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Engelsgleich
und
teuflisch gut
Von Christoph
Wurzel
Von
den schier endlosen
Möglichkeiten der menschlichen Stimme, sich musikalisch
auszudrücken,
war jüngst in Baden-Baden zu hören. Von den himmlischen
Höhen der
Sopranlagen bis hinunter zu den schwärzesten Bass-Tiefen wurde
nahezu die ganze Bandbreite der Sangeskunst vor Ohren
geführt:
von Philippe Jaroussky, dem viele Kritiker eine engelsgleiche Stimme
zuschreiben, über die in mehreren Stimmregistern
gleichermaßen agile
Cecilia Bartoli bis hin zu Bryn Terfel, der mit seinem Arienprogramm
düstere Schurken von irdischer und höllischer
Provenienz aufs
Podium holte. Schade dass der elegant jugendliche Tenor Juan Diego
Flórez unmittelbar vor Konzertbeginn vor einem bösen Virus
kapitulieren
musste. Er hätte das Belcantistentrio um eine weitere Nuance
zum
Quartett erweitert. So spielte in diesem Konzert „nur“ das Orchester
(dafür aber mit ganz besonderem Engagement) sein eigenes Programm
für
ein Publikum, das sich also nicht umsonst, aber kostenlos im Saal
versammelt hatte: ein schöner Zug, zumal die Intendanz noch
Freikarten
für ein weiteres Konzert nach Wahl für die Besucher
drauflegte.
Aus dem Vollen ihrer
stimmlichen Möglichkeiten dagegen konnten die drei anderen
schöpfen -
alle drei mit ausgesucht individuellem Programm, alle drei mit apart
charakteristischen Stimmqualitäten, alle drei auf dem
Höhepunkt ihres
Könnens.
Singendes
Energiebündel: Cecilia Bartoli mit dem kammerorchesterbasel
(Foto: Stephanie Schweigert)
Cecilia Bartoli war zuletzt
findig und fündig bei der Suche nach verborgenen Schätzen des
Belcantorepertoires, sei es mit Arien aus römischen Oratorien, die
eigentlich verkappte Opern sind oder mit ihrer Hommage an die fast
vergessene Maria Malibran. Nun hat sie sich wieder dem ganz „normalen“
Barockrepertoire zugewandt und kam mit einem reinen
Händel-Programm
nach Baden-Baden. Aber sie wäre nicht die Bartoli, wenn sie
routiniert
ihr Programm abgespult hätte. Sie sang Händels Arien mit
hinreißender
Frische und Verve, mit ansteckender Sinnlichkeit, glühender
Leidenschaft und tiefer Empfindung für die Gefühlswelten
dieser Musik.
Bei Cecilia Bartoli scheint jede Faser Musik zu sein, sie fühlte
sich
mit zarter Empfindung in die bukolische Heiterkeit der Dafne-Arie „Felicissima quest’alma“
und warf sich mit wütendem Eifer in die Rachearie „Furie
terribili“ aus Rinaldo. Den
Gipfelpunkt der gesanglichen Affektschilderung erreichte sie im
Ausdruck tiefster Verlassenheit und Verzweiflung in der Alcina-Arie „Ah, mio cor“. Ganz
zurückgedrängt war an diesem Abend ihr Hang zu kleinen
Manierismen, mit
denen sie zuweilen ihre Gesangstechnik anzureichern pflegt. An diesem
Abend zeigte sie, wie makellos ihre Stimme der musikalischen Linie
folgt und perfekt den Anforderungen des musikalischen Ausdrucks
entspricht. Wie stupend ihre Technik ist, stellte sie in den funkelnden
Koloraturen der Florinda-Arie „Si, vendetta“ und schließlich im
Sahnehäubchen unter den drei Zugaben, dem „Son qual nave“ von
Broschini, mit einem gehaltenen Ton in (für die Zuhörer)
atemberaubender Länge unter Beweis. Nach zweieinhalb Stunden
Programm
gelang ihr das noch so frisch wie in der ersten Minute. Kein
Wunder, dass sie ein begeistertes Publikum fand, das sich mit stehenden
Ovationen bedankte. Mit ihrem intensiv gestalteten und hochgespannten
Musizieren waren die Musikerinnen und Musiker des kammerorchesterbasel
dieser mitreißenden Solistin exzellente Partner. Sie ließen
auch die
“Füllstücke“ zwischen dem Arienfeuerwerk prächtig
glänzen.
Dem Erfinder der Opera seria gewidmet: Denkmal
für Pietro
Metastasio in seiner Geburtsstadt Rom (Foto: Christoph Wurzel)
Auf ihrer CD „Opera Proibita“
mit den Oratorien-Arien aus dem kirchenstaatlichen Rom des frühen
18.
Jahrhunderts hatte Cecilia Bartoli neben Händel auch Antonio
Caldara
berücksichtigt. Philippe Jaroussky widmete diesem immer noch zu
wenig
bekannten Venezianer seine jüngste CD und kam mit einigen seiner
großartigen Opern-Arien im Programm zu seinem ersten Auftritt ins
Festspielhaus. Caldara, der bis ins mittlere Alter schon in Italien als
Kirchenmusiker Karriere gemacht hatte, stieg 1716 in Wien zum
Vizekapellmeister der Hofkapelle auf und reüssierte am Kaiserhof
nun
auch als Opernkomponist, wo er in rund 20 Jahren wie am Fließband
produzierte. Die Libretti dazu lieferten Apostolo Zeno und nach
dessen Tod Antonio Trapassi, dessen Pseudonym Pietro Metastasio
untrennbar mit der Opera seria verbunden ist. Besonders aus Werken nach
dessen Dichtungen stammten die Arien des Abends. Mit seinem
Caldara - Programm führte Jaroussky in die faszinierende Welt
eines
großartigen Melodieerfinders. Caldaras Musik steckt nicht nur
voll
virtuosen Feuerwerks, sondern ist zudem beseelt von ingeniöser
Melodik.
Seine Arienkunst wurde schon zu seinen Lebzeiten bewundert und
„erhaben“ genannt, denn die musikalische Affektgestaltung ist von
ausnehmender Schönheit, immer aufs Neue überraschender
Raffinesse und
kühner Harmonik.
Und Jaroussky brachte all dies wunderbar zum Leuchten. Seine in der
ganzen Counter-Szene wohl einzigartige Stimme schmiegte sich Caldaras
melodischen Bögen wie selbstverständlich an. Dabei war nicht
allein
Jarousskys makellose Technik phänomenal, auch wie subtil er den
Klang
einzufärben verstand, war höchst kunstvoll und erlesen. Kaum
ein
Counter hat eine vergleichbar helle und reine Tongebung, kaum eine
Stimme spricht so leicht, ja schwebend an. Die Grenzen nach oben
scheinen dieser Stimme schier endlos zu sein. Den dramatischen Rache-
und Hass-Arien gab Jaroussky packenden Drive und fesselnde Attacke
(„Non temer vasallo indegno“ aus Temistocle),
mit
inniger
Empfindung gestaltete er die anrührende Arie „Misero
pargoletto“ aus Demofoonte,
mit einem betörenden messa di voce bei dem Wort „misero“;
lupenrein seine Verzierungen in der Gleichnisarie vom erfahrenen
Steuermann aus Ifigenia, bei
deren wiegender Melodik er von der Solovioline einfühlsam
begleitet
wurde. Überhaupt war Concerto Köln ein idealer, weil
nuancenreicher
Orchesterpartner für diesen exzeptionellen Sänger mit
seidenweicher
Stimme. Ganz anders als Cecilia Bartoli präsentierte sich
Jaroussky auf
der Bühne ruhig und zurückhaltend, freilich mit einer nicht
minder
intensiven Ausstrahlung als die quirlige Römerin.
Sensitiver
Gestalter:
Philippe Jaroussky mit Concerto
Köln
(Foto:
Andrea
Kremper)
So zarte Saiten wie sie
Jaroussky und Concerto Köln anschlugen, waren nicht angesagt beim
Arienabend des walisischen Charakterbasses Bryn Terfel, der sich mit
seinem Programm den „bösen Buben der Oper“ verschrieben hatte.
Auch
brachte er mit dem Münchner Rundfunkorchester einen großen,
klassischen
Klangkörper und zudem den Chor der Musikhochschule Karlsruhe mit.
Beide
unterstützten ihn kräftig bei seinem Streifzug durch die
Schurkenwelt
zwischen Mefistofele und Mackie Messer. Das Ur-Böse eines
finsteren
Gesellen wie Webers Freischütz
- Kaspar („Schweig, damit dich niemand warnt“) erfasste er stimmlich
ebenso überzeugend wie er mit urkomischem Talent die Cavatine des
Dulcamara aus Donizettis Liebestrank
zum Besten gab. Auch sein Scarpia
war im blasphemischen „Te Deum“ des ersten Akt-Finales aus Tosca markerschütternd
böse, wobei
selbst die massige Klangkulisse von Orchester und Chor den Sänger
niemals klein zu kriegen drohte. Boitos Mefistofele fehlte in der Sammlung
ebenso wenig wie Verdis Otello
– Jago – Rollen die Terfel geradezu auf den Leib geschrieben sind.
Immer spielte er seine enorme Bühnenpräsenz glänzend aus
und schaffte
mühelos den Spagat zwischen sympathischer Erscheinung und fieser
Opernrolle. Der 2. Teil brachte dann Ausschnitte aus Musicals und
Operetten, wie die zynische Ballade des Sweeney Todd aus Stephen Sondheims
Broadway-Erfolg. Weills Haifisch-Moritat aus der Dreigroschenoper allerdings geriet
Bryn Terfel dann doch zu schön gesungen, die hat man schon
hintersinniger und gemeiner von Schauspielern (z.B. dem unvergesslichen
Kurt Gerron) gehört.
FAZIT
Egal ob Dramaturgie oder
Zufall: Diese Sängerparade binnen einer Woche war kontrastreich
und in
allen Teilen erste Klasse.
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