Beginn der Spielzeit 2016/17 wurde als erste Frau auf den Leitungsposten des City of Birmingham Symphony Orchestra die damals 29jährige Mirga Gra žinytė-Tyla berufen. Und ebenso wie für ihre Vorgänger wird das für die junge Dirigentin wohl auch das Sprungbrett für eine große Karriere sein. Dieses Gefühl erscheint nach dem umjubelten Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie mehr als berechtigt.Frauenpower: Konzertmeisterin Abigail Young, Solistin Vilde Frang und Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla (1. Reihe von links) und das City of Birmingham Symphony Orchestra nach dem Konzert am 25. November in der Elbphilharmonie Die Führungsrollen hatten an diesem Abend gleich drei Frauen inne: außer der Dirigentin die Solistin Vilde Frang und als Konzertmeisterin des glänzend spielenden Orchesters Abigail Young. Das Programm bot Mozart und Messiaen, Elgar und Debussy - da gibt es auf den ersten Blick wenig Gemeinsames. Aber gerade der Kontrast war es, von dem Dirigentin und Orchester sich heftig inspirieren ließen. Zudem schlug die Programmwahl zwischen den Eingangstücken der beiden Programmhälften eine Brücke, denn Olivier Messiaen hatte mit seinem kleinen Orchesterstück Un sourire dem von ihm so verehrten Wolfgang Amadeus Mozart zu dessen 200. Geburtstag Reverenz erweisen und ihm ein Lächeln senden wollen. Genau wie in der Ouvertüre zur Zauberflöte, die den Abend eröffnete, betonte Mirga Gražinytė-Tyla auch bei Messiaen die formale Klarheit der Komposition. Zwei sich wiederholende Blöcke stehen sich in dem kurzen Stück gegenüber. Die Harmonie eines in ruhigen Halben fast unbewegten und leisen Klangteppichs der Streicher wechselt mehrmals mit dem lebendigem Gezwitscher der Bläser und dem Geklapper des vielfältigen Schlagwerks (unverkennbar die bei Messiaen obligatorischen Vogelimitationen), bis alles am Schluss in einen kleinen Dur-Choral mündet. Messiaen verstand seine Hommage an Mozart als ein Gedankenspiel mit einem Geistesverwandten, klingende Anspielungen finden sich darin nicht. Bestechend transparent musizierten die Birminghamer diese fünfminütige Miniatur. Mag es Zufall oder geplant gewesen sein: Die Zauberflöten-Ouvertüre begann mit einem minimalem Vorschlag der Pauke - Vorzeichen einer im Ganzen mehr ernst als heiter aufgefassten Musik. Auch die folgenden Tutti-Akkorde hatten Strenge, fast Tragik, so als erzählten sie schon von „Not und Tod“, die Tamino später in den Proben zu überwinden hat. Hoch dramatisch, fast atemlos dann die Allegro-Exposition, als ob hier jemand um sein Leben liefe. Die erneuten drei Priesterakkorde, diesmal nur in den Blechbläsern: feierlicher, versöhnlicher; dann die Durchführung im präzisen Wechselspiel der Streicher und Bläser. In einer bezwingenden Mischung aus Konsequenz und Anmut brachte die Dirigentin das dramatisch angespannte Geschehen in der Schlusscoda fulminant zum erlösenden Ziel. Vilde Frang und das CBSO in der Elbphilharmonie Starker Gestaltungswille und Ausformung eines jeden Details zeichneten auch die beiden Hauptwerke des Abends aus. In Edward Elgars enorm konzentrierten Violinkonzert war die junge Norwegerin Vilde Frang die brillant virtuose Solistin. Ihr klarer, bisweilen fast zerbrechlich zarter Klang kam besonders der idyllischen Stimmung des zweiten Satzes zugute, wo sie vom Orchester in nobler Zurückhaltung unterstützt wurde. Im ersten Satz dagegen, wenn das Orchester im dichten Motivgeflecht alle dynamischen Kräfte entfaltet, hatte die zarte Stimme der Sologeige stellenweise Mühe sich zu behaupten. Wunderbar ausgewogen dagegen gelang der dritte Satz, gleichwohl der forderndste und musikalisch noch dichter gewebte Teil des Konzerts mit dem Höhepunkt der langen auskomponierten Schlusskadenz. Vilde Frang spielte sie mit leidenschaftlichem Ausdruck und in stupender technischer Brillanz. In den begleitenden Streichern dagegen hätte man sich das klanglich überaus reizvolle pizzicato tremolando noch prägnanter wünschen können. Insgesamt legte die Aufführung aber ein erstklassiges Zeugnis ab für die hohe Qualität dieses in unseren Konzertsälen zu sehr vernachlässigten Werks und war zugleich auch eine Verbeugung vor seinem Komponisten, unter dessen Leitung das erste Konzert des City of Birmingham Symphony Orchestra im November 1920 überhaupt stattgefunden hatte.
Am Schluss des
Konzerts wogte das Meer in der Elbphilharmonie. Mit Claude Debussys La mer entfesselte die lettische
Dirigentin mit dem englischen Orchester einen wahren Klangrausch aus
dem musikalischen Spiel von Wellen, Wind und schillerndem Licht.
Wirklich atemberaubend wie Gražinytė-Tyla mit suggestiver Zeichengebung
die turbulente Dynamik der Musik zähmte, wie sie mit vollem Einsatz des
ganzen Körpers den musikalischen Ausdruck verstärkte, katzenhaft
aufspringend für ein accelerando der Bläser, weiche Bögen malend für
ein legato der Violinen oder mit dem Taktstock ein trockenes Staccato
herausfordernd - und doch blieb alles beherrscht und ohne
vordergründigen Showeffekt, allein der Modellierung des Klangs
verpflichtet. Und das Orchester las seiner Dirigentin jeden
Wunsch von den Gesten ab. In transparenten, kristallinen
Klangfaszinationen stellten die Musikerinnen und Musiker Debussys
Meereseindrücke gleichsam wie eine Klangskulptur in den
herrlichen Akustikraum der Hamburger Elbphilharmonie - sonores Raunen
der tiefen Streicher, Blitze und pfeifende Böen der Bläser,
Trompetenspritzer und schäumende Gischt der Violinen. Jubelstürme
des Publikums waren der Lohn. |
AusführendeCity of Birmingham Symphony OrchestraLeitung: Mirga Gra žinytė-TylaVilde Frang, Violine WerkeWolfgang Amadeus MozartOuvertüre zur Oper Die Zauberflöte
Edward Elgar
Olivier Messiaen
Claude Debussy
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